Botschafter des Heils in Christo 1874

Kein Brot im Schiff oder Christus alles in allem

Das Erste, was wir bei der Betrachtung des Evangeliums zu lernen haben, ist, dass Christus sich selbst für uns hingegeben hat; und das Zweite, dass wir alles für Ihn aufzugeben haben. In der oben bezeichneten Geschichte finden wir beides. Wenn wir nun aber auch in gewissem Sinn sagen können, dass wir das Erste bereits gelernt haben, so vergeht doch für manchen oft eine lange Zeit, bevor er als ein völlig ruinierter Sünder erkannt hat, dass Christus unter allen Umständen für ihn ist. Jedoch sicher wird der Tag kommen, dass wir nichts mehr haben als Christus. In solchen Schreckensmomenten, wo alles uns verlässt, wo wir die Nichtigkeit aller Dinge erfahren müssen, machen wir in der uns umgebenden Finsternis die Entdeckung, dass Christus allein für uns ist. – Wir sehen dieses in der Geschichte des Jonas vorbildlich vor unsere Augen gestellt. Allerdings war er bekehrt; aber in der Tiefe des Wassers musste er lernen, dass nur Gott ihn zu retten vermochte.

Vor allem habe ich Christus als Heiland. Um für Ihn leben zu können, muss ich zunächst wissen, dass Er völlig für mich ist. Wir sehen in Lukas 5, dass der Herr den Petrus belehrt. Aber in welcher Weise belehrt Er ihn? Es war in dem für einen Fischer höchst bedeutsamen Momente, als das Schiff voller Fische war, dass Petrus in der Gegenwart Gottes sein Nichts erblickte und ausrief: „Herr, ich bin ein sündiger Mensch!“ Zu den Füßen Jesu liegend, opferte er seine Zeit und sein Schiff dem Herrn. Ein religiöser Mensch ist befriedigt, wenn er sein Geld für die Ausbreitung des Evangeliums hingibt. Vielleicht haben manche von uns lange Jahre in einer solch oberflächlichen. Weise hingebracht.

Es gibt aber eine Zeit im Leben des Christen, wo er fühlen muss, wie alles ihn unbefriedigt lässt, aber auch, dass Christus völlig genug ist, um sein Herz zu befriedigen. Petrus und seine Gefährten brachten in einer für sie als Fischer höchst verlockenden Periode ihre Schiffe ans Land, verließen alles und folgten Jesu nach. Auf diesem Weg machten sie Erfahrungen. Man hat oft Gelegenheit, am Sterbebett die Worte zu hören: „Ich habe erfahren, dass nichts befriedigen kann, als nur Christus allein.“ Und muss unser Herz dieses nicht bestätigen? In dem Lebenslauf einer solchen Person ist der Tag gekommen, wo sie gefunden hat, dass Christus in allem genug ist. Natürlich setzen solche Erfahrungen voraus, dass man Jesus schon länger kannte; und dieses zeigt uns auch die Geschichte Petrus.

Es ist eine schwere Aufgabe, die wir zu lernen haben, nämlich dass auf alles das Urteil des Todes geschrieben ist. Neun wir die Schriften betrachten, so finden wir dieses in jeder Geschichte. Christus unterweist die Seinen, auf dass sie praktisch lernen, was Tod und Herrlichkeit ist. Die Frage ist immer: Ist Er in allem genug? Er seufzte tief in seinem Geist am Grab des Lazarus, und warum? Er sah den Unglauben des Volkes, welches Ihn nicht erkannte als den, der in allem genug für dasselbe war.

„Und sie (die Jünger) vergaßen Brote mitzunehmen und hatten nichts bei sich auf dem Schiff als nur ein Brot.“ – Man kann sich in der Tat keinen hilfloseren Zustand denken, als in einem Schiff auf dem See ohne Brot zu sein. Aber der Herr ist beschäftigt, seine Jünger zu belehren, dass Er selbst genug für sie ist. Er vermehrt das Brot nicht um einen Bissen, sondern Er prüft ihren Glauben, als wollte Er sagen: „Bin ich euch denn nicht genug, selbst wenn sonst auch alles mangelt? Habt ihr nicht Gelegenheit gehabt, meine Macht kennen zu lernen? Seid ihr noch so unverständig?“ – Wir haben nicht nötig, besorgt zu sein. Der Herr segnet uns oft reichlich nach seiner Barmherzigkeit, damit wir Ihn kennen lernen, und damit Er genug für uns sei in einer Zeit, wo diese Segnungen ausbleiben. Nicht als ob die Gaben den Wert des Gebers bestimmen, sondern vielmehr verleiht Er, der Geber, den Gaben ihren Wert. Was hatte Jonas zu lernen? Nicht allein, dass in ihm der Tod, sondern dass hienieden alles im Tod sei.

Wir haben zwei Dinge zu verstehen – das Leben in dem Sohn Gottes und den Tod hienieden. „Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leib offenbar werde.“ Wir dürfen uns nicht entsetzen, dürfen nicht zurückschrecken; denn der Glaube sieht nie auf die Schwierigkeiten, sondern auf den, der in allen Schwierigkeiten genug ist. Der Mann des Glaubens lässt sich nicht durch die Umstände beeinflussen. Wir sehen z. B., dass Moses, als er vom Berg herabstieg, 600000 Menschen entgegentrat, als wären sie nichts. Er stand vor Gott. Er dachte nicht an sie, fürchtete nicht ihre überlegene Macht, sondern rechnete auf Gott. Die Jünger hingegen überließen sich nicht dem Herrn. Sie hätten sich dem Herrn gegenüber kräftig erweisen, d. h. Gebrauch machen sollen von der Macht des Glaubens. Wir finden diesen Unterschied zwischen David und Jonatan. Jonatan mochte ein stärkerer Mann sein, als David; aber David zeigte sich als ein Mann von Kraft, der vor Goliat nicht zurückbebte.

Wir werden in der Geschichte unseres täglichen Lebens lernen müssen, dass Christus genug für uns ist, und dürfen uns nicht im Mindesten durch das entmutigen lassen, was wir um uns hersehen; ja, wir dürfen unseren Mut nicht sinken lasst, wenn auch kein Brot im Schiff ist. Der Wendepunkt unseres Lebens ist der, dass wir es, pilgernd durch diese Wüste, mit dem auferstandenen Christus zu tun haben und nicht mit den Umständen, in welcher Weise sich diese uns auch entgegenstellen mögen. Dann wird das Resultat sein, dass wir zwar keine Hilfsquellen haben, aber darum nicht im Mindesten entmutigt sind; wir haben Christus. Paulus konnte vor dem strengsten Richterstuhle der Welt sagen: „Alle verließen mich“ – es war kein Brot im Schiff – „der Herr aber stand mir bei und stärkte mich, auf dass die Predigt vollbracht werde und alle die aus den Nationen hören möchten; und ich bin gerettet worden aus dem Rachen des Löwen“ (2. Tim 4,16–17). Wir dürfen den Mut nicht verlieren, auch nicht handeln gleich solchen, die sich immer Erleichterung zu verschaffen suchen, und zwar durch Veränderung der Umstände. Wir werden nie anders eine erhabene Stufe von Kraft erlangen, als wenn wir, anstatt den Herrn zu bitten, dass Er unsere Umstände ändern möge, zu Ihm sagen: „Herr, erhebe mich über die Umstände!“

In dem alten Zustand war alles größer, als der Mensch, in dem neuen ist der Mensch in Christus großer, als alles. – Wenn ich um die Wiedergenesung meines kranken Kindes bete und es mir wieder zurückgegeben wird, so werde ich in dieser Prüfung nicht dieselbe Erkenntnis von Gott erlangt haben, als wenn ich angesichts dieser Prüfung mich seinem Willen überlassen hätte. Wenn ich im Herrn ruhe und lasse Ihn tun, was Ihm gefüllt, dann ist Christus genug für mich. Das ist nicht nur jenes erbärmliche Zufriedensein mit etwas, das doch nun einmal nicht zu ändern ist. Der Glaube ist es, der mir den Pfad des Lebens zeigt, und wenn wir durch Glauben wandeln, so befinden wir uns auf diesem Pfad und legen alles in die Hand dessen, der die Liebe ist und der alles nach seiner Weisheit ordnet. Gott kann nicht seine Liebe dadurch beweisen, dass Er uns dieses und jenes gibt. Der Beweis seiner Liebe ist die Herrlichkeit, wo Er jeder Art von Entbehrung begegnet ist. Aber, wie bereits gesagt, wir dürfen nicht zurückschrecken, nicht verzagt sein. Allerlei Drangsale sind unser Teil, und ich will nicht, dass jemand in Betreff ihrer unempfindlich sei; aber es ist ein Unterschied zwischen dem Kampf einer Seele, welche von Seiten der Barmherzigkeit eine Milderung der Umstände begehrt, und dem Kampf einer Seele, welche, ohne diese Barmherzigkeit zu beanspruchen, lernt, in den Schwierigkeiten mit Gott zu wandeln. Würde nun vielleicht jemand sagen: „Auf einem solchen Wege möchte mich Gott in zu große Trübsale bringen“, so erwidere ich: „Er liebt mich unendlich mehr, als ich mich liebe.“ Und wenn ich anders sprechen würde, so wäre das ein Beweis, dass ich weder das Heil noch seines Herzens Liebe verstände.

Ich weiß wohl, was Trübsale sind. Aber wozu dienen sie? Mich zu Ihm zu bringen, so dass „der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, mein Herz und meine Sinne in Christus Jesus bewahrt.“ Es mag sein, dass ich keine Linderung erfahre; aber die Segnung von Ihm selbst, „der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt und Herz und Sinne in Christus Jesus bewahrt“, ist zwischen meiner Seele und der Trübsal. Maria war, als sie zum Grab ihres Bruders Lazarus schritt, befriedigt in der Gegenwart Jesu.

Möchten wir doch stets die Wahrheit verstehen, dass auf alles hienieden, das Urteil des Todes geschrieben, und dass Christus selbst genug für uns ist. Wir haben inmitten des Elendes, das uns hier umgibt, zu lernen, dass Christus für alles genügend ist; nur dann werden wir mit glücklichem Herzen und zum Preis seines Namens unsere Pfade pilgern.

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