Der Segen Jakobs

Simeon und Levi

2.2. Simeon und Levi, Geschwister in der Gewalttat

„Simeon und Levi sind Brüder, Werkzeuge der Gewalttat ihre Waffen. Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung! Denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt. Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam! Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (1. Mo 49,5-7).

2.2.1. Die Brüder im Bösen

Der zweite Spruch Jakobs ist vom Aufbau her dem ersten sehr ähnlich, weil wir hier erneut das Motiv der Schuld und Strafe erkennen. Während Ruben seine Begierde nicht im Zaum halten konnte und mit Bilha Ehebruch trieb, haben Simeon und Levi sich einer öffentlichen Gewalttat an den Bürgern von Sichem schuldig gemacht. Jakob spielt somit zum zweiten Mal auf eine frühere Begebenheit aus seinem Leben an. Diese Begebenheit wird ausführlich in 1. Mose 34 berichtet. Dina, die Tochter Jakobs, war vom Sohn des Stadtfürsten von Sichem entehrt worden. Er will sie gern heiraten und macht den Vorschlag, dass die Söhne Jakobs sich mit den Bürgern von Sichem verschwägern sollen. Darauf antworten die Söhne Jakobs betrügerisch, dass dies nur möglich sei, wenn die Männer von Sichem sich beschneiden lassen. Die Beschneidung findet tatsächlich statt, und nachdem die Männer von Sichem infolge dieses Eingriffs ernsthaft geschwächt sind, werden sie plötzlich von Simeon und Levi überfallen und getötet. Anschließend wird die Stadt geplündert, und die Söhne Jakobs ziehen mit reicher Beute davon. Das Kapitel endet mit einem Protest, den Jakob dagegen vorbringt. Er sagt zu Simeon und Levi, dass sie ihn ins Unglück gestürzt haben, doch sie rechtfertigen sich mit den Worten: „Sollte man unsere Schwester wie eine Hure behandeln?“ (1. Mo 34,31).

In 1. Mose 49 kommt Jakob darauf zurück und nimmt noch einmal sehr deutlich Abstand von der Gewalt, die seine beiden Söhne geübt hatten. Sie waren Brüder im Bösen (V. 5a). Simeon und Levi waren der zweite bzw. der dritte Sohn Leas; und natürlich waren sie somit Brüder im buchstäblichen Sinn des Wortes. Doch darum geht es Jakob hier nicht. Er will sagen, dass sie denselben Charakter zeigten und eins waren in ihrer Handlungsweise. Darum spricht er sie in diesem Kapitel auch gemeinsam an. Eigentlich spricht er sie nicht direkt an, denn er benutzt die dritte Person und sagt somit etwas über sie in Gegenwart all seiner Söhne. Sie können alle etwas daraus lernen. Doch obwohl jeder von ihnen seinen eigenen Spruch und Segen bekommt (V. 28), werden Simeon und Levi auf einen Nenner gebracht. Sie waren Brüder, nicht im Guten, sondern im Bösen. Psalm 133 spricht über den Segen brüderlicher Gemeinschaft: „Siehe, wie gut und wie lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ (V. 1). Bei Simeon und Levi ist diese Gemeinschaft jedoch auf eine grauenvolle Weise in einen Komplott entartet, den sie offensichtlich gemeinsam gegen die Bürger von Sichem geschmiedet haben. In Vers 6a spricht Jakob über ihren „Rat“ und ihre „Versammlung“, wovon er sich nachträglich distanziert. Von einer derartigen Gemeinschaft im Bösen will er sich fernhalten.

Der Angriff auf die Bürger von Sichem war daher ein Anschlag mit wohlbedachtem Rat. Simeon und Levi wussten sehr genau, was sie taten. Es war eine gut vorbereitete Aktion, die sie ausführten, um sich an den Bürgern von Sichem zu rächen. Die Mittel, die sie dazu gebrauchten, waren „Werkzeuge der Gewalttat“ (V. 5b). Welche Waffen es auch gewesen sein mögen - manche denken an Schwerter, andere an Hacken - es waren in jedem Fall „Waffen der Finsternis“ und „Werkzeuge der Ungerechtigkeit.“ Der Christ wird dazu aufgerufen, diese Waffen abzulegen und die Waffen des Lichts anzuziehen (vgl. Röm 6,13; 13,12). Der Eifer der Söhne Jakobs wäre einer besseren Sache würdig gewesen. Doch wie steht es mit uns? Gebrauchen wir die „Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken“ (2. Kor 6,7)? Sind die Waffen unseres Kampfes „nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig“ (2. Kor 10,4)?

2.2.2. Absonderung vom Bösen

Während die Sünde Rubens die Begierde war, gebrauchten Simeon und Levi Werkzeuge der Gewalt. Dies sind die beiden Grundsätze des Bösen seit dem ersten Beginn der Menschheitsgeschichte. Einerseits: innere Verdorbenheit (in der Gestalt der Begierde oder des Betrugs) und andererseits: äußere Gewalttätigkeit. Eva sündigte, indem sie von der Frucht des Baumes der Erkenntnis des Guten und Bösen zu essen begehrte. Kain übte Gewalt und wurde der erste Mörder. Häufig ist es jedoch so, dass beide Grundsätze des Bösen Hand in Hand gehen. So finden wir bei den Söhnen Jakobs beide Kennzeichen des Bösen: Sie redeten zuerst betrügerisch mit den Bewohnern von Sichem und schmiedeten einen Komplott, und danach bahnte sich ihre Bosheit einen Ausweg in rücksichtsloser Gewalt. Sowohl Menschen als Tiere bekamen es zu spüren: „Denn in ihrem Zorn haben sie den Mann erschlagen und in ihrem Mutwillen den Stier gelähmt“ (V. 6b). Letzteres wird nicht in 1. Mose 34 erwähnt, wo wir lediglich lesen, dass das gesamte Vieh zur Beute gemacht wurde. Das eine schließt das andere nicht aus. Bei einer solchen Racheaktion - und dies ist es gerade, was Jakob anprangerte - kann alles geschehen.

Jakob verurteilt also öffentlich das Böse seiner Söhne. Das ist nicht immer einfach, bestimmt nicht für einen Vater! Doch der Erzvater nimmt seine Kinder hier nicht in Schutz und versucht auch nicht, ihre Schuld abzuschwächen. Er versucht nicht, das Böse gutzuheißen (vgl. Jes 5,20), sondern nennt es beim Namen. Wir sehen hier auch die Notwendigkeit der Absonderung vom Bösen: „Meine Seele komme nicht in ihren geheimen Rat, meine Ehre vereinige sich nicht mit ihrer Versammlung!“ (V. 6a). Der Gerechte wandelt nicht im Rat des Gottlosen, und das Licht hat keine Gemeinschaft mit der Finsternis. In der Schrift finden wir viele Beispiele, die dies illustrieren (siehe u.a. 4. Mo 16,23-27; 2. Kor 6,14-18; 2. Tim 2,19-22 ; Off 18,4). Jakob spricht hier über seine Seele und seine Ehre (o. Herz), die er vor der Befleckung mit dem Bösem - das einen Menschen nur entehren und zur Schande machen kann - bewahren möchte.

Das Urteil, das Jakob ausspricht, geht ist sehr weit (V. 7). Dieser Vers enthält eine Verfluchung und eine Vergeltungsmaßnahme. Die Verfluchung gilt glücklicherweise nicht Simeon und Levi selbst, sondern ihrem Zorn und ihrem Grimm: „Verflucht sei ihr Zorn, denn er war gewalttätig, und ihr Grimm, denn er war grausam!“ (V. 7a). Anders als in 1. Mose 3,14, wo ein Fluch über die Schlange ausgesprochen wird, und in Richter 5,23, wo die Bewohner von Meros verflucht werden, bezieht sich die Verfluchung Jakobs also allein auf die Äußerungen der Bosheit, die er bei Simeon und Levi feststellte. Nebenbei bemerkt: So handelt Gott auch mit seinen Kindern, denn Er liebt uns und will uns segnen, doch Er muss das Böse in uns verurteilen.

Die Söhne Jakobs hatten zwar versucht, ihrem Auftreten einen schönen Schein zu geben, indem sie sich als Beschützer der Ehre ihrer Schwester darstellten (vgl. 1. Mo 34,31), doch Jakob entlarvt hier ihre wirklichen Motive. Sie ließen sich durch Zorn und Mutwillen leiten (V. 6b), durch reine Rachsucht, die sie zu grober Gewalt antrieb. Es war durchaus kein heiliger Zorn, der sie trieb, sondern ein sündiger und bösartiger Drang. Heiliger Zorn ist möglich und kann an seinem Platz sein, aber er kann auch sehr leicht in eine Äußerung des Fleisches entarten. Davor warnt Paulus: „Zürnt, und sündiget nicht. Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, und gebet nicht Raum dem Teufel“ (Eph 4,26.27).

2.2.3. Ich werde sie zerstreuen

Auf die Verfluchung folgt dann die Vergeltungsmaßnahme: „Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (V. 7b). Ich habe bereits gesagt, dass die Verurteilung, die Jakob ausspricht, sehr weit geht. Es ist ein Urteil mit weitreichenden Konsequenzen. Die Folgen des Bösen, das Simeon und Levi verübt hatten, blieben nicht auf sie selbst beschränkt, sondern erstreckten sich bis auf ihre Nachkommen. Vielleicht haben wir, die wir in der Gnadenzeit leben, manchmal die Neigung, den Ernst der Regierungswege Gottes abzuschwächen. Doch auch für uns gilt, dass Gott sich nicht spotten lässt: „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! Denn was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7). „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Heb 12,29).

Natürlich ist es in erster Linie so, dass jemand für seine eigenen Sünden büßen muss und die Folgen dessen tragen muss, was er verbrochen hat. Ein Gläubiger kommt nicht mehr ins ewige Gericht, weil Christus das an seiner Stelle bereits getragen hat (Joh 5,24), doch solange er auf der Erde ist, hat er durchaus mit der Züchtigung des Vaters zu tun (Heb 12,7). Die Regierung Gottes ist eine gnädige Regierung - das sehen wir bereits während der Zeit des Gesetzes -, und in seiner Gnade wird Er die Folgen unserer Abweichungen oft mildern. Wir werden dies auch im Fall Simeons und Levis sehen. Doch dass Er regiert, bleibt eine unumstößliche Tatsache, und in manchen Fällen wird Er die Ungerechtigkeit der Eltern an den Kindern heimsuchen (2. Mo 20,5). Simeon und Levi hatten als Familienhäupter versagt und ihre Nachkommen würden die entsprechenden negativen Folgen zu spüren bekommen.

Simeon und Levi waren Bundesgenossen im Bösen gewesen; sie hatten sich gegen die Bürger von Sichem zusammengeschlossen. Die Strafe besteht nun darin, dass diesem Zusammenschluss der Ungerechtigkeit ein Ende bereitet wird, indem sie unter Israel verteilt und zerstreut werden. Dieses Urteil ähnelt sehr dem Gericht der Sprachenverwirrung nach dem Turmbau in Babel: Dort, wo der Mensch seine Kräfte zum Bösen zusammenbündelte, machte Gott dieses Streben zunichte, indem Er die Menschenkinder verteilte und über die Erde zerstreute (1. Mo 11,1-9).

Es ist bemerkenswert, dass Jakob sich selbst als der Urteilsvollstrecker betrachtet: „Ich werde sie verteilen in Jakob und sie zerstreuen in Israel“ (V. 7b). Dies ist ein deutlicher Beweis dafür, dass wir es hier mit prophetischer Sprache zu tun haben. Gott selbst spricht durch den Mund Jakobs und sagt die Zukunft dieser beiden Stämme Simeon und Levi voraus. Er hat den Lauf der Geschichte in Händen und kann von Anfang an das Ende verkündigen (Jes 46,10). Weiterhin müssen wir bedenken, dass Jakob als Familienhaupt auch mit Autorität von seiten Gottes bekleidet war. Als Repräsentant und Darsteller der Rechte Gottes war es völlig angebracht, dass er auf diese Weise zu seinen Söhnen sprach.

Über die Erfüllung dieser Voraussage besteht keinerlei Zweifel. Wenn wir die Geschichte dieser beiden Stämme untersuchen, sehen wir, dass Simeon und Levi tatsächlich unter Israel zerstreut wurden. Doch es gibt allerdings einen großen Unterschied: Von Simeon als selbständigem Stamm ist nahezu nichts übriggeblieben, während bei Levi der Fluch gerade in einen Segen umgewandelt wurde, und zwar durch seinen Gehorsam gegenüber dem HERRN nach der Sünde mit dem goldenen Kalb (2. Mo 32,25-29; 5. Mo 33,8-11 ). Dies machte die Zerstreuung Levis jedoch nicht ungeschehen! Aber dadurch, dass die Leviten inmitten der übrigen Stämme wohnten, konnten sie im ganzen Land die Gesetze Gottes lehren und so eine privilegierte Stellung unter ihren Brüdern einnehmen. Obwohl die Simeoniter anfänglich sehr zahlreich waren, war ihre Anzahl am Ende der Wüstenreise stark gesunken (wie aus dem Vergleich der Zählungen in 4. Mose 1; 26  ersichtlich ist). Einige Ausleger meinen, dass diese recht starke Verkleinerung des Stammes zusammenhängt mit der Sünde der Simeoniter, die stark in den Götzendienst von Baal-Peor verwickelt waren. Der Israelit, der durch Pinehas getötet wurde, war ein Simeonit. Außerdem starben 24.000 Israeliten - möglicherweise viele von ihnen vom Stamm Simeons - an einer Plage noch an demselben Tag (4. Mo 25,6-18).

Im Segen Moses wird Simeon nicht einmal mehr erwähnt. Bei der Verteilung des Landes Kanaan zur Zeit Josuas bekam dieser Stamm kein besonderes Erbteil, sondern eine Anzahl Städte inmitten des Erbteils der Judäer (Jos 19,1-9). Das Los Simeons ist daher auch eng mit dem von Juda verbunden. Wir sehen sie zusammen gegen die Kanaaniter hinaufziehen, um das ihnen zugeteilte Gebiet zu erobern (Ri 1,3.17). Und weil die Simeoniter im Stammesgebiet Judas wohnten - darin „zerstreut“ waren -, sind sie später auch größtenteils in diesem Stamm aufgegangen. Als David König wurde, verloren sie ihre eigenen Städte (1. Chr 4,31). Später fand dann auch eine Auswanderung von Simeonitern nach Gebieten außerhalb des verheißenen Landes statt, nämlich in südliche Gebiete und ins Gebirge Seir (1. Chr 4,34-43). Im Zehnstämmereich müssen ebenfalls Simeoniter gewohnt haben (2. Chr 15,9; 34,6.7). So ist das Wort Jakobs in Erfüllung gegangen und Simeon in Israel zerstreut worden.

2.2.4. Levi wird beiseite gesetzt für den HERRN

Was Levi betrifft, so ist seine Geschichte viel bekannter. Die Nachkommen Levis sind ebenfalls unter die übrigen Stämme Israels zerstreut worden, doch ihr Los hat sich bereits zu Beginn der Wüstenreise zum Guten gewendet, und daher ist ihre Geschichte völlig anders verlaufen als die der Simeoniter. Diesen Wendepunkt zum Guten finden wir in 2. Mose 32, wo die Leviten sich nach dem Aufruf Moses dem HERRN weihten und an dem zügellosen Volk Gericht übten.

Oberflächlich betrachtet war dies genauso eine Art Aktion wie sie Levi damals an den Bürgern von Sichem verübte. Am Sinai töteten die Leviten mindestens dreitausend Mann - doch hier handelt es sich nicht um einen rein menschlichen Racheakt, wie das in Sichem der Fall war. Es war ein göttliches Gericht, das sie ausführten, um dem Götzendienst und der Gesetzlosigkeit der Israeliten Einhalt zu gebieten. Der Herr belohnte die Leviten für diesen Beweis der Hingabe Ihm gegenüber. Die Leviten bekamen die besondere Stellung von Dienern des HERRN und des Heiligtums. Der Dienst der Stiftshütte wurde ihrer Obhut anvertraut, und sie durften sich um die Wohnung Gottes herum lagern. Die Leviten wurden die Gehilfen der Priester, der Söhne Aarons, die ebenfalls zu den Nachkommen Levis gehörten und die bereits früher für den Dienst des HERRN geheiligt wurden (2. Mo 28,1).

Die Erwählung und die Weihe der Leviten wird im 4. Buch Mose beschrieben. Dort finden wir auch die folgende wichtige Begebenheit in Verbindung mit unserem Thema: Die Leviten wurden anstelle aller Erstgeborenen der Israeliten dem HERRN zum Eigentum gegeben (4. Mo 3,11-13.40-45; vgl. 2. Mo 13,1.2). In gewisser Hinsicht empfingen die Leviten also den Platz und die Würde von Erstgeborenen! Und wir haben gerade gesehen, dass das Erstgeburtsrecht Ruben weggenommen und Juda beziehungsweise Joseph geschenkt wurde. Nachdem die Leviten jedoch auf besondere Weise für den HERRN abgesondert wurden, empfingen sie auch sozusagen einen Teil des Segens der Erstgeburt. Der HERR hatte an ihnen ein Wohlgefallen, und umgekehrt hatten sie Ihn als ihr Erbteil (5. Mo 10,8.9).

In 5. Mose 10 wird die Erwählung der Leviten deutlich mit dem Aufenthalt am Berg Sinai und der Sünde des goldenen Kalbes in Verbindung gebracht. Sie befolgten den Aufruf Moses, die Seite des HERRN zu wählen, und in seinem Segen gebrauchte Mose daher ausschließend lobende Worte an ihre Adresse: „Und von Levi sprach er: Deine Tummim und deine Urim sind für deinen Frommen, den du versucht hast zu Massa, mit dem du hadertest beim Wasser von Meriba; der von seinem Vater und von seiner Mutter sprach: Ich sehe ihn nicht; und der seine Brüder nicht kannte und von seinen Söhnen nichts wusste. Denn sie haben dein Wort gehalten, und deinen Bund bewahrten sie. Sie werden Jakob deine Rechte lehren und Israel dein Gesetz; sie werden Weihrauch legen vor deine Nase und Ganzopfer auf deinen Altar“ (5. Mo 33,8-10). Erneut verweist Mose hier auf die Ereignisse am Sinai (vgl. auch 2. Mo 17,1-7). Wie Levi damals für die Rechte Gottes eintrat, durfte er auch fortan das Wort Gottes und das Gesetz in Israel aufrechterhalten. Wir sehen hier auch den zweifachen Charakter des Dienstes der Leviten: im Blick auf Gott und im Blick auf die Menschen. Im Blick auf die Menschen halten sie die Gesetze und Rechte Gottes aufrecht, im Blick auf Gott kommen sie mit Weihrauch und Ganzopfern vor sein Angesicht.

Der Segen Moses in Bezug auf Levi hat daher einen völlig anderen Charakter als der Segen Jakobs. Dennoch hat sich die Voraussage Jakobs völlig erfüllt, denn der Stamm Levi bekam kein gesondertes Erbteil im Land Kanaan, sondern wurde unter alle Stämme Israels verteilt. Der HERR war ihr Erbteil, und sie bekamen unter jedem Stamm lediglich einige Städte zum Wohnen zugewiesen (Jos 21). Die Zerstreuung in Israels fand daher zwar statt, doch der Fluch wurde in einen Segen umgewandelt, indem die Leviten als Diener des HERRN überall im Land einen bevorrechtigten Platz einnahmen.

Simeon (d.h. Erhörung) und Levi (d.h. Anschließung, Anhänglichkeit) hatten ihren schönen Namen keine Ehre gemacht. Sie handelten in Unabhängigkeit von Gott und sie waren Bundesgenossen im Bösen. Am Sinai schloss sich Levi jedoch dem HERRN an; dadurch verlief seine Geschichte ganz anders als die seines Bruders. Auch für uns gilt der Grundsatz, dass der, der sich dem Herrn anschließt, wer Ihm anhängt, ein Geist mit Ihm ist und zu seiner Ehre wandelt (1. Kor 6,17). Leider ist das bei uns oft nicht der Fall. Und die Geschichte der Kirche steht im Allgemeinen sicherlich nicht im Zeichen der Hingabe gegenüber dem Herrn: Sie hat sich der Welt angeschlossen und nicht auf die Stimme Gottes durch seinen Geist und sein Wort gehört. So wie Simeon und Levi es taten, hat die Christenheit ihre Kräfte zum Bösen gebündelt und auf der Erde Gewalt geübt. Sie ist ein Institut der Macht geworden und ist am Blut der Propheten und Heiligen schuldig geworden (Off 18,24). Gott wird ihr Streben jedoch vernichten und dem Bündnis der Ungerechtigkeit, das in ihrer Mitte gefunden wird, ein Ende machen (Off 17; 18 ).

So wie wir in Ruben im Vorbild das erste Versagen der Kirche und das Verlassen ihres ursprünglichen Zustands sehen, so sehen wir in Simeon und Levi das volle Maß des Bösen und die Strafe, die das zur Folge hat. Gebe Gott uns Gnade, dass wir auf das hören, was der Geist den Versammlungen sagt und dass wir uns nicht der Welt anschließen, sondern dem Wort und dem Namen Christi (vgl. Off 2; 3 ). Dann sind wir „Simeoniter“ und „Leviten“ im positiven Sinn des Wortes.

Bis jetzt waren die letzten Worte Jakobs nicht sehr mutmachend; er hat lediglich traurige Dinge in seinen Sprüchen an seine drei ältesten Söhne berührt. In Ruben, Simeon und Levi sehen wir daher auch das Versagen des ersten Menschen in seiner Verantwortung. Dies gilt sowohl für die Menschheit im Allgemeinen als auch für Israel und die Christenheit im Besonderen. Verdorbenheit und Gewalttätigkeit sind immer die deutlichen Beweise des menschlichen Versagens. Wir lernen hier die schmerzliche Lektion: „Aber das Geistige ist nicht zuerst, sondern das Natürliche“ (1. Kor 15,46). Wie gut ist es daher, dass wir unseren Blick vom ersten Menschen abwenden und auf Christus sehen können, den zweiten Menschen aus dem Himmel, der die Folgen unseres Versagens auf sich genommen hat und durch sein Sterben und seine Auferstehung das Haupt eines neuen Menschengeschlechts geworden ist. In Juda sehen wir ein treffendes Bild vom Ihm, und Er ist auch eigentlich die Hauptperson des folgenden Segenspruchs, den Jakob äußert.

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