Der Brief des Jakobus im Überblick

Einleitung

Der Jakobusbrief unterscheidet sich deutlich von allen anderen Briefen des Neuen Testamentes. Er gehört zu den am meisten vernachlässigten Briefen. Das mag daran liegen, dass der Reformator Martin Luther diesem Brief wenig abgewinnen konnte. Er nannte ihn eine „stroherne Epistel“, weil er meinte, Jakobus widerspreche der Lehre von Paulus. Dies ist jedoch nicht der Fall. Das Gegenteil trifft zu: Jakobus ergänzt Paulus. Jeder, der sich mit diesem praxisorientierten Brief auseinandersetzt, wird entscheidende Impulse für sein Glaubensleben bekommen. J. Calvin hingegen nennt den Brief einen „Sprudel vielfältiger Lehrunterweisung“.1

1. Ein „allgemeiner“ Brief

Der Jakobusbrief gehört zu den sogenannten „katholischen“ (allgemeinen) Briefen.
Die seltsam anmutende Bezeichnung stammt von dem Kirchenvater Origenes (185–254 n.Chr.).

Es handelt sich um die Bezeichnung von sieben Briefen, die nicht an örtliche Versammlungen oder Einzelpersonen gerichtet sind (Briefe von Jakobus, Petrus, Johannes und Judas).

In alten Bibelausgaben befinden sich diese Briefe – beginnend mit dem Judasbrief – manchmal direkt hinter der Apostelgeschichte.

2. Die Adressaten

Der Brief richtet sich an die „zwölf Stämme, die in der Zerstreuung sind“ (Jak 1,1).

Damit ist nicht das „geistliche Israel“ (etwa die Versammlung Gottes) gemeint, sondern tatsächlich Menschen aus dem irdischen Volk Gottes.

Jakobus schreibt nicht speziell

  • an die Juden oder
  • nur an gläubig gewordene Israeliten (obwohl diese im Vordergrund stehen)

Er wendet sich tatsächlich an Menschen, die ihrer Abstammung nach zum Volk Israel gehörten (unabhängig davon, ob sie Christen geworden waren oder nicht). Sie bekannten, eine Beziehung zu Gott zu haben. Der größte Teil von ihnen lebte in der „Zerstreuung“ d. h. nicht im Land Israel.

Der Brief enthält eindeutig jüdische Elemente (z. B. „Synagoge“, „unser Vater Abraham“, „der Herr Zebaoth“), ist jedoch kein alttestamentliches Dokument. Er bezieht sich jedoch ebenfalls klar auf die gegenwärtige christliche Haushaltung.

Wichtig zum Verständnis: Am Anfang der Apostelgeschichte bestanden die Versammlungen nur aus jüdischen Christen, die sich noch nicht vollständig von ihren ungläubigen Volksgenossen getrennt hatten. Sie gingen in den Tempel (Apg 2,46) und hielten das Gesetz
(Apg 21,21). Selbst gläubige Priester (Apg 6,7) übten ihren Dienst weiter aus.

Es war eine „gemischte Gemeinschaft“ von Judenchristen und Israeliten. An diese schreibt Jakobus.

3. Der Verfasser

Er stellt sich als „Jakobus, Knecht Gottes und des Herrn Jesus Christus“ vor (Jak 1,1). Es handelt sich nicht:

  • um ein Pseudonym
  • um Jakobus, den Bruder des Johannes (Sohn des Zebedäus)
  • um Jakobus, den Sohn des Alphäus (Jünger Jesu)

Gemeint ist mit großer Wahrscheinlichkeit Jakobus, der Bruder des Judas (beides waren leibliche (Halb) Brüder des Herrn Jesus, Maria war ihre gemeinsame Mutter; vgl. Mk 6,3).

Jakobus war am Anfang ungläubig, gehörte aber nach der Auferstehung zu denen, die glaubten.

  • Galater 1,19: Paulus sah ihn, als er zum ersten Mal nach Jerusalem kam.
  • Galater 2,9: Er war eine „Säule in der Versammlung in Jerusalem“. Dort lebte und arbeitete er. Von dort aus wurde der Brief wahrscheinlich geschrieben.

Wie Judas, ist er bescheiden und bezieht sich nicht darauf, ein Bruder Jesu gewesen zu sein, sondern nennt sich einfach sein „Knecht“.

4. Verfassungszeit

Es handelt sich um einen frühen Brief.

  • es geht um die Anfangszeit der Versammlungen in Jerusalem und Judäa
  • die typisch christliche Stellung der Gläubigen wird nicht erwähnt
  • die Segnungen und Aufgaben der Versammlung werden nicht erwähnt

Der Brief wird im Allgemeinen auf ca. 45 n. Chr. datiert. Er könnte das erste schriftliche Dokument des Neuen Testamentes überhaupt sein.

Wichtig: Es handelt sich um eine Übergangszeit. Die Gläubigen waren mit der christlichen Taufe auf den Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft, kannten jedoch die Belehrungen der Briefe (besonders von Paulus) und die volle christliche Stellung noch nicht, weil sie noch nicht offenbart war. Sie lebten in Jerusalem und nahmen dort weiter am traditionellen „Gottesdienst“ teil. Erst der Hebräerbrief (mehrere Jahrzehnte später geschrieben) macht klar, dass sie das jüdische System (das Lager) verlassen mussten (Heb 13,13).

5. Eine Botschaft für jeden Bibelleser

Wir leben heute in einer anderen Zeit und unter anderen Voraussetzungen:

  • die wenigsten von uns gehören zum Volk Israel
  • wir leben nicht in der damaligen Übergangszeit
  • wir kennen die gesamte christliche Lehre

Dennoch: Der Brief hat eine klare Ansprache für jeden, der ihn liest. Viele praktische Hinweise lassen sich gut übertragen.

Wichtig: Die damalige Übergangszeit war nicht nur „Anfangszeit“ (des Christentums), sondern gleichzeitig „Endzeit“ (des Judentums). Wir leben ebenfalls in einer „Endzeit“. Der Brief enthält deshalb wichtige Grundsätze für jede „Endzeit“ (gleiches gilt für die Briefe von Petrus und Johannes). Kapitel 5,8.9 spricht von der Ankunft des Herrn: „Siehe, der Richter steht vor der Tür“.

Der Brief ist deshalb keine „stroherne Epistel“, sondern ein Teil der Bibel und uns gegeben zur:

  • Lehre
  • Überführung
  • Zurechtweisung
  • Unterweisung in der Gerechtigkeit

Beachte: Es ist oft leichter, die Lehre von Paulus und Johannes zu verstehen, als die Praxis des Jakobusbriefes zu verwirklichen.

6. Absicht und Thema

Das große Thema ist der Glaube. Der lebendige Glaube wird einerseits dem toten Glauben und andererseits den Werken gegenübergestellt (der Glaube wird 16-mal erwähnt, die Werke werden 15-mal erwähnt).

Jakobus schreibt nicht, wie Paulus, über die Rechtfertigung aus Glauben.

Jakobus schreibt darüber, wie echter Glaube im Leben sichtbar wird.

  • es ist kein klar gegliederter Aufbau zu erkennen
  • es gibt keinen lehrmäßigen „Unterbau“.
  • es gibt sehr viele praktische Ermahnungen (54 der 108 Verse sind in Befehlsform geschrieben)

Man findet Hinweise und Parallelen:

  1. zur Bergpredigt des Herrn Jesus (Mt 5–7)
  2. zu den Sprüchen Salomos

Dennoch werden eindeutig Wahrheiten erwähnt, die zum Neuen Testament gehören. Dazu zählen z. B.

  • Jesus Christus ist der Herr (Jak 1,1)
  • die Neugeburt verbunden mit der Erstlingsfrucht (Jak 1,18)
  • Gott ist Vater (Jak 1,27)
  • den Glauben unseres Herrn Jesus Christus haben (Jak 2,1)
  • der Heilige Geist wohnt in den Gläubigen (Jak 4,5)
  • die Ankunft des Herrn Jesus und unsere Geduld bis dahin (Jak 5,7.8)

Es ist ein praktischer Brief, der zum Leben des Glaubens in der Gesinnung des Herrn Jesus herausfordert.

7. Glauben und Werke

Jakobus steht mit seinen Aussagen nicht im Widerspruch zu Paulus. Er komplementiert sie:

  • Paulus zeigt, dass wir das Heil aus Glauben bekommen und dazu keine eigenen Werke beitragen können (Röm 3,28; 5,1; Gal 2,16). Der Sünder kann nichts tun, um von Gott angenommen zu werden.
  • Jakobus zeigt, dass sich der Glaube dadurch beweist, dass wir gute Werke tun
    (Jak 2,21.24). Gute Werke sind keine „Gesetzeswerke“, sondern „Glaubenstaten“. Werke rechtfertigen den Sünder nicht vor Gott, sondern den Gläubigen vor Menschen.
  • Paulus spricht von der christlichen Stellung.
  • Jakobus spricht von der christlichen Praxis.

Der Glaube zeigt sich:

  • in Prüfungen (Kap 1,2–18)
  • im Hören und Tun (Kap 1,19–27)
  • in der Liebe (Kap 2,1–26)
  • in der Weisheit (Kap 3,1–18)
  • in entschiedener Hingabe (Kap 4,1–17)
  • in Geduld und Hoffnung (Kap 5,1–12)
  • im Gebet (Kap 5,13–18)
  • im Bemühen um Verirrte (Kap 5,19.20)

Beachte: Der Christ tut keine guten Werke, um den Glauben zu bekommen. Er tut gute Werke, weil er geglaubt hat!

8. Gliederung

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, den Brief einzuteilen. Wir folgen im weiteren Verlauf dieser Struktur:

  • Kapitel 1: Prüfungen und Übungen des Glaubens im täglichen Leben
  • Kapitel 2: das königliche Gesetz – Glaube und Werke
  • Kapitel 3 und 4: Hindernisse für das Glaubensleben – sieben Formen des Bösen
  • Kapitel 5: Leben im Unglauben und Leben im Glauben

Wichtiger Hinweis: Dieser Überblick kann nur dann nützlich sein, wenn er mit der offenen Bibel gelesen wird. Folgende Vorgehensweise wird dringend empfohlen:

  1. Schritt: den jeweiligen Bibeltext gründlich und nachdenkend lesen
  2. Schritt: den Kommentar dazu lesen
  3. Schritt: über den Text und die Botschaft nachdenken. Was will Gott mir sagen?
  4. Schritt: die Lektüre mit Gebet begleiten

Fußnoten

  • 1 Vgl. M. Luther: Vorrede zum Jakobusbrief 1522 bzw. J. Calvin: Vorrede zum Jakobusbrief 1551
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