Botschafter des Heils in Christo 1877

Außerhalb des Lagers - Teil 2/2

Ach, es gibt viele Jünger des Herrn, die sich mehr oder weniger mit der Welt vereinigen. Wie sehr nimmt in unseren Tagen die weltliche Gesinnung zu! Ja, viele Gläubige verteidigen und begünstigen sogar diese Gemeinschaft mit der Welt. Sie jagen: „Man muss das Licht leuchten lassen, man muss das Salz der Erde sein, man muss alles durch seine Gegenwart heiligen“, – während Paulus einst klagte: „Demas hat mich verlassen, da er den jetzigen Zeitlauf liebgewonnen.“ Es ist sicher nichts als Irrtum und Selbsttäuschung, wenn man meint, durch ein Sich–Gleichstellen mit der Welt sein Licht leuchten lassen zu können. Das Gegenteil ist wahr. Man wird je länger je mehr von dem Herrn abweichen und zum Schluss der Welt ganz gleichförmig sein. Eine Menge von Beispielen dieser Art könnte man aufzählen. Nichts ist natürlicher als dieses. Im Lager ist Jesus nicht. Dort kann man seine Gemeinschaft nicht genießen. Um dieses zu können, muss man zu Ihm hinausgehen außerhalb des Lagers.

Aber kann man denn kein Gläubiger sein, wenn man im Lager ist? Ei freilich; aber kein solcher, der Jesus genießt. Auch Lot, obwohl er in Sodom wohnte, war ein Gläubiger: aber hatte er Gemeinschaft mit Gott? Wahrlich nicht. Der Herr, der mit Abraham sprach und bei Abraham einkehrte, ging nicht zu Lot. Selbst die Engel weigerten sich, in Lots Haus einzukehren. Das ist in der Tat beachtenswert. Man kann ein Gläubiger sein, selbst wenn man sich im Lager befindet; aber ach, wie viel entbehrt man! Wie viele Genüsse waren das Teil Abrahams, und wie viele Plagen hatte Lot durchzumachen! Was Jesus in all seiner Schönheit und Herrlichkeit, in all seiner Liebe und Gnade ist, das kann man in der Welt nicht kosten. In Ihm gibt es so vieles zu genießen, dass man alles, was in der Welt, alles, was dort schön, herrlich und anziehend ist, für Schaden und Dreck achtet.

Aber wenn ich die Welt verlasse, dann werde ich Schmach und Spott, Leiden und Verdruss finden. Sicher. Der Apostel sagt: „Lasst uns zu Ihm hinausgehen, seine Schmach tragend.“ Die Welt hat Ihn verworfen, sollte sie uns nicht verwerfen? Sie hasst Ihn, sollte sie uns nicht hassen? Aber das ist unsere Ehre, unsere Freude. Oder ist es für einen Jünger keine Ehre, seinem Herrn gleich geachtet zu werden? War es für Stephanus keine Ehre, von derselben Stadt, die Jesus verworfen hatte, ebenfalls verworfen zu werden? Die Apostel freuten sich, dass sie würdig geachtet wurden, um seines Namens willen Schmach zu leiden. Und ist es nicht unsere Freude, in dieser Schmach den Beweis zu sehen, dass wir wahre Jünger Jesu sind? Mit Ihm, selbst im Leiden und im Tod, Gemeinschaft zu haben, war für Paulus unaussprechlich herrlich. Wenn wir mit Ihm leiden, werden wir mit Ihm verherrlicht werden. Jakobus sagt: „Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallt.“ – Aber, wird man vielleicht sagen, es ist doch unerträglich, so ganz verworfen zu werden. – Für das Fleisch gewiss, aber für den geistlich gesinnten Menschen keineswegs. War es für Stephanus unerträglich, aus der Stadt geschleppt und gesteinigt zu werden? O nein; sein Angesicht glänzte wie das Angesicht eines Engels; er sah Jesus zur Rechten Gottes stehen, und seinen Geist befahl er den Händen Jesu. War es für Paulus und Silas unerträglich, im Gefängnis zu Philippi zu sein? O nein; sie sangen Loblieder. Und für Petrus? O nein; er schlief ruhig in seinem Kerker, obwohl er am folgenden Tage getötet werden sollte. Ist das Herz mit Jesu verbunden, dann zieht man die Schmach, den Spott, ja selbst den Tod außerhalb des Lagers tausendmal der Ehre und der Anerkennung im Lager von Seiten derer vor, die Ihn hassen und verachten. Um seinetwillen verlässt man gern den angesehensten Platz in der Welt. Moses verließ den Hof Pharaos und die Herrlichkeit Ägyptens, „lieber wählend, mit dem Volk Gottes Ungemach zu leiden, als die zeitliche Ergötzung der Sünde zu haben, indem er die Schmach Christi für größeren Reichtum hielt, als die Schätze Ägyptens; denn er schaute auf die Belohnung.“

Wir müssen indessen bedenken, dass hier unter dem Lager Jerusalem verstanden wird; Jerusalem ist das Bild der religiösen Welt. Nicht nur die gottlose, unsittliche Welt hat Jesus verworfen, sondern auch die religiöse Welt. Israel war das Volk Gottes auf Erden, Jerusalem die Stadt des großen Königs. Mit Recht konnte ein Israelit auf den Tempel mit seinen prächtigen Einrichtungen, mit seinem Priestertum, seinen Opfern und all seinen Zierden hinweisen in dem Bewusstsein, dass Gott alles gegeben habe. Und dieses Israel, die Stadt, wo allein auf der ganzen Erde der Name des allein wahren Gottes angerufen wurde, verwarf den Sohn Gottes und kreuzigte Ihn. Ja, die religiösen Menschen unter dem Volk riefen am lautesten: „Kreuzige Ihn!“ Von diesem Lager müssen wir ausgehen. Nicht nur aus der Welt mit ihren Vergnügungen und Zerstreuungen, mit ihren Sünden und Ungerechtigkeiten, sondern auch aus der Welt mit ihren religiösen Formen und Systemen. Du kannst den Herrn Jesus im Lager nicht genießen; Er ist außerhalb desselben. Jerusalem, als der Mittelpunkt der Handlungen Gottes, ist bei Seite gestellt, so dass es auf Erden keine heilige Stätte mehr gibt. Christus hat seinen Platz als Dulder außerhalb des Kreises der religiösen Welt eingenommen, ja außerhalb alles dessen, was der Welt angehört. Um Ihm zu begegnen, muss man zu Ihm hinausgehen außerhalb des Lagers.

„Zu Ihm“, – ja, darin liegt die Kraft. Nicht aus dem einen System in das andere, nicht aus der einen Vereinigung in die andere. Nein, geht von allem aus, was, gleich Israel oder Jerusalem, den Namen eines Lagers verdient; geht aus zu Ihm, der außerhalb des Tores gelitten hat. Der Herr Jesus befindet sich jetzt dort eben sowohl, wie vor achtzehn Jahrhunderten. Die religiöse Welt jener Zeit trieb Ihn hinaus; und sie ist in Gesinnung und im Grundsatz die religiöse Welt von heute. Die Welt ist und bleibt die Welt. Mag sie sich auch in den Mantel des Christentums eingehüllt haben, so ist sie doch stets voll Hass und Feindschaft gegen Christus. Selbst je religiöser die Menschen sind, ohne bekehrt zu sein, desto feindseliger zeigen sie sich gegen die Offenbarung des wahren Gottesdienstes. Man denke nur an den Hass der Pharisäer gegen Jesus. O täuschen wir uns selbst nicht! Wenn wir mit einem verworfenen Christus wandeln wollen, so werden wir ebenfalls verworfen sein. Ehre und Ansehen wird dann nicht unser Teil sein. Nein, die Welt kennt uns nicht, wie sie Ihn nicht gekannt hat. Die große Menge wendet sich von uns ab. Wir sind ein kleines Häuflein. Aber welch herrliche Verheißungen sind unser Teil! „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben“ – so sprach einst Jesus zu seinen Jüngern, und so spricht Er auch jetzt noch. O möchte diese Herrlichkeit uns anziehen! Möchten wir, gleich Abraham, die Gemeinschaft mit dem Herrn den wasserreichen Ebenen Sodoms vorziehen! Möchten wir, schauend auf die Belohnung, wie Moses, die Schmach Christi für größeren Reichtum halten, als die Schätze Ägyptens! Möchten wir, wie Paulus, alle unsere Vorrechte nach dem Fleisch – Reichtum, Ehre, Ansehen, Wissenschaft und Gelehrsamkeit – für Schaden und Dreck achten wegen der Vortrefflichkeit der Erkenntnis Christi Jesu, unseres Herrn! Dann werden alle mit der Gemeinschaft Jesu verbundenen Genüsse von uns gekostet werden. Mit Ihm zu wandeln ist wahre Freude. Das Anschauen seiner Herrlichkeit und Schönheit erhebt uns über alle irdischen Dinge. An seinem Tisch zu sitzen und hier seine unendliche Liebe zu genießen, ist der Vorgeschmack der himmlischen Ruhe. Dieses alles kennt man im Lager selbst nicht. Der Ungläubige spottet darüber, und der Gläubige kann sich keine Vorstellung davon machen. Nur sie, die zu Jesu hinausgegangen sind außerhalb des Lagers, erfahren es. Selbst die Schmach bereitet ihnen Freude. Der Blick erhebt sich nach oben; das Herz fühlt sich emporgezogen; und dort findet man die „zukünftige Stadt“ – „die Stadt, welche Grundlagen hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist“, und wo Jesus unser harrt in ewiger Herrlichkeit. Ja, dorthin richten sich unsere Schritte. Von dem Platz außerhalb des Lagers führt der Weg uns ins innere Heiligtum, um dort völlig zu genießen, was hienieden nur stückweise erkannt wird. Wir haben hier keine bleibende Stadt. Die Welt mit all ihrer Eitelkeit zieht schnell an uns vorüber: bald wird der letzte Streit gestritten sein. Nur noch wenige Augenblicke, und wir gehen aus den Leiden in die Herrlichkeit. Darum mutig vorwärts auf dem steilen Pfad! Kümmern wir uns nicht um das Urteil der Menschen. Die Anerkennung von Seiten des Herrn ist unendlich mehr wert. Lebt Er wirklich in unserer Seele, so werden wir von ganzem Herzen singen: Ein Vorrecht ist's, hinaus zu gehen,

Zu folgen deinen Schritten nach;

Mit dir vom Lager fern zu stehen,

Und willig tragen deine Schmach.

Zum Lobe Gottes sich zu weih'n,

Bis du uns führst zur Ruhe ein.

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