Botschafter des Heils in Christo 1874

Das Abendmahl des Herrn

Diese Worte des Paulus umfassen in kurzen Zügen alles, was bezüglich des Abendmahls des Herrn in der Schrift gelehrt wird. Verweilen wir daher etliche Augenblicke bei den Einzelheiten und erwägen wir unter der Leitung des Heiligen Geistes den herrlichen Inhalt desselben.

Was uns zunächst und vor allem ins Auge fällt, ist die unaussprechliche Liebe Jesu, die uns hier entgegen strahlt. In der Nacht, da Er überliefert ward, nahm Er das Brot. Wie herrlich, teurer Leser! Beachten wir es wohl: in jener Nacht, als sich die Macht der Finsternis auf Ihn stürzte, als Satan seine feurigen Pfeile auf Ihn abschoss, als die Wut der Menschen den Höhepunkt erreichte, als einer der Zwölf Ihn mit einem Kuss überlieferte, und – was alles andere weit überragt – als? einige Stunden nachher der Zorn Gottes über Ihn ausgeschüttet wurde und Er, von Gott verlassen, ganz allein am Kreuz hängen sollte, da nahm Er das Brot und dankte. In jener Nacht der Leiden und der Tränen konnte Er, die eigenen Leiden vergessend, an die Freude der elf Jünger, an unsere Freude denken; denn nicht nur für sie, sondern auch für uns und für alle durch ihr Wort an Ihn Glaubenden setzte Er das Abendmahl ein. „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide“, hatte Er gesagt, und dieses galt nicht so sehr dem Passahmahl selbst, als vielmehr dem, was Er am Ende desselben seinen Jüngern zu schenken gedachte. Doch nicht nur hier zeigt sich der Strahl der Liebe Jesu. O nein, noch ein anderer trefflicher Beweis wird uns bezüglich dieser Liebe gegeben. „Ich habe es von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe“, sagt Paulus. Dieser Apostel war bei der Einsetzung des Abendmahls nicht anwesend gewesen: er war in jener Zeit noch ein Feind Jesu. Aber der Herr hatte ihn durch eine Offenbarung mit dieser Einsetzung bekannt gemacht. Er war, wie er uns im Galaterbriefe sagt, nicht nach Jerusalem gegangen, um durch die Zwölf die Lehre und die Einsetzungen Jesu zu erfahren, sondern der Herr hatte ihn durch Offenbarung mit allem bekannt gemacht. Es ist köstlich. Zu wissen, dass der Verherrlichte Herr im Himmel und der leidende Herr auf Erden ein und derselbe in Liebe, Treue und Güte ist. In der Nacht, da Er überliefert ward, nahm Er das Brot, und zur Rechten Gottes mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, gab Er die Einsetzung des Abendmahls – das Unterpfand seiner unveränderlichen Liebe – dem Apostel her Nationen, um dieselbe seiner geliebten Versammlung zu überliefern. Ja, unser Heil ist seine Freude, unser Wachstum in der Gnade, unsere Zunahme im Glauben Und in der Liebe, unsere Freude – alles ist sein Verlangen.

dieses zeigt uns, zu welchem Zweck der Herr das Abendmahl uns gegeben hat. Jedenfalls nicht zur Vergebung der Sünden. Eine solche Bedeutung hat leider die christliche Kirche hineingelegt; und dennoch ist nichts weiter von den Gedanken des Herrn entfernt. Wir treten nicht an den Tisch des Herrn, um dort Vergebung der Sünden zu finden, sondern weil wir durch den Glauben an Ihn diese Vergebung gefunden haben. „Der Kelch der Segnung, den wir segnen, ist er nicht die Gemeinschaft des Blutes des Christus? Das Brot, das wir brechen, ist es nicht die Gemeinschaft des Leibes des Christus?“ Wir haben Anteil an dem Leib und Blut Christi; und das Brot und der Kelch sind davon der Ausdruck. Sie zeugen uns von der unaussprechlichen Liebe Christi, der Seinen Leib für uns dahingab und sein Blut vergoss zur Vergebung unserer Sünden. Darum sagt der Apostel: „Der Kelch der Segnung, (Danksagung) den wir segnen usw.“ Der Tisch des Herrn bildet die Stätte, wo wir unseren Dank darbringen für seins Liebe und sein für uns vollbrachtes Werk. Jesus nahm das Brot und dankte. Wie schrecklich die Umstände auch waren, in denen Er sich in dieser Nacht befand, und deren Er sich vollkommen bewusst war – dennoch dankte Er; denn Er war auf dem Weg, das Werk unserer Versöhnung zu vollbringen, wodurch wir von allen unseren Sünden gereinigt und auf ewig sein Eigentum werden sollten. Und wir können danken; denn das Werk ist vollbracht, die Versöhnung geschehen, unsere Sünden sind beseitigt, und wir sind für ewig sein Eigentum. Wir treten daher nicht an den Tisch des Herrn, um hier über unsere Sünden zu trauern, sondern um uns der Vergebung derselben zu erfreuen und die unendliche Liebe des Herrn zu preisen. Dort muss das Gefühl des Dankes unser Herz erfüllen und feierliches Lob über unsere Lippen fließen. Wir sitzen dort mit dem Bewusstsein der Vergebung unserer Sünden durch das kostbare Blut Jesu und mit der Gewissheit unserer Gemeinschaft mit Ihm, und wir empfangen aus seiner Hand die Zeichen seines Leidens und Sterbens, die Pfänder seiner ewigen Liebe. Fehlt uns diese Gewissheit, so ist der Tisch des Herrn nicht der Platz, wo uns zu sitzen gestattet ist. Wie können wir den Kelch der Segnung segnen, wenn keine Danksagung in unseren Herzen ist? Und wie können wir danken, wenn wir nicht unserer Gemeinschaft mit Christus versichert sind? Dann sind wir zwar fähig zu bitten, aber nicht fähig zu danken. Doch gerade um unseren Dank darzubringen, sind wir gekommen; um ein Fest der Freude zu feiern, sind wir anwesend. Sowie einst die Kinder Israel nach der Vertilgung ihrer Feinde am Ufer des roten Meeres das Loblied ihrer Befreiung anstimmen konnten, so können auch wir, sitzend um den Tisch des Herrn, und zwar mit den Beweisen unserer Erlösung vor unseren Augen, uns der Liebe Jesu erfreuen und Ihn loben und preisen.

Dann ist das Abendmahl ein Gedächtnismahl. „Dieses ist mein Leib, der für euch ist; dieses tut zu meinem Gedächtnis ... Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; dieses tut, so oft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.“ Das waren die Worte des Herrn, als Er das Abendmahl einsetzte. Jesus ging hin zu seinem Vater. Nach der Vollendung des Werkes der Versöhnung und Erlösung sollte Er sich zur Rechten der Majestät in der Höhe setzen, um droben im Vaterhaus für die Seinen eine Stätte zu bereiten. Die Seinen sollten daher allein auf Erden zurückbleiben. Und nun bereitet der Herr ihnen einen Tisch, um welchen sie sich als seine Freunde versammeln und sein Gedächtnis feiern sollten. Wie herrlich! Das menschliche Auge schaut Ihn nicht. Er ist im Himmel; aber hier kommen wir zusammen und empfangen aus seiner Hand das Brot und den Kelch und erinnern uns seiner unaussprechlichen Liebe. Wir reden und singen hier von seiner Liebe und Treue, von seinem Leiden und Sterben, von seiner Herrlichkeit. Er bildet hier den Mittelpunkt unserer Betrachtung, den Gegenstand unserer Freude und Anbetung. Wir befinden uns hier nicht, um etwas zu hören oder zu lehren, sondern um Ihn zu verherrlichen, von Ihm zu zeugen, Ihn zu preisen und zu rühmen. O wie viel können wir an diesem Tisch genießen! Oder ist der Gedanke an seine Liebe, ist das Preisen seines herrlichen Namens kein Genuss für die Seele? Wird das Herz nicht erquickt, wenn das Auge auf die Herrlichkeit und Schönheit Jesu gerichtet ist? Dient es uns nicht zu einer unaussprechlichen Freude, solch einen treuen, guten Freund voll von unendlicher Liebe zu haben? – einen Freund, der sein eigenes Leben für uns geopfert hat, damit wir, von Tod und Sünde erlöst, seine Herrlichkeit mit Ihm teilen sollten? Ja, wahrlich, am Tisch des Herrn steht Er vor uns in all seiner Herrlichkeit und Schönheit, in seiner anbetungswürdigen Liebe und Güte. Und die Folge davon für uns ist, dass wir uns selbst mehr und mehr vergessen lernen, um an Ihm unsere Wonne zu haben. Wir lernen von uns absehen, um uns mit Ihm, mit Ihm allein zu beschäftigen.

Darum dient das Abendmahl zur Stärkung unseres Glaubens und zur Vermehrung unserer Liebe. Freilich erscheinen wir nicht zu diesem Zweck am Tisch des Herrn; o nein, die Gedächtnisfeier unseres Herrn und Heilands ist der einzige Zweck unseres Zusammenkommens. Wir kommen nicht, um an uns selbst – sei es in Betreff unserer Sünden, unseres Wachstums oder unseres Genusses – zu denken, sondern wir kommen, um uns ausschließlich mit Jesu zu beschäftigen. Doch die Stärkung unseres Glaubens, die Vermehrung unserer Liebe ist eine notwendige Folge dieser Gedächtnisfeier. Wir scharen uns um das Brot und den Kelch, diese Zeichen seines zu unserer Versöhnung hingegebenen Leibes und vergossenen Blutes; wir verkündigen hier seinen Tod, jedoch nicht, wie oft fälschlich gelehrt wird, durch das, was wir reden, sondern durch das Brechen des Brotes und durch das Trinken des Kelchs selbst. Das Brot redet uns von dem für uns in den Tod dahingegebenen Leibes Jesu, während der Kelch von dem für uns vergossenen Blut Zeugnis ablegt; und durch das Nehmen desselben verkündigen wir den Tod des Herrn. Und wird dieses nicht selbstredend an und für sich zur Stärkung unseres Glaubens dienen? Wenn unsere Blicke auf die Hingabe Jesu für uns in den Tod, auf das für uns vollbrachte Werk, auf unsere Versöhnung mit Gott und auf die vollkommene Vergebung all unserer Sünden gerichtet werden, werden wir dann nicht in dem Bewusstsein unserer vollkommenen Erlösung befestigt? Und wenn wir beständig die Pfänder der Liebe Jesu empfangen, wird dann unser Herz nicht mehr und mehr mit Liebe gegen Ihn erfüllt? O gewiss. Die Hauptsumme des Christentums ist, das eigene Ich aus dem Auge zu verlieren und sich in Jesu allein zu erfreuen, oder mit anderen Worten, wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Jesu Christi, unseres Herrn, alle Dinge dieser Erde, ja sich selber für Schaden und Dreck zu achten. Nirgends gibt es hierzu einen geeigneteren Platz, als der Tisch des Herrn. Darum ist die Feier des Abendmahls so gesegnet für Herz und Leben.

Doch das Abendmahl hat noch eine andere Bedeutung. Es ist nicht nur das Fest unserer Erlösung, und nicht nur die Gedächtnisfeier Jesu und die Verkündigung seines Todes, sondern ist auch die Offenbarung der Einheit der Gläubigen. „Denn ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen, denn wir alle sind des einen Brotes teilhaftig“, sagt der Apostel. Die an Jesus Glaubenden stehen nicht für sich allein, sie sind nicht abgesondert und ohne Band, sondern sind unter einander verbunden und in der engsten Weise mit einander vereinigt, und zwar nicht nur aus Freundschaft und Liebe oder weil sie denselben Glauben und denselben Herrn haben, sondern weil sie einen Leib bilden. Der verherrlichte Jesus ist das Haupt, und die Gläubigen bilden zusammen seinen Leib. Durch die Tauft mit dem Heiligen Geist ist diese Verbindung zu Stand gebracht. „Denn wir alle sind durch einen Geist zu einem Leib getauft.“ Der Ausdruck, die Offenbarung dieser herrlichen Wahrheit ist das Abendmahl. Alle, welche daran Teil nehmen, essen von einem Brot und offenbaren dadurch, dass sie Glieder eines Leibes sind. Wie traurig also, wenn die Gläubigen in Parteien aufgelöst und zerstreut sind, wenn der eine sich hier, der andere sich dort befindet! Ach! die vorhandenen verschiedenen Sekten und Parteien, die alle ihre besonderen Tische aufgerichtet haben, sind ein Zeugnis von der List Satans und von der Untreue der Gläubigen. Im Anfang war es nicht also. Damals saßen alle Gläubigen in jedem Ort an einem Tisch und offenbarten an diesem Platz die Einheit des Leibes. Also ist es nicht mehr. Das einzige, was wir tun können, ist, uns von allen Sekten und Parteien zu trennen und, indem wir uns, als gläubig an Jesus, um seinen Tisch versammeln, diesen Tisch allen zugänglich machen, die von Herzen an Jesus glauben und dieses durch Lehre und Wandel kundgeben. Nur in dieser Hinsicht kann man sich als am Tisch des Herrn sitzend betrachten, während alle anderen Einrichtungen nur Tische der verschiedenen Parteien und Sekten sind. Am Tisch des Herrn gilt nur die Frage, ob man dem Herrn angehört, während an dem Tisch irgendeiner kirchlichen Gemeinschaft die Frage gilt, ob man das glaube, was seitens dieser Gemeinschaft als Wahrheit festgestellt ist, und ob man bereit sei, sich den durch dieselbe bestimmten Regeln und Einrichtungen zu unterwerfen.

das Abendmahl ist also ein Fest – ein Fest der Erkauften des Herrn – ein Fest zum Gedächtnis Jesu, unseres Herrn und Heilands, zur Verkündigung seines Todes – ein Fest, wo die Gläubigen ihre Einheit in Christus als Glieder seines Leibes offenbaren. Hieraus folgt selbstredend, dass Ungläubige nicht an den Tisch des Herrn gehören. Was sollten sie dort auch tun? Können sie Festfeier halten? Können sie Dank opfern? Können sie den Kelch nehmen und denselben segnen? Unmöglich. Können sie das Gedächtnis Jesu feiern? Sicher nicht; denn um dieses zu können, muss man ein Freund Jesu sein. Und können sie von dem einen Brot essen und also bekennen, ein Leib mit den übrigen Versammelten zu sein? Keineswegs. O wenn sie es verstehen könnten, dann würde derselbe Tisch, der für uns eine Ursache unaussprechlicher Freude ist, sie verurteilen. Sie würden fühlen, dass sie durch ihre Gegenwart den Tisch des Herrn entehrten und entweihten und sich selber eine schwere Strafe bereiteten. Aber zugleich folgt auch hieraus, dass die Gläubigen keinen Unbekehrten, keinen Ungläubigen an des Herrn Tisch zulassen dürfen. Wie tief ist die Versammlung des Herrn in dieser Beziehung gefallen! Wie sehr ist sie von der ursprünglichen Einrichtung abgewichen! In einem großen Teil der christlichen Kirche ist das Abendmahl ein Gegenstand der abgöttischen Verehrung einer unwissenden Menge geworden, während andererseits eine große, in allerlei Parteien zersplitterte Zahl aus ungläubigen, weltlichgesinnten, gottlosen Menschen besteht. Mit diesen sitzen die wahren Gläubigen an einem Tisch und erklären, indem sie von einem Brot mit ihnen essen, dass sie einen Leib mit ihnen bilden. O möchten sich doch die Augen der Kinder Gottes gegenüber einer solchen Sünde öffnen, damit sie sich von einer solchen Abendmahlsfeier fernhalten und sich von den Ungläubigen absondern! Mit vollem Recht müssen wir die Worte des Paulus: „Das ist nicht des Herrn Abendmahl essen“ – auf eine solche Feier anwenden. Nein, an einem solchen Tische kann der Herr nicht gegenwärtig sein; Er kann unmöglich einen solchen Tisch als den Seinen anerkennen. Möchte dieses doch ein jeder bedenken, der noch bis jetzt daran Teil nimmt! Es ist eine höchst ernste Sache. Wir haben gesehen, wie großen Wert der Herr auf die Feier des Abendmahls legt, und wie gern Er die Seinen an seinem Tisch vereinigt sieht. Aber eine solche Vereinigung mit Unbekehrten, mit seinen Feinden, dient nur zu seiner Betrübnis und Unehre. Es handelt sich nicht darum, was wir darüber denken, sondern es handelt sich darum, was Gott darüber denkt. Und sein Wort spricht in dieser Beziehung deutlich genug. Wer darin forscht, wird nicht behaupten, dass das Abendmahl für Unbekehrte eingesetzt worden ist. Im Gegenteil stimmt man fast im Allgemeinen darin überein, dass es der Tisch der Gläubigen ist; und von allen Seiten wird der Zustand, in welchem sich die verschiedenen Kirchengemeinschaften befinden, betrauert und beklagt. Aber wie wenige haben die Kraft und den Mut, mit einem solchen Zustand zu brechen und dem Worts Gottes zu gehorchen! Und doch wie reich gesegnet würde ein solcher Schritt sein!

„Aber“ – wendet vielleicht jemand ein – „wir möchten doch nicht gern über andere ein hartes Urteil fällen!“ Nun, das ist auch durchaus nicht nötig. Aber sind die Menschen, mit denen du das Abendmahl feierst, nicht als unbekehrt, weltlich und etliche sogar als gottlos bekannt? Ist ihr Leben nicht ein Leben in dieser Welt? Sind sie nicht Feinde des Evangeliums? Frage sie einmal, ob sie bekehrt seien, und sie werden deine Frage verneinen, oder dich gar verhöhnen. Bekennt jemand, ein Gläubiger zu sein, und steht sein Leben zu diesem Bekenntnis nicht im Widerspruch, so verweigern wir ihm den Platz am Tisch des Herrn nicht. Vielleicht täuscht er uns; aber dadurch ist der Tisch des Herrn nicht verunehrt.

„Aber“ – wendet ein anderer ein – „ich feiere das Abendmahl für mich selbst und kümmere mich nicht um die Mitfeiernden.“ Das ist unmöglich; denn das Abendmahl ist der Ausdruck der Einheit der Versammlung. „Ein Brot, ein Leib sind wir, die vielen.“ Du sitzest nicht allein, sondern bist in Gemeinschaft mit anderen am Tisch des Herrn, und du erklärst, mit allen, welche Teil daran nehmen, ein Leib zu sein.

„Aber“ – ruft ein dritter – „Judas war doch auch beim Abendmahl.“ Doch wenn dieses der Fall gewesen wäre, würde das dir ein Recht geben, mir den Ungläubigen am Tisch des Herrn zu sitzen? War Judas damals schon als ein Heuchler, als ein Überlieferer des Herrn offenbar? Keineswegs. Keiner von den Jüngern hatte darüber die geringste Vermutung; ja, sie begriffen nicht einmal die Anspielungen Jesu in dieser Beziehung. Die Beteiligung des Judas an der Feier des Abendmahls konnte daher den Jüngern durchaus nicht hinderlich sein. Indes tritt es bei einem sorgfältigen Vergleich der anderen Evangelien klar an den Tag, dass der Herr den Judas fortschickte, bevor Er das Abendmahl Einsetzte. „Jesus antwortete: Jener ist es, dem ich den Bissen, wenn ich ihn eingetunkt, geben werde. Und als Er den Bissen eingetunkt, gibt Er ihn dem Judas“ (Joh 13,26). Dieser eingetunkte Bissen war ein Stück von dem Passahlamme. Und dann lesen wir: „Als nun jener den Bissen genommen hatte, ging er sogleich hinaus“ (V 30). Und nun sagt uns Paulus, dass der Herr nach dem Mahl, d. h. nach Beendigung des Passahmahls, den Kelch genommen und das Gedächtnis seines Todes eingesetzt habe. Hieraus am deutlich hervor, dass Judas Zwar an dem Passahmahl Teil genommen, aber gleich nach Beendigung desselben den Obersaal verlassen hat, mithin nicht bei der Einsetzung des Abendmahls gegenwärtig gewesen sein kann.

Es ist so klar wie der Tag, dass das Abendmahl nur den Gläubigen gehört, und dass diese berufen sind, die Heiligkeit des Tisches des Herrn zu bewahren. „Die Gläubigen alle aber waren zusammen.“ – „Sie verharrten aber in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten“ (Apg 2). „Denn was habe ich auch mit dem Richten derer zu tun, die draußen sind? Ihr, richtet ihr nicht, die drinnen sind? Die aber draußen sind, wird Gott richten“ (1. Kor 5,12–13). Es gibt also ein Innen und ein Außen. Drinnen sind die Gläubigen, draußen ist die Welt. Über die, welche drinnen sind, übt die Versammlung, über die, welche draußen sind, übt Gott das Gericht aus. „Ich habe auch geschrieben, keinen Verkehr zu haben, wenn jemand, der Bruder genannt wird, ein Hurer ist, oder Habsüchtiger, oder Götzendiener, oder Lästerer, oder Trunkenbold, oder Räuber, mit einem solchen selbst nicht zu essen“ (1. Kor 5,11). Das ist deutlich genug. Die Gläubigen sind zusammen, brechen gemeinschaftlich das Brot und wachen über die Heiligkeit des Tisches des Herrn, indem sie jeden, der unordentlich wandelt, davon entfernen. Draußen ist die Welt, die durch Gott gerichtet wird.

Zum Schluss noch ein Wort über die Art und Weise der Abendmahlsfeier. Auch in dieser Beziehung ist die christliche Kirche von der ursprünglichen Einsetzung ganz und gar abgewichen. Man hat das Abendmahl zu einem Sakrament gemacht. Nun enthält das Wörtchen Sakrament an und für sich nichts Böses, indem es eine heilige Handlung bezeichnet; und in diesem Sinn ist es nicht nur auf Taufe und Abendmahl, sondern auch eben sowohl auf das Gebet und jede andere geistliche Verrichtung anwendbar; allein der Gebrauch, den man von dieser Bezeichnung gemacht hat, steht mit der Heiligen Schrift ganz und gar im Widerspruch, weil man damit etwas ganz Besonderes ausdrücken will. So hat die römische Kirche sieben, die protestantische zwei Sakramente. Nirgends aber wird man darüber im Neuen Testament ein Wort finden, sowie auch darin nirgends von dem heiligen Abendmahl, oder von der heiligen Taufe die Rede ist. Das Wörtchen „heilig“ ist hier nichts, als eine menschliche Beifügung, welche durch jene falschen Vorstellungen entstanden sind, die man sich nach und nach von der Taufe und dem Abendmahl gemacht hat. Das Abendmahl ist, wie wir bereits gesehen, das Fest unserer Erlösung und das Gedächtnismahl unseres Herrn. Aber die Kirche hat ein Sakrament daraus gemacht, wodurch man Vergebung der Sünden erlangt. In der römischen Kirche ist die Messe daraus entstanden mit der vorgeblichen Verwandlung des Brotes und des Weins in den wahrhaftigen Leib und das wahrhaftige Blut des Herrn; in der lutherischen Kirche, sowie mit geringen Abweichungen in den meisten anderen Kirchengemeinschaften, ist es ein Sakrament zur Vergebung der täglichen Sünden geworden. Aus diesem Grund hat man die Form der vorangehenden Vorbereitung, des Sündenbekenntnisses und der Absolution eingeführt. Die Folge dieser verkehrten Auffassung des Abendmahls ist, dass man Prediger oder Priester angestellt hat, die, nachdem sie geweiht oder ordiniert sind, allein als berechtigt betrachtet werden, das Abendmahl austeilen zu dürfen. Auch hat man – außer in der katholischen Kirche, wo das Messopfer täglich zum Öfteren bedient wird, und wo es nichts mehr ist, als eine Zeremonie und ein Gegenstand abgöttischer Verehrung seitens einer unwissenden Menge – die Feier des Abendmahls auf etliche wenige Male im Jahr beschränkt. Aber beides steht im Widerspruch mit der Einsetzung des Herrn, sowie mit dem Beispiel, welches uns die ersten Christen überliefert haben.

Das Abendmahl des Herrn ist ein Mahl, an welchem sich die Gläubigen zusammen vereinigen, um zum Gedächtnis des Herrn das Brot zu brechen. Es ist der Tisch des Herrn, wo kein anderer als der Herr der Gastherr ist. Niemand hat das Recht, sich an seinen Platz zu stellen; niemand hat das Recht, die durch Ihn gesprochenen Worte an seiner Statt zu sprechen. Von einer Bedienung beim Abendmahl ist in der Heiligen Schrift mit keiner Silbe die Rede, sowie auch mit keiner Silbe von Predigern oder Priestern die Rede ist, die geweiht oder ordiniert sein müssen, um das Brot und den Kelch auszuweiten. Alle diese Dinge sind nichts als menschliche Erfindungen. Nach der Heiligen Schrift kommen einfach die Gläubigen zusammen, um unter einander das Brot zu brechen und den Kelch unter sich zu teilen, keineswegs aber um das Brot und den Kelch aus der Hand einer ordinierten Person zu empfangen. Paulus, indem er von allen Gläubigen spricht, sagt einfach: „Das Brot, das wir brechen;“ – und in der Apostelgeschichte lesen wir: „Am ersten Tage der Woche, als die Jünger versammelt waren, um das Brot zu brechen usw.“ Man versammelte sich um den Tisch des Herrn; ein jeder der Anwesenden brach das Brot und trank aus dem Kelch, während nach 1. Korinther 12 und 14 der Dank durch einen jeglichen ausgesprochen werden konnte, welcher dazu durch den Heiligen Geist angetrieben wurde.

Und was den zweiten Punkt betrifft, so hat zwar weder der Herr, noch haben die Apostel festgestellt, wie oft wir das Abendmahl feiern sollen, sondern dieses ist dem geistlichen Urteil der Versammlung anheimgegeben worden; aber wir sehen, dass der Heilige Geist die Versammlung des Herrn in den Tagen der Apostel geleitet hat, sich an jedem ersten Tage der Woche um den Tisch des Herrn zu versammeln. Und wir werden wohltun, diesem Beispiel zu folgen. Nichts ist herrlicher und gesegneter für unser Herz; nichts bringt uns mehr in die Gegenwart Jesu; nichts lässt uns mehr seine unendliche Liebe verstehen und genießen, als das Brotbrechen. Lasse sich daher niemand davon durch den Gedanken zurückhalten, dass solch eine so oft wiederholte Feier leicht zu einer Gewohnheit werden könnte; denn ebenso gut würde man aus demselben Grund weniger beten und weniger in der Heiligen Schrift lesen dürfen, weil auch dieses zu einer Gewohnheit werden könnte. Es gibt sicher große Gefahr, dass diese Dinge zur bloßen Gewohnheit oder Form für uns werden können, wie dieses mit allen geistlichen Dingen der Fall sein kann; aber dieselben deshalb zu unterlassen oder seltener zu verrichten, ist sicher ein höchst verkehrter Weg. Nein, lasst uns vielmehr wachen und beten, dass wir stets mit großem Verlangen und mit einer großen Freude an dem Tisch des Herrn sitzen mögen; und wir werden stets erfahren, dass es eine höchst gesegnete Sache ist. Man erkundige sich nur bei allen, welche nach dem Beispiel der ersten Versammlung an jedem ersten Tage der Woche zum Brotbrechen zusammenkommen; und sie werden es laut bezeugen, dass sie den Wert der Feier des Abendmahls je langer, je höher schätzen und sich an jedem Sonntag freuen, das Vorrecht zu haben, den Tod des Herrn verkündigen und durch die Zeichen seines Leidens und Sterbens seine unaussprechliche Liebe anschauen und genießen zu können.

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