Botschafter des Heils in Christo 1877

Die Belagerung von Samaria (Schluss)

Gehst du gebeugt unter dem Joch der Sünde einher? „Die Sünde wird nicht über euch herrschen; denn ihr seid nicht unter Gesetz, sondern unter Gnade“ (Röm 6,14). Der Sieg Christi ist so vollkommen, und die Folgen sind für den Sünder, der an Jesus glaubt, so gesegnet, dass er mit dem Apostel sagen kann: „Wenn Gott für uns ist, wer wider uns?“ (Röm 8,31) Das Leben, die Gerechtigkeit, die Kindschaft, der Heilige Geist, als Siegel und Salbung, eine vollkommene Teilhaftigkeit mit Christus an allen Segnungen und an der Herrlichkeit, zu welcher Er als der auferstandene Mensch erhöht ist – das sind die Schätze, die das Teil derer sind, welche das Zeugnis Gottes über seinen Sohn angenommen haben.

Aber zu welchem Zweck ist uns ein solcher Gnadenreichtum verliehen worden? Diese Frage wird in uns durch das wachgerufen, was unsere Geschichte uns in Betreff der vier Aussätzigen mitteilt zuerst stillen sie ihren Hunger und dann bereichern sie sich mit der Beute, welche sie in dem feindlichen Lager vorfinden. Doch jetzt erinnern sie sich, dass es noch andere in der Stadt gibt, für welche dieser Überfluss ebenso wohl, wie für sie, bestimmt ist. „Und sie sprachen einer zum anderen: Wir tun nicht recht. Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft; und schweigen wir und harren bis zum Morgenlicht, so wird uns Schuld treffen. Und nun kommt und lasst uns hineingehen und es berichten im Haus des Königs“ (V 9).

Und gibt es nicht, wie damals, hungernde und dürstende Seelen, denen wir die „gute Botschaft“ gerade aus dem Grund bringen sollen, weil wir selbst aus Gnaden diese „gute Botschaft“ kennen gelernt haben? Es ist ohne Zweifel – nötig, dass zuerst wir selbst bezüglich unserer eigenen Seligkeit zur Ruhe gebracht sind. Es ist nötig, dass wir zuerst uns durch den Glauben die Beute aneignen, die durch Jesus, den Überwinder des Todes und der Hölle, erworben ist. Gott sendet niemanden mit der frohen Botschaft seiner Erlösung aus, der nicht selbst diese Erlösung gekostet hat. Aber dann haben wir auch die Frage zu erwägen: Ist uns Christus nur unseres eigenen Glücks wegen offenbart? Ist es nur geschehen, damit wir seine Miterben sein sollen? O nein, gewiss nicht. Dieser Tag ist ein Tag guter Botschaft: es geziemt sich nicht zu schweigen.

O geliebter Leser! Wenn du geschmeckt hast, dass der Herr gütig ist – wenn du gegessen hast das Fleisch des Sohnes des Menschen und getrunken sein Blut (Joh 6,53), dann erinnere dich der ausgehungerten Seelen, denen diese himmlische, lebengebende Speise noch unbekannt ist. Gedenke ihrer mit Mitgefühl und erzähle ihnen die Wunder, die vor deinen Augen enthüllt sind. Du bedarfst dazu keiner besonderen Fähigkeiten, keiner Schulweisheit, um diesen Dienst der Liebe auszuüben. Die Aussätzigen beschränkten sich auf die bloße Mitteilung dessen, was sie gefunden hatten. „Wir kamen zu dem Lager der Syrer, und siehe, da war kein Mensch, kein Laut eines Menschen, sondern die Rosse angebunden, und die Esel angebunden, und die Zelte so wie sie waren“ (V 10). Das war genügend. Zelte, die mit Lebensmitteln angefüllt waren, und nirgends ein Feind, der ihnen den Besitz streitig machen konnte – das war Leben und Rettung für eine Stadt, deren Bewohner dem Hungertod nahe waren. Weiter brauchte nichts gemeldet zu werden, als dass drüben im Lager Speise die Fülle war. So ist es auch mit Seelen, die in Wahrheit ihren elenden, verlorenen Zustand fühlen. Es bedarf bei ihnen keiner beredten Worte; sie haben kein anderes Verlangen, als zu wissen, wie Gott auf ihre ängstlichen Zweifel, sowie auf die Seufzer ihrer beschwerten, mit Sünden beladenen Herzen antwortet. Und kannst du diese Antwort nicht geben? Kannst du ihnen nicht erzählen, wo die Ketten, mit denen auch du einst gebunden wärst, von dir abgefallen sind, wo du Vergebung und Frieden, Freiheit und heilige Freude gefunden hast? Kannst du ihr Auge nicht richten auf das Kreuz, wo Er ausrief: „Es ist vollbracht!“ und wo Er dann den Geist aufgab? Kannst du sie nicht führen zu dem leeren Grab, wo die Jünger und die Weiber Ihn am Morgen des dritten Tages vergeblich suchten? Hast du seine Worte: „Friede euch!“ vergessen, als Er, der Überwinder des Todes und der Hölle, in der Mitte seiner furchtsamen Jünger erschien und ihnen seine Hände und seine Seite zeigte? Kannst du nicht mit ihnen sprechen von seiner Erhöhung zur Rechten Gottes, von dem Heiligen Geist, der herniedergekommen, um zu bezeugen, dass das auf Erden vergossene Blut Jesu im Himmel angenommen, und dass droben eine Stätte, ein Thron, eine Heimat bereitet ist, und zwar für jeden Sünder, der zu dem vergossenen Blut seine Zuflucht nimmt? Sind das nicht noch größere Wunder, als die verlassenen, mit vergänglicher Speise angefüllten Zelte, und als der ganze Reichtum eines syrischen Lagers? Ja, es ist in der Tat ein Tag „guter Botschaft“, und wir dürfen nicht schweigen. „Siehe, jetzt ist die Zeit der Annahme, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ (2. Kor 6,2) Der Herr gebe den Lesern und dem Schreiber dieser Zeilen, dass es während der noch übrigen Zeit ihres kurzen Lebens ihre Freude sei, die „gute Botschaft“ zu verkündigen!

Doch unsere Geschichte sagt uns noch mehr. Sie stellt uns ein treffendes Beispiel von den Folgen des Unglaubens vor Augen. Wo diese Folgen auch nicht ganz und gar zum Verderben führen, so sehen wir doch den Einfluss des Unglaubens in dem Zögern beim Eintritt der Erlösung. Als der Bericht der vier Aussätzigen dem König zu Ohren kam, konnte sein düsterer, argwöhnischer Geist, anstatt darin eine Erfüllung des Wortes Elisas und eine Dazwischenkunft der Macht und Gnade Gottes zu Gunsten der armen Stadt zu erkennen, keinem anderen Gedanken Raum geben, als dass die Syrer eins List zum Verderben der Seinen ersonnen haben würden, um die Belagerten, deren Hungersnot sie kannten, durch eine Aussicht auf Speise aus der Stadt zu locken und sie aus einem Hinterhalt zu überfüllen und zu vernichten. O die Vernunft des Unglaubens! Er konnte fasten, sich in Sack und Asche hüllen, das Haupt wie ein geknicktes Rohr hängen lassen; aber als Gott durch solche, welche die Befreiung gekostet hatten, diese Befreiung ankündigen ließ, da fehlte der Glaube, um die Hand der Rettung zu erfassen. Jedoch gab es in der Umgebung des Königs Männer, die durch die Hungersnot weiser geworden waren, als der König selbst; und auf ihren Rat wurden zwei Boten ausgesandt, um die Aussage der Aussätzigen zu prüfen. Sie aber fanden Kleider und Gerüche, die die Syrer in ihrer übereilten Flucht weggeworfen hatten, auf dem Weg umhergestreut, so dass über die Entfernung der Feinde nicht mehr der geringste Zweifel herrschen konnte. Jetzt wurden die Schätze in großer Hast aus dem Lager nach der Stadt gebracht, so dass sich des Herrn Wort als buchstäblich erfüllt erwies. „Und es galt ein Maß Feinmehl einen Schekel und zwei Maß Gerste einen Schekel, nach dem Wort Jehovas“ (V 16).

Doch wie ernst begegnet hier Gott dem Spötter und Verächter seines Wortes. Der Anführer, auf dessen Hand sich der König lehnte, hatte auf die Ankündigung des Propheten mit Geringschätzung geantwortet und gesagt: „Siehe, so Jehova Fenster am Himmel machte, würde dieses Wort geschehen?“ (V 2) Welche Anmaßung! Der Gott, der nicht lügen kann, bestimmt, was Er tun will und dieser Mann wagt es, darüber zu spotten, so dass der Prophet ihm zurufen muss: „Siehe, du wirst es sehen mit deinen Augen, aber nicht davon essen.“ – Und dieses Wort wurde erfüllt. Das Lager der Syrer lieferte jenen Überfluss, von welchem der stolze Anführer erklärte, dass es dazu der Fenster am Himmel bedürfe. Das Wort Gottes wurde erfüllt, und der Überfluss strömte vor den Augen des Spötters in die Stadt hinein. Doch auch kein Jota des Wortes Gottes sollte unerfüllt bleiben. Der König hatte den Anführer ins Tor gestellt, und das Gedränge war so groß, dass ihn das Volk im Tor zertrat, so dass er starb (V 17). Welch eine ernste Predigt! „Irrt euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten!“

Möge der Herr einen jeden meiner Leser vor einem solchen Gericht bewahren! Das Wort Gottes wird noch immer verkündigt und ladet einen jeden ein, zu Jesu zu kommen, um bei Ihm Vergebung der Sünden, Frieden, Freiheit, ewiges Leben und ein unverwelkliches Erbteil mit Christus zu finden. Es ist möglich, dass du, der du diese Zeilen liest, bisher das Zeugnis der Liebe Gottes unbeachtet gelassen hast. Dein Herz ist vielleicht unberührt geblieben, oder gar verwirfst du, gleich jenem Anführer Samarias, das Wort Gottes bis auf diesen Augenblick. Aber bevor du dieses Blatt, auf dem dein Auge ruht, aus der Hand legst, lass dir dieses eine Wort noch sagen, dass, wenn du lebst und stirbst in der Verwerfung des Wortes Gottes, sicher und gewiss einmal der Tag anbrechen wird, wo du von der Wahrheit dieses Wortes überführt werden wirst. Ja, „du wirst es sehen mit deinen Augen, aber nicht davon essen.“ Du wirst den Erlöser, den du verachtet hast, in der Herrlichkeit schauen, und viele deiner jetzigen Genossen wirst du in seiner Umgebung sehen, viele, die ebenfalls große und – nach deiner Schätzung – noch größere Sünder als du gewesen sind, aber durch Gnade das Zeugnis, welches du jetzt verwirfst und missachtest, angenommen haben. Sie erfahren dann die Wahrheit dieses Zeugnisses zu ihrem ewigen Glück; du wirst es mit deinen Augen sehen, aber nicht davon genießen.

Möge der Herr dich in seiner Gnade, ehe es zu spät ist, durch diese Warnung bewegen und dich sowohl die Torheit, als auch die Gottlosigkeit des Unglaubens erkennen lassen. Möge Er dein Ohr öffnen für die süße Stimme Jesu, der dich einladet und dir zurufen lässt: „Wer zu mir kommt, den will ich nicht hinauswerfen.“

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