Einführender Vortrag zum Jakobusbrief

Kapitel 3

Einführender Vortrag zum Jakobusbrief

Danach kommen wir zu neuen praktischen Ermahnungen. Wie wir schon gesehen haben, warnt Jakobus besonders vor der Zunge als Ausdrucksmittel der Erregung des Herzens, wenn nicht sogar der Bosheit. „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund.“ [Matthäus 12, 34]. Hier beschäftigen wir uns mit ihrem Gebrauch in einem anderen und möglicherweise noch bedeutsameren Bereich, nämlich dem des Redens zur öffentlichen Belehrung. Wir müssen daran denken, daß Gefahr nicht nur in dem droht, was im Privaten geäußert wird. Darum fügt der Schreiber hinzu: „Seid nicht viele Lehrer, meine Brüder, da ihr wisset, daß wir ein schwereres Urteil empfangen werden.“ (V. 1). Sicherlich wird das, was ein Mann öffentlich sagt, dazu verwendet, ihn selbst zu messen. Es ist gut, darauf vorbereitet zu sein. Wenn wir als Regel aufgefordert werden, langsam zum Reden zu sein [Jakobus 1, 19], gibt es bei der Belehrung anderer wohl kaum eine Ausnahme. Dadurch ziehen wir uns gewiß ein schwereres Urteil zu. Das ist eine Ermahnung, welche auf der einen Seite die Gefahr und den Fehler aufzeigt, sich leichtfertig einer offenen Tür zu bemächtigen. Wir sollten uns nämlich ängstlich vor einer Darstellung unserer eigenen Person hüten. Auf der anderen Seite setzt sie die vollkommene Freiheit voraus, welche unter Gläubigen herrschen sollte. Unmöglich kann eine solche Zurechtweisung gelten, wo nach der Vorschrift ausschließlich berechtigte Personen dienen dürfen.

So stellt Jakobus' Lehre augenscheinlich nicht nur eindeutig die gesegnete Wahrheit der neuen Natur vor, wie sie uns schon gezeigt worden ist. Seine Ermahnung setzt zudem dieselbe Offenheit unter den Christen für die Ausübung einer Gabe des Dienstes voraus, wie wir sie z. B. in 1. Korinther 14 und tatsächlich überall in der Kirche Gottes finden. Der Jakobusbrief ist weit davon entfernt, den anderen Briefen zu widersprechen, obwohl es in ihm nicht wenig gibt, das der Form nach in seiner Breite und Besonderheit neu ist (da für die zwölf Stämme bestimmt); denn die Gedanken Gottes sind eine Einheit. Der inspirierende Geist gibt uns - sogar in dem außergewöhnlichsten Werk unter den Briefen des Neuen Testaments - nur das, was mit jedem anderen Teil der Bibel harmoniert und das ganze Gefüge der göttlichen Wahrheit zementiert.

Jakobus fügt noch eine sittliche Begründung hinzu: „Denn wir alle straucheln oft. Wenn jemand nicht im Worte strauchelt, der ist ein vollkommener Mann, fähig, auch den ganzen Leib zu zügeln.“  Ich setze voraus, daß er sich nicht auf öffentliches Reden beschränkt, obwohl er, wie wir gesehen haben, damit beginnt. „Siehe, den Pferden legen wir die Gebisse in die Mäuler.“  (V. 3). Er zeigt, daß diese Angelegenheit in den Augen der Menschen gering aussehen mag. Wir dürfen indessen Böses nicht entschuldigen, weil es aus einer geringen Quelle zu kommen scheint. Darum weist er nach, daß oft geringe Gegenstände andere Körper beherrschen, die unvergleichlich größer sind. „Siehe, auch die Schiffe, die so groß sind, und von heftigen Winden getrieben werden, werden durch ein sehr kleines Steuerruder gelenkt.“ (V. 4). Das wird auf das gegenwärtige Thema angewandt. „So ist auch die Zunge ein kleines Glied und rühmt sich großer Dinge. Siehe, ein kleines Feuer, welch einen großen Wald zündet es an!  und die Zunge ist ein Feuer, die Welt der Ungerechtigkeit. Die Zunge ist unter unseren Gliedern gesetzt, als die den ganzen Leib befleckt und den Lauf der Natur anzündet und von der Hölle angezündet wird.“ (V. 5-6). In der ganzen Bibel treffen wir auf kein kraftvolleres und zutreffenderes Bild von dem hoffnungslosen Bösen, dem die Menschen durch dieses kleine, aber wirkungsvolle Körperglied ausgesetzt sind. „Denn jede Natur, sowohl der Tiere als der Vögel, sowohl der kriechenden als der Meertiere, wird gebändigt und ist gebändigt worden durch die menschliche Natur; die Zunge aber kann keiner der Menschen bändigen.“ (V. 7-8). Der Trost liegt darin, daß Gott mit ihr umgehen kann. Gott gibt dem Gläubigen Seine eigene Natur und weiß die alte Natur zu unterdrücken, sodaß Raum gewonnen wird für die Offenbarung dessen, was von Ihm selbst ist.

Jakobus verschweigt auch nicht die Anstoß erregende Unvereinbarkeit, die wir zu oft erfahren. „Mit ihr preisen wir den Herrn und Vater, und mit ihr fluchen wir den Menschen, die nach dem Bilde Gottes geworden sind. Aus demselben Munde geht Segen und Fluch hervor. Dies, meine Brüder, sollte nicht also sein.“ (V. 9-10). Das wird durch verschiedene Veranschaulichungen bekräftigt. Danach folgt ein Bild von dem weisen Mann, der sich nicht durch herausragende Erkenntnis als weise erweist, sondern im praktischen Verhalten. Für Jakobus geht es stets um die Anwendung im täglichen Leben. Das ist immer richtig, denn genau das ist, damals wie heute, am nötigsten. Hätte der Schreiber sich in diesem Brief in eine Beschäftigung mit der weiten Ausdehnung der Wahrheit gestürzt, wäre das nur zu einem Antrieb geworden, noch mehr Dogmen aufzuhäufen. Solches hätte natürlich ausschließlich das Böse verschlimmert, anstatt es auszumerzen. Indem er selbst in seinen Wegen ein weiser Mann war, wurde ihm außerdem durch den Heiligen Geist göttliche Weisheit gegeben, um sich in dieser Weise unmittelbar mit den Fallstricken für die zwölf Stämme zu beschäftigen und zwar mit jenen, welche den Glauben des Herrn Jesus Christus bekannten.

Unter dieser Voraussetzung erhebt sich die Frage: Falls ein Mensch weise ist - wodurch wird das deutlich? Sicherlich nicht dadurch, daß er viel redet, weil solches zum Übelreden neigt! „Er zeige aus dem guten Wandel seine Werke in Sanftmut der Weisheit.“ (V. 13). Wenn im Gegenteil bitterer Neid und Streitsucht in ihren Herzen wohnten - wie konnten sie sich gegen die Wahrheit rühmen und ihr ins Angesicht lügen? Wie schneidend ernst - und das einfach durch das Offenlegen der Dinge, wie sie sind! Aber was für eine Zurschaustellung! Denke dir, Menschen sind stolz auf ihre Schande! „Und lüget nicht wider die Wahrheit.“ (V. 14). Solches Verhalten stimmt nicht mit den Gedanken Gottes überein und widerspricht praktisch denselben.

Danach werden uns zwei Formen von Weisheit vorgestellt, genauso wie uns zwei Arten von Versuchungen gezeigt wurden: Die eine Versuchung wird von Gott glückselig gepriesen und ist zur Verherrlichung eines Menschen, der ausharrt. Die andere ist eine Schande, weil sie aus der gefallenen Natur des Menschen hervor strömt. Bei der Weisheit ist es keinesfalls anders. „Dies ist nicht die Weisheit, die von oben herabkommt, sondern eine irdische, sinnliche, teuflische. Denn wo Neid und Streitsucht ist, da ist Zerrüttung und jede schlechte Tat.“ (V. 15-16). Ihre Werke beweisen ihre Natur und ihre Quelle. Nur Verwirrung ist bei ihr zu finden, und zwar auf jede böse Weise. „Die Weisheit aber von oben ist aufs erste rein, sodann friedsam.“ (V. 17). Drehe niemals diese Reihenfolge um! Diese Weisheit ist nicht nur rein und friedsam, sondern  zuerst rein und  dann friedsam. Zuerst tritt sie für den Charakter und die Herrlichkeit Gottes ein und sucht danach die Früchte des Friedens unter den Menschen. Das ist aber nicht alles. Sie ist sanftmütig und schnell zu erbitten bzw. voller Zugeständnisse. Anstatt daß sie für ihre Rechte streitet, seien sie eingebildet oder echt, ist sie getränkt von den Zugeständnissen der Gnade. Das ist nicht die Hartnäckigkeit der Selbstbehauptung oder des Starrsinns. Letztere kennzeichnen vielmehr die sinnliche, ehrgeizige Weisheit des Menschen. Hingegen ist das, was von oben herab kommt, gelinde, folgsam, nicht streitsüchtig, aufrichtig und voll Barmherzigkeit und guter Früchte. Wenn ein Mensch weiß, daß seine Weisheit von verdächtiger Art ist, verstehen wir gut, daß er unwillig wird, falls seine Gedanken oder sein Wille in Zweifel gezogen werden. Die Wahrheit liegt hingegen darin, daß nichts die Überlegenheit von Gnade, Wahrheit und Weisheit, welche Gott gibt, so sehr kennzeichnen, wie Geduld und die Furchtlosigkeit, das voranzutreiben, was man als richtig und wahr erkannt hat. Es ist irgendwie ein sicheres inneres Zeichen von Schwäche, wenn ein Mensch nachdrücklich auf den Wert seiner eigenen Worte und Wege besteht oder gewohnheitsmäßig diejenigen anderer kritisiert. „Die Weisheit aber von oben ist aufs erste rein, sodann friedsam, gelinde, folgsam.“  Außerdem ist sie „voll Barmherzigkeit und guter Früchte, unparteiisch, ungeheuchelt.“  Sie wird gekennzeichnet durch Selbstgericht, welches sich an den Wegen Gottes erfreut und sie in ihrem Leben entfaltet. „Die Frucht der Gerechtigkeit in Frieden aber wird denen gesät, die Frieden stiften.“ (V. 18). Wo ein Weg friedevoll ist, entspringen sowohl Saat als auch Frucht der Gerechtigkeit. Der Same muß, wie immer, seine eigene artgemäße Frucht bringen. „Die Frucht der Gerechtigkeit in Frieden aber wird denen gesät, die Frieden stiften.“  Was für eine Ehre, Söhne des Friedens zu sein in einer Welt, die ständig im Krieg gegen Gott und die Seinen lebt!

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