Botschafter des Heils in Christo 1871

Der Anbeter und der Arbeiter

Nichts ist schädlicher für die Seele, als eine Verwechselung in der Ordnung der Wahrheiten des Wortes Gottes. Die Seele kommt dadurch in Verwirrung und befindet sich dann in Gefahr, auf Abwege zu geraten. So kommen z. B. in 2. Timotheus 2 Ausdrücke vor, die allein eine Anwendung auf diejenigen finden, die bereits aus dem Tod ins Leben hinübergegangen sind. Es ist dort von einem „Arbeiter“ von einem „guten Kriegsknecht“, von einem „geheiligten Gefäße“ die Rede. Wenn man diese Ausdrücke auf eine Seele anwenden wollte, die noch in dem Opfer des Kreuzes keine Ruhe gefunden hat, so würde dieselbe sicher in eine hoffnungslose Verwirrung kommen. Eine solche Seele verlangt nach Ruhe; sie seufzt unter der Last ihrer Sünden; und wie töricht würde es nun sein, wenn man, anstatt sie zu Jesu zu führen, ihr die Pflichten des Gläubigen vorhalten würde. Sicher, ein solches Verfahren würde ihre Mutlosigkeit bis zur Verzweiflung treiben. Das beladene Gewissen würde seine Last noch vermehrt sehen; und das schon längst nach Frieden schmachtende Herz, würde zu Boden gedrückt und in hoffnungslose Traurigkeit versenkt werden. Dieses alles aber würde das Resultat einer Verwechslung der Ursache und der Folge sein. Nie könnte jemand ein Arbeiter sein, bevor er ein Anbeter geworden ist.

Es ist von der höchsten Wichtigkeit, diese beiden Dinge gut voneinander zu unterscheiden. Man kann unmöglich einen wahren, unwandelbaren Frieden genießen, oder Gott im Geist und in der Wahrheit anbeten, solange das Gewissen nicht durch das Blut des Kreuzes gereinigt ist. Bevor wir frei zu atmen, im Frieden zu wandeln und Gott im Innern des Vorhangs anzubeten vermögen, müssen wir das Bewusstsein haben, dass nicht nur allen Forderungen unseres Gewissens, sondern auch allen Forderungen der Gerechtigkeit Gottes völlig Genüge geschehen ist. Und wie können wir das wissen? Allein durch den Glauben an das auf Golgatha vollbrachte Werk des Kreuzes. Von uns selbst ist nichts Gutes zu erwarten. Man mag noch so große Anstrengungen machen, um Gott zu dienen und seinen Namen zu verherrlichen; – stets wird man sich getäuscht sehen.

Wie könnten wir nun für Gott arbeiten, bevor wir in seine Gemeinschaft gebracht sind? Und nur durch Jesus können wir in diese Gemeinschaft gebracht werden. Gott kann die Sünde nicht sehen, und darum kann er uns nicht in seiner Gegenwart dulden, solange wir nicht von allen Sünden gereinigt sind. Nur durch das einmal vollbrachte Opfer Jesu können unsere Sünden hinweggenommen werden. Unser erstes Bedürfnis ist – Teil zu haben an dem Opfer des Kreuzes. Und wer hat Teil daran? Ein jeder, der an den Sohn Gottes glaubt. Wer sich als ein armer, verlorener Sünder dem Herrn übergibt und ganz und gar sein Vertrauen auf das setzt, was Er vollbracht hat, der hat Frieden mit Gott und hat Freimütigkeit, um zu Gott zu gehen.

Geliebter Leser! Haft du diesen Frieden gefunden? Wenn nicht so richte deine Augen von dir selbst ab und suche nicht länger deine eigene Gerechtigkeit, sondern richte deine Blicke unverrückt auf das, was Jesus für Sünder getan hat! Vertraue dich dem Herrn an. Du musst aus Gnaden selig werden. Der Grund unseres Friedens darf nicht unser Gefühl oder die Veränderung unseres Zustandes sein, sondern das, was Gott in Christus für uns getan hat. Vertrauen wir allein hierauf, dann hat unser Herz Ruhe und Frieden; und dann können wir als gereinigte und glückselige Anbeter in der Gegenwart Gottes erscheinen und uns der Süßigkeit seiner Gemeinschaft erfreuen.

Und erst von dem Augenblick an, wo du ein „Anbeter“ geworden bist, kannst du ein „Arbeiter“ des Herrn werden, der den Beruf hat, sich zu reinigen, um ein Gefäß zur Ehre zu sein, „geheiligt und nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werke bereitet“ (V 21). Ein Arbeiter sein zu wollen, bevor man ein Anbeter geworden ist, hieße die Ordnung der Dinge umkehren; und in diesem Fall genießt man weder die Glückseligkeit des einen, noch die Segnung des anderen. Man muss jedem Ding den Platz lassen, den Gott demselben angewiesen hat. Erst nachdem der Aussätzige als rein erklärt worden war, begann er seine Kleider zu waschen (3. Mo 14,7–8). Hätte er dieses früher tun wollen, dann würde er, anstatt sich selber zu reinigen, das Wasser verunreinigt haben.

„Da wir nun diese Verheißungen haben. Geliebte, so lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen und vollenden die Heiligkeit in der Furcht Gottes“ (2. Kor 7,1). In dieser Stelle wird uns das wahre Mittel gezeigt, um ein guter Arbeiter – ein geheiligtes Gefäß – ein nützlicher Knecht zu sein. „Wenn sich nun jemand von diesen reinigt“ – sagt Paulus im Blick auf die Gefäße der Unehre in dem großen Haus, zu seinem geliebten Timotheus – „der wird ein Gefäß zur Ehre sein, geheiligt und nützlich dem Hausherrn“, – ein Werkzeug, welches „zu jedem guten Werk“, das der Herr ihm zu tun aufträgt, „bereitet“ ist (2. Tim 2,21). Gereinigt zu sein durch das Blut Jesu, dieses ist mein erstes notwendiges Teil; – mich zu reinigen von aller mich befleckenden Ungerechtigkeit durch die Kraft des göttlichen Lebens, dieses ist eine zweite Sache. Beides darf nicht mit einander vermengt werden; denn jedes hat seinen bestimmten Platz. Sobald man diese Dinge mit einander vermischt, vernichtet man das Wesen des Christentums, und man beraubt die Seelen ihres Friedens.

Der Christ ist zu einem fortdauernden, ununterbrochenen Kampf berufen. Dieser Kampf nimmt seinen Anfang von dem Augenblick an, in welchem die Seele Ruhe und Frieden in Jesu findet. Wenn die Ankündigung des auf Golgatha davongetragenen Sieges mit deutlichen und verständlichen Klangen in das Herz dringt und jede Frage des Gewissens göttlich beantwortet ist, dann beginnen die Kämpfe. Für den natürlichen Verstand mag eine solche Behauptung unerklärlich sein; nur der Glaube begreift sie. Ich muss das Bewusstsein haben, dass Sünde, Tod und Teufel – diese unerbittlichen Feinde des Menschen – durch den Tod Christi für mich überwunden sind, bevor ich die Streitwaffe wider sie erheben kann. Der Christ ist Zugleich ein Überwinder und ein Streiter. Er setzt seinen Fuß auf den unbeweglichen, unerschütterlichen und „festen Grund Gottes“, welcher durch keine Macht der Welt oder der Hölle zum Wanken gebracht werden kann; – und dann, in dem Genuss des Friedens, den dieser feste Grund ihm schenkt, und nicht im Geist der Knechtschaft, oder in Furcht und Zweifel, „steht er ab von der Ungerechtigkeit“ (V 19). Warum aber steht er von der Ungerechtigkeit ab? warum reinigt er sich selbst? Etwa darum, um ein Anbeter zu werden? Keineswegs. Er muss bereits ein Anbeter sein, bevor er den Streit beginnt. Warum denn? Um ein gereinigter Arbeiter, ein geheiligtes Gefäß, ein nützliches Werkzeug zu sein, damit er dem Hausherrn gebräuchlich sei, um seine Segnungen anderen zuführen zu können.

Lieber, teurer Leser, der du die Wirklichkeit eines gereinigten Gewissens gekostet hast, rufst du den Herrn an „aus reinem Herzen“? Kämpfst du mit Aufrichtigkeit, um die „jugendlichen Lüste zu fliehen“, und um nach „Gerechtigkeit, Glauben, Liebe und Frieden zu streben, samt denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen“? (V 22)

Du bist vielleicht geneigt zu antworten: „Ich sehe rund um mich her solch eine hoffnungslose Verwirrung und solch eine beklagenswerte Zersplitterung, dass ich wirklich nicht weiß, mit wem ich mich vereinigen, noch wo ich einen Pfad für meinen Fuß finden soll.“ – dieses mag wahr sein; aber bedenke, dass, wenn die bekennende Kirche noch mehr zerstückelt wäre, wie sie es bereits ist, und wenn die allgemeine Verwirrung sich gleich einer verwüstenden Flut über die ganze Christenheit verbreitete, jeder Christ dennoch verpflichtet sein würde, von der Ungerechtigkeit abzustehen, sobald er dieselbe entdeckt. Der Christ ist berufen, sich allezeit zu reinigen von den Gefäßen der Unehre. Und in dem Maß er treu sein, sich absondern und reinigen wird, wird er ein nützliches Gefäß werden für den Gebrauch des Hausherrn (V 20–21).

Wo du dich auch befinden magst, lieber gläubiger Leser, – überall wirst du zu diesem ernsten Kampf, zu diesem edlen Werk berufen. Der Herr will, dass du, gereinigt durch sein Blut, ein treuer Dienstknecht sein, von aller Ungerechtigkeit abstehen und dich von den Gefäßen zur Unehre reinigen sollst. Wie erwiderst du diesen Mahnruf? Trachtest du nach einer engeren Gemeinschaft mit Gott und nach einer größeren Gleichförmigkeit mit Jesu? Fühlst du dich nicht höchst unangenehm berührt bei dem Anblick des kalten und leblosen Bekenntnisses unserer Tage und beim Anschauen des kraftlosen Formenwesens, das mehr und mehr sich geltend macht? – Nun, der Herr zeigt dir den Weg. Du bist ein Anbeter; aber du bist auch ein Arbeiter, ein Dienstknecht Jesu Christi. Tue das, was Er so gern tun sieht. Ruf den Herrn an um ein reines Herz. Reinige dich von den Gefäßen zur Mehre. „Strebe nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden, mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.“ – Trost in der Wüste

Es heulet der Sturm, es treiben die Wellen,

Es dröhnet das Schifflein, als wollt es zerschellen;

Doch siehe! am Steuer mit mächtiger Hand

Sitzt Jesus und führet das Schifflein ans Land. Es schreitet der Pilger mit wankendem Schritte,

Es zeigt die Gefahr sich bei jeglichem Tritte;

Doch siehe! der Heiland, Er schreitet voran.

Tritt nieder die Dornen, macht eben die Bahn. Es stöhnet der Kampfer auf mühsamen Wegen,

Es stürzt sich der Feind mit Wut ihm entgegen;

Doch siehe! der Sieger, der göttliche Held

Hat völlig am Kreuze zur Schau ihn gestellt. Es dringen die Seufzer aus blutendem Herzen,

Es fließen die Tränen, als Zeugen der Schmerzen

Doch siehe! das freundliche Auge des Herrn

Schaut mitleidsvoll nieder. Er tröstet so gern.

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