Betrachtung über Jakobus (Synopsis)

Kapitel 5

Betrachtung über Jakobus (Synopsis)

Die beiden Klassen von Personen in Israel werden in diesem Kapitel in ihrem Gegensatz zueinander deutlich gekennzeichnet, unter Hinzufügung des Wandels, den die Christen verfolgen sollten, wenn sie von dem Herrn gezüchtigt wurden.

Die Ankunft des Herrn bildet den Abschluss ihrer Lage, mag es sich um die ungläubigen reichen Bedrücker in Israel, oder um den armen gläubigen Überrest handeln. Die Reichen haben Schätze aufgehäuft für die letzten Tage; die bedrängten Armen sollen Geduld haben, bis der Herr selbst zu ihrer Befreiung kommen wird. Überdies, sagt Jakobus, würde die Befreiung nicht verzögert werden. Der Ackersmann wartet auf den Regen und die Zeit der Ernte, der Christ auf das Kommen seines Herrn. Diese Geduld kennzeichnet, wie wir weiter oben sahen, den Wandel des Glaubens. Die Propheten waren Beispiele davon; und wenn andere durch Leiden und Prüfungen zu gehen haben, preisen wir die glücklich, die um des Herrn willen ausharren. Hiob lässt uns die Wege des Herrn sehen: Er musste Geduld haben, aber das Ende des Herrn war lauter Segen und inniges Mitgefühl für ihn.

Diese Erwartung der Ankunft des Herrn war eine ernste Warnung und zu gleicher Zeit die stärkste Ermunterung; aber eine Ermunterung, die den wahren Charakter des praktischen Lebens eines Christen aufrechthielt. Sie zeigte auch, wo die Selbstsucht des menschlichen Willens enden würde, und hielt alle Tätigkeit jenes Willens in den Gläubigen im Zaume. Auch die Gefühle der Brüder zueinander wurden unter den Schutz dieser Wahrheit gestellt. Sie sollten nicht einen Geist der Unzufriedenheit nähren noch gegen andere murren, die in ihren äußeren Umständen vielleicht besser gestellt waren als sie selbst: „Der Richter stand vor der Tür.“

Das Schwören brachte noch mehr das Außerachtlassen Gottes und infolgedessen das Wirken des Eigenwillens der Natur zum Ausdruck. „Ja“ sollte ja sein und „Nein“ nein. Die Tätigkeit der göttlichen Natur in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes, Hand in Hand mit der Unterdrückung alles menschlichen Willens und der sündigen Natur selbst, das ist es, was der Schreiber dieses Briefes für die Gläubigen wünscht.

Weiter kommt Jakobus auf die Hilfsquellen zu sprechen, die es im Christentum gibt, sowohl für die Tage der Freude als auch für die des Leides. Wenn jemand Trübsal litt, so sollte er beten (Gott war zum Hören bereit); wenn er glücklich war, sollte er singen; wenn krank, sollte er die Ältesten der Versammlung zu sich rufen: diese würden für den Leidenden beten und ihn mit Öl salben; dann würde die Züchtigung weggenommen werden, und die Sünden, für die er, nach der Regierung Gottes, also litt, würden, was jene Regierung anbelangte, ihm vergeben werden; denn davon allein ist hier die Rede. Eine Zurechnung der zur Verdammnis führenden Sünde steht hier völlig außer Frage.

Die Wirksamkeit des Glaubensgebets wird uns vor Augen gestellt, aber es geschieht in Verbindung mit der Aufrechthaltung der Aufrichtigkeit des Herzens. Die Regierung Gottes wird mit Rücksicht auf sein Volk ausgeübt. Er züchtigt es durch Krankheit; und es ist wichtig, dass die Wahrheit in dem inneren Menschen aufrecht gehalten wird. Die Menschen suchen ihre Fehler zu verbergen; sie möchten vorangehen, als ob alles in bester Ordnung wäre; aber Gott richtet sein Volk. Er prüft Herzen und Nieren der Seinigen. Sie werden in Banden der Trübsal gehalten. Gott zeigt ihnen ihre Fehler oder ihren ungebrochenen Eigenwillen. Der Mensch „wird gezüchtigt mit Schmerzen auf seinem Lager und mit beständigem Kampf in seinen Gebeinen“ (Hiob 33, 19). Und nun legt sich die Kirche Gottes in erbarmender Liebe ins Mittel, und zwar, der in ihr errichteten Ordnung gemäß, durch Vermittlung der Ältesten. Der Kranke vertraut sich Gott an, indem er seine hilfsbedürftige Lage bekennt; die Liebe der Kirche handelt und bringt Ihn, den Gezüchtigten, gemäß der Beziehung, in der sie steht, vor Gott: denn hier befindet sich die Kirche. Der Glaube bringt diese Gnadenbeziehung zur Geltung und benutzt sie, der Kranke wird geheilt. Wenn Sünden (und nicht bloß die Notwendigkeit der Zucht) seine Züchtigung herbeigeführt haben, so werden diese Sünden seiner Heilung nicht im Weg stehen; sie werden ihm vergeben werden.

Der Apostel stellt dann, als Regel für alle, den Grundsatz im Allgemeinen auf, dass die Gläubigen ihre Herzen einander öffnen sollten, um so die Wahrheit in dem inneren Menschen persönlich aufrecht zu halten. Auch sollten sie füreinander beten, damit die christliche Liebe im Hinblick auf die Fehler anderer zur vollen Ausübung komme. Gnade und Wahrheit und eine völlige Herzensverbindung unter den Christen werden auf diesem Weg geistlicherweise gebildet, so dass selbst die Fehler eine Gelegenheit zur Ausübung der Liebe werden, wie sie es für Gott uns gegenüber sind. Ferner entwickelt sich ein volles Vertrauen zueinander, jener Liebe gemäß, geradeso wie einem wiederherstellenden und vergehenden Gott gegenüber Vertrauen gefühlt wird. Welch ein schönes Gemälde wird so vor unsere Blicke gestellt, ein Gemälde von göttlichen Grundsätzen, welche die Menschen beseelen und sie antreiben, zu handeln gemäß der Natur Gottes selbst und dem Einfluss seiner Liebe auf das Herz!

Beachten wir, dass nicht von einem Bekenntnis den Ältesten gegenüber gesprochen wird. Das wäre Vertrauen auf Menschen gewesen, ein Vertrauen, das mit dem Amt in Verbindung gestanden hätte. Gott will, dass göttliche Liebe in allem wirksam sei. Das gegenseitige Bekenntnis zeigt den von Gott gewollten Zustand der Kirche. Gott möchte die Kirche in einer solchen Verfassung haben, die Liebe sollte so in ihr herrschen, dass die einzelnen Gott nahe genug wären, um imstande zu sein, den Übeltäter der Gnade gemäß, die sie in Ihm kennen, zu behandeln; und diese Liebe sollte so verwirklicht werden, dass eine völlige innere Aufrichtigkeit durch das Vertrauen und die Wirksamkeit der Gnade hervorgebracht würde. Eine amtliche Beichte vernichtet alles dies, ist ihm schnurstracks entgegen. Wie göttlich ist doch die Weisheit, die das Bekenntnis, wenn von den Ältesten die Rede ist, fehlen lässt, die es aber fordert als den lebendigen und freiwilligen Ausdruck des Herzens!

Dies führt uns auch zu dem Wert der hingebungsvollen Gebete des Gerechten. Es ist die Nähe des Betenden zu Gott und, daraus hervorgehend, sein Bewusstsein von dem, was Gott ist, was dem Gebet (durch die Gnade und die Wirksamkeit des Geistes) solche Kraft verleiht. Gott rechnet mit den Menschen, und Er tut das der Unendlichkeit seiner Liebe gemäß. Er rechnet mit dem Vertrauen auf Ihn, mit dem Glauben an sein Wort, der durch jemand an den Tag gelegt wird, der denkt und handelt aufgrund einer richtigen Wertschätzung dessen, was Gott ist. Das ist stets Glaube, was uns das Unsichtbare fühlbar macht, den Gott, der da handelt in Übereinstimmung mit der Offenbarung, die Er von Sich selbst gegeben hat. Der Mensch nun, der durch Gnade in praktischem Sinn gerecht ist, ist Gott nahe; als Gerechter hat er nicht mit Gott für sich selbst zu verhandeln im Blick auf vorliegende Sünde (was sein Herz in einer gewissen Entfernung halten würde), sondern sein Herz ist frei, Gott zu nahen gemäß seiner heiligen Natur, zum Nutzen für andere. Er wird getrieben durch die göttliche Natur, die ihn beseelt und ihn fähig macht, Gott würdig zu schätzen, und so trachtet er danach, der Tätigkeit jener Natur entsprechend, dass seine Gebete bei Gott den Sieg davontragen, sei es zum Wohle anderer oder zur Verherrlichung Gottes im Dienst. Und Gott antwortet jener Natur gemäß, indem Er dieses Vertrauen segnet und ihm entspricht, um so offenbar zu machen, was Er für den Glauben ist, und ihn zu ermutigen, indem Er seine Tätigkeit bestätigt und sein Siegel auf den durch Glauben Wandelnden 1 drückt.

Der Geist Gottes ist, wie wir wissen, in allem diesem tätig, aber der Apostel spricht hier nicht von Ihm, sondern beschäftigt sich mit der Wirkung des praktischen Glaubens in der Seele und stellt den Menschen dar als handelnd unter dem Einfluss dieser Natur in ihrer ganzen Tatkraft in Bezug auf Gott und als Ihm so nahe, so dass sie, getrieben durch den mächtigen Einfluss dieser Nähe, in all ihrer Stärke in Tätigkeit tritt. Doch wenn wir das Handeln des Geistes betrachten, werden diese Gedanken nur bestätigt. Der Gerechte betrübt nicht den Heiligen Geist, und der Geist wirkt in ihm seiner Macht entsprechend, indem Er nicht nötig hat, das Gewissen mit Gott in Ordnung zu bringen, sondern in dem Menschen handeln kann nach der Kraft seiner Gemeinschaft.

Schließlich wird uns die Versicherung gegeben, dass das hingebungsvolle Gebet des Gerechten eine große Wirkung hat: es ist das Gebet des Glaubens, der Gott kennt, auf Ihn rechnet und sich Ihm naht.

Der hier angeführte Fall aus der Geschichte des Elia ist interessant, da er uns zeigt (und es gibt andere Beispiele der gleichen Art), wie der Heilige Geist im Innern eines Menschen wirkt, bei dem wir nur die äußere Kraftentfaltung wahrnehmen. Die Geschichte berichtet uns die ernste Erklärung des Elia: „So wahr der HERR lebt ..., wenn es in diesen Jahren Tau und Regen geben wird, es sei denn auf mein Wort!“ Mit anderen Worten, sie erzählt von der Autorität, der Macht, die im Namen des HERRN ausgeübt wurde. In unserem Brief dagegen kommt das geheime Wirken, das was zwischen der Seele und Gott vorgeht, zur Darstellung. Elia betete, und Gott hörte ihn. Wir begegnen demselben Zeugnis von Seiten Jesu am Grab des Lazarus. Nur haben wir in dem letzten Fall beides zusammen, das Gebet und die Entfaltung der Autorität; doch wird uns das Gebet selbst nicht mitgeteilt, es sei denn in dem unaussprechlichen Seufzen des Geistes Christi.

Wenn wir Galater 2 mit dem geschichtlichen Bericht in Apostelgeschichte 15 vergleichen, so finden wir, dass eine Offenbarung von Seiten Gottes das Verhalten des Apostels Paulus bestimmte, als er nach Jerusalem hinaufzog, welcherlei äußere, wohlbekannte Beweggründe sonst auch vorhanden gewesen sein mögen. Durch solche Beispiele, wie der Apostel sie berichtet, und die des Elia und des Herrn Jesus, wird uns ein lebendiger und handelnd auftretender Gott offenbart, ein Gott, der Anteil nimmt an allem, was unter seinem Volk vorgeht.

Unser Brief zeigt uns auch die Tätigkeit der Liebe solchen gegenüber, die irregehen. Wenn jemand von der Wahrheit abirrt und ein anderer führt ihn durch Gnade zurück, so mag er wissen, dass das Zurückführen eines Sünders von dem Irrtum seines Weges (so einfach seine Tätigkeit dabei auch sein mag) die Ausübung der Macht ist, die eine Seele vom Tod errettet. Demgemäß werden dadurch alle jene Sünden bedeckt, die in ihrer abscheulichen Natur vor Gottes Augen offen dalagen und seine Herrlichkeit und sein Herz durch ihre Gegenwart verletzten. Wenn die Seele durch die Gnade zu Gott gebracht ist, so werden alle ihre Sünden vergeben. Sie erscheinen nicht mehr und sind vor dem Angesicht Gottes ausgelöscht. Der Apostel spricht hier (wie überall) nicht von der Kraft, die sich in diesem Liebeswerk tätig erweist, sondern von der Tatsache. Er wendet sie auf alle Fälle an, die unter ihnen vorgekommen waren; aber er stellt einen allgemeinen Grundsatz auf bezüglich der Tätigkeit der Gnade in dem Herzen, das durch sie belebt wird: die irrende Seele wird gerettet und die Sünde vor Gott hinweg getan.

Ist Liebe in der Versammlung vorhanden, so unterdrückt sie gewissermaßen die Sünden, die sonst die Einigkeit zerstören und jene Liebe in der Versammlung überwältigen würden, während sie selbst in ihrer ganzen Hässlichkeit und Bosheit vor Gott offen lägen. Wenn aber Liebe in der Versammlung ihnen entgegentritt, so schreiten sie nicht weiter fort, sondern werden (was den Zustand der Dinge vor Gott in dieser Welt betrifft) gleichsam aufgehoben und durch die Liebe, die sie nicht zu überwinden vermochten, hinweg getan. Die Sünde wird durch die Liebe, die sich mit ihr beschäftigt, bezwungen; sie verschwindet, wird durch sie verzehrt. So bedeckt die Liebe eine Menge von Sünden. Hier handelt es sich um ihre Tätigkeit in der Bekehrung eines Sünders.

Fußnoten

  • 1 Man wird gut tun zu beachten, dass die in Vers 14 beschriebene Handlung im Hinblick auf die Regierungswege Gottes, und deshalb unter dem Titel Gottes als „Herr“ zur Ausführung gelangt; den Platz als Herr nimmt Christus im besonderen ein, obwohl hier der Ausdruck in allgemeinem Sinn gebraucht ist. Vergleiche Vers 11 und den allgemein jüdischen Charakter der Stelle. Was uns betrifft, so haben wir einen Gott, den Vater, und einen Herrn, Jesus Christus. Er ist Herr und Christus geworden, und jede Zunge soll bekennen, dass Jesus Christus Herr ist.
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