Die Versammlung und Israel
Vorbilder im Alten Testament
Henoch

In der Bibel wird sehr wenig über diesen interessanten Mann berichtet. Aber die wenigen Fakten, die mitgeteilt werden, liefern uns eine Reihe von aufschlussreichen Merkmalen. Einige davon sind typisch für die Versammlung und andere, obwohl nicht direkt typisch, sind zutiefst lehrreich für die Gläubigen, aus denen die Versammlung besteht. 1
Henoch als Nachkomme von Seth
„Und Adam erkannte seine Frau wiederum, und sie gebar einen Sohn und gab ihm den Namen Seth: Denn Gott hat mir einen anderen Nachkommen gesetzt anstelle Abels, weil Kain ihn erschlagen hat“ (1. Mo 4,25).
Nachdem Abel von seinem Bruder Kain getötet worden war, stellte Gott einen Ersatz bereit: Eva bekam einen weiteren Sohn. Sie nannte ihn Seth (hebr. Schet). Das bedeutet so viel wie „Ersatz“. Sie begründete die Wahl dieses Namens damit, dass Gott ihr anstelle Abels, den Kain erschlagen hatte, einen anderen Nachkommen gegeben hatte.
Abel ist ein Bild auf Christus als Märtyrer, der wegen seines treuen Zeugnisses getötet wurde. Seth ist ein Vorbild auf Christus als Auferstandenen. Er ist derjenige, der anstelle des Getöteten gegeben wurde.
So wie Henoch ein Nachkomme von Seth war, so geht der Ursprung der Versammlung zurück auf Christus. Nachdem Er auferstanden ist, wurde Er verherrlicht, fuhr auf in den Himmel und empfing dort als verherrlichter Mensch die Verheißung des Geistes (Apg 2,33), durch den Er die Gläubigen zu einem Leib taufte. Auf diese Weise „baute“ Er die Versammlung (Mt 16,18).
Henoch wandelte mit Gott
„Und Henoch wandelte mit Gott, nachdem er Methusalah gezeugt hatte, 300 Jahre und zeugte Söhne und Töchter. Und alle Tage Henochs waren 365 Jahre. Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn weg“ (1. Mo 5,22-24).
Zwei Mal finden wir die kurze Aussage, dass Henoch mit Gott wandelte. Wie war es möglich, dass ein Mensch mit Gott ging, und dies in einer Welt, die bereits mit Gewalt und Verderben gefüllt war? Es scheint, dass die Antwort im Hebräerbrief gegeben wird, wo es heißt, dass es „durch Glauben“ geschah:
„Durch Glauben wurde Henoch entrückt, damit er den Tod nicht sehe, und er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor der Entrückung hat er das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefallen habe. Ohne Glauben aber ist es unmöglich, ihm wohlzugefallen; denn wer Gott naht, muss glauben, dass er ist und denen, die ihn suchen, ein Belohner ist“ (Heb 11,5.6).
Henoch glaubte an Gott, handelte nach seinem Wort und vertraute Ihm. Dies sollte auch auf jeden Gläubigen zutreffen und damit auf alle, die die Versammlung bilden (vgl. Joh 20,29).
Henoch wurde genommen
„Und Henoch wandelte mit Gott; und er war nicht mehr, denn Gott nahm ihn weg“ (1. Mo 5,24).
Dieser Vers berichtet, dass Henoch „nicht mehr war“. Plötzlich war dieser Mann verschwunden. Gott hatte ihn weggenommen.
Wir können nur am Rand erwähnen (aber es ist zu schön, um es zu übergehen), dass dieser Vers, in den frühen Kapiteln des ersten Buches Mose (!), den Himmel als einen Ort für den Menschen öffnet. So ging Henoch nie durch den Tod. Dies ist umso bemerkenswerter, weil der ständig wiederholte Satz des Kapitels lautet: „und er starb“. Aber Henoch bildete die Ausnahme. Er brauchte nicht durch den Tod zu gehen.
Ein Satz in Hebräer 11 wirft weiteres Licht auf dieses Thema:
„Durch Glauben wurde Henoch entrückt, damit er den Tod nicht sehe, und er wurde nicht gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor der Entrückung hat er das Zeugnis gehabt, dass er Gott wohlgefallen habe“ (Heb 11,5).
Hier wird deutlich, dass Henoch „entrückt“ wurde, damit er den Tod nicht sähe. Und wir erfahren hier auch ausdrücklich, dass es Gott war, der ihn entrückt hat. Erinnert uns das nicht an die Worte des Apostels Paulus:
„Danach werden wir, die Lebenden, die übrig bleiben, zugleich mit ihnen entrückt werden in Wolken dem Herrn entgegen in die Luft; und so werden wir allezeit bei dem Herrn sein“ (1. Thes 4,17).
Die Begriffe „entrückt“ und „den Tod nicht sehen“ sind in Henoch treffend dargestellt. Das ist die Hoffnung der Versammlung: entrückt zu werden, um bei Christus zu sein. Das beinhaltet, dass sie – ohne den Tod zu erleben – weggerissen werden wird, aus einer Szene, zu der sie nie gehörte.
Der Zeitpunkt von Henochs „Entrückung“ ist interessant, da sie vor der Flut stattfand (1. Mo 6-8). Genauso wird auch die Versammlung vor der Drangsal, der „Stunde der Versuchung“, die über die ganze Erde kommen wird, bewahrt werden (Off 3,10).
Noah wurde auch vor der Flut bewahrt, aber auf eine ganz andere Weise. Er wurde während der Flut gerettet, indem er in der Arche war. Genauso wird der jüdische Überrest 2 während der Drangsal von Gott bewahrt werden (Mt 24,22-31; Off 12,6).
Henoch wurde nicht gefunden
Hebräer 11,5 fügt hinzu, dass Henoch „nicht gefunden wurde“. Warum wird diese Information gegeben? Stellt sich hier nicht die Frage, ob andere nach ihm gesucht haben? Es fällt auch auf, dass er weniger als halb so lang lebte wie die meisten anderen, die in diesem Kapitel erwähnt werden. Vielleicht wurde dieser treue Mann verfolgt (siehe 2. Tim 3,12), aber von Gott „weggenommen“, sodass diejenigen, die ihm nachstellten, ihn nicht mehr finden konnten. Wenn dem so ist, wäre dies eine weitere Parallele zur Versammlung, die schon seit frühster Zeit verfolgt wurde. Sie wurde in Apostelgeschichte 2 gegründet und schon in Apostelgeschichte 3 und 4 verfolgt! Und das ist heute in vielen Ländern immer noch der Fall. Unbestreitbar ist, dass die Versammlung – ebenso wie Henoch es war – ein Fremdkörper ist. Sie gehört nicht zu der Welt, die sie umgibt.
Henoch lebte durch Glauben
Diese Aussage ist ein Denkmal für den Glauben Henochs, das noch heute besteht und in Gottes Wort festgehalten ist (Heb 11,5.6). Wie Hebräer 11 zeigt, war das Leben im Glauben zu allen Zeiten das Teil der Gläubigen. Es ist jedoch auch wahr, dass die Zeit der Versammlung auf besondere Weise durch den Glauben gekennzeichnet ist. Sie hat eine himmlische Hoffnung und eine himmlische Berufung. Ihre Segnungen sind geistlich. Alles hängt mit den Dingen zusammen, die unsichtbar und damit ewig sind (vgl. 2. Kor 4,18).
Thomas in Johannes 20 verkörpert den Überrest Israels, der „sehen und glauben“ wird. Aber das besondere „glückselig“, das der Herr ausspricht, gilt denen, die nicht gesehen und doch geglaubt haben (Joh 20,29). Genau das ist charakteristisch für die Versammlung.
Henoch gefiel Gott
Es steht auch in Hebräer 11, dass Henoch vor seiner Entrückung das Zeugnis hatte, dass er Gott wohlgefiel. Die Familie Kains (1. Mo 4) hatte eine Reihe von Leistungen vorzuweisen, angefangen von Architektur und Technik bis hin zu Kultur und Musik. Sie hatten viel geleistet, um die Welt (ohne Gott) zu einem besseren Ort zu machen.
Die Lebensbilder derjenigen, die zur Familie Gottes gehörten (1. Mo 5), erscheinen im Vergleich dazu blass und unbedeutend. Sie lebten, hatten eine Familie und starben; keine Ansprüche auf Ruhm und kein Denkmal materieller Art. Aber für den Glauben und das Leben Henochs gibt es in Hebräer 11 ein Denkmal. Henoch mag in den Augen seiner Zeitgenossen ein beunruhigender Mann gewesen sein, aber er gefiel Gott. Können wir uns eine höhere Empfehlung vorstellen?
Dieser kurze Satz 'er gefiel Gott' ist für die Versammlung in dreierlei Hinsicht relevant:
- In Gottes Ratschluss ist die Versammlung immer perfekt und schön. Sie ist die perfekte Ergänzung für Christus als Mensch – die „Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,23). Christus sah sie als die „sehr kostbare Perle“. Sie war in seinen Augen so wertvoll, dass Er alles für sie gab – so wie der Kaufmann in diesem Gleichnis alles, was er hatte, verkaufte, um die Perle zu besitzen.
- Praktisch sollte die Versammlung auch Gott gefallen. Christus verwendet das Wasser des Wortes Gottes, um sie zu heiligen und zu reinigen (Eph 5,25), um alles zu entfernen, das Gott nicht gefallen würde.
- In der Zukunft wird Christus die Versammlung sich selbst darstellen – herrlich, ohne Flecken und Runzel (Eph 5,27). Dann wird ihr praktischer Zustand dem entsprechen, was Gott in seinem Ratschluss vorgesehen hatte.
Henoch gibt Zeugnis vom Kommen Christi
Henoch war ein Prophet. Aus seiner kurzen Biografie in 1. Mose 5 erfahren wir nichts davon. Erst wenn wir den Judasbrief erreichen, finden wir heraus, dass Henoch als Prophet von der Wiederkunft Christi gesprochen hat:
„Es hat aber auch Henoch, der Siebte von Adam, von diesen geweissagt und gesagt: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende“ (Judas 14).
Die Tatsache, dass Judas dies schrieb, ohne dass es im ersten Buch Mose offenbart wurde, braucht uns nicht zu beunruhigen. Die Autoren des Neuen (und Alten) Testaments wurden inspiriert, und wenn es Gott gefiel, diese Information erst ein paar tausend Jahre nach dem Leben Henochs zu offenbaren, dann ist dies gut so.
Aber man ist erstaunt über den Umfang der Wahrheit, die Henoch kannte, zweifellos von Gott selbst. Er sprach über die Erscheinung Christi. Und wenn er sagt, dass der Herr „inmitten seiner heiligen Tausende“ kommen wird, setzt dies eine vorherige Entrückung voraus.
Der zentrale Punkt in Henochs Prophezeiung ist jedoch, dass ein Gericht über diese Welt kommen wird. Dies entspricht auch der Stellung der Versammlung in der Welt heute: Ihre Aufgabe besteht nicht darin, eine Welt zu verbessern, die Christus ablehnt, sondern andere vor dem kommenden Gericht zu warnen und sie auf das Heil hinzuweisen, das in Christus angeboten wird (siehe 2. Kor 5,11.20).
Henoch war der Siebte von Adam
Es ist interessant, dass wir von zwei Männern lesen, die „der siebte von Adam“ (Jud 14) im Sinn der „siebten“ Generation waren.
- Der erste war Lamech. Wir lesen von ihm in 1. Mose 4,19-24. Er war der erste Bigamist und sein Lied zeigt ein bemerkenswertes Maß an Arroganz. Er ist der Siebte – die volle Entfaltung – des Menschen in der Linie von Kain, in der Linie des Fleisches.
- Andererseits haben wir Henoch, einen Mann des Glaubens, Gott wohlgefällig, der mit Gott wandelte und dann von Gott aus einer Szene herausgenommen wurde, zu der er nie wirklich gehört hatte. Bei ihm finden wir, wie das Leben des Glaubens sichtbar wird. Genau das sollte auch in der Versammlung gesehen werden – und zu einem gewissen Grad ist es auch so.
Henoch bedeutet „gewidmet“
Der Name Henoch kann mit „gewidmet“ oder „geweiht“ übersetzt werden. Die oben genannten Lektionen lassen keinen Zweifel daran, dass Henochs Hingabe nicht zwischen Gott und der Welt aufgeteilt wurde. Seine Hingabe galt nur Gott.
Sollte dies nicht praktisch von der Versammlung wahr sein, dass sie hier Christus gewidmet ist? Paulus sagt:
„Denn ich eifere um euch mit Gottes Eifer; denn ich habe euch einem Mann verlobt, um euch als eine keusche Jungfrau dem Christus darzustellen“ (2. Kor 11,2).
Fazit
Auch Henoch veranschaulicht eine Reihe interessanter Eigenschaften der Versammlung:
- Die Versammlung steht mit Christus als dem Auferstandenen in Verbindung (Henoch war ein Nachkomme von Seth).
- Die Hoffnung der Versammlung ist, bei Christus zu sein. Sie wird nicht durch den Tod gehen, sondern entrückt werden – aus der Welt weggenommen – und zwar vor der Zeit des Gerichts.
- Die Versammlung ist in der Welt wie ein Fremdkörper. Sie wurde von Anfang an verfolgt.
- Die Zeit der Versammlung ist durch Glauben gekennzeichnet.
- Die Versammlung gefällt Gott. Das war sein Ratschluss, das sollte der Fall sein in der Praxis, und es wird der Fall sein, wenn sie verherrlicht ist.
- Die Versammlung weiß, dass Christus wiederkommen wird – erst zur Entrückung und dann zum Gericht.
- Henoch war „der Siebte von Adam“, d. h. die volle Entfaltung des Lebens der Familie des Glaubens. Auch in der Versammlung kommt das Leben des Glaubens zu einer besonderen Entfaltung.
- Die Versammlung gehört Christus und ihr Leben sollte Ihm gewidmet sein.
Fußnoten
- 1 Zur Vermeidung aller Zweifel: Henoch gehört nicht zur Versammlung (sie existierte vor Pfingsten noch nicht). Aber sein Leben weist Merkmale auf, die bei Gläubigen, die die Versammlung bilden, wahr sind bzw. wahr sein sollten.
- 2 Nach der Entrückung wird Gott bewirken, dass sich Menschen aus dem Volk Israel bekehren, die das Evangelium der Gnade nicht gekannt haben. Diese werden dann den gläubigen „Überrest“ des Volkes Israel bilden (vgl. Röm 9,27).