Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Kapitel 8

Betrachtung über Apostelgeschichte (Synopsis)

Nach dem Tod des Stephanus bricht die Verfolgung aus. Der Sieg, erlangt durch einen Hass, dem die Vorsehung die Erfüllung seines Zweckes zugelassen, öffnet die Schleusen für die Gewalttätigkeit der jüdischen Leiter, der Feinde des Evangeliums. Da das Hemmnis, das sie zurückhielt, einmal beseitigt ist, überströmen die Fluten der Leidenschaft auf allen Seiten ihre Ufer. Man wird oft zurückgehalten durch einen kleinen Überrest von Gewissen, durch Gewohnheiten, durch einen gewissen Begriff von den Rechten anderer; aber wenn die Dämme durchbrochen sind, so befriedigt sich der Hass (der Geist des Mordes im Herzen), wenn Gott es zulässt, durch Handlungen, die klar ans Licht stellen, was der Mensch ist, sobald er sich selbst überlassen wird. Allein all dieser Hass erfüllt den Willen Gottes, in dem der Mensch vielleicht auf andere Weise gefehlt haben würde, und den er in einigen Beziehungen nicht ausführen konnte oder es sogar nicht sollte, d. h. den Willen Gottes in unumschränktem Gericht. Die Zerstreuung der Versammlung war ein Gericht über Israel. Gewiss würden die Jünger es schwierig gefunden haben, dieses Gericht sich durch Mitteilung größeren Lichtes zu erklären und es zu vollziehen; denn was auch die Segnung und Energie in dem Kreis, worin der Geist Gottes wirkt, sein mögen, so sind doch die Wege Gottes in der Leitung aller Dinge in seiner eigenen Hand.

Die ganze Kirche also, mit Ausnahme der Apostel, ist zerstreut. Es ist auch fraglich, ob die Apostel recht taten, in Jerusalem zu bleiben, und ob ein einfacherer Glaube sie nicht hätte weggehen lassen und auf diese Weise der Kirche mancher Kampf und manche Schwierigkeit erspart worden sei, die mit der Tatsache, dass Jerusalem fortdauernd ein Mittelpunkt von Autorität blieb, in Verbindung standen 1.

Der Herr hatte sogar im Blick auf Israel den Aposteln gesagt: „Wenn sie euch in einer Stadt verfolgen, so flieht in eine andere“, und nach seiner Auferstehung befiehlt Er ihnen, hinzugehen und alle Völker zu Jüngern zu machen. Diesen letzten Auftrag finden wir in der Apostelgeschichte und in dem Werk unter den Nationen nicht ausgeführt. Er wurde, wie wir in Galater 2 sehen, durch eine besondere, zu Jerusalem getroffene Übereinkunft in die Hände Pauli gelegt und so auf einen neuen Boden gesetzt. Das Wort sagt nichts von der Erfüllung dieser Mission der Zwölfe unter den Nationen, ausgenommen die kurze, allgemeine Andeutung in Markus 16, 20. Gott wirkte kräftig in Petrus unter der Beschneidung und in Paulus unter den Nationen (siehe Gal 2, 8). Es mag gesagt werden, dass die Zwölfe nicht verfolgt worden seien. Es ist möglich, und ich sage nichts Bestimmtes über diesen Punkt; doch ist es gewiss, dass die Stellen, die ich angeführt habe, wo der Herr von der Mission der Zwölfe unter den Nationen spricht, nicht ihre Erfüllung finden in der Geschichte der Bibel, und dass statt dessen, was der Herr vorschrieb, eine andere Anordnung, ein anderer Gang der Dinge stattfand, und dass die jüdischen Vorurteile wirklich einen Einfluss ausübten, der aus dieser Zusammenziehung zu Jerusalem entsprang – ein Einfluss, von dem sich zu befreien selbst Petrus die größte Schwierigkeit hatte.

Die Zerstreuten nun gingen umher und verkündigten das Wort, doch nur den Juden, bis etliche Männer von ihnen nach Antiochien kamen (Apg 11,19+20). Philippus aber ging hinab in eine Stadt Samarias und predigte ihnen den Christus und wirkte Wunder (V. 5 ff.). Alle achteten auf das, was er redete, und wurden sogar getauft. Ein gewisser Mann, der das Volk von Samaria bis dahin lange Zeit mit seinen Zaubereien außer sich gebracht hatte, so dass sie sagten, „dieser ist die große Macht Gottes“ – auch dieser unterwarf sich einer Macht, die seine falschen Wunder verdunkelte, und die ihn um so mehr von ihrer Wirklichkeit überführte, als er sich der Falschheit seiner eigenen bewusst war. Die Apostel machen keine Schwierigkeit hinsichtlich Samarias. Sie schicken Petrus und Johannes hin, die ihnen die Hände auflegen, und sie empfangen den Heiligen Geist. Die Geschichte Jesu muss ihnen in dieser Hinsicht Licht gegeben haben. Überdies waren die Samariter keine Heiden. Auch war es ein Hellenist, der dort das Evangelium predigte.

Eine neue Wahrheit tritt hier in Verbindung mit dem regelmäßigen Wachstum der Kirche hervor, nämlich, dass die Apostel den Heiligen Geist durch Gebet und Auflegung der Hände erteilen: eine sehr wichtige Tatsache in der Geschichte der Wege Gottes (V. 14–19). Außerdem war Samaria eine Eroberung, die die ganze Energie des Judentums nie zu machen imstande gewesen war. Seine Bekehrung war ein neuer und glänzender Triumph für das Evangelium. Die geistliche Unterwerfung der Welt gehörte der Kirche an. Jerusalem war beiseite gesetzt; sein Tag war in dieser Hinsicht vorüber. Gleichwohl werden das Ansehen der Apostel und das Band der Einheit, das die anderen Christen mit der Versammlung in Jerusalem verknüpfte, aufrechterhalten. Die Gegenwart der Macht des Heiligen Geistes, die in Petrus wirkte, bewahrte die Kirche bis jetzt vor dem Eindringen der Heuchler, der Werkzeuge Satans. Die große und mächtige Tatsache, dass Gott da war, offenbarte sich und machte die Finsternis sichtbar, die die Umstände verborgen hatten. Von der starken Strömung fortgerissen, hatte Simon hinsichtlich seiner Einsicht der Autorität Christi nachgegeben, dessen Name durch den Dienst des Philippus verherrlicht worden war. Aber der wahre Zustand seines Herzens, das Verlangen nach seinem eigenen Ruhm, der völlige Gegensatz zwischen seinem moralischen Zustand und jedem göttlichen Grundsatz und Licht, verrät sich in Gegenwart der Tatsache, dass ein Mensch die Macht verleihen kann, deren Wirkungen er gesehen hatte. Er wünscht, diese Macht mit Geld zu erkaufen. Welch ein Gedanke! Der Unglaube, der ganz zu verschwinden scheint, so dass die Dinge Gottes äußerlich angenommen werden, verrät sich auf diese Weise durch eine Handlung, die Gott – für den, der den Geist hat – so gänzlich zuwider ist, dass der wahre Charakter derselben sogar einem Kind, das von Gott selbst belehrt ist, offenbar wird.

Samaria, wo das Werk die Frucht der unabhängigen Handlung war, von der wir gesprochen haben, wird also mit dem Mittelpunkt des Werkes zu Jerusalem, wo sich noch die Apostel befanden, in Verbindung gebracht. Schon die Mitteilung des Heiligen Geistes an die Samariter war ein unermesslicher Schritt in der Entwicklung der Kirche. Ohne Zweifel wurden sie beschnitten, erkannten sie das Gesetz an, obwohl der Tempel in einem gewissen Grad seine Wichtigkeit verloren hatte. Die Kirche, der Leib von Gläubigen, wurde mehr befestigt, und dies war, insofern sie sich noch an Jerusalem hielten, ein wirklicher Gewinn; denn Samaria trat durch die Annahme des Evangeliums mit ihrer früheren Nebenbuhlerin in Verbindung, insofern es die Apostel selbst waren, und unterwarf sich ihr. Wahrscheinlich gingen die Apostel während jener Verfolgungszeit nicht in den Tempel. Gott hatte ihnen außerhalb eine weite Tür geöffnet und ihnen mit ihrem Werk einen reichen Ersatz gegeben für den Erfolg der Leiter Israels, die dasselbe in Jerusalem unterdrückt hatten; denn die Kraft des Geistes war mit ihnen. Mit einem Wort, das, was hier dargestellt wird, ist die freie Energie des Geistes, die in anderen Personen wirkt als den Aposteln, und zwar außerhalb Jerusalems, das seinerseits diese Energie und diese Wirksamkeit verworfen hatte. Zugleich finden wir hier die Aufrechterhaltung der Beziehungen der Neubekehrten mit den Aposteln und mit Jerusalem, und zwar durch die Vermittlung der Apostel sowie durch die Autorität und Macht, womit sie bekleidet waren.

Petrus und Johannes kehren, nachdem sie ihr Werk vollbracht und in mehreren Dörfern der Samariter das Evangelium verkündigt haben, nach Jerusalem zurück (V. 25).

Das Werk nach außen hat seinen Fortgang, und zwar durch andere Mittel. Philippus, der den Charakter eines pünktlichen und nicht zweifelnden Gehorsams in Einfalt des Herzens zeigt, wird berufen, sein gesegnetes Werk, womit seine ganze persönliche Wichtigkeit (wenn er dieselbe gesucht hätte) verbunden, und in dem er mit Achtung und Liebe umgeben war, zu verlassen. „Gehe“, sagte der Engel des Herrn, „gegen Süden auf den Weg, der von Jerusalem nach Gaza hinabführt“ (V. 26). Es war eine Wüste. Der bereitwillige Gehorsam des Philippus denkt nicht an den Unterschied zwischen Samaria und Gaza, sondern an den Willen des Herrn, und er geht. Das Evangelium breitet sich jetzt aus bis zu den Proselyten aus den Nationen und bahnt sich einen Weg bis zum Mittelpunkt Abessiniens. Der Schatzmeister der Königin wird unter die Jünger des Herrn aufgenommen durch die Taufe, die seinen Glauben an das Zeugnis des Propheten Jesaja besiegelte. Er zieht seinen Weg, indem er sich des Heils erfreut, für welches er, um es in Jerusalem zu suchen, eine so beschwerliche Reise aus fernem Land unternommen hatte. Ein schönes Gemälde von der Gnade des Evangeliums! Der Eunuch trägt das, was die Gnade ihm in der Wüste verliehen und was seine schwierige Reise nach Jerusalem ihm nicht verschafft hatte, für sich selbst davon und bringt es in seine Heimat. Die armen Juden, die das Zeugnis aus Jerusalem vertrieben hatten, sind außerhalb aller Segnung. Der Geist des Herrn führt den Philippus weit weg, und er wird zu Asdod gefunden (V. 39. 40), denn alle Macht des Herrn steht dem Sohn des Menschen zu Diensten, um das Zeugnis seiner Herrlichkeit zu erfüllen. Philippus verkündigt das Evangelium in allen Städten, bis er nach Cäsarea kommt.

Fußnoten

  • 1 Dies verhindert in keiner Weise die Offenbarung der unumschränkten Weisheit Gottes. Die Entfaltung der Lehre von der Kirche in ihrer Einheit und als der Leib Christi war nur um so vollkommener und unvermischter, wie wir sie durch Paulus gelehrt finden, der außerhalb des Judentums durch die Offenbarung eines himmlischen Christus berufen worden war. Auch bringen diese Wege der unumschränkten Weisheit Gottes durchaus keine Veränderung in der Verantwortlichkeit des Menschen hervor. Ebenso wurde die äußere Einheit der Kirche bewahrt durch die unterhaltende Verbindung zwischen Jerusalem und den anderen Orten, bis das Werk unter den Nationen außerhalb des Judentums diese Verbindung überaus schwierig und unsicher machte. Dies stellt die Gnade und Weisheit Gottes nur umso augenscheinlicher dar.
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