Gekommen – um zu dienen

Kapitel 5

Gekommen – um zu dienen

In Kapitel 4,35–41 haben wir die Macht des Herrn Jesus über die Schöpfung und die Naturgewalten gesehen. Das fünfte Kapitel schildert drei weitere Bereiche, über die sich die Macht des Herrn erstreckt:

  1. die Macht des Herrn über Satan und die unreinen Geister (V. 1–20),
  2. die Macht des Herrn über die Krankheiten (V. 25–34),
  3. die Macht des Herrn über den Tod (V. 35–43).

Die Ereignisse in diesem Kapitel dienen dazu, die Frage der Jünger aus Kapitel 4,41 „Wer ist denn dieser?“ zu beantworten. Sie zeigen uns den Herrn in seinem Dienst an einzelnen Menschen, denen Er seine Hilfe und Macht erweist.

Die Heilung des Mannes mit dem unreinen Geist

„Und sie kamen an das jenseitige Ufer des Sees in das Land der Gadarener. Und als er aus dem Schiff gestiegen war, kam ihm sogleich aus den Grüften ein Mensch mit einem unreinen Geist entgegen, der seine Wohnung in den Grabstätten hatte; und selbst mit Ketten konnte ihn niemand mehr binden, da er oft mit Fußfesseln und mit Ketten gebunden gewesen war und die Ketten von ihm in Stücke zerrissen und die Fußfesseln zerrieben worden waren; und niemand vermochte ihn zu bändigen. Und allezeit, Nacht und Tag, war er in den Grabstätten und auf den Bergen und schrie und zerschlug sich mit Steinen. Und als er Jesus von weitem sah, lief er und warf sich vor ihm nieder; und mit lauter Stimme schreiend, sagt er: Was habe ich mit dir zu schaffen, Jesus, Sohn Gottes, des Höchsten? Ich beschwöre dich bei Gott, quäle mich nicht! Denn er sagte zu ihm: Fahre aus, du unreiner Geist, aus dem Menschen. Und er fragte ihn: Was ist dein Name? Und er spricht zu ihm: Legion ist mein Name, denn wir sind viele. Und er bat ihn sehr, sie nicht aus der Gegend fortzuschicken. Es war aber dort an dem Berg eine große Schweineherde, die weidete. Und sie baten ihn und sprachen: Schicke uns in die Schweine, dass wir in sie fahren. Und er erlaubte es ihnen. Und die unreinen Geister fuhren aus und fuhren in die Schweine, und die Herde stürzte sich den Abhang hinab in den See (etwa zweitausend), und sie ertranken in dem See“ (5,1–13).

Die Heilung des Mannes mit dem unreinen Geist in den ersten zwanzig Versen dieses Kapitels können wir unter verschiedenen Blickwinkeln betrachten:

  1. Zunächst können wir die rein geschichtliche Schilderung dieser Begebenheit sehen, die uns die Macht des Herrn über Satan und die unreinen Geister zeigt.
  2. Diese Begebenheit liefert uns auch ein grundsätzliches Bild der Menschen von Natur, die der Herr vollständig heilen will.
  3. Dann können wir darin auch ein Bild von Menschen unserer Zeit sehen, die ähnliche Charakterzüge wie dieser Mann aufweisen. Wenn wir an Satanisten denken oder von Menschen hören, die okkulte Messen auf Friedhöfen feiern, erkennen wir, dass diese Dinge, wenn auch vielleicht in einer anderen Form, heute ganz aktuell sind.

Direkt nach der Landung am Ufer des Sees stellt Satan dem Herrn eine neue Herausforderung. Es begegnet Ihm ein Mensch, in dem sich die geballte Macht Satans konzentriert (Legion). Die Beschreibung dieses Mannes hier und in Matthäus 8 und Lukas 8 zeigt, was für ein völlig hilfloses Wesen dieser Mann durch die Macht des Bösen in ihm geworden war. Er ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was aus einem Menschen unter dem Einfluss Satans werden kann. Aber gleichzeitig wird in dieser Begebenheit offenbar, dass die Macht des Guten in unserem Herrn die Macht des Bösen völlig überwindet! Die Beschreibung der Heilung dieses Menschen durch den Herrn ist eine der ausführlichsten in den Evangelien.

Dieser Mann hatte einen „unreinen Geist“. In verschiedenen anderen Begebenheiten in den Evangelien werden die Ausdrücke „unreine Geister“ und „Dämonen“ abwechselnd mit Bezug auf dieselbe Sache benutzt (z. B. Mk 7,25–30; Lk 9,42). So kann man wohl sagen, dass die „Dämonen“ in Form von „unreinen Geistern“ Besitz von Personen ergriffen. Ihre Wirksamkeit entfaltete sich in ganz besonderer Weise zur Zeit des Herrn auf der Erde, aber sie blieb nicht auf diese Zeit beschränkt. Am Ende des Evangeliums verleiht der Herr den Jüngern die Macht, Dämonen auszutreiben (Mk 16,17). In der Apostelgeschichte finden wir die Apostel dann bei verschiedenen Gelegenheiten, wo sie diese Macht ausüben (z. B. Apg 5,16; 16,18). Neben dem Vorhandensein böser Mächte heute wird Satan seine Aktivitäten durch „unreine Geister“ auch in der Zukunft wieder in verstärktem Maße ausführen. So lesen wir in Offenbarung 16,13.14 von drei unreinen Geistern, die Geister von Dämonen sind, und von der großen Stadt Babylon wird gesagt, dass sie „eine Behausung von Dämonen … und ein Gewahrsam jedes unreinen Geistes“ geworden ist (Off 18,2). Aber so wie damals und heute hat der Herr auch in der Zukunft die Macht über die unreinen Geister und wird sie ihrer ewigen Bestrafung zuführen.

Der Mann hatte seine „Wohnung in den Grabstätten“. Er lebte damit ständig in Verbindung mit dem Tod und in einem Zustand der Verunreinigung. Denn das Gesetz sagte, dass schon die Berührung eines Toten oder eines Grabes für sieben Tage verunreinigte (4. Mo 19,16).

Die Verse 4 und 5 zeigen die völlige Hilflosigkeit des Menschen gegenüber der Macht Satans. So ist es auch heute noch. Jeder Versuch, die Natur eines Menschen durch harte Strafen zu ändern oder seine bösen Triebe zu unterdrücken, ist zum Scheitern verurteilt. Die Macht, davon zu befreien, hat nur der Herr.

Ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit des Menschen, andere aus der Macht Satans zu befreien, findet sich in Apostelgeschichte 19,13–16. Dort versuchten sieben jüdische Beschwörer, andere Menschen von unreinen Geistern zu befreien, und erlebten dabei die Macht der Dämonen am eigenen Leib.

Dieser Mann war ein Gebundener Satans, aber kein Mensch konnte ihn binden. Steckt hinter diesem Paradoxon nicht eine List des Teufels? Satan gaukelt den Menschen vor, sie seien frei, aber in Wirklichkeit bindet er sie umso mehr. Das Ablegen von Sachzwängen führt immer weiter in die Gebundenheit, die nur unglücklich macht.

Was trieb den unreinen Geist dazu, dem Herrn direkt nach seiner Ankunft am Ufer entgegenzugehen (V. 2) und zu Ihm hinzulaufen und vor Ihm niederzufallen (V. 6)? Wäre es nicht besser für ihn gewesen, vor dem Herrn wegzulaufen? Auch in dieser Reaktion des Mannes mit dem unreinen Geist zeigt sich die ganze Macht und Autorität des Herrn über die unreinen Geister. Er ist Der, vor dem sich einst jedes Knie beugen wird (Phil 2,9.10).

Der unreine Geist erkennt den Herrn als „Jesus, den Sohn Gottes, des Höchsten“, an. Damit strafte er die Pharisäer Lügen, die die Macht des Herrn dem Beelzebul zuschrieben (Mk 3,22). Der Titel „des Höchsten“ steht in der Schrift für den souveränen Herrschaftsanspruch Gottes über die Erde und nimmt besonders Bezug auf die Regierung Gottes im 1000-jährigen Reich, wenn Satan und seine Helfer von der Erde verbannt sind. Als solchen erkennt der unreine Geist den Sohn Gottes hier schon an.

In dem Dialog in Vers 9 und 10 spricht der Mann abwechselnd in der Einzahl und in der Mehrzahl von sich. Das zeigt, wie vollständig der unreine Geist von ihm Besitz genommen hatte. Er nennt sich „Legion“, eine Bezeichnung für eine große Abteilung von Soldaten zur damaligen Zeit. Liegt darin nicht auch ein Hinweis auf die Feinde, die uns heute umgeben? In Epheser 6,12 sehen wir, dass unser Kampf „gegen die Fürstentümer, gegen die Gewalten, gegen die Weltbeherrscher dieser Finsternis“ und „gegen die geistlichen Mächte der Bosheit in den himmlischen Örtern“ ist. Das sind die „unreinen Geister“, mit denen wir konfrontiert werden.

Schweine waren nach dem Gesetz unreine Tiere und durften daher bei den Juden nicht vorhanden sein. Und doch gab es hier bei ihnen diese große Herde, die ihren ganzen Reichtum bildete. Die unreinen Geister äußern die Bitte, in diese Schweine fahren zu dürfen, da sie fest mit ihrer Austreibung durch den Sohn Gottes rechnen. Unreines gesellt sich zu Unreinem; ein Grundsatz, der sich auch hier bestätigt. Der Herr gewährt die Bitte und die unreinen Geister treiben die Schweine in den Tod. Dieses Geschehen zeigt unmissverständlich die Zielsetzung Satans und seiner Dämonen. Ihr Ziel ist es stets, zu zerstören und zu verderben, auch wenn diese Absicht nicht immer so schnell und deutlich an den Tag tritt wie hier.

Die Folgen der Befreiung des Besessenen

„Und ihre Hüter flohen und verkündeten es in der Stadt und auf dem Land; und sie kamen, um zu sehen, was geschehen war. Und sie kommen zu Jesus und sehen den Besessenen dasitzen, bekleidet und vernünftig, den, der die Legion gehabt hatte; und sie fürchteten sich. Und die es gesehen hatten, erzählten ihnen, wie dem Besessenen geschehen war, und das von den Schweinen. Und sie fingen an, ihm zuzureden, aus ihrem Gebiet wegzugehen. Und als er in das Schiff stieg, bat ihn der Besessene, dass er bei ihm sein dürfe. Und er ließ es ihm nicht zu, sondern spricht zu ihm: Geh hin in dein Haus zu den Deinen und verkünde ihnen, wie viel der Herr an dir getan und wie er sich deiner erbarmt hat. Und er ging hin und fing an, in der Dekapolis bekannt zu machen, wie viel Jesus an ihm getan hatte; und alle verwunderten sich“ (5,14–20).

In welch einem Gegensatz zu dem zerstörerischen Wirken Satans steht das Wirken des Herrn in Gnade an diesem besessenen Mann. Auch in dieser Heilung offenbart Er sich als der Ausdruck der herzlichen Barmherzigkeit Gottes (Lk 1,78). Und wieder einmal bewahrheitet sich, dass Er Derjenige ist, der wirklich frei machen kann (Joh 8,36). Das zeigt sich in der völligen Verhaltensänderung des Mannes.

Drei Einzelheiten werden von dem befreiten Mann erwähnt. Sie zeigen drei Ergebnisse des Werkes von Golgatha, die jeder erfährt, der an den Herrn Jesus glaubt:

  1. Er sitzt – das lässt uns an daran denken, dass wir Frieden mit Gott haben.
  2. Er ist bekleidet – der Gläubige ist mit „Kleidern des Heils“, mit Gottes Gerechtigkeit bekleidet.
  3. Er ist vernünftig – in jedem Gläubigen hat eine innere Verwandlung stattgefunden. Er ist nicht länger ein Feind Gottes, sondern passend für seine Gegenwart.

Ganz anders als der Geheilte verhalten sich die Gadarener. Sie fürchteten sich und bitten Ihn, aus ihrem Gebiet hinwegzugehen. Das ist der Mensch von Natur aus. Er fürchtet sich immer vor der Gegenwart Gottes, auch wenn Er sich wie hier in Gnade offenbart. Die Gadarener zogen die Gegenwart des Besessenen und die unreinen Schweine der herrlichen Person des Sohnes Gottes vor.

Was für ein Schmerz muss es für den Herrn gewesen sein, als sie Ihn baten, aus ihrem Gebiet wegzugehen. Denn Er wusste, dass ihr Verhalten stellvertretend für das der Masse seines Volkes stand (s. a. Lk 9,53). Wir können etwas von den Empfindungen des Herrn über diese Ablehnung erkennen, wenn wir seine Klage über Jerusalem in Matthäus 23,37 lesen. Und wird der Herr nicht auch schon an das Geschehen bei seiner Verurteilung gedacht haben, als die tobende Menge schrie: „Weg mit diesem, … kreuzige, kreuzige ihn!“ (Lk 23,18.21)? Diese völlige Ablehnung des Herrn bildete den Höhepunkt der Sünde des Menschen. Denn sie zeigte, dass der Mensch nicht nur das Böse tat, sondern auch das Gute hasste.

Was muss es andererseits dann für das Herz des Herrn gewesen sein, wenn Er auf seinem Weg über diese Erde Herzen sah, die für Ihn schlugen und die Ihn gerne aufnahmen (z. B. Lk 4,42; Joh 4,40; Lk 24,29).

Die Gadarener erkannten nicht, dass auch sie in der Gefangenschaft Satans waren und die Befreiung durch den Herrn nötig hatten.

Der Besessene hatte hingegen nur den einen Wunsch: in der Nähe des Herrn zu bleiben, der so Großartiges an ihm getan hatte. Seine Bitte können wir gut verstehen. Aber der Herr hatte für diesen Mann noch eine Aufgabe, die Er auch für jeden von uns hat. Der Geheilte sollte Zeugnis ablegen von dem, was der Herr in so wunderbarer Weise an ihm getan hatte. Genau dazu sind wir noch in der Welt gelassen.

Mit seinem Zeugnis sollte der Mann bei den Seinen in seinem Haus anfangen, bei denen, die er vorher verlassen hatte und die ihn genau kannten. Einen ähnlichen Auftrag gab der Herr bei seiner Himmelfahrt seinen Jüngern – sie sollten ihren Dienst beginnen, „angefangen von Jerusalem“ (Lk 24,47). In dieser Weise handelte auch der Jünger Andreas, der zuerst seinen eigenen Bruder Simon fand und ihn zu Jesus führte (Joh 1,41.42).

Die praktische Belehrung aus diesen Begebenheiten können wir wie folgt zusammenfassen: Das Werk des Herrn und der Dienst für Ihn fängt zu Hause an, ganz nah in der eigenen Umgebung.

Der Besessene kam dem Auftrag des Herrn direkt und treu nach. Das Ergebnis war, dass sich alle verwunderten. Diese Reaktion sehen wir in den Evangelien öfter bei den Menschen, wenn Dinge geschahen, die sie nicht verstehen und erklären konnten (z. B. Mt 9,33; Mk 12,17; Lk 11,14; Joh 7,21). In vielen Fällen war es eine bloße Gefühlsregung, die nicht das Herz oder Gewissen berührte. Aber in Kapitel 7,31–37 unseres Evangeliums werden wir sehen, dass das Zeugnis des Besessenen unter den Bewohnern der Dekapolis auch auf fruchtbaren Boden fiel und die Herzen einiger Menschen erreichte.

Wenn wir erkennen, was der Herr an uns getan hat und was für eine völlige Befreiung Er uns geschenkt hat, beginnen wir zu staunen. Wie freut sich der Herr, wenn unsere Verwunderung dann in Bewunderung Ihm gegenüber umschlägt, der alles für uns getan und Gott so hoch verherrlicht hat.

Der Synagogenvorsteher Jairus kommt zu dem Herrn

„Und als Jesus in dem Schiff wieder an das jenseitige Ufer hinübergefahren war, versammelte sich eine große Volksmenge um ihn; und er war am See. Und es kommt einer der Synagogenvorsteher, mit Namen Jairus, und als er ihn sieht, fällt er ihm zu Füßen; und er bat ihn sehr und sprach: Mein Töchterchen liegt im Sterben; komm doch und lege ihr die Hände auf, damit sie gerettet werde und lebe. Und er ging mit ihm. Und eine große Volksmenge folgte ihm, und sie umdrängte ihn“ (5,21–24).

Wieder einmal sehen wir den Herrn als den unermüdlichen Diener, der keine Mühe scheut, um auch den Einzelnen nachzugehen. Er fährt wieder über den See zurück, und wird direkt von einer Volksmenge empfangen. Aber dann geschieht etwas, was den Herrn besonders erfreut hat: Ein hochgestellter Mann aus der Klasse derer, die den Herrn so besonders ablehnten, kommt zu Ihm und wirft sich vor Ihm nieder. Und im Gegensatz zu Nikodemus, der bei Nacht zu dem Herrn kam, kommt der Synagogenvorsteher Jairus vor den Augen der Volksmenge in aller Öffentlichkeit mit seiner Not zu Ihm. Zu den Füßen des Herrn trägt er Ihm mit starkem Glauben seine große Not und seine Bitte vor.

Wiederholt finden wir in diesem Kapitel Personen, die sich dem Herrn zu Füßen werfen (V. 6.15.22.33). Das ist der Platz, wo auch wir für jede Situation Hilfe finden können. Und was Jairus dann erlebt, ist eine Erfahrung, die auch wir immer machen werden: Wenn wir im Glauben vertrauensvoll zu Ihm kommen, dann geht Er mit uns. Wann Er konkret hilft, wissen wir nicht, aber dass Er mit uns geht, das können wir sicher wissen.

In der Art und Weise, wie Jairus seine Bitte vorbringt, können wir auch uns oft erkennen. Anstatt dem Herrn einfach nur die Not zu sagen, hat er eigene Vorstellungen und er macht dem Herrn Handlungsvorschläge.

Der Herr handelt dann auch nicht so, wie Jairus es sich vorstellt; sein Handeln ist vielmehr ähnlich wie bei Lazarus in Johannes 11. Er wartet, bis schließlich die Nachricht kommt, dass das Mädchen gestorben ist. Er will nicht nur zeigen, dass Er in der Lage ist, zu heilen, sondern Er will, dass Gottes Macht über den Tod deutlich wird und die Herrlichkeit Gottes vermehrt wird.

Nachdem Jairus dem Herrn seine Not – wenn auch unter Einbringung eigener Vorstellungen – gebracht hat, nimmt er die Sache nicht mehr selbst in die Hand, wie wir es so oft tun. Wir lesen nichts davon, dass er etwas gegen die drängende Volksmenge oder die blutflüssige Frau sagt – Ereignisse, die dazu beitrugen, dass der Herr auf seinem Weg zu Jairus’ Haus aufgehalten wurde.

Die Heilung der blutflüssigen Frau

„Und eine Frau, die zwölf Jahre Blutfluss hatte und von vielen Ärzten vieles erlitten hatte und ihre ganze Habe verwandt und keinen Nutzen davon gehabt hatte – es war vielmehr schlimmer geworden –, kam, als sie von Jesus gehört hatte, in der Volksmenge von hinten und rührte sein Gewand an; denn sie sprach: Wenn ich auch nur seine Kleider anrühre, werde ich geheilt werden. Und sogleich versiegte die Quelle ihres Blutes, und sie merkte am Leib, dass sie von der Plage geheilt war. Und sogleich erkannte Jesus in sich selbst die Kraft, die von ihm ausgegangen war, wandte sich um in der Volksmenge und sprach: Wer hat meine Kleider angerührt? Und seine Jünger sprachen zu ihm: Du siehst, dass die Volksmenge dich umdrängt, und du sprichst: Wer hat mich angerührt? Und er blickte umher, um die zu sehen, die dies getan hatte. Die Frau aber, voll Furcht und Zittern, da sie wusste, was ihr geschehen war, kam und fiel vor ihm nieder und sagte ihm die ganze Wahrheit. Er aber sprach zu ihr: Tochter, dein Glaube hat dich geheilt; geh hin in Frieden und sei gesund von deiner Plage“ (5,25–34).

Die Geschichte der blutflüssigen Frau zeigt, was ein einfacher, direkter persönlicher Glaube an den Herrn Jesus bewirken kann und wie die Fülle der Gnade in dem Herrn Jesus jedem zur Verfügung steht, der so zu Ihm kommt. Diese Frau ist das Bild eines Sünders, der mit seiner Sündennot im Glauben zum Herrn Jesus kommt und Errettung findet. Aber wir können auch eine Anwendung auf Gläubige machen. Blutfluss war erstens eine Verunreinigung und zweitens eine Krankheit, die man von außen ohne Weiteres nicht sehen konnte. So kann es im Leben von Gläubigen verborgene Sünden geben, die uns verunreinigen und von denen wir gereinigt werden müssen.

Das Problem dieser Frau währte schon lange und war schlimm und groß. Bei einer so lange andauernden körperlichen Not kommt schnell innere Not dazu (Spr 13,12a). Und darüber hinaus hatte diese Frau auch religiöse Not. Aus dem Gebot Gottes für eine blutflüssige Frau in 3. Mose 15,19–24 erkennen wir, dass sie in einem Zustand ständiger Verunreinigung lebte. Und nicht nur sie selbst war verunreinigt, sondern auch alles, was sich in ihrer Umgebung befand. Niemand hätte diese Frau freiwillig angerührt, und sie selbst hätte sicher auch nicht den Mut gehabt, einen Pharisäer anzurühren. Was für eine schreckliche Situation!

In ihrer Verzweiflung hatte sie viele Ärzte aufgesucht, bevor sie zu dem Heiland kam. Kein Arzt hatte ihr helfen können, ja im Gegenteil, sie hatte vieles von den Ärzten erlitten und „es war vielmehr schlimmer mit ihr geworden“. Das ist eine Erfahrung, die auch wir machen werden, wenn wir versuchen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Darüber hinaus wird deutlich, dass kein Mensch einen anderen retten und ihm helfen kann, wenn es um das Heil der Seele geht (vgl. Ps 49,8).

Aus den Worten in Vers 26 können wir jedoch nicht folgern, dass das Konsultieren eines Arztes bei Krankheit etwas Böses ist. Wir dürfen die Hilfe von Ärzten dankbar in Anspruch nehmen, aber es kommt darauf an, dass wir es in Gemeinschaft mit unserem Gott und Vater tun und dass wir unsere Not zuerst Ihm bringen.

Wie gut, dass diese unglückliche Frau von Jesus hörte und sie daraufhin alle Hindernisse überwand und in Glauben und Vertrauen ihre Hand zum Herrn hin ausstreckte. Dort empfing sie sofort die so lang ersehnte Heilung von ihrer schrecklichen Krankheit. Auch heute gibt es noch solche unglücklichen Menschen, die nach Frieden suchen und sich an alle möglichen Stellen wenden, um ihn zu finden. Haben wir ein Auge für diese Menschen und sind wir solche, die ihnen von Jesus erzählen und ihnen ein Wegweiser zu Dem hin sind, der allein Frieden geben kann?

Für diese Heilung war Kraft von dem Herrn nötig. Und obwohl Er genau wusste, wer Ihn angerührt hatte (V. 32: „um die zu sehen, die …“), stellte Er die Frage, wer dies getan habe. Er wollte dieser Frau nämlich noch eine ganz persönliche Begegnung mit Ihm verschaffen, weil Er ihr völligen Frieden geben wollte. Zugleich sollte das, was nun folgte, auch zum Nutzen der Jünger und der Ihn umgebenden Volksmengen sein.

Obwohl die Frage des Herrn ganz allgemein gehalten war, erkannte die geheilte Frau doch sofort, dass sie persönlich damit gemeint war. Vor aller Öffentlichkeit kam sie jetzt voller Furcht, fiel vor Ihm nieder und bekannte offen, was sie getan hatte. Sie erkannte, was für eine kühne Handlung sie als unreine Frau gegenüber dem so mächtigen und heiligen Sohn Gottes begangen hatte, und fürchtete die Konsequenzen ihres Handelns.

Aber was für schöne Worte durfte sie aus dem Mund des Herrn hören. Er wollte sie nicht mit „Furcht und Zittern“ gehen lassen. Ihr Glaube sollte auch nicht nur auf ihren Gefühlen und ihrer Erfahrung beruhen, wie es der Fall gewesen wäre, wenn Er sie nach Vers 29 hätte gehen lassen. Nein, Er wollte ihr völlige Gewissheit geben.

Ihr Glaube, der sich in Vers 28 gezeigt hatte, wurde nun noch durch ihr Bekenntnis ergänzt. Diese Kombination aus Glauben und Bekenntnis wird in Römer 10,10.11 als zweifaches Erfordernis eines Menschen in Bezug auf seine Segnung durch das Evangelium vorgestellt.

Die Botschaft des Herrn an diese Frau enthält drei schöne Aussagen, die auch heute in Verbindung mit jeder Bekehrung und Befreiung Gültigkeit haben:

„Tochter, dein Glaube hat dich geheilt“ – zum ersten Mal betont der Herr hier in diesem Evangelium den Grundsatz, dass der Glaube allein das Mittel ist, um Segen zu erlangen. Die Frau war nicht durch eigene Anstrengungen geheilt worden. Sie hatte im Gegenteil schmerzlich erfahren müssen, wie unmöglich das war. Sie wurde auch nicht aufgrund ihrer Abstammung geheilt, sondern allein durch ihren Glauben. So ist es auch heute mit jedem, der zu dem Herrn Jesus kommt (z. B. Eph 2,8; Röm 3,28; 5,1).

„Gehe hin in Frieden“ – diese Worte waren in Israel ein gängiger Abschiedsgruß (z. B. 2. Mo 4,18; Ri 18,6; 1. Sam 1,17). Aber der Herr gebraucht diese Worte in den Evangelien nur hier und bei der Sünderin, die im Haus des Pharisäers seine Füße salbt (Lk 7,50). Beide Male stehen diese Worte dabei in Verbindung mit dem rettenden Glauben. Daraus können wir erkennen, dass es nicht nur gewöhnliche Abschiedsworte waren, die der Herr hier sprach. Er erwies sich hier als der Herr aus Psalm 29,11, der zuerst Stärke gibt und dann sein Volk mit Frieden segnet. Diesen tiefen inneren Herzensfrieden verhieß Er dieser Frau. Diesen Frieden darf auch heute jeder besitzen, der im Glauben zu dem Herrn Jesus gekommen ist und der sich auf die Zusagen seines Wortes stützt. Und was für ein Vorrecht ist es, in diesem Frieden seinen Weg zu gehen.

„Sei gesund von deiner Plage“ – die Wortwahl im Grundtext macht deutlich, dass es hier um einen dauerhaften Zustand geht („sei bleibend gesund“). Die Frau konnte durch die Worte des Herrn bezüglich ihrer bleibenden Heilung völlige Gewissheit haben. Diese absolute Heilsgewissheit darf auch heute jeder haben, der dem Wort des Herrn glaubt.

Diese Worte werden nur von Markus berichtet. Und diese Besonderheit steht wieder in Übereinstimmung mit dem speziellen Charakter des Markusevangeliums. Sie zeigen, wie vollständig der vollkommene Diener Gottes sein Werk tat.

Die Auferweckung der Tochter des Jairus

„Während er noch redete, kommen sie von dem Synagogenvorsteher und sagen: Deine Tochter ist gestorben; was bemühst du den Lehrer noch? Als aber Jesus das Wort hörte, das geredet wurde, spricht er zu dem Synagogenvorsteher: Fürchte dich nicht; glaube nur. Und er erlaubte niemand, ihn zu begleiten, außer Petrus und Jakobus und Johannes, dem Bruder des Jakobus. Und sie kommen in das Haus des Synagogenvorstehers, und er sieht ein Getümmel und wie sie weinten und laut jammerten. Und als er eingetreten war, spricht er zu ihnen: Was lärmt und weint ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Als er aber alle hinausgeschickt hatte, nimmt er den Vater des Kindes und die Mutter und die, die bei ihm waren, mit und geht hinein, wo das Kind lag. Und als er das Kind bei der Hand ergriffen hatte, spricht er zu ihm: Talitha kumi!, das ist übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und sogleich stand das Mädchen auf und ging umher, denn es war zwölf Jahre alt. Und sie erstaunten mit großem Erstaunen. Und er gebot ihnen dringend, dass niemand dies erfahren solle, und sagte, man möge ihr zu essen geben“ (5,35–43).

Wir lesen nichts davon, was im Herzen von Jairus vorging, als er auf den Herrn warten musste und dann die Boten kommen sah, die ihm die befürchtete schlimme Botschaft brachten, dass seine Tochter gestorben sei. Alles schien vergeblich gewesen zu sein. Und diese Nachricht wurde ihm in einer sehr kalten und abstoßenden Weise gebracht: „Was bemühst du den Lehrer noch?“ Es scheint, als ob die Boten mit diesen Worten einen Keil zwischen Jairus und den Herrn treiben wollten. Doch in wunderschöner Weise greift der Herr sofort ein, um im Herzen von Jairus erst gar keinen Gedanken des Unglaubens aufkommen zu lassen. Der Herr wusste genau, welchen Einfluss die Worte der Boten auf Jairus ausüben würden, und stärkt seinen wankenden Glauben mit Worten des Trostes und der Zuversicht: „Fürchte dich nicht; glaube nur.“ Er fordert ihn auf, zu glauben, und vereitelt damit jeden Versuch, etwas zwischen Jairus und Ihn kommen zu lassen, denn gerade der Glaube ist es, der uns mit Gott verbindet. Der Glaube bringt uns in die Gemeinschaft und die Gegenwart des Herrn. Und für Jairus war es gerade jetzt, in dieser Not, wichtig, an dem Herrn festzuhalten.

Solche Worte des Trostes ruft der Herr auch heute jedem zu, der Ihm seine Not bringt. Was für ein mitfühlender Herr ist Er doch!

Hier und bei verschiedenen Gelegenheiten nimmt der Herr nur Petrus, Jakobus und Johannes mit. Sie waren durch eine enge Gemeinschaft mit Ihm gekennzeichnet und sollten nach seiner Himmelfahrt besondere Zeugen für Ihn werden. Ihr Mitkommen sollte gleichzeitig auch ein Zeugnis von dem Handeln des Herrn werden. Zwei Jünger wären schon ein ausreichendes Zeugnis gewesen, aber drei waren ein vollständiges Zeugnis, das niemand widerlegen konnte.

Im Haus des Jairus angekommen finden der Herr und seine Begleiter eine große Menge klagender Trauergäste vor, die ein weiteres Hindernis auf seinem Weg zu dem Mädchen bilden. Eine gefühlsintensive Trauer mit vielen Klagenden war in Israel nichts Ungewöhnliches. Schon im Alten Testament finden wir mehrere Begebenheiten von besonderen Trauertagen, so z. B. die Trauer, die Joseph um seinen Vater Jakob in 1. Mose 50 veranstaltete. Aber im Lauf der Zeit wurde aus der Bekundung von echtem Mitgefühl und Trauer z. T. eine bloße Form, die sogar so weit ging, dass es berufsmäßige Klagefrauen gab (z. B. Jer 9,17.18; Amos 5,16b). Um solch eine oberflächliche und rein äußerliche Trauer ging es auch hier bei der Menge. Dies wird an ihrem Verhalten in Vers 40 deutlich. Daran konnte der Herr kein Gefallen haben und Er treibt sie hinaus, um allein mit den wirklich trauernden Eltern und seinen drei Jüngern bei dem Mädchen zu sein.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass Gläubige heute nicht über den Verlust eines lieben Angehörigen trauern und weinen dürfen. Das ist etwas ganz Natürliches. Aber wie unterscheidet sich die Trauer in Häusern von Kindern Gottes beim Heimgang eines Gläubigen doch von der Trauer einer hoffnungslosen Welt. Wissen wir doch, dass ein Gläubiger nur entschläft, um „bei Christus zu sein“, wo es „weit besser“ ist (Phil 1,23). Aber wir wollen über die Aufrichtigkeit unserer Gefühle wachen, denn es kann leicht sein, dass wir oberflächlich etwas vortäuschen, ohne echtes Mitempfinden zu haben.

Der Herr erregt den Spott der Menge, als Er sagt, dass das Mädchen nur schläft. Dies konnte Er als der Herr über Leben und Tod sagen, da für Ihn der physische Tod nicht das Ende ist. So ist die Seele eines Menschen unsterblich und der Geist kehrt zu Gott zurück, „der ihn gegeben hat“ (Pred 12,7). Für Ihn, den Fürst des Lebens, ist der Tod eines Menschen hier auf der Erde nur ein Schlaf.

Doch die Reaktion der Volksmenge offenbart ihren Charakter. Sie haben nur ein spöttisches, ungläubiges Lachen für den Herrn übrig, der doch gerade in ihrer Gegend schon so viele gewaltige Wunder getan hatte. Wie muss der Herr unter diesem Spott gelitten haben.

Wie ganz anders ist das Handeln des Herrn hier als das der alttestamentlichen Propheten bei der Ausübung ähnlicher Wunder. Sie hatten keine Kraft in sich selbst und mussten nach oben schauen und Kraft von Gott zum Handeln erbitten (z. B. Elia in 1. Könige 17,21.22 und Elisa in 2. Könige 4,34.35). Der Herr hingegen ergreift das Mädchen nur bei der Hand und gebietet ihr aufzustehen. Er konnte mit Macht reden und „sogleich stand das Mädchen auf und ging umher“. Dadurch wurde gezeigt, dass ihre Wiederherstellung nicht nur unmittelbar, sondern auch vollständig war.

In seiner unendlichen Weisheit und Fürsorge dachte Er an jede Einzelheit und forderte die Eltern auf, ihrer Tochter nun auch zu essen zu geben. Das ist eine wichtige Aufgabe für Eltern und für jeden, der mit jungbekehrten Menschen zu tun hat. Nach der Bekehrung braucht die Seele Nahrung, um Kraft für den Weg zu bekommen und in der Erkenntnis der Person des Herrn Jesus zu wachsen.

Prophetisch ist die gestorbene Tochter des Jairus ein Bild von dem Volk Israel, das zurzeit für Gott nicht nur tot ist, sondern wie ein Lazarus sogar schon im Grab liegt (Hes 37,12; Dan 12,2a). Aber in der Zukunft wird ein Überrest aus dem Volk durch die Gnade des Herrn wie dieses Mädchen auferweckt werden und Leben geschenkt bekommen. Dies wird in Hesekiel 37 detailliert beschrieben.

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