Gekommen – um zu dienen

Kapitel 15

Gekommen – um zu dienen

Das Verhör vor dem Synedrium

„Und sogleich frühmorgens hielten die Hohenpriester samt den Ältesten und Schriftgelehrten und das ganze Synedrium Rat, und sie banden Jesus und führten ihn weg und überlieferten ihn Pilatus“ (15,1).

Markus erwähnt das Verhör vor dem Synedrium frühmorgens nur in einem Satz und damit nicht so ausführlich wie Lukas in Kapitel 22,66–71. Man war schon in der Nacht übereingekommen, dass der Herr des Todes schuldig sei (Kap. 14,64). Dieses Urteil wird nun offiziell von dem Synedrium bestätigt. Da den Juden jedoch das Recht, die Todesstrafe zu verhängen, von den Römern genommen war (Joh 18,31), müssen sie den Herrn zu Pilatus führen.

Die geistliche Führerschaft des Volkes, die eigentlich das Volk zu Gott führen sollte, nimmt hier den Herrn, bindet Ihn und bringt Ihn hin zu Pilatus, um Ihn zum Tode zu überliefern. Welche Tragik liegt in diesem Geschehen!

Lukas 4,18 sagt, dass der Herr gesandt war, den durch Satan „Gefangenen Befreiung auszurufen und Zerschlagene in Freiheit hinzusenden“. Dieser Befreier wird jetzt durch seine Geschöpfe unter der Macht Satans gebunden und zum Tod überliefert. Doch der Herr lässt diese erniedrigende Handlung über sich ergehen. Er ist das Festopfer, das mit Stricken bis an die Hörner des Altars gebunden wurde (Ps 118,27).

Das erste Verhör vor Pilatus

„Und Pilatus fragte ihn: Bist du der König der Juden? Er aber antwortet und spricht zu ihm: Du sagst es. Und die Hohenpriester klagten ihn vieler Dinge an. Pilatus aber fragte ihn wieder und sprach: Antwortest du nichts? Sieh, wie vieler Dinge sie dich anklagen! Jesus aber antwortete gar nichts mehr, so dass Pilatus sich verwunderte“ (15,2–5).

Aus Johannes 18,29–31 können wir erkennen, dass der Frage des Pilatus an den Herrn „Bist du der König der Juden?“ ein Dialog zwischen den Juden und Pilatus vorausgegangen ist. Der Herr antwortet mit den Worten: „Du sagst es“ – eine hebräische Redewendung, die eine nachdrückliche Bejahung darstellt. Der Herr antwortet auf diese Frage, um – wie in Kapitel 14,62 – die Wahrheit zu bezeugen.

Auf alle anderen Fragen und Anklagen antwortete der Herr in früheren Verhören und auch hier (V. 4 und 5) nicht. Wir werden dabei an die Worte aus Psalm 38,14–16, Psalm 39,10 und Jesaja 53,7 erinnert.

Die kurze Antwort des Herrn hier ist ein Teil des guten Bekenntnisses, auf das sich Paulus in 1. Timotheus 6,13 bezieht. Der Herr war der König der Juden und verschweigt es nicht, obwohl es Pilatus einen Anklagegrund an die Hand gibt. So sollten auch wir nicht verschweigen, dass Er unser Herr ist, und es frei bekennen (Röm 10,9). So wird in 1. Timotheus 6,12–14 das „gute Bekenntnis“ des Herrn direkt mit unserem Bekenntnis verbunden.

Vers 3 berichtet, dass die Hohenpriester den Herrn „vieler Dinge“ anklagen. Es ist ihr unbedingter Wille, den Herrn zu Tode zu bringen. Dieser Wille und ihr Hass gegen den Herrn ziehen sich durch diesen Abschnitt. Ebenso formulieren sie ihre Anklage gegenüber Pilatus – die hier nur allgemein erwähnt wird – diesem Ziel entsprechend. Ihr eigener Anklagegrund war, dass der Herr sich zu Gottes Sohn machte (Kap. 14,62–64). Doch sie wissen, dass diese Begründung Pilatus nicht sonderlich interessieren wird. Daher klagen sie den Herrn vor Pilatus in einer Weise an, die Ihn als einen Verführer und Aufrührer der Nation darstellt und als einen, der sich gegen den Kaiser auflehnt. Das finden wir in Lukas 23,2 und 5 geschildert. Sie wissen, dass Pilatus als Vertreter des römischen Kaisers darauf reagieren muss.

Ihr fester Wille, den Herrn zu Tode zu bringen, äußert sich auch in den weiteren Versen. Hier klagen sie den Herrn viel oder heftig an. In Vers 8 sehen wir, wie sie ein Geschrei erheben und etwas von Pilatus begehren. In Vers 11 wiegeln die Hohenpriester die Volksmengen auf, Barabbas zu fordern, und in Vers 14 schreien sie übermäßig, dass der Herr gekreuzigt werden soll. Was muss das für den Herrn gewesen sein, bei seinem Volk den Hass zu sehen, ihre Ablehnung und diesen unbedingten Willen, Ihn zu töten! Selbst Pilatus wurde von ihrem Eifer fortgerissen und fragt sie wiederholt nach ihrem Willen (Verse 9 und 12). Er wird ein Spielball in den Händen der Juden.

Angesichts dieser Ablehnung, die dem Herrn von Seiten der Juden entgegenschlägt, ist Pilatus umso mehr erstaunt, dass der Herr nichts darauf antwortet. Sicherlich hatte er bisher noch nicht erlebt, dass ein Angeklagter nichts zu seiner Verteidigung sagte.

Das zweite Verhör vor Pilatus

„Zum Fest aber pflegte er ihnen einen Gefangenen freizulassen, um den sie baten. Es war aber einer, genannt Barabbas, mit den Aufrührern gebunden, die in dem Aufruhr einen Mord begangen hatten. Und die Volksmenge erhob ein Geschrei und fing an zu begehren, dass er tue, wie er ihnen zu tun pflegte. Pilatus aber antwortete ihnen und sprach: Wollt ihr, dass ich euch den König der Juden freilasse? Denn er hatte erkannt, dass die Hohenpriester ihn aus Neid überliefert hatten. Die Hohenpriester aber wiegelten die Volksmenge auf, dass er ihnen lieber Barabbas freilasse. Pilatus aber antwortete und sprach wieder zu ihnen: Was wollt ihr denn, dass ich mit dem tue, den ihr König der Juden nennt? Sie aber schrien wieder: Kreuzige ihn! Pilatus aber sprach zu ihnen: Was hat er denn Böses getan? Sie aber schrien übermäßig: Kreuzige ihn! Da aber Pilatus der Volksmenge einen Gefallen tun wollte, ließ er ihnen Barabbas frei und überlieferte Jesus, nachdem er ihn hatte geißeln lassen, damit er gekreuzigt würde“ (15,6–15).

Aus dem Vergleich mit den anderen Evangelien können wir entnehmen, dass zwischen Vers 5 und 6 das Verhör vor Herodes stattgefunden hat. Jetzt kommt der Herr zum zweiten Mal vor Pilatus. Dieser hat genau erkannt, dass die Anklagen der Juden keinen Grund bieten, den Herrn zum Tod zu verurteilen, sondern dass es der Neid ist, der sie treibt, Ihn zu überliefern (V. 10). Doch er wagt es nicht, den Herrn freizusprechen, wie es seine Aufgabe als gerechter Richter gewesen wäre. Er sucht jetzt nach einer Lösung, wie er möglichst gut aus dieser für ihn unangenehmen Situation herauskommen kann. Dabei kommt ihm die Sitte der Römer in den Sinn, den Juden am Passahfest jeweils einen Gefangenen freizulassen. Dieses Mal ist Barabbas, ein berüchtigter Aufrührer, Mörder und Räuber, ein Kandidat für die Freilassung. Seine Überlegung war, dass, wenn die Juden zwischen Barabbas und dem Herrn zu wählen haben, sie doch sicherlich dem Herrn den Vorzug geben werden.

Als die Juden ihn in Vers 8 an die Sitte der Römer erinnern, schlägt er ihnen daher vor, den Herrn, den er hier wieder den König der Juden nennt, freizulassen. Doch Pilatus irrt sich in seinen Überlegungen. Aufgewiegelt durch die neiderfüllten Hohenpriester fordert die gesamte Volksmenge die Freilassung des Barabbas. Und was soll mit dem Herrn geschehen? „Kreuzige ihn!“, schreien die Menschen. Jetzt erfüllt sich in seiner ganzen Tiefe das, was Gott zu Samuel in 1. Samuel 8,7 bei der Einsetzung des Königtums sagte: „Mich haben sie verworfen, dass ich nicht König über sie sein soll.“

Sie entscheiden sich für „Bar (= Sohn) Abbas (= des Vaters)“, für den Sohn des Teufels (Joh 8,44), und gegen den vollkommenen Sohn Gottes.

Vor dieser Entscheidung für oder gegen Gott steht auch heute jeder Mensch. Petrus sagt geleitet durch den Heiligen Geist in Apostelgeschichte 3,14 und 15 zu der Entscheidung des Volkes: „Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gebeten, dass euch ein Mann, der ein Mörder war, geschenkt würde; den Urheber des Lebens aber habt ihr getötet.“ Wie hat diese unheilige Menge „den Heiligen“ verachtet und wie hat der ungerechte Richter Pilatus „den Gerechten“ und „den Urheber des Lebens“ wider besseres Wissen zum Tod verurteilt!

Pilatus war von der Unschuld des Herrn Jesus überzeugt, wie aus den Versen 10 und 14, und besonders aus der Schilderung in Lukas 23,1–25 hervorgeht. Aber um der Volksmenge gefällig zu sein, gibt er alle Gerechtigkeit auf (Pred 3,16). Mit der Hoffnung, den blutrünstigen Hass der Volksmengen etwas zu besänftigen, lässt er den unschuldigen Angeklagten grausam geißeln, wie es der Herr in Lukas 18,33 vorhergesagt hatte. Dann überliefert er Ihn zur Kreuzigung.

Die Misshandlung im Hof des Prätoriums

„Die Soldaten aber führen ihn in den Hof hinein, das ist das Prätorium; und sie rufen die ganze Schar zusammen. Und sie legen ihm einen Purpurmantel an und flechten eine Dornenkrone und setzen sie ihm auf. Und sie fingen an, ihn zu grüßen: Sei gegrüßt, König der Juden! Und sie schlugen ihn mit einem Rohrstab auf das Haupt und spien ihn an, und sie beugten die Knie und huldigten ihm. Und als sie ihn verspottet hatten, zogen sie ihm den Purpurmantel aus und zogen ihm seine Kleider an; und sie führen ihn hinaus, um ihn zu kreuzigen. Und sie zwingen einen Vorübergehenden, einen gewissen Simon von Kyrene, der vom Feld kam, den Vater von Alexander und Rufus, sein Kreuz zu tragen“ (15,16–21).

Diese Verse zeigen uns einen weiteren Aspekt der Leiden des Herrn von Seiten der Menschen. Die vorangegangenen Verse haben ganz besonders gezeigt, was der Herr von Seiten der Juden gelitten hat. Sie zeichneten sich durch Hass und Neid aus. Jetzt kommt vor uns, was der Herr von Seiten der Nationen gelitten hat. Die Römer hatten keine besondere Beziehung zu Ihm, aber sie waren durch Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet.

Nachdem Pilatus das letzte Wort gesprochen hat, nehmen die Soldaten den Herrn und führen Ihn in den Hof des Prätoriums. Wieder lässt sich der Herr von Sünderhänden führen und dann noch einmal schrecklich misshandeln. Sie rufen die ganze Schar über Ihn zusammen, wie es Matthäus 27,27 sagt. Eine römische Schar bestand aus 600 Soldaten. Was für eine Szene ist das! Der Herr der Herrlichkeit mitten in dieser großen gewalttätigen Menge, die jetzt in brutaler Weise alle Bosheit des menschlichen Herzens an Ihm auslässt.

Die ganze Verachtung, die die Römer gegen die Juden hatten, lassen diese Soldaten jetzt an Dem aus, der der König der Juden ist. Sie führen das fort, was ihr Landpfleger ihnen vorgemacht hat. Wie Hunde umgeben sie den Herrn (Ps 22,17) und fallen sie über Ihn her. Man legt Ihm zum Hohn einen Purpurmantel an, setzt Ihm eine Dornenkrone auf, schlägt, bespuckt und verspottet Ihn.

Wie muss den Herrn die Gewalttätigkeit und der Hohn, der Ihm jetzt auch von den Nationen entgegenschlug, getroffen haben! Doch Er, der einmal als König und Richter über alle Menschen mit einem eisernen Zepter in seiner Hand dastehen und vor dem sich jedes Knie beugen wird, lässt dies alles hier über sich ergehen – aus Liebe zu uns.

Wir bemerken bei der Betrachtung dieser Verse, wie der Geist Gottes die Leiden des Herrn mit großer Zurückhaltung beschreibt. Und wir tun gut daran, wenn wir das beachten. Wir stehen in einer „Entfernung von etwa zweitausend Ellen“ (Jos 3,4) – erkennen wir doch, wie wenig wir davon erfassen können, was dies alles für den Herrn gewesen ist. Auch unser natürliches Vorstellungsvermögen muss bei der Schilderung der Leiden des Herrn unter den Einfluss des Geistes Gottes kommen. Wir wollen uns aber doch durch die Betrachtung dieser Verse dahin führen lassen, uns mehr mit seinen Leiden zu beschäftigen; ja, vermehrt Den zu betrachten, „der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat“ (Heb 12,3).

Nachdem sie Ihn verspottet haben, ziehen sie Ihm seine Kleider wieder an und führen Ihn hinaus, um Ihn zu kreuzigen. Wiederholt wird in diesen Versen davon gesprochen, dass der Herr gekreuzigt wird (z. B. V. 15.20.24.25). Das Kreuz, diese schreckliche römische Todesart, wollen die Juden für den Herrn und unbeabsichtigt sorgen sie damit für die Erfüllung der Vorhersagen des Wortes Gottes (5. Mo 21,23; Gal 3,13).

Anschließend wird davon berichtet, wie Simon von Kyrene gezwungen wird, das Kreuz des Herrn zu tragen. Gottes Wort schweigt über den Grund dafür. Die Menschen haben daraus abgeleitet, dass der Herr unter dem Kreuz zusammengebrochen und zu entkräftet gewesen sei, um das Kreuz zu tragen. Doch davon sagt die Schrift gar nichts.

Simon von Kyrene, ein Afrikaner aus Libyen (Apg 2,10), will an den Geschehnissen vorübergehen. Er will wohl nichts mit dieser Sache zu tun haben. Doch er wird gezwungen, das Kreuz des Herrn nach Golgatha zu tragen. Wir können annehmen, dass dieses Ereignis einen bleibenden Eindruck auf ihn ausgeübt hat. Möglicherweise ist es sein Sohn Rufus, den Paulus in Römer 16,13 „den Auserwählten im Herrn“ nennt.

Simon war ein Vorübergehender. Können wir daraus nicht eine Anwendung für uns machen? Geht es uns nicht manchmal so, dass wir aus Gewöhnung an den Tod des Herrn nicht mehr vor seinen Leiden stillstehen, sondern einfach daran vorübergehen? Simon musste hier stehen bleiben, und so wollen auch wir uns wieder neu ermuntern, vor dem Herrn und seinen Leiden bewundernd stehen zu bleiben.

Die Kreuzigung

„Und sie bringen ihn zu der Stätte Golgatha, was übersetzt ist: Schädelstätte. Und sie gaben ihm Wein, mit Myrrhe vermischt; er aber nahm es nicht. Und als sie ihn gekreuzigt hatten, verteilen sie seine Kleider unter sich, indem sie das Los darüber werfen, was jeder bekommen sollte. Es war aber die dritte Stunde, und sie kreuzigten ihn. Und als Aufschrift mit seiner Beschuldigung war angeschrieben: Der König der Juden. Und mit ihm kreuzigen sie zwei Räuber, einen auf der rechten und einen auf seiner linken Seite.

Und die Vorübergehenden lästerten ihn, indem sie ihre Köpfe schüttelten und sagten: Ha, der du den Tempel abbrichst und in drei Tagen aufbaust, rette dich selbst und steige herab vom Kreuz. Ebenso spotteten auch die Hohenpriester samt den Schriftgelehrten untereinander und sprachen: Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Der Christus, der König Israels, steige jetzt vom Kreuz herab, damit wir sehen und glauben. Auch die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn“ (15,22–32).

Wir sehen weiter, wie der Herr nach Golgatha, der Schädelstätte gebracht wird. Er, der gesagt hatte: „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben“ (Joh 10,10), und: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6), lässt sich jetzt nach Golgatha, dem Ort des Todes, bringen. Ob die Soldaten schon einmal einen Gefangenen gehabt hatten, der sich so willig führen ließ?

Der Bericht, den Markus von den Ereignissen hier gibt, ist kurz und schlicht und doch von tiefem Inhalt. Wir erkennen in den Geschehnissen am Kreuz, wie Gott hinter allem steht. Eine Prophezeiung nach der anderen erfüllt sich in wunderbarer Weise.

Zunächst bietet man dem Herrn einen Betäubungstrank aus Essig oder Wein mit Myrrhe an (Ps 69,22). Doch Er nimmt ihn nicht an. Er will die Leiden und die unvorstellbare Not mit vollem Bewusstsein ertragen. Dieser Trank erinnert an die Bitterkeit der Leiden, die die Menschen dem Herrn zufügten.

Dann verteilen sie seine Kleider, wie es in Psalm 22,19 vorhergesagt war. Diese Schande und Schmach, der Oberkleider beraubt am Kreuz zu hängen und den verächtlichen Blicken der Mengen ausgesetzt zu sein, hat der Herr tief empfunden, wie aus Psalm 22,18b und Psalm 69,8.20 deutlich wird. Er nahm es auf sich, entkleidet zu werden und in den Tod zu gehen, um uns jetzt „mit Kleidern des Heils“ (Jes 61,10) bekleiden zu können.

Pilatus lässt eine Beschuldigungsschrift über dem Kreuz des Herrn anbringen, die Ihn als den „König der Juden“ ausweist. Mit dieser Überschrift soll der Tod des Herrn in den Augen der Römer gerechtfertigt werden und zugleich der Herr und das jüdische Volk verspottet werden. Aber sie ist trotzdem wahr. Gott sorgt dafür, dass, auch wenn keiner den Herrn anerkannte und die Juden ihren König verwarfen und kreuzigen ließen, der Herr doch öffentlich als solcher bezeugt wird.

Man kreuzigt Ihn zwischen zwei Übeltätern. Damit wird eine weitere Prophezeiung Jesajas erfüllt, denn Er wurde unter die Gesetzlosen gerechnet (Jes 53,12). Diesen Platz geben die Menschen dem Herrn, als wollten sie damit zum Ausdruck bringen, dass Er der Schlimmste von allen sei. Doch auch hier muss der Herr den Platz in der Mitte einnehmen, weil Er immer der Mittelpunkt ist. Wie groß ist der Gegensatz, wenn wir den Herrn Jesus jetzt, als Antwort Gottes auf sein vollbrachtes Werk am Kreuz, auf dem Ehrenplatz zur Rechten Gottes sehen.

Eine weitere Personengruppe tritt in Vers 29 hervor, die den Herrn verspottet und verachtet. Wir haben gesehen, wie das jüdische Volk, Pilatus und die römischen Soldaten den Herrn bereits behandelt haben. Jetzt sind es Vorübergehende. Anstatt ihre Augen entsetzt von dem Geschehen auf Golgatha abzuwenden, haben sie nur Worte der Lästerung für Ihn. Verächtlich schütteln sie ihre Köpfe über Den, der in unendlicher Liebe an das Kreuz geht und sich nicht selbst rettet. Sie greifen – wie in Kapitel 14,58 – die Worte des Herrn auf, der allerdings in Johannes 2,19 gesagt hatte, dass nicht Er, sondern sie selbst den Tempel seines Leibes abbrechen würden (Ps 56,6). Genau das erfüllen die Menschen gerade hier.

Aber damit nicht genug. Auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten spotten untereinander. Sie, die geistlichen Führer des Volkes, die die Schriften mit all den Prophezeiungen und Hinweisen auf diese Stunden genau kennen mussten, verhalten sich so wie die unterste Klasse der Menschen: die Räuber und Übeltäter (V. 32b). Wie hat auch das den Herrn getroffen. In ihrem Spott greifen auch sie auf das zurück, was der Herr in Kapitel 14,61.62 bekannt hat. Dabei sprechen sie unwissentlich eine große Wahrheit aus:

„Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten“ – das ist die Wahrheit der Stellvertretung. Andere konnten nur gerettet werden, wenn Er jetzt nicht gerettet wurde. Das eine schließt das andere aus. Es gab nur diese eine Möglichkeit, uns Menschen zu retten: Der Sohn Gottes musste Mensch werden, um als unser Stellvertreter zu sterben.

Der hebräische Knecht in 2. Mose 21,5b wollte nicht frei ausgehen. So auch der Herr. Er wollte dem göttlichen „Muss“, das über seinem Leben stand, entsprechen (Joh 3,14; Lk 24,26). Er hätte vor den drei Stunden der Finsternis vom Kreuz herabsteigen können, aber Er wollte es nicht, weil sonst der Ratschluss der Liebe Gottes nicht erfüllt worden wäre! Seine vollkommene Liebe zu seinem Vater, sein vollkommener Gehorsam den Geboten des Vaters gegenüber und seine vollkommene Liebe zu uns halten Ihn hier ab, sich selbst zu retten. Er liebt die Seinen, die in der Welt sind, bis ans Ende oder bis zum Äußersten (Joh 13,1).

Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten sprechen Worte voller Heuchelei aus. Sie wollen zuerst sehen und dann glauben. Das ist ein Charakterzug, der die Menschen zu allen Zeiten kennzeichnet. Schon der reiche Mann in Lukas 16,27–31 dachte so und auch der Jünger Thomas in Johannes 20,25.29. Und heute ist es oft nicht anders.

„Auch die mit ihm gekreuzigt waren, schmähten ihn“ – selbst die, die in derselben schlimmen Lage sind, stimmen in die Schmähungen mit ein, etwas völlig Ungewöhnliches. Es zeigt noch einmal die Bosheit des Menschen von Natur aus und wie der Hass gegen den Herrn die Menschen aller Schichten vereint.

Die Stunden der Finsternis

„Und als die sechste Stunde gekommen war, kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde; und zur neunten Stunde schrie Jesus mit lauter Stimme: Eloi, Eloi, lama sabachtani?, was übersetzt ist: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Und als einige der Dabeistehenden es hörten, sagten sie: Siehe, er ruft Elia. Einer aber lief und füllte einen Schwamm mit Essig und legte ihn um einen Rohrstab und gab ihm zu trinken und sprach: Halt, lasst uns sehen, ob Elia kommt, um ihn herabzunehmen. Jesus aber gab einen lauten Schrei von sich und verschied. Und der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke, von oben bis unten“ (15,33–38).

In den Versen 33 und 34 haben wir den Höhepunkt der Leiden des Herrn. Bis dahin wurde gezeigt, was der Herr von Seiten der Menschen gelitten hat. Jetzt hört das Handeln und Reden des Menschen auf und nun beginnen die Leiden des Herrn von Seiten Gottes. Hier geht der heilige Gott mit seinem Sohn ins Gericht, wovon die Finsternis spricht. Ein Geschehen, das den Zentralpunkt im Handeln Gottes mit den Menschen darstellt.

Nur zwei Verse widmet der Geist Gottes diesem Geschehen, und dabei schirmt Gott seinen Sohn durch eine absolute Finsternis vor allen Zugriffen und Blicken der Menschen ab. Daran erkennen wir, dass dies ein Bereich ist, in den wir Menschen nicht eindringen können und dürfen. So wie es im Alten Testament verboten war, in die Bundeslade zu schauen, so ist es auch uns nicht gestattet, in diese Stunden hineinzusehen. Was dort geschehen ist, können wir auch nicht im Entferntesten erahnen. Er, der Heilige, „der keine Sünde tat“ (1. Pet 2,22), der „keine Sünde kannte“ (2. Kor 5,21) und „in dem keine Sünde ist“ (1. Joh 3,5), wird jetzt von Gott zur Sünde gemacht und dementsprechend gerichtet. David hatte in Psalm 37,25 gesagt: „Nie sah ich den Gerechten verlassen.“ Doch jetzt wurde ein Mensch – und dazu ein vollkommen gerechter – von Gott verlassen.

Verschiedene Stellen in der Schrift geben uns direkte Hinweise auf das Geschehen in diesen Stunden (z. B. 2. Kor 5,21; 1. Pet 2,24; Jes 53,10; Sach 13,7; Ps 22,2.3). Auch wenn es rein zeitlich gesehen „nur“ drei Stunden waren, in denen der Herr das ewige Gericht Gottes über die Sünde getragen hat, empfand der Herr diese Zeit jedoch unendlich länger und tiefer. Jede einzelne Stunde kam einer Ewigkeit gleich. Das können wir etwas erahnen, wenn wir Stellen wie Psalm 22,3 lesen: „Mein Gott! ich rufe am Tag, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe“ oder auch an Klagelieder 3,6 denken, wo von „Toten der Urzeit“ die Rede ist.

Der Schrei des Herrn mit den Worten aus Psalm 22,2 am Ende der drei Stunden ist das Einzige, was uns einen kleinen Blick in das Herz des Herrn tun lässt. Er ruft mit lauter Stimme, als ob Er damit zum Ausdruck bringen will, dass Er das Recht zu diesem Ausruf hat. Denn in Ihm selbst gab es keinen Grund, von Gott verlassen zu werden. Er war in sich selbst völlig rein und hatte seinem Gott in vollkommener Weise ohne Unterlass gedient (Dan 6,17b). Wenn Er jetzt so ruft, macht das deutlich, dass Er für andere leidet.

Die Juden nehmen diesen Schrei zum Anlass, Ihn weiter zu verspotten. Sie verstehen sehr wohl, dass der Herr zu Gott und nicht nach Elia ruft. Aber ihre Haltung ist unverändert. Sie haben nur Essig für den Herrn übrig, der nach all den Leiden einen echten, tiefen Durst hat. Dann spotten sie weiter, ob Elia kommen würde, um Ihn vom Kreuz herabzunehmen. Das ist der natürliche Mensch und das sind auch wir von Natur.

Wir lesen in Vers 37 von einem weiteren lauten Schrei des Herrn. Dieser Schrei zeigt deutlich, dass Er nicht an Schwäche und Erschöpfung stirbt. Nein, in vollem Bewusstsein gibt der Herr sich als Lösegeld in den Tod. Was beinhaltet das doch, was uns hier so kurz und knapp berichtet wird. In diesem Augenblick gab Er sein Leben in den Tod, floss sein Blut auf dem Altar. Jetzt war das Erlösungswerk vollbracht, jetzt war die Frage der Sünde für ewig göttlich gerecht geordnet und Gott vollkommen verherrlicht worden. Und jetzt ist auch die Grundlage dafür gelegt, dass einmal die Sünde der Welt weggenommen werden kann (Joh 1,29).

Unmittelbar nachdem der Herr verschied, bezeugt Gott in eindrucksvoller Weise, dass Er das Werk seines Sohnes angenommen hat: Der Vorhang des Tempels zerreißt von oben (d. h. von Gott gewirkt) bis unten. Es gibt keine Trennung mehr zwischen dem Heiligtum und dem Allerheiligsten. Der Weg zu Gott ist nicht mehr versperrt.

Hebräer 10,20 sagt, dass der Vorhang den Leib unseres Herrn darstellt. Indem Er seinen Leib in den Tod gab, wurde das Judentum (das durch den Vorhang gekennzeichnet war) weggetan. Solange das Judentum, die „vordere Hütte“ (Heb 9,8), bestand, war der Weg zum Heiligtum noch nicht frei. Doch jetzt ist es beiseitegesetzt und wir dürfen zu Gott kommen, dürfen mit Freimütigkeit ins Heiligtum eintreten auf der Grundlage des kostbaren Blutes Jesu (Heb 10,19).

Das Zeugnis des römischen Hauptmanns

„Als aber der Hauptmann, der ihm gegenüber dabeistand, sah, dass er so schrie und verschied, sprach er: Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“ (15,39).

Mit Vers 39 kommen wir zu einem Wendepunkt in den Ereignissen dieses Kapitels. Bis zum Tod des Herrn haben wir den Hass, die Verachtung und Ablehnung gesehen, die dem Herrn entgegengebracht wurde, und wie man Ihn grausam behandelte und schließlich kreuzigte. Doch nach dem Tod des Herrn ist davon nichts mehr zu sehen. Alle Leiden sind zu Ende! Jetzt werden Herzen voller Liebe offenbar, die die Vollkommenheit des Herrn bezeugen, Ihm Liebe und Zuneigung entgegenbringen und seinen toten Leib mit Sorgfalt und Ehrerbietung behandeln.

Das erste Zeugnis zur Ehre des Herrn kommt von einem Heiden. Dieser Hauptmann, der sicher schon manches gesehen hatte, erkennt durch das Verhalten des Herrn, durch seine Worte, seinen lauten Schrei und seinen plötzlichen Tod, dass der Herr Jesus nicht ein „normaler“ Mensch, sondern der Sohn Gottes sein muss. Genau das, was die Juden nicht wahrhaben wollten, bezeugt dieser Heide und gibt dabei Gott die Ehre (Lk 23,47). Was für eine Verherrlichung Gottes! Wie tief die Erkenntnis bei diesem Hauptmann ging, wissen wir nicht, doch wir hoffen, dass nicht nur sein Gefühl, sondern auch sein Herz und Gewissen angerührt wurden, denn das allein führt zur Buße.

Durch dieses Zeugnis des Hauptmanns wird auch angedeutet, dass der Herr nicht länger nur der Messias der Juden, sondern auch der Heiland der Welt ist (1. Joh 4,14; Jes 49,6). Und es weist auf die Zeit des 1000-jährigen Reiches hin, wo viele Heiden den Herrn Jesus annehmen und Ihn als Sohn Gottes bekennen werden.

Die Frauen, die dem Herrn gefolgt waren

„Es waren aber auch Frauen, die von weitem zusahen, unter denen auch Maria Magdalene war und Maria, die Mutter von Jakobus dem Kleinen und von Joses, und Salome, die ihm, als er in Galiläa war, nachgefolgt waren und ihm gedient hatten; und viele andere Frauen, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren“ (15,40.41).

Als Nächstes werden uns einige Frauen vorgestellt. Auch sie gehören zu den Personen, die in Verbindung mit dem Herrn Jesus erwähnt werden. Von den Jüngern, die in Kapitel 14 so große Worte gesprochen hatten, waren bis auf Johannes alle vollständig geflohen. Aber diese Frauen hatten von ferne zugesehen.

Sie können uns ein Vorbild in ihrer Liebe und Hingabe für den Herrn Jesus sein. Von Galiläa an waren sie Ihm gefolgt und hatten Ihm oft gedient. Ihre Liebe ließ nicht nach. Gott gibt ihnen diesen Ehrenplatz in seinem Wort, weil Er die ehrt, die Ihn ehren (1. Sam 2,30), und zeigt damit, wie Er die Zuneigung in den Herzen schätzt. Nicht alle Frauen sind mit Namen erwähnt. Aber auch wenn sie in der Öffentlichkeit unbekannt sind, sind sie Gott doch wohlbekannt.

Das Begräbnis des Herrn durch Joseph von Arimathia

„Und als es schon Abend geworden war (weil es ja Rüsttag war, das ist der Vorsabbat), kam Joseph von Arimathia, ein angesehener Ratsherr, der auch selbst das Reich Gottes erwartete, und ging kühn zu Pilatus hinein und bat um den Leib Jesu. Pilatus aber wunderte sich, dass er schon tot sei; und er rief den Hauptmann herzu und fragte ihn, ob er schon lange gestorben sei. Und als er es von dem Hauptmann erfuhr, schenkte er Joseph den Leib. Und er kaufte feines Leinentuch, nahm ihn herab und wickelte ihn in das feine Leinentuch und legte ihn in eine Gruft, die aus einem Felsen gehauen war; und er wälzte einen Stein an den Eingang der Gruft. Aber Maria Magdalene und Maria, die Mutter von Joses, sahen zu, wo er hingelegt wurde“ (15,42–47).

Mit Joseph von Arimathia sehen wir einen Mann, der wie wenige andere Gläubige in der Schrift charakterisiert wird. Aus dem Vergleich der Berichte in den vier Evangelien bekommen wir folgendes Bild von ihm:

  1. Er war ein angesehener Ratsherr, der das Reich Gottes erwartete (Mk 15,43); er war ein reicher Mann und ein Jünger Jesu (Mt 27,57);
  2. er war ein guter und gerechter Mann, der im Synedrium nicht in der Tötung des Herrn zugestimmt hatte (Lk 23,50.51);
  3. er war aus Furcht vor den Juden ein verborgener Jünger (Joh 19,38).

Der Tod des Herrn bewirkte eine große Veränderung im Leben Josephs. Alle Furcht bei ihm verschwand. Kühn geht dieser angesehene und gerechte Ratsherr zu Pilatus und bittet um den Leib Jesu. Dazu gehörte großer Mut und Glaube. Was hätten Pilatus, das Volk und die Obersten sagen können, als sie Josephs Bitte hörten und anschließend sein Handeln mit dem Körper des Herrn sahen. Sie hatten doch gerade ihr Ziel erreicht und in ihrem blinden Hass den Herrn getötet. Und jetzt kommt einer, der dem gestorbenen Herrn solche Ehre erweist? Doch Josephs Liebe und sein Glaube überwinden diese Hindernisse und treiben ihn dazu, sein Liebeswerk an dem Herrn zu tun.

Auf seine Bitte hin überlässt Pilatus Joseph den Leib des Herrn. Dann kauft Joseph feine Leinwand und geht damit zum Kreuz. Dort nimmt er zusammen mit Nikodemus (Joh 19,39) den Herrn vom Kreuz; etwas, was nicht einfach war (Ausgraben des Kreuzes, Lösen der großen Nägel), was sie sicherlich mit großer Sorgfalt und Vorsicht getan haben. Anschließend salben sie Ihn mit Gewürzsalben, wickeln Ihn in die feine Leinwand und legen Ihn in die neue Gruft, die Joseph gehört (s. Jes 53,9).

Für all dies hatten sie nur knapp drei Stunden Zeit. Der Herr war um die neunte Stunde (15:00 Uhr) gestorben und mit Sonnenuntergang (um 18:00 Uhr) würde der Sabbat beginnen, an dem jede Arbeit verboten war und ein Gehängter beerdigt sein musste. Wenn wir das bedenken, bekommen wir einen besonderen Eindruck von dem Handeln Josephs und seiner Liebe und Zuneigung zu dem Herrn.

Einerseits beschämt uns Joseph, aber andererseits ermuntert er uns auch, die wir ihm so oft in seiner früheren Furchtsamkeit gleichen. Joseph und Nikodemus sollen uns anspornen, den Herrn Jesus mehr zu ehren und Ihm mehr zu dienen, und das in einer Zeit, wo viele Menschen Ihn auch nur als den Gestorbenen ansehen.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel