Betrachtungen über den Propheten Daniel
Botschafter des Heils in Christo 1880

Betrachtungen über den Propheten Daniel - Teil 9/16

Kapitel 8. Kehren wir nach dieser kurzen Abschweifung zu unserer Betrachtung zurück. Das Horn ward groß und warf etliche von dem Heer und von den Sternen des Himmels zur Erde nieder, „und er machte sich groß bis zu dem Fürsten des Heeres, und von ihm ward weggenommen das beständige Opfer, und die Wohnstätte seines Heiligtums ward niedergeworfen“ (V 11). Das Horn vernichtet also einen Teil des jüdischen Volkes und seiner Leiter und Führer; aber nicht allein das – „er macht sich groß bis zu dem Fürsten des Heeres.“ ich zweifle nicht, dass wir unter diesem Fürsten des Heeres Christus zu verstehen haben. Das Horn treibt seine Anmaßungen soweit, dass es sich gegen Jehova selbst, in seinem Charakter als der Fürst und das Haupt Israels, erhebt. „Und von ihm“, d. h. von dem Fürsten des Heeres, „ward weggenommen das beständige Opfer.“ Durch wen dieses geschieht, wird uns nicht mitgeteilt. 1 Die Anbetung der Juden, ihr ganzer Gottesdienst, die Opfer, die sie täglich ihrem Jehova (dem Fürsten des Heeres) darbringen, werden weggenommen, und der Tempel, die Wohnstätte seines Heiligtums, wird niedergeworfen und zerstört. „Und eine Zeit der Mühsal ward auferlegt dem beständigen Opfer wegen der Übertretung.“ Es ist das Gericht, welches über das Volk der Juden wegen ihrer schrecklichen Sünden hereinbricht.

Es ist beachtenswert, dass in dem 11. Vers in dem Geschlecht der handelnden Person ein Wechsel eintritt. Während vorher und nachher, entsprechend dem Geschlecht des Wortes Horn, die neutrale Form „es“ gebraucht wird, lesen wir hier: „und er machte sich groß.“ 2 Ich denke, dass die Veränderung im 11. Verse deshalb eingetreten ist, um den König des Nordens mehr in Person zu bezeichnen. Dieser Vers und die erste Hälfte des folgenden bilden eine Art von Parenthese, welche vor den Worten: „und es warf die Wahrheit zu Boden und war wirksam, und es gelang ihm wohl“, schließt. Der Inhalt dieser Parenthese bezieht sich, wie ich glaube, mehr noch, als die übrige Prophezeiung, auf die Zeit des Endes, obwohl wir in den Ereignissen, die unter den Nachfolgern des Seleucus, des ersten Königs des Nordens – den so genannten Seleukiden – und besonders unter einem derselben, Antiochus IV., mit dem Beinamen Epiphanes, stattfanden, eine teilweise und vorläufige Erfüllung der ganzen Prophezeiung erblicken können. Wir werden diesen erbitterten Feind des jüdischen Volkes im 11. Kapitel wiederfinden, wo dieselben Charakterzüge, die hier das kleine Horn trägt, noch genauer festgestellt und jenem König zugeschrieben werden. Er suchte das jüdische System völlig zu unterdrücken und den ganzen Kultus des Volkes abzuschaffen. Er stellte – wie wir in den Büchern der Makkabäer lesen, die, wenn auch nicht zur Heiligen Schrift gehörig, doch zum größten Teil historisch wahr sind – in dem Tempel zu Jerusalem eine Bildsäule des olympischen Jupiters auf und zwang die Juden, dieselbe anzubeten und ihr Opfer darzubringen. Alle, die sich dem Gebot des Königs widersetzten, wurden auf eine grausame Art hingerichtet. Jedoch sah sich Antiochus endlich, teils durch römischen Einfluss, teils durch die heldenmütigen Kämpfe des Judas Makkabäus und seiner tapferen Schar, gezwungen, das Land zu verlassen. Der Tempel wurde noch einmal von den götzendienerischen. Gräueln gereinigt und der Gottesdienst wiederhergestellt. Ohne Zweifel ist dieser Antiochus historisch die Person, welche durch das kleine Horn repräsentiert wird. Allein in den letzten Tagen wird ein anderer großer König aufstehen, in welchem sich alle die Charakterzüge, welche jenen kennzeichneten, in verschärfter Weise wiederfinden werden, und die Geschichte und das Verhalten dieses Königs ist es, welche der Heilige Geist hauptsächlich im Auge hat. „Verstehe, Menschensohn, denn das Gesicht wird für die Zeit des Endes sein“, erwidert Gabriel dem um das Verständnis desselben bittenden Propheten.

Vorher jedoch lesen wir noch: „Und ich hörte einen Heiligen reden; und ein Heiliger sprach zu jenem, der da redete: Bis wann wird sein das Gesicht von dem beständigen Opfer und von der verwüstenden Übertretung, um beides, das Heiligtum und das Heer, der Zertretung zu übergeben? Und er sprach zu mir: Bis auf zweitausend und dreihundert Abende und Morgen, dann wird das Heiligtum gerechtfertigt sein“ (V 13–14). Ob diese Periode von 2300 Tagen schon unter der Herrschaft der Seleukiden ihre Erfüllung gefunden hat, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls aber ist eine solche Anwendung durchaus nicht ausgeschlossen; der 26. Vers scheint sogar darauf hinzudeuten. Es wird dort in Bezug auf diese 2300 Tage nichts anderes gesagt, als dass das Gesicht wahr sei.

Die Worte, womit der Engel Gabriel seine Erklärung des Gesichts einleitet, bezeichnen genau den Zeitpunkt, in welchem dasselbe seine gänzliche Erfüllung finden soll. „Für die Zeit des Endes wird das Gesicht sein.“ Wir haben hier wiederum einen schlagenden Beweis für die im vorigen Kapitel gemachte Bemerkung, dass keine Auslegung oder Erklärung einer dunklen Prophezeiung, möge sich dieselbe im Alten oder im Neuen Testament finden, eine bloße Wiederholung des bereits Gesagten ist. Sie knüpft allerdings an das Vorhergehende an und erklärt dasselbe, fügt aber zu gleicher Zeit neue Offenbarungen, weitere Vorsätze und Ratschlüsse Gottes hinzu.

Der Prophet, überwältigt durch den Anblick des Engelsfürsten, fällt bewusstlos auf sein Antlitz zur Erde nieder. Gabriel rührt ihn an und stellt ihn wieder auf seinen Standort. „Und er sprach: Siehe, ich werde dir kundtun, was geschehen wird am Ende des Zornes, denn zur bestimmten Zeit wird das Ende sein“ (V 19). Von welchem Zorn ist hier die Rede? Wie wir schon oben bemerkten, ist es der Zorn über Israel. Wegen der Sünde und vor allem in Folge des Götzendienstes des Volkes hat sich der Zorn Jehovas über dasselbe erhoben. Im 10. Kapitel des Propheten Jesajas lesen wir, dass Er den Assyrer, die Rute in seiner Hand, über Israel erwecken und ihn senden will „wider ein heuchlerisches Volk und ihm Befehl geben wider das Volk seines Grimmes, damit er den Raub raube und die Beute erbeute und es zur Zertretung mache, wie den Kot der Straße“ (V 5–6). Gott hat den Assyrer in der Person des Königs Sanherib über sein Volk gebracht und es völlig in seine Hand gegeben, aber es hat sich nicht von Herzen zu Ihm zurückgewandt. Das Böse brach immer wieder mit verstärkter Gewalt hervor, und deshalb hören wir aus dem Mund des Propheten die schrecklichen Worte: „Bei dem allem wendet sich nicht sein Zorn, und noch ist seine Hand ausgestreckt“ (V 4). Sein Zorn wich nicht von ihm. Er ruht heute noch auf dem Volk. Doch, Gott sei Dank! er wird nicht ewiglich währen. In demselben 10. Kapitel des Jesajas empfängt das Volk die tröstliche Verheißung, dass der Zorn weichen wird. „Darum, so spricht der Herr, Jehova der Heerscharen: Fürchte dich nicht, mein Volk, das in Zion wohnt, vor Assyrien! Mit der Rute wird er dich schlagen und seinen Stock wider dich aufheben nach der Weise Ägyptens. Denn noch um ein Kleines, so wird der Grimm und mein Zorn vollendet werden zu ihrer Vertilgung“ (V 24–25), d. h. Zur Vertilgung der Assyrer. Gott wird in den letzten Tagen den Assyrer wieder als das hauptsächliche Werkzeug zur Ausübung seines Zornes über Israel gebrauchen; sobald Er aber sein ganzes Werk auf dem Berg Zion und zu Jerusalem vollendet haben wird, so wird Er „heimsuchen die Frucht des Hochmuts des Herzens des Königs von Assyrien und die Pracht der Hoffart seiner Augen“, weil er vergisst, dass er nur eine Rute in der Hand Jehovas war, und sagt: „Durch die Kraft meiner Hand habe ich es getan und durch meine Weisheit usw“ (Jes 10,12–15). Der Zorn und der Grimm Jehovas wird dann ihn selbst treffen und vernichten.

Von dem Ende und der. Vollendung dieses Zornes nun redet der Engel hier. „Ich werde dir kundtun, was am Ende des Zornes geschehen wird, denn zur bestimmten Zeit wird das Ende sein.“ In dem Herzen Gottes ist alles, sowohl der Zorn, als auch das Ende desselben, schon von Grundlegung der Welt an bestimmt und geordnet. Tröstlicher Gedanke für das Herz des gläubigen Juden! Alle Ratschlüsse Gottes werden zur bestimmten Zeit ihre Erfüllung finden.

Der Engel erklärt dann dem horchenden Propheten, dass der Widder mit den zwei Hörnern, den er gesehen habe, die Könige von Medien und Persien repräsentiere, und dass er unter dem Ziegenbock den König von Griechenland, und unter dem großen Horn zwischen seinen beiden Augen den ersten König zu verstehen habe. Dann fährt er im 22. Verse fort, von dem Untergang des gewaltigen Reiches und von seiner Teilung in vier einzelne Königreiche zu reden. Der 23. Vers führt eine neue Sache ein: „Und am Ende ihres Königreichs, wenn die Übertreter das Maß vollgemacht haben werden, wird ein König aufstehen, frech von Angesicht und der Rätsel kundig.“ Dies ist es, was am Ende des Zornes über Israel kommen wird, wenn ihre Übertretungen den Höhepunkt erreicht und die Übertreter das Maß vollgemacht haben werden. Ein König wird aufstehen, „frech von Angesicht und der Rätsel kundig.“ „Und seine Macht wird stark sein, doch nicht durch seine Macht.“ Er unterscheidet sich hierin in bestimmter Weise von dem kleinen Horn in Kapitel 7. Dieses erniedrigt drei von den zehn Königen, den Hörnern des Tieres, und zwar, wie es mir scheint, durch seine eigene Kraft; dann erst empfängt es, wie wir in der Offenbarung sehen, Macht und Gewalt von Satan. Dieser König hier wird auch stark sein, „doch nicht durch seine Macht.“ Er erhält seine Stärke von anderen und wird das Werkzeug einer fremden Politik und Gewalt bilden. „Und wunderbar wird er verderben, und es wird ihm gelingen, und wird wirksam sein, und er wird die Starken verderben und das Volk der Heiligen“ (V 24). Wieder wird also ausdrücklich gesagt, dass er mit dem jüdischen Volk, „dem Volk der Heiligen“, in Verbindung stehen wird. Es handelt sich hier nicht um „die Heiligen der hohen Örter“ wie in Kapitel 7, sondern um „das Volk der Heiligen“ im Gegensatz zu den Nationen. Der persönliche Charakter des jüdischen Volkes kommt in diesem Kapitel gar nicht in Betracht.

Mit diesem Volk wird sich jener König beschäftigen. Einen großen Teil desselben wird er verderben und eine schreckliche Verwüstung unter ihnen anrichten. „Wunderbar wird er verderben.“ „Und durch seine Klugheit wird der Trug in seiner Hand gelingen, und er wird sich in seinem Herzen großmachen und in sorgloser Ruhe viele verderben und wider den Fürsten der Fürsten aufstehen; doch ohne Hand wird er zerbrochen werden“ (V 25). Er wird schlau sein und mit Erfolg seine listigen Pläne ausführen. Er wird den Platz eines großen Lehrers dem jüdischen Volk gegenüber einnehmen und den Charakter eines weisen, klugen Mannes tragen. Sein Einfluss auf die jüdische Nation wird daher unermesslich groß sein. Durch List und durch einen bezüglichen Frieden wird er sie in eine sorglose Ruhe einlullen, die sie Jehova vergessen lasst, und dann sie verderben. Schließlich wird er sich gegen den Fürsten der Fürsten, d. h. gegen Christus in seinem Charakter als Herr der Erde, empören, aber dann „ohne Hand“, d. h. durch göttliche Macht, ohne die Vermittlung eines Menschen, vernichtet werden. Im 45. Verse des 11. Kapitels wird sein Ende in ähnlicher Weise beschrieben: „Und er wird zu seinem Ende kommen und keinen Helfer haben.“

Ich habe beim Beginn dieses Kapitels bemerkt, dass das „kleine Horn“ oder jener König, „frech von Angesicht und der Rätsel kundig“, mit dem an anderen Stellen des Wortes Gottes genannten „Assyrer“ oder „König des Nordens“ identisch sei. Ich glaube hierüber noch einige Aufklärungen geben zu müssen.

Die am Ende der Tage in ihr Land zurückgekehrten Juden werden der Wirkung von zwei schrecklichen Nebeln ausgesetzt sein. Das Eine derselben wird sich in ihrem eignen Land, aus ihrer Mitte, erheben, das Andere wird von außen kommen. Das erstere ist der Antichrist, „der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“, der sich über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist, erheben und sich in den Tempel Gottes setzen und als Gott darstellen wird. Das Zweite ist jener König des Nordens oder der Assyrer, der erbitterte Feind des jüdischen Volkes. Oft sind diese beiden Personen mit einander verwechselt oder gar als gleichbedeutend hingestellt worden; allem sie werden in dem Wort Gottes deutlich voneinander unterschieden. Der Assyrer und – der Antichrist sind zwei sich feindlich gegenüberstehende Mächte. Während dieser der sich selbst über alles erhebende Mensch innerhalb des Judentums ist, bildet jener den Führer der äußeren Feinde des Volkes. Seine Tätigkeit ist genau dieselbe, wie die des kleinen Hornes in unserem Kapitel. Ich zweifle daher nicht, dass wir es in beiden Fällen mit derselben Person zu tun haben. Bei der Betrachtung des 11. Kapitels werden wir dieses noch genauer bestätigt finden.

Doch untersuchen wir einige Stellen der Heiligen Schrift, in welchen von dem Assyrer die Rede ist, etwas genauer. Eine derselben ist vorhin schon angeführt worden, als von „dem Ende des Zornes“ die Rede war. Wir lesen in Jesaja 10,12: „Denn es wird geschehen, wenn der Herr wird vollendet haben sein ganzes Werk auf dem Berg Zion und zu Jerusalem, so werde ich heimsuchen die Frucht des Hochmuts des Herzens des Königs von Assyrien und die Pracht der Hoffart seiner Augen.“ Es ist oft gesagt worden, dass diese Prophezeiung – schon ihre Erfüllung in der Vergangenheit gefunden habe, und dass der Assyrer langst vernichtet sei und deshalb nicht noch einmal gerichtet werden könne. Doch ich frage einfach: Hat Gott sein ganzes Werk auf dem Berg Zion und zu Jerusalem vollendet? Jeder, der in etwa mit dem prophetischen Teil des Wortes Gottes bekannt ist, wird mit „Nein“ antworten müssen. Daraus aber folgt, dass der Assyrer noch nicht völlig vernichtet ist. Die Juden sind gegenwärtig nicht in ihrem Land, aber sie werden dahin zurückgeführt werden, und erst nachdem dies geschehen ist, wird Gott sein ganzes Werk auf dem Berg Zion und zu Jerusalem vollenden. Das Land wird von der Herrschaft der Nationen befreit und der treue Überrest von Gott gesammelt werden. Um dieselbe Zeit wird in dem ehemaligen Gebiet des assyrischen Reiches, d. h. in der jetzigen Türkei, durch die göttliche Macht ein gewalttätiger König erweckt werden, der, wie einst der Assyrer der große Feind des jüdischen Volkes war, in den letzten Tagen sein Hauptgegner sein wird. Aber nachdem ihn Gott als das Werkzeug zur Ausübung seines Zornes und seiner Gerichte gegen Israel gebraucht hat, wird er selbst dem Gericht anheimfallen. Von Jehova beauftragt, wird er gegen das Land der Zierde heranrücken und die Juden angreifen, dann aber von Gott vernichtet werden. Er wird zu seinem Ende kommen und keinen Helfer haben.

Wenden wir uns jetzt zu Jesaja 14. Im Anfang dieses Kapitels hören wir, dass Gott sich über Jakob erbarmen und Israel erwählen und sie wieder in ihr Land zurückbringen wird. „Und die Völker werden sie nehmen und an ihren Ort bringen, und das Haus Israel wird sie besitzen im Land Jehovas zu Knechten und zu Mägden; und sie werden gefangen halten, die sie gefangen hielten, werden herrschen über ihre Treiber“ (V 2). Die Nationen selbst werden Israel in sein Land zurückführen und ihm dann zu Knechten und Mägden sein. „Und es wird geschehen an selbigem Tag, an dem Jehova dir Ruhe geben wird von deiner Mühsal und von deiner Unruhe und von dem harten Dienst, darin man dich hat dienen lassen, da wirst du diesen Spruch anheben wider den König von Babel und sprechen: Wie hört auf der Treiber, hört auf die Golderpresserin! Jehova hat zerbrochen den Stock der Gesetzlosen, den Zepter der Herrscher“ (V 3–5). Niemand wird zu behaupten wagen, dass Israel, seitdem Gott die Herrschaft in die Hände des Königs von Babylon legte, jemals in der Lage gewesen sei, einen solchen Spruch anzuheben. Sobald die Zeiten der Nationen begannen, wurde Israel seiner herrschenden Stellung beraubt und erlangte sie nicht wieder; es hat nie mehr die Nationen zu Knechten und Mägden gehabt, noch über seine Treiber geherrscht. Im Gegenteil ist Jerusalem bis auf den heutigen Tag aus der einen Hand in die Andere übergegangen. Jene herrliche Zeit, von welcher der Prophet redet, wird noch für Israel kommen. Es wird einmal wieder die Nationen zu Knechten und Mägden haben, und dann, in jenen Tagen, wird es den Spruch anheben wider den König von Babel: „Wie hört auf der Treiber, hört auf die Golderpresserin!“ Doch jetzt entsteht die Frage: Wer ist dieser König von Babylon? Babylon existiert doch nicht mehr. Ganz recht. Das Wort nennt ihn deshalb so, weil es der letzte Inhaber der Macht ist, die Gott einst dem König Nebukadnezar übergab. Es ist das Vierte jener Tiere, denen – wir im 7. Kapitel begegneten, oder vielmehr der Beherrscher und Leiter dieses Tieres in den letzten Tagen. Seine Vernichtung entlockt dem Mund der Juden einen Triumphgesang.

Jedoch ist es eigentlich nicht dieser König von Babel, worauf ich die Aufmerksamkeit des Lesers richten wollte. Was mich veranlasste, dieses Kapitel des Propheten Jesajas anzuführen, sind vielmehr die Verse 24–26. Dort lesen wir: „Jehova der Heerscharen hat geschworen und gesprochen: Wenn nicht, wie ich gedacht, es also geschehen wird, und wie ich beratschlagt, es bestehen wird ... dass ich Assur in meinem Land zerschmettere und ihn auf meinen Bergen zertreten werde, dass von ihnen weiche sein Joch und seine Last weiche von ihrer Schulter. Das ist der Rat, der beschlossen ist über die ganze Erde.“ Aus diesen Worten geht offenbar hervor, dass zurzeit der Wiederherstellung Israels, nicht nur der König von Babylon, sondern auch der Assyrer sichtbar hervortreten und von Gott vernichtet werden wird. Die Prophezeiung kann sich unmöglich auf eine historische Tatsache aus der Geschichte Assyriens beziehen, da in dem Augenblick, wo Gott sie seinem Knecht gab, Assyrien schon lange aufgehört hatte zu bestehen. Es hatte der aufstrebenden Macht Babylons Platz machen müssen und existierte nicht mehr als Reich. Der in Vers 26 genannte „Assur“ kann daher nur das Vorbild einer noch kommenden, in dem früheren Gebiete Assyriens entstehenden Macht sein. Die ganze Prophezeiung Zeigt, dass am Ende der Tage, zurzeit des Antichristen, zwei große Mächte existieren werden: das Tier, repräsentiert durch den König von Babel, und der König des Nordens, repräsentiert durch den Assyrer. Beiden werden wir im Lauf unserer Betrachtung noch begegnen.

Im 30. Kapitel des Propheten Jesajas ist ebenfalls von dem Gericht über Assur die Rede. „Siehe, der Name Jehovas kommt von ferne, sein Zorn brennt, und der aufsteigende Rauch ist gewaltig. ... Vor der Stimme Jehovas wird Assur verzagt, der mit dem Stecken schlug“, offenbar (eine Anspielung darauf, dass Assyrien das Werkzeug in der Hand des Herrn sein wird, um Israel zu züchtigen) „und jedes Einherfahren der bestimmten Rute, die Jehova auf ihn niederlassen wird, wird sein mit Pauken und Lauten; denn mit getümmelvollen Kriegen wird Er wider ihn streiten. Denn das Tophet ist seit gestern bereitet; auch dem König ist es bereitet. Er hat es tief und weit gemacht, sein Holzstoß hat Feuer und Holz in Menge; der Hauch Jehovas wird es anzünden wie einen Schwefelstrom“ (V 27–33). Das Tophet oder der Abgrund ist seit gestern, d. h. von alters her, für den Assyrer und für „den König“ (wir werden diese Bezeichnung im 11. Kapitel wiederfinden) bereitet. Wir haben hier wieder zwei bestimmt voneinander unterschiedene Personen: „Den Assyrer und den König.“ Unter der letzteren Person ist jedoch hier nicht der König von Babel oder der Beherrscher des römischen Reiches in seiner letzten Form zu verstehen, den wir im 14. Kapitel fanden, sondern der unter dessen unmittelbarer Leitung stehende falsche König Israels, der Antichrist. Für ihn und für den Assyrer ist das Tophet bereitet.

Es gibt in dem prophetischen Teil des Wortes Gottes noch eine Menge Stellen, in welchen von diesem Assyrer gebrochen wird. Er repräsentiert, obwohl dies von vielen Schriftforschern nur wenig beachtet wird, eine der wichtigsten Mächte, die mit dem Volk der Juden in den letzten Tagen in Beziehung stehen werden. Doch würde es uns zu weit führen, wenn wir alle jene Stellen einzeln untersuchen wollten. Nur auf eine möchte ich noch aufmerksam machen. Wir finden in dem 5. Kapitel des Propheten Micha eine deutliche, bestimmte Anspielung auf die durch Assur vorgestellte Macht. Das 4. Kapitel schließt mit den Worten: „Nun schare dich, du Tochter der Schar, man wird eine Belagerung Wider uns richten; sie werden den Richter Israels mit der Rute auf den Backen schlagen.“ Dies bezieht sich ohne Zweifel auf die Verwerfung des Messias. Er, der Richter Israels, kam, aber sie verwarfen Ihn und schlugen Ihn mit der Rute auf den Backen. Das Gericht hierfür konnte nicht ausbleiben. „Darum wird Er sie dahingeben, bis zu der Zeit, da die Gebärerin wird geboren haben“, (Vers 2; Vers 1 ist eine Parenthese und teilt uns mit, woher dieser Richter Israels kommen sollte) d. h. bis zu jener Zeit, da die Drangsal Israels ihr Ende erreicht haben wird; „dann wird der Überrest seiner Brüder umkehren zu den Kindern Israel. Und Er wird stehen und weiden in der Kraft Jehovas. ... Und dieser wird Friede sein. Wenn Assur in unser Land kommen und wenn er in unsere Paläste treten wird, so werden wir wider ihn stellen sieben Hirten und acht Fürsten der Menschen. Sie werden mit dem Schwert abweiden das Land Assur und das Land Nimrods in seinen Toren, und Er wird uns erretten von Assur, wenn er in unser Land kommen und in unsere Grenze treten wird“ (V 2–5).

Als Assur vor Alters in Israel einbrach und die zehn Stämme gefangen wegführte, war niemand da, der sie rettete. Der Richter Israels war noch nicht erschienen. Und als er Jahrhunderte später kam, war das assyrische Reich längst von der Oberfläche der Erde verschwunden. Zudem liegt die Zeit des Zornes, des „Dahingebens“ Israels von Seiten Gottes, zwischen dieser Verwerfung des Messias und der verheißenen Errettung. Erst dann, wenn die Juden wieder in ihrem Land sein werden, wird die Prophezeiung ihre Erfüllung finden. Der Assyrer wird kommen in ihr Land und in ihre Paläste treten, aber dann wird derselbe Messias, den sie verworfen haben, sie aus seiner Hand erretten und jenen auf den Bergen Israels zerschmettern. „Und der Überrest Jakobs wird inmitten vieler Völker sein wie ein Tau von Jehova, wie Regentropfen auf dem Kraute, der nicht harrt auf einen Menschen und nicht wartet auf Menschenkinder. Und der Überrest Jakobs wird unter den Nationen inmitten vieler Völker sein wie ein Löwe unter den Schafherden, der, wenn er hindurchgeht, zertritt und Zerreißt, und niemand rettet“ (V 6–7). (Fortsetzung folgt)

Fußnoten

  • 1 Es unterliegt keinem Zweifel, dass der Text sagt, dass das Opfer von dem „Fürsten des Heeres“ weggenommen wird. Die Frage ist nur: Durch wen? Der Keri, welcher, wie ich glaube, im Allgemeinen die beste Autorität ist, wenn es Variationen im Hebräischen gibt, liest: „ward von ihm weggenommen“, ohne zu sagen, durch wen; der Ketib: „er nahm es von ihm weg“, wodurch diese Handlung dem kleinen Horn zugeschrieben wird (J. N. D.).
  • 2 „Er“, der sich großmacht, ist im Hebräischen Maskulinum, während das Wort „es“ (warf nieder) am Ende des 12. Verses Femininum ist, in Verbindung mit dem Horn, das im Hebräischen ebenfalls weibliches Geschlecht trägt. J. N. D.
Nächstes Kapitel der Artikelfolge »« Vorheriges Kapitel der Artikelfolge
Nächstes Kapitel der Zeitschrift »« Vorheriges Kapitel der Zeitschrift