Der Segen Jakobs

Issaschar

2.5. Issaschar, ein knochiger Esel

„Issaschar ist ein knochiger Esel, der sich lagert zwischen den Hürden. Und er sieht, dass die Ruhe gut und dass das Land lieblich ist; und er beugt seine Schulter zum Lasttragen und wird zum fronpflichtigen Knecht“ (1. Mo 49,14.15).

2.5.1. Der Welt dienen

Issaschar wird vielleicht am besten als jemand charakterisiert, der seine Bequemlichkeit und seinen Vorteil sucht. Er erwirbt Ruhe und Reichtum, doch dafür muss er auch einen Preis bezahlen. Dieser Preis ist seine eigene Freiheit, denn er bekommt seine Wohlfahrt durch den Dienst gegenüber Fremden. Das Bild eines Lasttieres, das dazu bestimmt ist, Lasten für andere zu tragen, ist außerordentlich treffend, um dies zu illustrieren. Issaschar wird hier mit einem knochigen Esel verglichen. Er ruht aus zwischen den Hürden (V. 14b). Letzteres Wort bereitet einige Schwierigkeiten; es ist auf unterschiedliche Weisen übersetzt worden, u.a. mit „Packen“, „Landesgrenze“, „Zäune“, „Schafställe“ und „Herden“. Das Wort kommt nur hier und in Richter 5,16 in demselben Sinn und Zusammenhang vor und scheint auf Umzäunungen für das Vieh hinzuweisen.

So wie ein Esel einen geeigneten Platz sucht, um auszuruhen, so hatte der Stamm Issaschar einen günstig gelegenen Ruheort im Land Kanaan gefunden. Die Ebene von Jisreel gehörte zu seinem Stammesgebiet, und dadurch verlief eine wichtige Handelsverbindung von Phönizien nach Süden. Issaschar befand sich also in einer schwierigen Lage, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. Er hat an diesem Handelsverkehr im Dienst der Völker teilgenommen. Der Ruheort, den er gefunden hatte, war gut, und das Land war lieblich (V. 15a), doch das hatte zur Folge, dass er sich unter das Joch der Völker beugen musste (V. 15b). Die Bezeichnung „fronpflichtiger Knecht“ weist sogar auf Zwangsarbeit hin, die er verrichten musste (Jos 16,10; 1. Kön 9,21).

Die Situation, in der Issaschar sich befand, war im völligen Gegensatz zu der Absicht Gottes mit seinem auserwähltes Volk. Israel war ja gerade dazu berufen, die Völker zu unterwerfen. Nach 5. Mose 28,1.13 sollte es über alle Völker der Erde erhaben sein, zum Haupt und nicht zum Schwanz gemacht werden. Doch das war vom Gehorsam Israels gegenüber den Geboten Gottes abhängig, und die Rollen würden vertauscht werden, wenn es Ihn verlassen würde. Dann würde der Fluch sie treffen und würden sie den Völkern dienen müssen. Die Fronarbeit war somit eine Schande für Issaschar und war eine Umkehrung der normalen Beziehungen zwischen Israel und den Völkern (siehe auch Ri 1).

Wenn dieser Punkt einmal klar ist, wird es uns nicht schwer fallen, die prophetische und geistliche Bedeutung dieses Spruches zu begreifen. Issaschar ist ein Bild von Israel in der Phase seiner Geschichte, wo es den Völkern unterworfen und tatsächlich nicht mehr war als ein fronpflichtiger Knecht. Die Hinwendung zu den Völkern, die wir bereits bei Sebulon sahen, führte unmittelbar zur Unterwerfung unter die Völker. Und das ist vermutlich der Grund, weshalb bei diesen Sprüchen die Reihenfolge Sebulon/Issaschar gebraucht wird, abweichend von der normalen Rangfolge entsprechend der Geburt, wie wir sie häufig in der Schrift finden (u.a. in 1. Mo 30; 2. Mo 1; 4. Mo 1 und 2; Hes 48; Off 7).

Geschichtlich gesehen fand diese Unterwerfung unter die Völker nach der großen Blütezeit während der Regierung Davids und Salomos statt. Doch nach dem Kommen und der Verwerfung Christi, des wahren Schilo, hat sich diese Erscheinung wiederholt. Israel ist unter die Völker zerstreut und ein wichtiges Handelsvolk geworden, meistens im Dienst fremder Herrscher. Es ist interessant, dass wir in der Bedeutung des Namens Issaschar (d.h. Lohn) auch eine Anspielung darauf finden können. Israel ist in ein „Lohn-Verhältnis“ zu den Nationen gekommen.

Die geistliche Belehrung für uns liegt auf der Hand. Wenn wir uns mit der Welt einlassen und unsere Fremdlingschaft vergessen, kommen wir unvermeidlich in die Einflusssphäre der Welt und wird diese über uns zu herrschen beginnen. Die prophetische Geschichte der Kirche in Offenbarung 2 und 3 bestätigt dies. Pergamus hat sich in einer götzendienerischen Welt niedergelassen - so wie Sebulon sich zum götzendienerischen Sidon hin orientierte - und droht dadurch beherrscht zu werden. Die Folge ist, dass man dem Irrtum Bileams verfällt und für Lohn Freundschaft mit der Welt schließt (Off 2,14; 2. Pet 2,15; Jud 11). Der Judasbrief zeigt uns, dass dieser Weg des Verfalls auf den öffentlichen Abfall und Aufstand gegen Gott hinausläuft. In den Sprüchen Jakobs erreichen wir diese Endphase mit dem Stamm, der auf Issaschar folgt, nämlich Dan, in dem die Macht der Schlange völlig offenbar wird.

2.5.2. Wahrer christlicher Dienst

Doch wir dürfen diese ernsten Dinge nicht nur allgemein auf die Geschichte des Volkes Gottes anwenden. Gott spricht dadurch auch zu uns persönlich. Wie viele Diener Gottes dienen in Wirklichkeit nicht der Welt? Paulus jedoch wollte kein Sklave der Menschen sein, sondern strebte danach, allein Gott zu gefallen (Gal 1,10). Issaschar war ein Werkzeug im Dienst anderer. Wie steht es damit bei uns? Sind wir wirklich Instrumente in der Hand des Herrn, oder lassen wir uns durch andere oder durch menschliche Erwägungen leiten?

Ich sehe in 1. Mose 49 zwei Gegensätze bei dem Lasttier von Vers 14, das Issaschar vorbildet. In Vers 11 finden wir einen Esel, der Schilo zur Verfügung steht. So dürfen wir Werkzeuge sein, die ausschließlich für den Meister bestimmt sind (vgl. Lk 19,30.31). In Vers 21 sehen wir eine losgelassene Hindin. Dies redet von der Freiheit nach der Gefangenschaft. Wenn Gott mit seiner Rettung erscheint, verändert sich die Knechtschaft Issaschars in die Freiheit Naphtalis.

Es ist ein reicher Segen, in der Freiheit stehen zu dürfen, mit der Christus uns frei gemacht hat. Dann sind wir keine Knechte von Fremden, sondern dienen Ihm allein. Dann gehören wir zu den Überwindern von Offenbarung 2 und 3, die ihren Lohn nicht von der Welt, sondern von Christus erwarten. Es ist allein die Kraft des Glaubens, womit wir über die Welt triumphieren können (1. Joh 5,4). Issaschar war zwar ein starker Esel, aber natürliche Kraft kann uns nicht helfen (2. Mo 13,13). Lasst uns das nicht vergessen und allein das Joch Christi auf uns nehmen.

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