Was ist Bekehrung?
Botschafter des Heils in Christo 1880

Was ist Bekehrung? - Teil 4/5

Je mehr wir uns mit 1. Thessalonicher 1,9 beschäftigen, desto mehr müssen wir die Tiefe, Fülle und Kraft dieses Verses bewundern. Wie viel – ist in den wenigen Worten: „von den Götzenbildern zu Gott bekehrt“ enthalten! Verstehen wir wirklich die volle Bedeutung und Kraft derselben? Es ist eine herrliche Sache für die Seele, zu Gott gebracht zu sein – Ihn zu kennen als unseren Zufluchtsort in all unseren Schwachheiten und Nöten, als die Quelle unserer Freuden, als unsere Kraft und unseren Schild, unseren Führer und Tröster, als unser alles in allem – ganz und gar auf Ihn geworfen und von Ihm abhängig zu sein.

Mein lieber Leser, kennt dein Herz die Köstlichkeit aller dieser Dinge? Wenn du ein Kind Gottes, eine wahrhaft bekehrte Seele bist, so ist es dein glückseliges Vorrecht, sie zu kennen, und du solltest ohne sie nicht zufrieden sein. Nichts anders kann das menschliche Herz zufrieden und glücklich machen, als Gott allein. Die ganze Welt ist nicht im Stande, die Wünsche des Herzens zu befriedigen und seine Begierden zu stillen. Besäßen wir alle die Reichtümer und Schätze der Welt und ständen uns alle die Genüsse, welche der Reichtum bieten kann. Zu Gebote – das Herz würde dennoch mehr verlangen; es würde stets eine traurige Leere zurückbleiben, welche nichts auf Erden ausfüllen kann.

Betrachten wir die Geschichte Salomos. Hören wir ihn seine eignen Erfahrungen mitteilen: „Ich, Prediger, war König über Israel zu Jerusalem. Und ich richtete mein Herz, mit Weisheit zu erforschen und alles zu ergründen, was unter dem Himmel getan wird. Dies üble Geschäft hat Gott den Menschenkindern gegeben, sie damit zu beschäftigen. Ich sah alle die Werke, die getan werden unter der Sonne, und siehe, alles war Eitelkeit und Plage des Geistes. Das Krumme kann nicht geradegemacht, und das Fehlende nicht gezählt werden. Ich sprach in meinem Herzen und sagte: Siehe, ich habe Weisheit vergrößert und vermehrt über alle, die vor mir gewesen in Jerusalem, und mein Herz hat viel Weisheit und Kenntnis geschaut. Und ich richtete mein Herz, Weisheit zu erkennen und Unsinn und Torheit zu erkennen; ich habe erkannt, dass auch dies eine Plage des Geistes ist. Denn bei viel Weisheit ist viel Verdruss, und wer Kenntnis mehrt, mehrt Kummer. Ich sprach in meinem Herzen: Auf denn! ich will dich prüfen durch Freude, und genieße das Gute! Aber siehe, auch das war Eitelkeit. Zum Lachen sprach ich: Unsinn! und – zur Freude: was macht sie? Ich gedachte in meinem Herzen, mein Fleisch durch Wein zu pflegen und mein Herz in Weisheit zu üben und die Torheit zu ergreifen, bis ich sähe, was den Menschenkindern gut wäre, das sie tun sollten unter dem Himmel die Zahl ihrer Lebenstage. Ich machte große Werke: ich baute mir Häuser, ich pflanzte mir Weinberge, ich machte mir Gärten und Lustgärten, und pflanzte Bäume darin von allerlei Frucht; ich machte mir Wasserteiche, um daraus den mit Bäumen sprossenden Wald zu wässern. Ich kaufte Knechte und Mägde und hatte Hausgeborene; auch hatte ich großes Besitztum von Großvieh und Kleinvieh, mehr denn alle, die vor mir gewesen zu Jerusalem. Ich sammelte mir auch Silber und Gold und Schätze der Könige und Landschaften; ich schaffte mir Sänger und Sängerinnen, und Wollust der Menschenkinder, Weib und Weiber. Und ich ward groß und nahm zu, mehr denn alle, die vor mir gewesen zu Jerusalem. Auch meine Weisheit blieb mir. Und alles, was meine Augen begehrten, entzog ich ihnen nicht; ich hielt mein Herz von keiner Freude ab, denn mein Herz freute sich in all meiner Mühe, und das war mein Teil von all meiner Mühe. Und ich wandte mich zu all meinen Werken, die meine Hände gemacht, und zu der Mühe, womit ich zu wirken mich gemüht: siehe, das alles war Eitelkeit und Plage des Geistes, und darin war kein Gewinn unter der Sonne“ (Pred 1,12–18; 2,1–11).

Das ist das Urteil über alle irdischen Hilfsquellen aus dem Mund eines Mannes, der alles besaß, was die Erde bieten kann, dem es vergönnt war, den Becher menschlicher und irdischer Freuden bis zur Neige zu leeren. Was war alles? „Eitelkeit und Plage des Geistes.“ „Alle Dinge ermüden, niemand vermag es auszusprechen; das Auge wird nicht satt des Sehens, und das Ohr nicht voll vom Hören“ (Kap 1,8). Das arme menschliche Herz kann nimmermehr befriedigt werden durch das, was diese Erde ihm zu geben vermag. Irdische Wasser können nimmer den Durst der unsterblichen Seele löschen. Die Dinge dieser Erde könnten uns, selbst wenn sie unvergänglich wären, unmöglich wahrhaft glücklich machen. „Alles ist Eitelkeit und Plage des Geistes.“

Ein jeder Mensch muss früher oder später die Wahrheit dieses Ausspruches erfahren. Der Mensch mag jetzt sein Ohr davor verschließen, er mag sich weigern, auf die warnende Stimme des Geistes zu lauschen, er mag sich einbilden, dass diese Welt ihm wahren Trost und wahres Glück verleihen könne, er mag auf das Eifrigste nach ihren Reichtümern, Ehren, Auszeichnungen und Vergnügungen haschen, aber er wird die Erfahrung machen müssen, dass ihn nichts befriedigen kann, dass alles eitel ist. Wie schrecklich aber, wenn er zu spät zu dieser Erkenntnis kommt, wenn er, gleich dem reichen Mann in dem Gleichnis, seine Augen öffnet in der Qual des ewigen Feuers! Wer könnte die Schrecken einer Seele beschreiben, die sich für ewig aus der Gegenwart Gottes verbannt und in die äußerste Finsternis, an den Ort versetzt sieht, wo das Weinen, das Heulen und das Zähneknirschen ist? Schon der Gedanke daran ist erschütternd. Was aber wird die Wirklichkeit sein? Was wird es sein, sich einst in den folternden Qualen der Hölle wiederzufinden, an der anderen Seite jener unübersteiglichen Kluft, wo niemals ein einziger Hoffnungsstrahl die dichte, schreckliche Finsternis der Ewigkeit durchdringen wird? Ach, wenn doch die Menschen bei Zeiten an diese schrecklichen Dinge denken und dem kommenden Zorn entfliehen möchten, ehe es zu spät ist! Aber ach! der Gott dieser Welt hat ihren Sinn verblendet, „damit nicht ausstrahle der Lichtglanz des Evangeliums der Herrlichkeit des Christus, welcher das Bild Gottes ist.“ Er beschäftigt sie mit allerlei Dingen, damit sie nur das Eine, was Not ist, vergessen.

Doch kehren wir zu unserem Gegenstand zurück. Es ist unser sehnlicher Wunsch, dem christlichen Leser ans Herz zu legen, wie außerordentlich wichtig es ist, alle seine Hilfsquellen in dem lebendigen Gott zu finden. Wir haben uns nur einen Augenblick von diesem Punkt entfernt, um einem jeden Unbekehrten und Sorglosen, dem diese Zeilen in die Hände fallen möchten, ein Warnungswort zuzurufen. Wir bitten ihn ernstlich, sich zu Gott zu wenden. Den christlichen Leser aber bitten wir, eine tiefere Bekanntschaft mit dem Gott zu suchen, zu welchem er durch die Gnade bekehrt worden ist. Wir fühlen mehr und mehr, wie nötig es ist, dass die Christen in ihrem täglichen Leben beweisen, dass sie in Gott vollkommene Ruhe für ihr Herz gefunden haben. Es ist dies im Verkehr mit der Welt von der höchsten Wichtigkeit. Es ist ein großer Gewinn, wenn wir durch die Gnade befähigt sind, der Welt zu sagen, dass wir unabhängig von ihr sind; aber wir können dies nur in dem steten Bewusstsein dessen, was wir in Gott haben. Dies verleiht unserem ganzen Verhalten eine moralische Erhabenheit. Es befreit uns völlig von unserer Geneigtheit, uns auf menschliche Stützen zu lehnen und zu menschlichen Hilfsquellen unsere Zuflucht zu nehmen. Wir haben uns hierin wohl alle mehr oder weniger anzuklagen. Wie sehr sind wir geneigt, bei unseren Mitmenschen Hilfe, Rat und Trost zu suchen, anstatt unsere Blicke sogleich und ausschließlich auf Gott zu richten! Es ist dies ein ernster Fehler unserseits. Dem Grundsatz nach vergessen wir dann die Quelle des lebendigen Wassers und hauen uns geborstene Gruben aus, die kein Wasser halten (Jer 2,13). Was haben wir zu erwarten? Was muss die Folge sein? Trockenheit und Dürre. Unser Gott wird in seiner großen Treue erlauben, dass unsere Mitmenschen uns im Stich lassen, um uns dadurch zu zeigen, wie töricht es ist, sich auf einen Arm von Fleisch zu stützen.

Hören wir, was der Prophet über diese wichtige Frage in Bezug auf unseren praktischen Wandel sagt: „So spricht Jehova: Verflucht der Mann, der auf einen Menschen vertraut und Fleisch macht zu seinem Arm, und dessen Herz von Jehova weicht! Und er wird sein wie ein Strauch in der Wüste und nicht sehen, wenn das Gute kommt; und an dürren Plätzen wird er wohnen in der Wüste, in einem salzigen und unbewohnten Land. Gesegnet“ – beachten wir wohl diesen großen Gegensatz – „ist der Mann, der auf Jehova vertraut und dessen Vertrauen Jehova ist! Denn er wird sein wie ein Baum, der gepflanzt ist am Wasser und am Strom seine Wurzeln ausstreckt und es nicht merkt, wenn eine Hitze kommt. Und sein Laub ist grün, und in einem Jahr der Dürre sorgt er nicht und hört nicht auf, Frucht zu tragen“ (Jer 17,5–8).

Es ist überaus köstlich, sich zu stützen auf den Arm des lebendigen Gottes – zu allen Zeiten, an allen Orten und unter allen Umständen seine Zuflucht und Hilfe in Ihm zu finden. Er täuscht nimmermehr ein Herz, das auf Ihn vertraut. Er wird uns nie im Stich lassen. Vielleicht hält Er es für gut, uns eine Zeit lang auf die Beantwortung unseres Rufens warten zu lassen; aber die Zeit, welche wir im Warten zubringen, ist wohl verbracht, und wenn die Antwort dann kommt, so sind unsere Herzen mit Lob und Dank erfüllt, und wir sind fähig, zu sagen: „O, wie groß ist deine Güte, welche du verborgen hast denen, die dich fürchten; welche du gewirkt hast denen, die auf dich trauen Angesichts der Menschenkinder!“ (Ps 31,19)

Es ist eine herrliche Sache, fähig zu sein, Angesichts der Menschenkinder auf Gott zu vertrauen und seine Allgenügsamkeit für alle unsere Bedürfnisse zu bekennen. Doch es muss dies eine Wirklichkeit und nicht ein bloßes Bekenntnis sein. Es hat gar keinen Wert, davon zu reden, dass wir uns auf Gott stützen, wenn wir zu gleicher Zeit in der einen oder anderen Weise auf einen armen Sterblichen blicken, um von ihm Hilfe zu erlangen. Aber ach! wie oft betrügen wir uns in dieser Weise! Während wir die Sprache des Vertrauens auf Gott reden, blicken wir auf einen Menschen und tun ihm unsere Bedürfnisse kund. Wir täuschen uns selbst und verunehren Gott; und das Ende ist immer Enttäuschung und Beschämung des Angesichts.

Erwägen wir diese Sache mit allem Ernst und mit aller Aufrichtigkeit, mein lieber christlicher Leser! Lass uns die wahre Bedeutung jener kostbaren Worte: „Zu Gott bekehrt“ zu verstehen suchen! Sie enthalten, wenn wir so sagen dürfen, das eigentliche Wesen wahrer Glückseligkeit und Heiligkeit. Wenn das Herz in Wahrheit zu Gott bekehrt ist, so hat es das göttliche Geheimnis des Friedens, der Ruhe und der vollkommensten Befriedigung entdeckt; es findet sein alles in Gott. Befinde ich mich in irgendeiner Schwierigkeit? Ich kann zu Gott aufschauen, um von Ihm geleitet zu werden. Er hat verheißen, mich mit seinen Augen zu leiten. Und welch ein vollkommener Führer ist Er! Er sieht das Ende von Anfang an. Er kennt alle meine Verhältnisse und Beziehungen. Er ist ein untrüglicher Führer. Seine Weisheit kann nie irren, und überdies liebt Er mich vollkommen. Wo könnte ich einen besseren Führer finden?

Bin ich in Not? Ich kann damit zu Gott gehen. Er ist der Besitzer des Himmels und der Erde. Die Schätze des Weltalls stehen zu seiner Verfügung. Er kann mir helfen, wenn Er es für gut befindet; und wenn dies nicht der Fall ist, so wird die Trübsal viel besser für mich sein, als die Befreiung von derselben. „Mein Gott wird alle eure Notdurft erfüllen nach seinem Reichtum in Herrlichkeit in Christus Jesus“ (Phil 4,19). Ist das nicht genug? Warum sollte ich mich nach menschlichen Hilfsquellen umsehen? Gott hat sich verpflichtet, für alle meine Bedürfnisse, seien diese noch so groß, noch so zahlreich und mannigfaltig, zu sorgen. „Er, der doch seines eignen Sohnes nicht geschont, sondern Ihn für uns alle hingegeben hat, wie wird Er uns mit Ihm nicht auch alles schenken?“

Sicher gebraucht Gott seine Geschöpfe als Werk zeuge, um uns in Zeiten der Not zu helfen; aber das ist etwas ganz anderes. Der Apostel konnte sagen: „Der aber die Niedrigen tröstet, Gott, tröstete uns durch die Ankunft des Titus.“ Paulus erwartete Trost von Gott, und Gott sandte Titus, um ihn zu trösten. Hätte Paulus auf Titus geblickt, so wäre er sicher getäuscht worden. So ist es stets. In allen unseren Schwierigkeiten und Nöten sollte daher unser Auge einzig und allein auf Gott gerichtet sein. Wir haben uns von den Götzenbildern „zu Gott“ bekehrt, und Er sollte in allen Umständen unser einziger Zufluchtsort sein. Wir können uns zu Ihm wenden um Rat, um Hilfe, um Leitung, um Mitleid, mit einem Wort, um alles, was wir bedürfen. „Nur zu Gott schweige meine Seele! denn von Ihm ist meine Erwartung. Nur Er ist mein Fels und meine Rettung, meine hohe Feste – nicht werde ich wanken“ (Ps 62,5–6).

Aber, möchte jemand fragen, wird nicht diese Gewohnheit, auf Gott allein zu blicken, uns dazu bringen, die Kanäle, durch welche seine Gnade uns zufließt, zu unterschätzen? Gerade das Gegenteil. Wie könnte ich jemanden unterschätzen, der geradewegs von Gott zu mir kommt, um als sein Werkzeug meine Bedürfnisse zu stillen? Unmöglich. Ich schätze ihn als einen Kanal, ohne mich jedoch zu ihm zu wenden, als einer Hilfsquelle. Dies macht den ganzen Unterschied aus. Wir dürfen nie vergessen, was wahre Bekehrung bedeutet; wir sind zu Gott gebracht, und wenn dieses, der Fall ist, so ist es in Ordnung, dass wir in Ihm einen vollkommenen Gegenstand für das Herz und eine vollkommene Hilfsquelle in allen unsren Umständen finden. 5. Wir gehen jetzt dazu über, die praktische Seite unseres Gegenstandes zu betrachten. Sie ist enthalten in den Worten: „zu dienen dem lebendigen und wahren Gott.“ Dies ist für einen jeden Gläubigen von der höchsten Wichtigkeit. Wir sind berufen, „zu dienen.“ Unser ganzes Leben, von dem Augenblick unserer Bekehrung bis zu dem Schluss unserer irdischen Laufbahn, sollte durch den Geist eines wahren, ernsten und einsichtsvollen Dienstes gekennzeichnet sein. Dies ist unser hohes Vorrecht, um nicht zu sagen, unsere heilige Pflicht. Es macht nichts aus, wie groß oder wie klein der Kreis unserer Tätigkeit ist, oder was für einen Lebensberuf wir haben; sind wir bekehrt, so haben wir eins zu tun, nämlich Gott zu dienen. Sollte es etwas in unserem Beruf geben, das mit dem offenbarten Willen Gottes und der unmittelbaren Belehrung seines Wortes im Widerspruch steht, so müssen wir dies aufgeben, koste es, was es wolle. Der allererste Schritt eines gehorsamen Dieners besteht dann, eine falsche Stellung zu verlassen, sich abzuwenden von dem Bösen.

Wir sind berufen, Gott zu dienen, und alles muss mit diesem Maßstab gemessen und geprüft werden. Der Christ hat sich – nur die eine Frage vorzulegen: „Kann ich die Pflichten, die mit meiner Stellung verbunden sind, erfüllen zur Verherrlichung Gottes?“ Wenn nicht, so muss er sie ausgeben. Wenn wir den Namen Gottes mit unserem Beruf nicht verbinden können, so müssen wir – wenn wir anders mit Gott zu wandeln wünschen und Ihm wohlgefällig zu leben begehren – denselben verlassen und Gott bitten, dass Er uns einen Pfad öffne, auf welchem wir zu seinem Preis wandeln können.

Er wird dieses tun, gepriesen sei sein Name! Er lässt eine Seele, die auf Ihn vertraut, nimmer zu Schanden werden. Alles, was wir zu tun haben, ist, uns mit Herzensentschluss an Ihn zu klammern, und Er wird den Weg für uns bahnen. Derselbe mag uns eng, rau und einsam scheinen, doch unsere einfache Aufgabe ist, vor Gott zu stehen und nicht eine Stunde lang mit etwas in Verbindung zu bleiben, das mit seinem offenbarten Willen im Widerspruch steht. Ein zartes Gewissen, ein einfältiges Auge und ein unterwürfiges Herz werden manche Frage entscheiden, manche Schwierigkeit lösen und manches Hindernis aus dem Weg räumen. Schon die Triebe der göttlichen Natur werden, wenn wir ihnen nur zu wirken erlauben, uns aus mancher Verlegenheit heraushelfen. „Das Auge ist des Leibes Lampe; wenn nun dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Wenn unser Herz warm schlägt für Christus, für seine Sache und seinen Namen, für den Dienst Gottes, so schließt der Heilige Geist der Seele die kostbaren Schätze göttlicher Offenbarung auf und ergießt eine Flut lebendigen Lichtes über das Verständnis, so dass wir den Weg des Dienstes so klar wie die Sonne vor uns sehen und ihn nur mit festem Tritt zu wandeln brauchen.

Wir dürfen für keinen Augenblick vergessen, dass wir bekehrt sind, um Gott zu dienen. Die Offenbarung des Lebens, welches wir besitzen, muss stets die Form eines dem lebendigen und wahren Gott geweihten Dienstes annehmen. In unserem unbekehrten Zustand beteten wir Götzenbilder an und dienten mancherlei Lüsten und Vergnügungen; jetzt dagegen beten wir Gott an im Geist und sind berufen, Ihm aus allen Kräften zu dienen. Wir haben uns zu Gott bekehrt, um in Ihm unsere volle Ruhe und Befriedigung zu finden. Er hat in Christus, dem Sohn seiner Liebe, alles niedergelegt, was die Wünsche des neuen Lebens in uns befriedigen kann. Es ist unser Vorrecht, durch den Glauben Christus in unseren Herzen wohnend zu haben und in Liebe gewurzelt und gegründet zu sein, auf dass wir mit allen den Heiligen völlig zu erfassen vermögen, welches die Breite und Länge und Tiefe und Höhe ist, und zu erkennen die die Erkenntlich übersteigende Liebe des Christus, auf dass wir erfüllt sein mögen zu der ganzen Fülle Gottes (Eph 4,17–19).

So erfüllt, befriedigt und gestärkt, sind wir berufen, uns selbst, mit Geist, Seele und Leib, dem Dienst Christi zu weihen und fest, unbeweglich, allezeit überströmend zu sein in dem Werk des Herrn. Wir sollten nichts anders in dieser Welt zu tun haben. Was nicht getan werden kann als ein Dienst für Christus, sollte ganz unterbleiben. Dies macht die Sache außerordentlich einfach. Es ist unser köstliches Vorrecht, alles zu tun in dem Namen des Herrn und zum Preis Gottes. Man spricht zuweilen von einer weltlichen Berufung, im Gegensatz zu einer heiligen. Doch glauben wir nicht, dass es richtig ist, einen solchen Unterschied zu machen. Paulus machte Zelte und pflanzte Versammlungen, aber in beidem diente er dem Herrn Jesus. Alles, was ein Christ tut, sollte heilig sein, weil es als ein Dienst für Gott getan wird. Würden wir hieran stets denken, so würde es uns befähigen, die allereinfachsten Pflichten unseres täglichen Lebens mit dem Herrn selbst in Verbindung zu bringen und ihnen so eine heilige Würde und ein tiefes Interesse zu verleihen. Wir würden, anstatt in den Pflichten unseres Berufs ein Hindernis für unsere Gemeinschaft mit Gott zu erblicken, sie zu einer Gelegenheit machen, um auf seine Unterweisung und Leitung zu warten und sie dann in einer Weise zu erfüllen, dass sein heiliger Name verherrlicht wird.

Der Dienst Gottes ist in der Tat eine viel einfachere Sache, als wir oft denken. Er besteht nicht darin, dass wir große Taten ausführen, die über die Grenzen des uns von Gott angewiesenen Wirkungskreises hinausgehen. Nehmen wir als Beispiel eine Dienstmagd. Wie kann sie dem lebendigen und wahren Gott dienen? Sie kann nicht umhergehen und Besuche machen, um dem Einen oder Anderen das Evangelium zu verkündigen. Ihr Wirkungskreis liegt im Haus ihres Herrn. Wenn sie anfinge, von Haus zu Haus zu laufen, so würde sie tatsächlich das ihr von Gott übertragene Werk vernachlässigen. Lauschen wir auf die folgenden Worte des Apostels: „Die Knechte ermahne, ihren eignen Herren unterwürfig zu sein, in allem sich wohlgefällig zu machen, nicht zu widersprechen, nichts zu unterschlagen, sondern alle gute Treue zu erweisen, auf dass sie die Lehre unseres Heilands Gottes zieren in allen Dingen“ (Tit 2,9–10). Wir sehen hieraus, dass ein Diener durch Gehorsam, Niedriggesinntheit und Ehrlichkeit die Lehre Gottes ebenso gut Zieren kann, wie ein Evangelist, der die ganze Welt bereist, um sich seines hohen und heiligen Auftrages zu entledigen. Und weiterlesen wir: „Ihr Knechte, gehorcht den Herren nach dem Fleisch mit Furcht und Zittern, in Einfalt eures Herzens, als dem Christus; nicht mit Augendienst, als Menschengefällige, sondern als Knechte Christi, die den Willen Gottes von Herzen tun, die mit Gutwilligkeit dienen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass, was irgendein jeder Gutes tun wird, er dies vom Herrn empfangen wird, er sei Sklave oder Freier“ (Eph 6,5–8).

Wie lieblich ist dies alles! Welch ein weites Feld eröffnen diese Worte für unseren Dienst! Aber ach! wo finden wir heutzutage diese Einfalt des Herzens? Wo diese Furcht und dieses Zittern? Wo endlich einen solch hingebenden Dienst? Ach, wir entdecken überall Hochmut, Eigenwillen, Selbstgefälligkeit und Eigennutz. Wie sehr müssen diese Dinge den Herrn verunehren und seinen Heiligen Geist betrüben! Möchten unsere Seelen zu einem tiefen Gefühl dessen erwachen, was solchen geziemt, die berufen sind, dem lebendigen und wahren Gott zu dienen! Ist es nicht für einen jeden wahren Christen ein besonderer Beweis der Gnade Gottes, dass er Ihm dienen und Ihn verherrlichen kann selbst in den gewöhnlichsten häuslichen Pflichten? Wäre es nicht so, was würde aus neun und neunzig unter hundert Christen werden? Ist es nicht unaussprechlich gesegnet für uns, zu wissen, dass unser Gott sich in seiner Gnade herablässt, seinen Namen und seine Herrlichkeit mit den niedrigsten Pflichten zu verbinden, die in unserem gewöhnlichen Familienleben auf uns ruhen? Dies verleiht allem, was wir tun, von morgens früh bis abends spät, wahres Interesse und eine ungeahnte Wichtigkeit. „Alles, was ihr tut, arbeitet von Herzen, als dem Herrn und nicht den Menschen, da ihr wisst, dass ihr vom Herrn empfangen werdet die Vergeltung des Erbes; ihr dient dem Herrn Christus“ (Kol 3,23–24). Hierin liegt das Geheimnis der ganzen Sache. Ach, möchte es mehr unter uns verwirklicht und offenbart werden! Welch eine moralische Erhabenheit würde das dem ganzen christlichen Leben verleihen! Welch eine triumphierende Antwort auf alle die Spötteleien und Spitzfindigkeiten des Unglaubens geben! Sie hätte weit mehr Kraft als zehntausend der gelehrtesten Beweisgründe. Kein Beweis ist so kräftig und schlagend, als das ernste, ergebene, heilige und aufopfernde Leben eines Christen, und ein solches Leben kann selbst durch eine Person offenbart werden, deren Wirkungskreis von den vier Wänden einer Küche begrenzt wird. 1

Aber nicht nur liefert das praktische Leben eines wahren Christen die beste Antwort auf die Spötteleien des Ungläubigen und die Einwürfe des Zweifelsüchtigen, sondern begegnet auch in der umfassendsten Weise den Behauptungen solcher, die den Christen unter das Gesetz bringen wollen. Wenn man uns vorwirft, dass wir nicht zu Werken anspornen und darüber predigen, so fragen wir einfach: Wozu sollen wir dieses tun? Der unbekehrte Mensch kann gar keine Werke tun, ausgenommen „böse Werke“ oder „tote Werke.“ Alle seine Gedanken, Worte und Werke verdienen die ewige Pein und das Feuer, das nie verlischt. „Die in dem Fleisch sind, können Gott nicht gefallen.“ Welchen Zweck könnte es haben, solchen „Werke“ Zu verkündigen? Es kann sie nur irreführen, täuschen und verblenden.

Eine wahre Bekehrung zu Gott muss stattfinden. Aber was hat der also Bekehrte denn zu tun? Er hat gewiss nicht zu wirken, um das Leben zu erlangen; denn er besitzt das ewige Leben als die freie Gabe Gottes durch unseren Herrn Jesus Christus. Er hat nicht zu wirken, um errettet zu werden; denn er ist schon errettet für alle Ewigkeit. Wozu ist er denn berufen? „Um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen.“ Worin, wann und wo? In allen Dingen, zu allen Zeiten und an allen Orten. Der Bekehrte hat nichts anders zu tun, als Gott zu dienen. Wenn er etwas anderes tut, so erweist er sich untreu gegen seinen Herrn und Meister, der ihn, bevor Er ihn zum Dienst berief, mit dem Leben, der Gnade und der Kraft ausrüstete, wodurch der Dienst allein ausgeübt werden kann.

Ja, mein lieber Leser, der Christ ist berufen, zu dienen. Lass uns dies nie vergessen. Er hat das Vorrecht, seinen Leib darzustellen als ein lebendiges Schlachtopfer, heilig, Gott wohlgefällig, welches ist sein vernünftiger Dienst (Röm 12,1). Dies räumt alle Schwierigkeiten hinweg, bringt alle Einwürfe zum Schweigen und stellt alles an seinen richtigen Platz. Es handelt sich nicht darum, was ich tue, sondern wie ich es tue – nicht darum, wo ich mich befinde, sondern wie ich mich verhalte. Das Christentum, wie es im Neuen Testament entfaltet wird, ist der Ausdruck des Lebens Christi in dem Gläubigen – es ist Christus, dargestellt durch die Macht des Heiligen Geistes in dem täglichen Leben des Christen. Alles, was mit dem Christen in Beziehung steht, alles, was er sagt und tut, sollte die deutlichen Merkmale des Dienstes Gottes tragen (Schluss folgt). Wie groß ist der Zeitraum, der zwischen der Entrückung der Gläubigen in den Himmel und ihrer späteren Rückkehr mit dem Herrn Dom Himmel liegt? – Daniels letzte Woche bildet nicht (Kap 9,27), wie oft fälschlich angenommen wird, einen Teil der jetzigen Zeitperiode, in welcher der Herr seine Kirche oder Braut aus allen Nationen sammelt, sondern wird ihren Anfang nehmen, nachdem die Rückkehr der Juden in ihr Land eine vollendete Tatsache ist. Die Masse des jüdischen Volkes wird dann einen Bund machen mit dem Haupt des wiederhergestellten römischen Reiches. „Und er (der kommende Fürst, dieses Haupt des römischen Reiches) wird den Vielen einen Bund befestigen eine Woche“ (vgl. auch Jes 28,14–22). Währenddem sich diese Ereignisse in Judäa zutragen, ist die Kirche schon in den Himmel versetzt. Die zahlreichen Begebenheiten und Gerichte, die wir in den Kapiteln 6–19 der Offenbarung erwähnt finden, erfüllen sich in demselben Zeitraum, von welchem Daniel redet – in der letzten Woche, die den Schluss jener prophetischen Zeitperiode von siebzig Wochen bildet. Es müssen daher wenigstens sieben Jahre vielleicht (mehr) zwischen der Aufnahme der Kirche und ihrer Erscheinung mit dem Herrn in Herrlichkeit vergehen.

Fußnoten

  • 1 Es ist bemerkenswert dass der Apostel sowohl in Epheser 6, als auch in Kolosser 3 viel ausführlicher zu den Knechten redet, als zu irgendeiner anderen Klasse von Personen. In Titus 2 werden die Knechte sogar besonders hervorgehoben. Wir finden dort keine Anrede an die Gatten, noch an die Herren, noch auch an die Kinder. Wir denken nicht länger hierbei zu verweilen, können aber nicht umhin, die Aufmerksamkeit des Lesers darauf zu richten. Es ist eine Tatsache von hohem Interesse und belehrt uns, welch ein wichtiger Platz in der Christenheit gerade den Personen zugeteilt wird, die in jenen ersten Tagen der Geschichte der Kirche als Sklaven dienten. Der Heilige Geist trug besonders Sorge, sie zu belehren, wie sie sich in ihrem wichtigen Wirkungskreis verhalten sollten. Ein armer Sklave mochte denken, dass er von dem Dienst Gottes ausgeschlossen sei. Stattdessen wird er in lieblicher Weise unterwiesen, durch einen einfältigen, treuen Dienst die Lehre seines Heilands Gottes zieren und den Namen Jesu verherrlichen zu können. Welch eine unübertreffliche Gnade offenbart sich in diesem allem!
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