Botschafter des Heils in Christo 1856

Ich will dich mit meinen Augen leiten

In diesem Psalm sehen wir die Glückseligkeit des Menschen, dessen Übertretungen bedeckt sind, und den Verkehr Gottes mit ihm. Glückselig ist der, dessen Übertretung vergeben, dessen Sünde bedeckt ist (nicht: welcher keine Übertretung hat, oder welcher nicht gesündigt). „Glückselig ist der Mensch, welchem der Herr Ungerechtigkeiten nicht zurechnet und in dessen Geist kein Falsch ist,“ (d. i. die erneuerte Seele). – Es ist wichtig das Werk des Geistes Gottes auf dem Weg, auf welchem die Seele hier geht, zu betrachten. „Deine Hand war schwer auf mir.“ Hier sehen wir das Verfahren Gottes gegen die Seele, welche nicht gänzlich unterworfen ist, um sie in völlige Abhängigkeit und zum aufrichtigen Bekenntnis zu bringen. „Da ich es verschwieg, verschmachteten meine Gebeine durch mein Heulen den ganzen Tag; denn deine Hand war Tag und Nacht schwer auf mir; mein Saft wurde verwandelt in Sommerdürre. Ich bekenne dir meine Sünde und verhehle meine Missetat nicht. Ich sprach, ich will dem Herrn meine Übertretung bekennen, da vergabst du mir die Ungerechtigkeit meiner Sünde“ (V 3–5) Dies ist immer wahr, wenn des Herrn Hand auf jemand liegt, bis das Böse vor Gott anerkannt wird; und dann ist Vergebung der Ungerechtigkeit da. Es ist wichtig, dass wir das Verfahren Gottes gegen unsere Seelen, in Betreff der Vergebung verstehen. Wo nicht Bekenntnis der Sünde, wo selbst von irgend einer bestimmten Sünde nicht ein wahres Bekenntnis ist, da ist auch keine Vergebung, – die Seele hat kein wirkliches Bewusstsein von der Vergebung. Wir finden, dass David (Ps 51) als er seine Sünde bekannte, sagt: „Siehe ich bin in Ungerechtigkeit geboren und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen;“ doch spricht er nicht bloß so im Allgemeinen, sondern er bekennt auch (V 1–4) das besondere Böse, welches er tat. Er erkannte die Wurzel und die Quelle der Sünde. Wenn das natürliche Herz dahin gebracht wird, die Hand Gottes zu erkennen, so handelt es sich nicht nur um eine besondere Sünde, oder um eine besondere Ungerechtigkeit, wofür sie Vergebung bedarf, sondern Gott bringt die Seele durch das Werk seines Geistes dahin, die Quelle der Sünde zu erkennen und wo diese und nicht bloß eine besondere Sünde wahrhaft erkannt und bekannt wird, da ist eine wirkliche Wiederherstellung der Seele. In diesem Psalm aber gibt es noch etwas viel Tieferes, sowohl in seinen praktischen Folgen als auch in dem Verfahren des Herrn, selbst tiefer als wir zu denken vermögen. Frei gemacht von den Dingen, welche uns hinderten mit Gott zu verkehren, lernt die Seele jetzt auf Gott sich stützen, anstatt auf diese Dinge, welche so zu sagen, die Stelle Gottes vertraten. „Dafür wird dich jeder Heilige bitten zur rechten Zeit; ja wenn große Wasserfluten kommen, werden sie ihn nicht anrühren. Du bist mein Schirm; du wirst mich vor Angst bewahren, du umgibst mich mit Gesängen der Befreiung“ (V 6–7). Da ist ihre Zuversicht. Jetzt folgt das, was mehr den besonderen Gegenstand unserer Betrachtung ausmacht: „Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du wandeln sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten. Seid nicht gleich einem Ross, gleich einem Maultier, welches keinen Verstand hat, welchem man Zaum und Gebiss in das Maul legen muss, weil sie nicht zu dir nahen“ (V 8–9). Wir waren oft wie das Ross oder das Maultier, ein jeglicher von uns; unsere Seelen wollten nicht vorwärts. Wenn es etwas gibt, worin der Wille des Menschen wirksam ist, so verfährt der Herr mit uns wie mit einem Ross, oder Maultier, Er hält uns zurück. Wenn jeder Teil unseres Herzens mit Ihm in Berührung ist, so leitet Er uns mit seinen Augen. „Die Lampe des Leibes ist das Auge. Wenn dein Auge einfältig ist, so ist auch dein ganzer Leib licht; wenn es aber böse ist, so ist auch dein Leib finster. Siehe nun zu, dass das Licht, das in dir ist, nicht Finsternis sei. Wenn nun dein ganzer Leib licht ist, und keinen finsteren Teil hat, so wird er ganz licht sein, wie wenn die Lampe mit dem Schein dich erleuchtete“ (Lk 11,34-36). Wenn es irgendetwas gibt, worin das Auge nicht einfältig ist, und solange es etwas gibt, wird kein völlig freier Umgang mit Gott in unserem Herren, in unseren Neigungen und Gefühlen stattfinden – unser Wille wird nicht unterworfen sein, und wir werden uns auch nicht einfach von Gott leiten lassen. Wenn das Herz in der rechten Stellung ist, so ist der ganze Leib „voll von Licht,“ und wir befinden uns in einer völligen Hingabe an den Willen Gottes. Er lehrt uns jetzt durch sein Auge, und bringt in uns das Wohlgefallen an seiner Furcht hervor (Jes 11,8). Dies ist unser Teil: weil der Heilige Geist wohnend in uns ist, nämlich „Wohlgefallen an der Furcht Gottes zu haben,“ worin nur ein Gegenstand, der Wille und die Ehre Gottes, Raum findet. Dieses gerade sehen wir an Christus: „Siehe, ich komme (in der Rolle des Buchs steht von mir geschrieben) deinen Willen, o Gott, zu tun“ (Ps 40,7-8; Heb 10,7). Da wo dieses ist, da ist auch, selbst wenn wir noch so bittere und schmerzliche Umstände auf dem Weg antreffen, immer die Freude des Gehorsams, und bei dieser Freude können wir sagen: Gott „leitet uns mit seinen Augen.“

Es bleibt stets beachtenswert für uns, zu wissen, ob wir uns, ehe wir irgendetwas tun, ehe wir in einen besonderen Dienst eintreten, in Unterwürfigkeit vor Ihm befinden. Lasst uns die völlige Gewissheit darin stets suchen und alles in unseren Herzen richten, was uns daran hindert. Bin ich ohne diese Gewissheit in diesem oder jenem Werk beschäftigt, und ich stoße auf Schwierigkeiten, so werde ich bald anfangen, unsicher zu werden, weil ich nicht weiß, ob dieses nach Gottes Willen ist oder nicht; und dann werde ich schwach und entmutigt sein. Andererseits aber, wenn ich in der Gewissheit des göttlichen Willens und in der Gemeinschaft mit Ihm handle, werde ich immer „mehr als Überwinder sein,“ was sich mir auch in den Weg stellen mag; und der Herr wirkt auch innerlich und will mich nicht etwas außer seinem Weg finden lassen, sondern nur da, wo wir uns im Geist des Gehorsams befinden. Was könnte dies auch helfen, Gott würde für seine eigene Unehre behilflich sein. „Wenn jemand will seinen Willen tun,“ sagt der Herr, „der wird von der Lehre wissen, ob sie aus Gott ist, oder ob ich von mir selber rede“ (Joh 7,17). Dies ist völlig der Gehorsam des Glaubens. Das Herz muss in der Stellung des Gehorsams sein, wie Christus war: „Siehe, ich komme usw.“ Der Apostel spricht zu den Kolossern: „… dass ihr mit der Erkenntnis seines Willens in aller Weisheit und geistigem Verständnis; erfüllt sein möget“ (Kol 1,9). Hier ist das Wohlgefallen an der Furcht des Herrn; es ist der Zustand der Seele eines Menschen; und der Geist der Gesinnung muss sich aber auch notwendiger Weise in der äußeren Handlung offenbaren, wenn jener Wille stets vor ihm ist, wie Paulus fortfährt zu sagen: „ – um des Herrn würdig zu allem Wohlgefallen zu wandeln, in allem guten Werk fruchtbringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes“ (V 10).

Hier haben wir den gesegneten und freudigen Zustand, wo wir mit Gottes Augen geleitet werden. „Ich habe Speise zu essen,“ sagt der Herr zu seinen Jüngern, „welche ihr nicht kennt“ (Joh 4,32). Und was war jene Speise? „Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe“ (V 33). Der Herr leitet, oder besser, wacht über uns auch auf einem anderen Weg; wir werden durch allerlei Umstände seine stete Sorge um uns erfahren, damit wir keinen Schaden nehmen; aber wir sind denen gleich, die keinen Verstand haben. Und sind wir in dieser Stellung auch dankbar, dass Er also tut? Wir gleichen vielmehr dem Ross und dem Maultier. Er aber sagt: Dein Wille muss dem meinen unterworfen sein, und ich will dich leiten mit meinen Augen; aber wenn ihr nicht unterworfen seid, so muss ich euch Zaum und Gebiss einlegen. Dies ist augenscheinlich sehr verschieden.

Mögen unsere Herzen doch wünschen, Gottes Willen zu erkennen und zu tun. Es wird dann nicht so viel die Frage sein, was dieser Wille ist, sondern wir werden den Willen Gottes wissen und tun; und dann haben wir das völlige und gesegnete Bewusstsein, dass Er uns mit seinen Augen leitet. Dies ist das Walten Gottes über Die, deren Übertretung vergeben, deren Sünde bedeckt ist, welchen der Herr Ungerechtigkeiten nicht zurechnet und in deren Geist kein Falsch ist, – über die, welche ihr ganzes Vertrauen auf Ihn gesetzt haben, und welche fühlen, dass sie ohne seine Leitung gewiss irren würden.

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