Botschafter des Heils in Christo 1874

Die Fußwaschung

Man hat – und zwar mit Recht – schon zu wiederholten Malen darauf hingewiesen, dass der Herr Jesus in seinen Handlungen und Gesprächen, welche wir in den Kapiteln 13 bis 17 des Evangeliums Johannes aufgezeichnet finden, sich im Geist zwischen seine Auferstehung und Himmelfahrt stellt. Auch charakterisieren sich dieselben dadurch, dass sie nicht mehr in Beziehung zur Welt stehen, sondern sich auf den engen Kreis seiner Jünger beschränken. Wir finden hierfür einen Beweis in den Worten: „Das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. Nun aber komme ich zu dir. ... Ich bin nicht mehr in der Welt.“ – Es ist klar, dass, als der Herr diese Worte sagte, Er noch vor dem Kreuz stand und noch nicht in Wirklichkeit das Werk der Erlösung vollbracht hatte. Er versetzte sich also im Geist in jenen Augenblick, wo alles völlig vollbracht war.

In dem uns vorliegenden Abschnitte ist der Herr Jesus beschäftigt, die Füße seiner Jünger zu waschen und auf diese Weise eine Reinigung zu bewirken, die für den Wandel unerlässlich nötig war. Selbstredend dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, dass hier von zwei Arten von Reinigung die Rede ist. Der Fußwaschung ist eine andere Reinigung vorangegangen, woran der Herr durch die an Petrus gerichteten Worte erinnert: „Wer gebadet ist, hat nicht nötig, denn sich die Füße zu waschen, sondern ist ganz rein.“ – (Kap 13,10) Jedoch handelt es sich hier eigentlich nicht um das Versöhnungswerk Christi, dessen Blut uns von allen Sünden gereinigt hat, obwohl dieses Werk der Grund von allem ist, sondern das Mittel dieser Reinigung ist das Wasser – ein Bild des durch den Heiligen Geist angewandten Wortes. Sicher sind im Blick auf das Opfer Christi unsere Sünden vollkommen und für ewig hinweggetan, so dass wir jeden Augenblick in den Himmel eintreten können. Wenn der Herr Jesus kommt, kann Er uns, Dank seinem für uns vergossenen Blut, zu jeder Zeit in den Himmel aufnehmen und uns in die Gegenwart seines Vaters bringen, der nicht den geringsten Flecken an uns sieht. Wir sind nicht so rein, wie wir denken, sondern so rein, wie Gott es will. Wir sind durch das Blut Christi nicht nach einem menschlichen, sondern nach einem göttlichen Maßstab gereinigt. „Ganz rein“, sagt der Herr; nicht ein einziger Flecken ist zurückgeblieben. Dieses zu verstehen, ist für die Ruhe des Gewissens durchaus erforderlich. Für den Himmel halten wir uns oft nicht rein genug, und das ist die Ursache unserer Furcht; für die Erde halten wir uns oft reiner, als wir wirklich sind, und das ist die Ursache unserer Eigengerechtigkeit. Doch gerade das Gegenteil ist wahr. Wir sind für den Himmel reiner, als wir uns vorstellen, und für die Erde oft mehr befleckt, als wir vermuten; und darum müssen stets unsere Füße gewaschen werden.

Aber hier handelt es sich, wie bereits bemerkt, nicht um eine Reinigung durch das Blut, sondern um eine solche durch das Wasser. Dieser Dienst Christi hat die Wirkung, dass der Heilige Geist in praktischer Weise durch das Wort alle Verunreinigungen beseitigt, die wir uns im Wandel durch diese Welt der Sünde zuziehen. Auf unserem Weg kommen wir in Berührung mit dieser Welt, die Christus verworfen hat; und Er reinigt uns von ihrer Befleckung durch den Heiligen Geist und das Wort. Wir bedürfen einer Reinheit, die der Gegenwart Gottes entspricht. Jedoch handelt es sich hier nur um die Füße. Die in der Stiftshütte dienenden Priester wurden bei ihrer Einweihung gewaschen; und diese Waschung wiederholte sich nicht. Ebenso verhält es sich mit uns. Wir sind einmal wiedergeboren aus Wasser und Geist, und dieses geschieht nicht von neuem. Aber sowie die Priester, so oft sie zu ihrer Dienstverrichtung zu Gott nahten, ihre Hände und Füße wuschen, so bedürfen auch wir stets der Fußwaschung. Hier ist es der Dienst Christi, der Dienst seiner Liebe. Er legt die Oberkleider ab, umgürtet sich mit einem Leintuch und gießt Wasser in das Waschbecken; obschon Lehrer und Herr, so verrichtet Er hier doch die Arbeit eines Sklaven; und nachdem Er seinen Jüngern die Füße gewaschen hat, sagt Er: „So seid auch ihr schuldig, einander die Füße zu waschen; denn ich habe euch ein Beispiel gegeben, auf dass, gleich wie ich euch getan auch ihr tut.“ – Hieraus ersehen wir, dass wir schuldig sind, uns einander die Füße zu waschen; der Herr Jesus hatte nicht diese Pflicht, denn Er war ihr Lehrer und Herr. Dennoch tut Er es, während wir, deren Pflicht es ist, es oft unterlassen. Der Herr hat uns ein Beispiel gegeben, nicht nur dass wir, sondern wie wir einander die Füße waschen sollen. Zu diesem Zweck müssen wir die Oberkleider ablegen und uns mit einem Leintuch umgürten; mit anderen Worten: Wir müssen uns erniedrigen und Knechte werden. Dazu bedarf es einer gebeugten und knienden Stellung. Stehend vermag man wohl den Kopf, aber nicht die Füße zu waschen. Wie der Herr, so müssen auch mir uns bücken, um dieses Werk verrichten zu können. Er wäscht nur die Füße und nicht, ob es auch Petrus begehren mochte, die Hände und das Haupt. Wir möchten im Gegenteil oft lieber die Hände und das Haupt, als die Füße waschen. Wir beginnen leider oft mit dem Haupt, während wir uns mit den Füßen beschäftigen sollten. Auch vergessen wir oft, wie der Herr das Wasser – dieses Bild des Wortes – in ein Becken zu gießen; denn nur das unter der Leitung des Heiligen Geistes angewandte Wort ist im Stande, uns von den Verunreinigungen in unserem Wandel zu befreien.

Vor allen Dingen sollten wir stets daran denken, dass wir nur dann jemandem in Wahrheit die Füße zu waschen vermögen, wenn dieses in dem Geist und der Gesinnung des Herrn geschieht. Wir müssen in seiner Gemeinschaft sein und in seinem Geist wandeln. Wie oft mangelt dieses! Wie oft sind wir hart und aufgeregt und mit Bitterkeit gegen den erfüllt, dessen Füße wir waschen wollen! In einem solchen Zustand ist es aber sicher besser zu Haus zu bleiben und nichts zu tun. Der Herr ist nicht schuldig, uns die Füße zu waschen; nur seine Liebe drängt Ihn zu dieser Arbeit. Er will uns so gern in seiner Gemeinschaft haben, weil Er weiß, dass wir nur dann glücklich sind. Vor Beginn der Fußwaschung lesen wir: „Da er die Seinen, die in der Welt waren; geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.“ – Die Liebe war also die Quelle, aus der alles hervorströmte. Wo die Liebe mangelt, da kann eigentlich von einer Fußwaschung durchaus keine Rede sein; denn dann sind wir, selbst wenn wir noch so richtig das Wort anwenden, unfähig, dieses Werk in dem Geist des Herrn zu verrichten.

Petrus wollte nicht zugeben, dass der Herr ihm die Füße waschen sollte, indem er sagte; „Du sollst nimmermehr meine Füße waschen!“ Der Gedanke, dass der Herr die Arbeit eines Sklaven verrichten sollte, war ihm unerträglich. Jedoch als der Herr sagte: „Dann hast du kein Teil mit mir!“ – zeigte er sich sogleich bereit, indem er rief: „Herr, nicht meine Füße allein, sondern beides, die Hände und das Haupt.“ Kein Teil mit Jesu zu haben, das war ihm schrecklich; schon allein der Gedanke daran genügte, um ihn willig zu machen; denn für die Teilgenossenschaft mit Jesu opferte er alles auf. Steht es auch mit uns also? In diesem Fall werden wir uns, wie Petrus, dem Herrn willig übergeben, um uns durch Ihn reinigen zu lassen. Was könnte auch wertvoller sein, als eine Teilgenossenschaft mit Jesu? Und dennoch geschieht es nicht selten, dass wir uns weigern und uns nicht die Füße waschen lassen wollen, wenn auch aus anderen Gründen, als denen bei Petrus. Wir können es oft nicht begreifen, warum es nötig ist, dass der Herr ein solches Werk an uns vollzieht. Dann aber gilt das an Petrus gerichtete Wort Jesu: „Was ich tue, weißt du jetzt nicht; du wirst! es aber hernach verstehen.“ Wie oft kommt es im Leben vor, dass wir fragen: „Warum dieses, warum jenes?“ – und die Antwort des Herrn ist: „Du wirst es hernach verstehen.“ Wenn wir einmal in der Herrlichkeit sein werden, und in dem Licht Gottes alles offenbar sein wird, dann werden wir sicher mit Asaf sagen: „Ich war dumm und wusste nichts; ein Tier war ich bei dir“ (Ps 73,22). Ja, dort werden wir in den Wegen, die uns hienieden unbegreiflich sind, die liebreiche Hand des Herrn erkennen, der uns solche Pfade führte, um uns von allem zu reinigen, was unsere Gemeinschaft mit Ihm störte, und wir werden begreifen, wie der Herr stets für uns gesorgt und uns vor vielem Bösen bewahrt hat.

Wie gesegnet, zu wissen, dass zwischen uns und Gott jede Scheidewand niedergerissen ist, und dass aus seinem Herzen uns nur Liebe und Gnade entgegenströmt. Aber auch wie wichtig und nötig ist es für uns, dass wir uns nicht weigern, wenn der Herr uns die Füße waschen will! Wenn unsere Füße unrein und schmutzig sind, oder, mit anderen Worten, unser Wandel befleckt ist, kann Er nicht mit uns sein. Möge es daher unser Verlangen sein, durch Ihn, selbst wenn es schmerzlich für unsere Natur ist, gereinigt zu werden. Je mehr wir uns reinigen lassen, desto sorgfältiger wachen wir über uns, und desto unerträglicher ist uns jeder Flecken. Wenn wir uns hingegen daran gewöhnen, mit unreinen Füßen zu gehen, wird es uns bald auf einen Flecken mehr oder weniger nicht ankommen. O wie betrübend und entehrend für Jesu! Er will so gern jede Unreinheit beseitigen. Wir können damit ruhig zu Ihm gehen; nur dann werden wir wirklich glücklich sein, den Herrn genießen und zu seiner Verherrlichung wandeln können, bis wir die goldenen Straßen des himmlischen Jerusalems, wo kein Schmutz uns mehr verunreinigen kann, durchschreiten und uns in dem vollen Genuss der herrlichen Früchte des Werkes Christi befinden werden.

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