Botschafter des Heils in Christo 1874

Christus der Diener

Die Erscheinung des Sohnes Gottes – des „ewigen Lebens, welches bei dem Vater war“ – in der Welt hatte den Zweck, den Vater zu offenbaren und uns mit dem Sohn in eine und dieselbe Gemeinschaft des Vaters einzuführen. Er, welcher „bei Gott“, und welcher „Gott“ war, erniedrigte sich selbst, indem Er Knechtsgestalt annahm und bis zu uns herniederkam, um uns seiner Natur teilhaftig zu machen. Sein Kommen geschah in einer unerwarteten Weise. Wohl hatte Johannes der Täufer Zeugnis von seiner Hoheit gegeben; aber dass Er, „der Abglanz der Herrlichkeit des Vaters, der Abdruck seines Wesens“, in einer so demütigen Gestalt erscheinen würde, hatte niemand erwartet.

Die Beweggründe der Fleischwerdung Jesu waren außer dem Haupt Zwecke, den Vater zu verherrlichen und sein Blut für unsere Sünden zu vergießen, verschiedener Natur. Zunächst kam Er als ein großer Prophet, um mit uns in einer uns vertrauten Sprache von den großen Dingen zu reden, die im Herzen des Vaters verborgen lagen. Gott erweckte einen Propheten, der uns gleich war, um uns seine Geheimnisse durch die Lippen eines Menschen zu offenbaren. Ferner kam Er, um, indem Er zur Offenbarung Gottes unter den Kindern der Menschen umherwandelte, die Werke des Vaters zu tun. Er war das lebendige Brot, das vom Himmel herniederkam und „Fleisch ward“, um nicht nur sein Blut zur Vergebung der Sünden zu vergießen, sondern auch sein eigenes Leben mitzuteilen. „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel herniedergekommen ist; wenn jemand von diesem Brot isst, so wird er leben in Ewigkeit. Und das Brot aber, das ich geben werde, ist mein Fleisch, welches ich geben werde für das Leben der Welt. ... Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben. ... Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm“ (Joh 6,51.54.56).

Diese außergewöhnliche Person, die als Sohn Gottes, kommend vom Himmel aus dem Schoß des Vaters, unserem Glauben offenbart ist, zeugte stets von sich selbst, in keiner anderen Beziehung zur Erde zu stehen, als dass Er gekommen sei, um einer rebellischen Welt Segen und Frieden zu bringen. Oft versicherte Er, dass Er kein anderes Ziel verfolge, als den Vater zu verherrlichen, das „Opfer für die Sünde zu vollbringen“, die seinigen zu retten und als der „Gesandte“ die bis jetzt verborgenen Dinge zu offenbaren, während Er zu gleicher Zeit die Fähigkeit mitteilte, den Vater zu erkennen und zu verstehen. Er kam vom Himmel um vom Himmel zu reden; denn „der von der Erde ist, ist von der Erde und redet von der Erde“ (Joh 3,31). Wir hören das geheimnisvolle Wort: „Ihr seid von dem, was unten ist, ich bin von dem, was oben ist“ (Joh 8,23). Er war und blieb stets „der Sohn des Menschen, der im Himmel ist“ (Joh 3,13); und als solcher offenbarte Er den Vater, der im Himmel ist. Er redete nur von sich selbst, als dem „Gesandten“ Gottes, dem Diener des Vaters. Er stellte die Botschaft, nie den Boten in den Vordergrund; alle seine Gedanken waren auf den gerichtet, den zu offenbaren Er gekommen war. „Ich suche nicht meine Ehre; es ist einer, der sie sucht und richtet“ (Joh 8,50). Nie suchte Er sich selbst. Er war eins mit dem Vater, ehe die Welt war; Er war die Wonne des Vaters von Ewigkeit her; und Er kam in die Welt, um von dem, was von Anfang war, zu reden und die Geheimnisse des Vaters, die außer Ihm niemand kannte, zu offenbaren; aber nichtsdestoweniger war in Ihm nicht so sehr der Bote, sondern die Botschaft der Gnade zu erkennen.

Wie hätte der natürliche Mensch Ihn, den auf der Erde wandelnden geheimnisvollen Fremdling erkennen können! Die Ihn Umgebenden fragten: „Ist dieser nicht der Sohn des Zimmermanns?“ Andere sagten: „Wir wissen nicht, woher Er ist.“ Etliche aber waren durch den Geist Gottes befähigt worden, in Ihm den Gesandten Gottes – „den eingeborenen Sohn vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ – zu erkennen; und „denen gab Er das Recht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, welche nicht aus Geblüt, noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind“ (Joh 1,12–13). Das Auge, welches Ihn zu erkennen vermochte, schaute die Herrlichkeit; dos Ohr, welches auf Ihn lauschte, Horts Worte vom Himmel; die Hände, welche Ihn betasteten, berührten das ewige Leben. Der Sohn war erschienen, um das, was Er offenbarte, auch mitzuteilen. Man konnte Ihn sehen, hören und betasten. Das ewige Leben war für die vorhanden, welche dieses Wort des Lebens sahen, horten und betasteten. Wenn das durch den Glauben geöffnete Auge des armen Sünders sich auf Ihn heftete, so empfing er das Licht vom Himmel – das Leben dessen, den er geschaut hatte; das hörende Ohr teilte dem Herzen das mit, was es gehört hatte; und wenn die Hand Ihn betastete, so ging Kraft von Ihm aus.

Jedoch dürfen wir nicht vergessen, dass uns, als den Sündern, die Dinge aus Gnaden offenbart worden sind, und dass das ewige Leben nicht eher mitgeteilt werden konnte, als bis die Schuld beseitigt war und wir eine vollkommene Gerechtigkeit besahen. Bevor das Blut vergossen war, konnten die Jünger wenig von der Tragweite der Worte verstehen: „Glückselig sind eure Augen, dass sie sehen usw.“ Und was sahen sie? „Die Herrlichkeit eines Eingeborenen vom Vater voller Gnade und Wahrheit.“ – Und was sie sahen und hörten und mit ihren Händen betasteten, ward ihnen gegeben – nämlich: das ewige Leben, welches im Schoß des Vaters war.

Und Jesus, kommend vom Vater, hatte nichts zu tun mit der Welt, noch mit dem, was in der Welt war. Er war in der Welt, aber nicht von der Welt. Hienieden für eine kurze Zeit und beauftragt mit einer Botschaft der Liebe, lebte Er getrennt von der Welt, von all ihren Grundsätzen und all ihren Gewohnheiten. Er mischte sich nicht in ihre geräuschvollen Szenen, sondern seine Gedanken warm stets bei dem Vater. Er war von oben; sein Platz war in der Gegenwart des Vaters. Nie beachtenswert sind daher die auf die Seinen sich beziehenden Worts: „Sie sind nicht von der Welt, gleich wie ich nicht von der Welt bin!“ (Joh 17) Er gibt ihnen nicht ein Gebot, dass sie sich anstrengen sollten, um wie Menschen vom Himmel zu sein, sondern Er sagt: „Sie sind nicht von der Welt;“ sie sind von oben geboren; sie sind in der Tat himmlisch. „Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist“ (Joh 3,6). Der Mensch, welchem der Odem des Himmels eingehaucht ist, ist ein himmlisches Wesen geworden. Der Herr Jesus sagte zu wiederholten Malen zu den Juden: „Ich bin von dem, was oben ist; ich bin nicht von der Welt; Ihr wisst nicht, woher ich bin.“ Er wusste, woher Er kam und wohin Er ging, die anderen wussten es nicht. Ebenso ist es mit den Gläubigen. „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater gegeben, dass wir Gottes Kinder heißen sollen! Deswegen erkennt uns die Welt nicht, weil sie Ihn nicht erkannt hat. Geliebte, jetzt sind wir Gottes Kinder, und es ist noch nicht offenbart worden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn Er offenbart ist, wir Ihm gleich sein werden, denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist“ (1. Joh 3,1–2). Wir besitzen wirklich das Leben aus Gott; wir sind von oben geboren, und dorthin geht unser Weg, obgleich andere es nicht wissen. Ist das nicht die Bedeutung der Stelle: „Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weiht nicht, woher er kommt und wohin er geht; also ist jeglicher, der aus dem Geist geboren ist“ (Joh 3,8). Wir sind von oben; wir sind so wenig von der Welt, wie Christus von der Welt war. Würde man einen Gläubigen fragen, woher er sei, so müsste seine Antwort in der Sprache Christi sein: „Ich bin von dem, was oben ist.“ Dasjenige, was von Christus wahr ist, ist ebenso wahr von denen, die Ihm angehören, obwohl andere nicht zu beurteilen wissen, woher sie kommen, noch wohin sie gehen. Das ist nicht eine bloße Redensart, das ist Wahrheit – nicht ein Schatten, sondern Wirklichkeit. Wir sind nicht bloß veränderte oder verbesserte Wesen mit besseren Gedanken, besseren Gefühlen; o nein, weit mehr, als dieses. Wir sind aus Gott geboren, Söhne und Töchter des Herrn, des Allmächtigen (2. Kor 6,18). Wir besitzen in Wahrheit das Leben, welches im Anfang im Schoß des Vaters war. Wir haben einen himmlischen Ursprung und müssen uns daran erinnern, so oft wir mit dieser Welt zu tun haben, in deren Mitte wir uns befinden.

Was sagt Jesus in Johannes 17? „Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt“ (V 18). Von wo kam Jesus in die Welt? Kam Er von Nazareth? Nein; Er kam von oben – vom Himmel – aus dem Schoß des Vaters. Von dort, woher Er selbst kam, sind auch wir gesandt; wir sind nicht von der Welt, gleich wie Er nicht von der Welt war. Wir sind aus Gott geboren; und der Dienst, für den wir gesandt sind, ist der Dienst Christi. Geliebte! Wir haben hienieden nur eine kurze Zeit in Liebe und Selbstverleugnung zu dienen, und zwar in der Erwartung, dass der Herr komme, um uns zu sich zu nehmen, damit wir für immer bei Ihm seien.

Im Hebräerbrief wird Melchisedek wie jemand bezeichnet, der unerwartet erschien, ohne dass man wusste, woher er kam, und der sich wieder so plötzlich zurückzog, ohne dass man wusste, wohin er ging. Diese geheimnisvolle Person kam zu Abraham, welcher erschöpft aus dem Kampf zurückkehrte mit Brot und Wein und verschwand, nachdem er denselben gesegnet hatte, den Blicken wieder. Ebenso km Christus, „weder Anfang der Tage, noch Ende des Lebens habend“ (Heb 7,3). „Er ward Fleisch;“ aber Er blieb immer das ewige Wort, der eingeborene Sohn Gottes. Niemand kannte Ihn, mit Ausnahme der Gläubigen, deren Vorbild Abraham ist, welcher, indem er den Zehnten gab, dem Priestertum und dem Königtum huldigte.

Wir haben als einen Gegenstand für unser Herz jemanden nötig, der vollkommen den Vater kennt, der alle seine Gedanken und Gefühle versteht, und der zu gleicher Zeit fähig ist, mit uns zu sympathisieren. Denkt euch einen Menschen, kommend von Gott, kommend aus dem Heiligtum, seiner verborgenen Wohnung – eins mit Gott, und der Zugleich wie Aaron aus der Mitte des Elends seines Volkes hervortritt – eins mit dem Menschen; und ihr habt das Priestertum des Herrn Jesus, „Priester geworden ewiglich nach der Ordnung Melchisedeks.“ – Welch ein Vorrecht, eins zu sein mit dieser göttlichen Person, mit diesem menschlichen Wesen, mit dem hoch gepriesenen Sohn Gottes! Wer sind wir? – Solche, wie Er selbst war – „nicht von dieser Welt.“

Es ist sicher war, dass wir mit den Gedanken und Überlegungen des Herzens geendigt haben müssen, bevor wir diese Herrlichkeit gründlich erkennen können; aber wie tief wir auch unser Elend fühlen mögen, so wird doch die Kraft der Wahrheit, dass wir aus Gott geboren und eins mit Christus sind, unsere Seele erfüllen und die Frage in uns hervorrufen: „Was haben wir zu tun und was ist das Ziel unserer Wirksamkeit hienieden?“ Der sittliche Mensch verfolgt seinen Weg in ehrbarer Weise; aber hat denn der Christ, als ein himmlischer Mensch, nichts weiter zu tun, als sittlicher zu sein, wie er es früher war? Hat er in seinem Betragen nichts weiter zu zeigen, als ein höheres Maß von Sittsamkeit, wie ehedem? In der Tat, von dem Augenblick an, wo wir wissen, dass wir von oben – aus Gott – geboren sind, muss auch das Bewusstsein bei uns erwachen, dass wir von Natur, von Geburt, selbst höher, als die Engel gestellt sind; denn obwohl sie als Diener vor dem Herrn stehen, so sind sie doch nicht gleich uns Kinder, Söhne und Töchter des Allmächtigen. Wir müssen also missen, wie wir als Kinder Gottes in einer dieser Stellung angemessenen Weise wandeln können und uns die Frage vorlegen: „Warum sind wir, obwohl, nicht von der Welt, dennoch in der Welt zurückgelassen?“ „Gleichwie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt.“ – Welches sind die Gefühle, die Gedanken, die Beweggründe, die Bedürfnisse, welches ist die Tätigkeit eines Menschen, der aus Gott geboren ist? O Geliebte, möchten sich doch die Worte: „Gesandt in die Welt“ – tief in unseren Herzen einprägen! Sie drücken klar aus, dass wir vorher von der Welt ausgegangen sind. Wir sind Menschen, welche, obwohl hienieden gelassen, dennoch ihren Platz im Himmel haben, und zwar nicht nur in Bezug auf unsere Neigungen, sondern auch bezüglich unserer Natur, die von oben ist. Wir sind aus Gott geboren und besitzen das Leben dessen, der im Schoß des Vaters ist, offenbart auf der Erde als der „Sohn des Menschen“, der obwohl Er Fleisch und Blut angenommen – „im Himmel ist.“

Sicher werden wir in dem Grad, wie sich dieses Leben in uns verwirklicht, auch dieselben Gedanken, Gefühle und Beweggründe haben, welche wir in Christus erblicken. Seine Wünsche, seine Genüsse, seine Neigungen werden die Bedürfnisse der neuen Natur sein. Dieses Leben in uns kann sich nur dem Muster gemäß offenbaren, welches Jesus, der alles für uns ist, zurückgelassen hat. Wir sehen Ihn, wie Er sich umgürtet, um den Jüngern die Füße zu waschen, und wie Er, indem Er den in seiner Unwissenheit sich weigernden Petrus belehrt, seine Liebesarbeit bis ans Ende fortsetzt. – Nun sind wir berufen, seinen Platz einzunehmen. Wir sind Schuldner Christi; wir schulden Ihm unseren Dienst. Nur seine Gnade kann uns zu diesem Dienst befähigen; seine Liebe kann sich so reichlich in unsere Herzen ergießen, dass der Geist uns treiben wird, diejenigen, welche uns umgeben, zu bedienen, und ihnen die Füße zu waschen. Es ist möglich, dass man zu uns sagt: „Du sollst nicht meine Füße waschen.“ Aber ließ sich der Herr Jesus dadurch zurückhalten? Wenn Christus als Diener, unser Diener, in uns ist, dann ist es unser Bedürfnis zu dienen. Wie könnten wir auf den Herrn, der in unendlicher Gnade sich umgürtet, um uns die Füße zu waschen, unser Auge richten, ohne angetrieben zu werden, uns gleichfalls zu umgürten und zu tun, wie Er getan hat? Wie könnten wir uns in der Gegenwart des Sohnes Gottes befinden, welcher sich erniedrigt und sich vor unseren Augen bückt, ohne dass wir uns ebenfalls tief erniedrigen? Wie könnten wir Ihn anschauen und dabei müßig und gleichgültig bleiben! Ja, in der Tat, wir sind für dieses alles seine Schuldner. Lasst uns Ihn lieben, seine Wünsche erfüllen und uns beeifern das zu tun, was Er getan hat! Von seiner Berührung, wenn Er unsere Füße wäscht, geht eine Kraft aus; und unsere Herzen werden in der Ausübung dieser Gnade und Liebe seinem Bild gleichförmig gemacht. Seine Gnade wirkt in uns dasselbe, was in Ihm ist; sie macht uns zu Dienern und erfüllt uns mit dem, wovon das Herz Christi erfüllt ist.

Das Leben Gottes in der Seele ist Liebe. Wenn die Liebe Gottes in das Herz ausgegossen ist, zerstört sie die scheußliche Selbstsucht und die hassenswürdigen Leidenschaften, die sich darin befinden, und dringt es, sich zu beschäftigen mit denen, welche der Vater Jesus gegeben hat – mit seinen Schafen und seinen Lämmern. Wir sind der göttlichen Natur teilhaftig geworden, um nicht nur wegen des daran geknüpften Segens glücklich, sondern auch fähig zu sein, andere glücklich gemacht zu sehen. Denn die Liebe – diese göttliche Liebe – liebte, als es noch nichts liebenswürdiges in dem Gegenstand ihrer Zuneigung gab. O möchten wir doch die Diener anderer sein, wenn sie unseren Dienst wollen; und möchte unsere Liebe sie auch dann, wenn sie unseren Dienst nicht wünschen, noch verfolgen! Die Kirche auf der Erde ist mit Finsternis vermischt; und inmitten des Verderbnisses leuchten die Heiligen wie Silberfünkchen im Staub. Es steht geschrieben: „Liebt nicht die Welt, noch was in der Welt ist. Wenn jemand die Welt liebt, so ist die Liebe des Vaters nicht in – ihm“ (1. Joh 2,15). Was haben wir nun zu tun? Die Heiligen aus der Welt zu sammeln. Der Herr Jesus zeigt uns selbst in Lukas 15, wie Er dem verlorenen Schaf nachgeht; und ebenso in Matthäus 18,12–13, wie Er das Verlorene sucht und sammelt. Unser Dienst kann verschiedener Art sein; aber die Tätigkeit der Liebe erschlafft nie. Wo es irgendein verirrtes Kind Gottes gibt, da wird sich die Energie des „ewigen Lebens“ – die Liebe – mit ihm beschäftigen, um ihm die Füße zu waschen. Und selbst wenn man unseren Dienst abweist, werden wir nicht entmutigt werden. Gibt es Heilige, die sich in einem schlechten Zustand befinden, so lasst uns mit Ausharren und unter Gebet über sie wachen. Sicher gibt es eine Verschiedenheit des Charakters zwischen dem Dienst des Herrn Jesus und dem unsrigen; dennoch muss sein Wunsch der unsrige sein, „die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu sammeln.“ – Wo sich auch irgendein Kind Gottes befinden mag, und wie groß auch die dasselbe verblendenden Vorurteile sein mögen – die Energie des ewigen Lebens sollte es erreichen.– das Herz Christi – seine Liebe – umfasst alle Heiligen. Er trägt sie alle vor seinem Vater auf seinem Herzen, wo sie wie Edelsteine als solche glänzen, die zuvor zu Erben der Herrlichkeit bestimmt sind.

Wir haben nichts mit den Umständen zu tun. Christus ist stärker, denn der, welcher in der Welt ist; und das ewige Leben kann durch nichts gehemmt werden. Lasst uns nicht in einem Sektengeiste, sondern als Diener aller Heiligen unseren Weg fortsetzen. Die Liebe umfasst alle, welche Christus angehören, mögen sie fern oder nah sein – sie sind alle Schafe, die der Weide bedürfen. Dieser Liebesdienst wird aber nicht nur von solchen erwartet, die eine besondere Gabe empfangen haben. Wenn wir etwas von der Liebe, die Christus zu uns herabführte, verstanden haben, so wird alles, was von dieser Liebe in unseren Herzen ist, diesen Dienst ausüben. Unsere Selbstsucht und unsere Gleichgültigkeit werden durch den Gedanken an die Liebe Christi überwunden. Es wird uns vielleicht Geringschätzung oder gar ein harter Empfang zu Teil; aber wenn auch! – die Liebe Christi wandte sich an völlig Undankbare und Unwürdige. Auf welche Weise handelt diese unter den Menschen offenbarte „Liebe des Christus“? Wie wird ihre Macht angewandt? Welches ist ihr Weg? Ist ihr Weg ein leichter, und schreckt sie zurück vor Geringschätzung und Kälte? O nein; die Liebe Christi sucht die undankbaren Kinder Gottes, um sie zu bewahren und ihnen die Füße zu waschen. Lasst uns nicht Ruhe suchen, noch der Ruhe pflegen. Erinnern wir uns daran, dass Christus umgürtet ist, und dass Er zu einem jeglichen von uns sagt: „Wenn nun ich, der Herr und der Lehrer, eure Füße gewaschen habe, so seid auch ihr schuldige einander die Füße zu waschen“ (Joh 13,14).

Ich rede nicht davon, wie weit wir es bringen können. Aber, erwarten wir nicht den Herrn? Wünschen wir nicht in Ihm erfunden zu werden, umgürtet an den Lenden, um seinen Jüngern die Füße zu waschen? Die Liebe ist gleich einem ins Wasser geworfenen Steine, der immer größer und größer werdende Wellenkreise bildet. – Derselbe Grundsatz, welcher zwei Herzen eng zusammen verbindet, muss alle umfassen. O möchte doch der Herr uns verstehen lassen, welches unser Platz ist, damit wir mit dem Apostel sagen können: „Der Tod ist wirksam in uns, das Leben aber in euch!“ (2. Kor 4,12) Möchte es doch in Wirklichkeit unser Wunsch sein, dass die Liebe Christi in dem Maß unser Herz erfülle, dass nicht ein einziger selbstsüchtiger Gedanke darin zurückbleibe! Ja, möge der Herr uns die Gnade verleihen, uns ganz und gar selbst zu vergessen!

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