Was ist Bekehrung?
Botschafter des Heils in Christo 1880

Was ist Bekehrung? - Teil 1/5

1. Das erste Kapitel des ersten Briefes an die Thessalonicher liefert uns eine schöne und treffende Beschreibung von dem, was wir wahre Bekehrung nennen können, und gibt daher eine bestimmte und klare Antwort auf die Frage, welche die Überschrift dieses Artikels bildet: „Was ist Bekehrung?“ Wahrlich, eine ernste, bedeutungsvolle Frage! Gerade in unseren Tagen, wo sich Oberflächlichkeit und Leichtfertigkeit in Bezug auf religiöse Dinge allenthalben offenbaren, ist es von großem Wert, eine göttliche Antwort auf diese Frage zu besitzen.

Wir brauchen wohl kaum zu sagen, dass wir an die unbedingte Notwendigkeit einer göttlichen Bekehrung glauben. Mag ein Mensch sein, was er will, ob Jude oder Grieche, Protestant oder Katholik – mag seine Nationalität, seine kirchliche Stellung, sein Glaubensbekenntnis sein oder lauten, wie es will – er muss bekehrt werden, sonst ist er auf dem breiten Wege zu einer ewigen Verdammnis. Niemand ist – in dem göttlichen Sinne dieses Wortes – von Geburt ein Christ, noch kann er zu einem solchen erzogen werden. Es ist ein verhängnisvoller Irrtum und ein Betrug des Erzfeindes der Seelen, wenn jemand glaubt, durch Geburt oder Erziehung ein Christ zu sein oder durch die Wassertaufe oder durch irgendwelche religiösen Zeremonien zu einem solchen gemacht werden zu können. Ein Mensch wird nur dadurch ein Christ, dass er in göttlicher Weise bekehrt wird. Worin diese Bekehrung besteht, werden wir im Lauf unserer Betrachtung sehen. Vor allen Dingen möchten wir die Aufmerksamkeit des Lesers, sei er bekehrt oder noch unbekehrt, auf die dringende und absolute Notwendigkeit einer wahren. Bekehrung zu Gott richten.

Die größte Torheit, deren sich ein unsterbliches Wesen – ein Wesen, das einer nimmer endenden Ewigkeit entgegengeht – schuldig machen kann, besteht darin, dass es die ernste Frage seiner Bekehrung vernachlässigt und sie zu vergessen oder doch ihre Wichtigkeit abzuschwächen sucht. Im Vergleich mit diesem hochwichtigen Gegenstand ist alles andere von der geringsten Bedeutung. Die mannigfaltigen Gegenstände, welche die Gedanken des Menschen beschäftigen und alle seine Kräfte in Anspruch nehmen – alle die zahl– und namenlosen Dinge, nach welchen das arme, unbefriedigte Herz verlangt und an die es sich anklammert – alles das ist gleich der Morgenwolke, gleich dem Schaum auf dem Wasser, gleich dem Rauch, der aus dem Schornstein emporwirbelt – es vergeht und lässt nichts als eine öde Leere in dem Herzen des Menschen zurück. Das Herz bleibt unbefriedigt, die Seele ungerettet.

Und was dann? Ja, was dann? Erschütternde Frage. Was ist das Ende all dieses geschäftigen Treibens, dieses Ringens um Vorrang und Ehre, dieser Geld– und Vergnügungssucht? Ach, der Mensch muss dem Tod begegnen. „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben.“ Hier gibt es keine Ausnahme, kein Entrinnen. Alle die Schätze des Weltalls sind nicht im Stande, von diesem unbarmherzigen Feind einen Augenblick Aufschub zu erlangen. Nicht die größte ärztliche Geschicklichkeit, nicht die sorgfältigste Pflege von Seiten liebender Freunde und Verwandten, nicht ihre Tränen, ihre Seufzer und Klagen vermögen den gefürchteten Augenblick zu verzögern oder den König der Schrecken zu bewegen, sein furchtbares Schwert in die Scheide zu stecken. Er verschont niemanden. Drohend steht er vor den Augen eines jeden unbekehrten Menschen, sei es Mann, Weib oder Kind.

Und wenn er nun kommt, was dann? Der Mensch möchte sich gerne glauben machen, dass nach dem Tod eine völlige Vernichtung eintritt, und deshalb ruft er aus: „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sterben wir!“ Welch eitles, fruchtloses Bemühen! Ein törichter Traum der menschlichen Einbildung, die durch den Gott dieser Welt verblendet ist. Wie könnte eine unsterbliche Seele vernichtet werden? Der Mensch kam in dem Garten Eden in den Besitz eines ewig lebenden Geistes. „Er ward zu einer lebendigen Seele.“ Die Seele muss immerdar leben. Ob bekehrt oder unbekehrt, sie hat die Ewigkeit vor sich. Von welch überwältigender Macht ist dieser Gedanke!

Doch was lehrt die Schrift über den Zustand nach dem Tod? Eine Zeile der Heiligen Schrift ist völlig genügend, um Zehntausend Beweise und Behauptungen des menschlichen Verstandes über den Haufen zu werfen. Hat der Tod eine völlige Vernichtung zur Folge? Nein! „Es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben, und danach das Gericht.“ Beachten wir wohl diese Worte: „Danach das Gericht.“ Sie beziehen sich indessen nur auf solche, die in ihren Sünden sterben, d. h. nur auf Ungläubige. Für den Christen ist das Gericht für immerdar vorübergegangen, wie die Schrift in zahlreichen Stellen lehrt. Es ist wichtig, dieses zu beachten, da die Menschen zu behaupten wagen, dass, weil nur in Christus Leben ist, alle, welche außerhalb Christus sind, vernichtet werden.

Doch so spricht das Wort Gottes nicht. Es gibt ein Gericht nach dem Tod. Und was wird die Folge, dieses Gerichts sein? Wieder ist es die Schrift, die uns in ebenso klarer, als feierlicher und eindringlicher Sprache darüber in Kenntnis setzt. „Und ich sah einen großen, weißen Thron und den, der darauf saß, vor dessen Angesicht entfloh die Erde und der Himmel, und keine Stätte ward für sie gefunden. Und ich sah die Toten, Kleine und Große, vor dem Thron stehen, und Bücher wurden aufgetan; und ein anderes Buch ward aufgetan, welches das des Lebens ist. Und die Toten wurden gerichtet aus dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die in ihm waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren; und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. Und der Tod und der Hades wurden geworfen in den Feuersee. Dies ist der zweite Tod, der Feuersee. Und wenn jemand nicht geschrieben gefunden ward in dem Buch des Lebens, so ward er geworfen in den Feuersee“ (Off 20).

Alles dieses ist so klar, wie Worte es machen können, und gibt nicht den geringsten Anlass zu Zweifel oder Ungewissheit. Für alle, deren Namen im Buch des Lebens sind, gibt es durchaus kein Gericht. Diejenigen aber, deren Namen sich nicht in diesem Buch finden, werden gerichtet werden nach ihren Werken. Und was ist ihr Laos? Vernichtung? O nein; sondern „der Feuersee“, „die ewige Pein.“

Wie schrecklich ist dieser Gedanke! Sicherlich sollte er jede Seele antreiben, die dringende Notwendigkeit der Bekehrung zu Gott ernstlich zu erwägen. Dies ist der einzige Weg, um dem zukünftigen Gericht zu entrinnen. Eine unbekehrte Person, wer und was sie auch sein mag, hat Tod, Gericht und den Feuersee vor sich, und jeder Pulsschlag bringt sie jenen schrecklichen Wirklichkeiten näher. So sicher wie die Sonne morgen früh zur bestimmten Zeit aufgehen wird, ebenso sicher wird jeder Leser dieser Zeilen über kurz oder lang in die Ewigkeit hinübergehen; und wenn sein Name nicht in das Buch des Lebens eingeschrieben, wenn er nicht bekehrt und in Christus ist, so wird er sicher und gewiss nach seinen Werken gerichtet werden, und die unausbleibliche Folge dieses Gerichts wird der See sein, „der mit Feuer und Schwefel brennt.“

Vielleicht wird der Leser sich darüber wundern, dass wir solange bei diesem schrecklichen Thema verweilen. Er mag sich versucht fühlen zu fragen: „Wird das die Menschen bekehren?“ Gewiss nicht; wohl aber kann es sie dazu führen, die Notwendigkeit ihrer Bekehrung zu erkennen. Es kann ihnen unter der Gnade Gottes die Augen öffnen und ihnen die entsetzliche Gefahr zeigen, in der sie sich befinden. Warum stellte der Herr seinen Zuhörern so oft die ernste Wirklichkeit der Ewigkeit vor? Warum sprach Er so häufig von dem Wurm, der nicht stirbt und dem Feuer, das nicht erlischt? Ohne Zweifel, um in ihnen ein Gefühl von der Gefahr, in welcher sie schwebten, zu erwecken und sie zu bewegen, zu dem einzigen Bergungsort ihre Zuflucht zu nehmen. Sollten wir weiser sein, als Er? Sollten wir davor zurückschrecken, unseren Lesern oder Zuhörern mit allem Ernst dieselben feierlichen Wahrheiten vorzuhalten? Sollten wir, aus Furcht, das Ohr einer gebildeten Welt zu verletzen, es nicht wagen, offen und laut zu erklären, dass alle, welche unbekehrt sterben, dereinst ausnahmslos vor dem großen, weißen Thron stehen und in dem Feuersee ihren Platz finden werden? Gott wolle uns davor bewahren! Wir rufen einem jeden unbekehrten Leser dieser Zeilen zu: Schenke deine ungeteilte Aufmerksamkeit der über alles wichtigen Frage der Errettung deiner Seele! Lass dich durch nichts verleiten, sie zu vernachlässigen! „Denn was wird es dem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt gewänne, aber seine Seele einbüßte? Oder was wird ein Mensch als Lösegeld geben für seine Seele?“

Die Bekehrung ist also eine unbedingte Notwendigkeit. Für einen jeden, der sich unter die heilige Autorität des Wortes Gottes beugt, gibt es in Bezug auf diesen Punkt nicht die geringste Schwierigkeit. „Wahrlich ich sage euch, wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“ (Mt 18,3). Diese Stelle bezieht sich in ihrer ganzen moralischen Kraft auf jeden Sohn und jede Tochter des gefallenen Adam. Es gibt nicht eine einzige Ausnahme von der Regel unter all den Tausend Millionen, welche diese Erde bevölkern. Ohne Bekehrung kann unmöglich die Rede sein von einem Eingehen in das Reich der Himmel. Eine jede unbekehrte Seele ist außerhalb des Königreichs Gottes. Es macht gar nichts aus, wer oder was ich bin. Bin ich unbekehrt, so befinde ich mich in „dem Reich der Finsternis“, unter der Macht Satans, in meinen Sünden und auf dem Weg zur Hölle.

Vielleicht bin ich eine Person von tadellosen Sitten, von fleckenlosem Ruf, vielleicht ein gelehrter Professor der Theologie, ein Arbeiter in dem Weinberg des Herrn, ein Prediger, ein Diakon, ein Ältester, ein Sonntagsschulhalter, vielleicht übe ich viel Liebestätigkeit, gebe zu allen religiösen und mildtätigen Stiftungen bedeutende Beiträge, werde gesucht und geehrt von allen wegen meines persönlichen Wertes und meines moralischen Einflusses – ich mag alles dieses sein und tun, ich mag alle die guten Eigenschaften besitzen, die ein menschliches Wesen nur haben kann, und dennoch unbekehrt sein und mich in Folge dessen außerhalb des Reiches der Himmel, in dem Reich Satans und auf dem Weg befinden, der in dem See endet, welcher mit Feuer und Schwefel brennt.

Die Worte des Herrn richten sich mit derselben Kraft gegen den verkommensten Trunkenbold, der über die Straße wankt, wie gegen den unbekehrten Mäßigkeitsfreund, der sich seiner Enthaltsamkeit rühmt und sich damit brüstet, dass er sich so und so viele Monate und Jahre hindurch des Genusses berauschender Getränke völlig enthalten hat. Sie sind beide gleich sehr außerhalb des Reiches der Himmel, beide in ihren Sünden, beide auf dem Weg zur ewigen Verdammnis. Vielleicht hat der Eine sich von der Völlerei zur Mäßigkeit bekehrt – und dies ist, in moralischer und gesellschaftlicher Hinsicht, gewiss etwas Großes – allein eine Bekehrung von Trunkenheit zu einem Mäßigkeitsverein ist nicht Bekehrung zu Gott. Und allein diese ist im Stande, uns in das Reich der Himmel einzuführen. Sie ist absolut notwendig für den Einen, wie für den Anderen; und dasselbe gilt von allen Klassen, von allen Ständen und Schichten der menschlichen Gesellschaft. Da gibt es keinen Unterschied. „Wenn ihr nicht umkehrt, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen.“

Wie außerordentlich wichtig ist daher für einen jeden Menschen die Frage: „Bin ich bekehrt?“ Kein Mensch ist im Stande, den feierlichen Ernst dieser Frage auszudrücken. Und dennoch lassen Tausende, ja Millionen, Woche für Woche, Jahr für Jahr dahinschwinden, ohne ein einziges Mal ernstlich daran zu denken, diese Frage in Ordnung zu bringen. Verrät das nicht den höchsten Grad von Gleichgültigkeit? Wenn ein Mensch sich um seine irdischen Angelegenheiten nicht kümmerte und sein Geschäft in der größten Unordnung verkommen ließe, so würden wir ihn gewiss der schlimmsten Nachlässigkeit und Sorglosigkeit beschuldigen. Aber was sind die wichtigsten zeitlichen Angelegenheiten im Vergleich mit dem ewigen Heil und mit den Interessen der unsterblichen Seele?

Bist du bekehrt, mein lieber Leser? Eine bekehrte Seele hat die Grenzlinie überschritten, welche die Erretteten von den Verlorenen, die Kinder des Lichts von den Kindern der Finsternis, die Kirche Gottes von diesem gegenwärtigen, bösen Zeitlauf trennt. Der Gläubige hat Tod und Gericht hinter sich und die Herrlichkeit vor sich. Er ist so völlig gewiss, dass er einst im Himmel sein wird, als wenn er sich schon dort befände; ja, im Geist ist er schon dort. Er hat ein unumstößliches Anrecht darauf. Er kennt Christus als seinen Heiland, Gott als seinen Vater und Freund, den Heiligen Geist als seinen Tröster, Führer und Lehrer, und den Himmel als seine herrliche und glückselige Heimat. Wer ist im Stande, die Fülle der Segnung zu beschreiben, bekehrt zu sein! „Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die Ihn lieben. Uns (den Gläubigen) aber hat es Gott offenbart durch seinen Geist, denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes“ (1. Kor 2,9–10). (Fortsetzung folgt)

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