Botschafter des Heils in Christo 1881

Der König in seiner Schönheit

Es ist von großer Wichtigkeit für uns, das in unseren Herzen zu pflegen, was in dem genannten Psalm zum Vorschein kommt. Die Königin ist hier mit der Betrachtung dessen beschäftigt, was der König selbst ist. Wir sind sehr geneigt, uns mit den Segnungen zu beschäftigen, welche seine gnädige Hand über uns ausschüttet; aber in diesem Psalm handelt es sich nicht um das, was der König tut, sondern um das, was Er ist. Der Herr schätzt ein Herz hoch, welches an Ihm selbst seine Wonne hat.

„Es waltet mein Herz von gutem Wort“, so beginnt „die Geliebte“ des Königs. Ich fürchte, dass wir uns nicht oft in diesem Zustand befinden. Es ist etwas Großes, wenn das Herz aufwallt, wenn es brennt von Liebe zu Christus. Aber ach! Stattdessen befinden sich unsere Herzen so oft in der Nähe des Gefrierpunktes – der Welt. Sie sind kalt und leer. Was die „guten Worte“ sind, geht aus dem Schluss des Verses hervor: „Ich sage: Meine Gedichte dem König! meine Zunge sei der Griffel eines fertigen Schreibers!“ Sie will nicht reden von dem, was sie von Ihm empfangen hat, sondern was Er für sie ist. Es ist der Platz, der seine gesegnete Person in ihrer Seele hat. Maria wählte das gute Teil, bei Ihm zu sein. Sie saß zu seinen Füßen und lauschte auf seine Worte. In seiner Nähe, ja bei Ihm zu sein, das war es, was ihre Seele begehrte. Liebe und innige Zuneigung zu dem Herrn kennzeichneten ihre Stellung, und ihr Platz war zu seinen Füßen. Die Person des Herrn nahm sie völlig in Anspruch. Fehlte es ihr an Einsicht und Verständnis? Davon wird nichts erwähnt; aber das war auch nicht der Gegenstand, mit welchem sie sich beschäftigte. Sie zerbrach ihr Fläschchen mit Salbe von kostbarer Narde und goss es über Ihn aus, und Jesus sagte: „Sie hat dies auf den Tag meines Begräbnisses getan.“ Sicher fürchtete sie, es möchte dies die letzte Gelegenheit dazu sein. Andre machten ein Fest für Jesus; hätten sie geahnt, dass Er hinging, um zu sterben, so würden sie es wohl nicht getan haben. Marias Handlung war in völliger Übereinstimmung mit den Umständen ihres Herrn. Das Fest war es nicht. Wohl befand sich Maria auf dem Fest, aber es interessierte sie nicht. Nur der Eine, um dessentwillen das Fest veranstaltet war, hatte Interesse für ihr Herz. Es brannte in Liebe zu Ihm, und deshalb war sie die Einzige, welche in seine Gedanken eingehen konnte. Möchte der Herr durch seinen Geist auch in unseren Herzen diese brennende Liebe erwecken! Liebe kann nur durch Gegenliebe befriedigt werden. Er liebte uns bis zum Tod, und in Erwiderung darauf erwartet Er die wahre Zuneigung unserer Herzen zu Ihm. Und Er ist in der Tat unserer höchsten Liebe würdig.

„Meine Zunge sei der Griffel eines fertigen Schreibers!“ Es ist leicht, von Christus zu reden und Ihn zu preisen, wenn das Herz von Liebe zu Ihm brennt. „Aus der Fülle des Herzens redet der Mund.“ Wenn unsere Anbetung und unser Lob schweigen, so beweist das deutlich die Leere unseres Herzens. Christus beschäftigt dann nicht als der einzige Gegenstand die Zuneigungen desselben. Du wirst mir vielleicht darauf erwidert: „Der Geist muss mich doch zur Anbetung treiben.“ Allerdings; aber wenn gar keine Anbetung bei dir vorhanden ist, so ist es klar, dass du nicht getrieben wirst. Sicher sollten wir in der Anbetung der Versammlung der Leitung des Heiligen Geistes unterworfen sein – die erste Brief an die Korinther belehrt uns hierüber; aber in diesem Psalm ist Unterwerfung unter den Heiligen Geist vorhanden und zugleich ein Herz, welches von alledem, was es über den König zu sagen weiß, überfließt. Ein solcher Seelenzustand ist wahrlich beneidenswert. Horchen wir auf die Sprache der Königin: „Du bist schöner denn die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen“ (V 2). Die Worte wenden sich an Ihn selbst. Sie ist Ihm so nahe, dass sie zu Ihm sprechen kann. Sie geht weiter, als es die Braut in dem Hohelied tut. Diese sagt viel über ihren Geliebten, aber wenig zu Ihm. Er ist für sie der „Ausgezeichnete vor Zehntausenden“, an welchem „alles sehr köstlich“ ist. Hier aber ist die Redende so nahe, dass sie zu dem König sprechen kann; und wie leicht fließen die Worte von ihren Lippen! „Darum hat Gott dich gesegnet ewiglich.“ Bei einer solchen vertrauten Nähe ist auch stets Bekanntschaft mit den Gedanken Gottes vorhanden. Man kennt seine Ratschlüsse bezüglich des Einen, welchen Er so gerne ehrt.

„Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, in deiner Ehre und deiner Majestät! Und in deiner Majestät ziehe glücklich hin um der Wahrheit willen und der Demut in Gerechtigkeit“ (V 3–4). Hier ist ein richtiges Gefühl von der Majestät seiner Person. Er ist von dem Menschen verworfen worden; der schwache und sündige Arm des Menschen hat sich gegen Ihn erhoben in der Stunde der Finsternis und des Verrats. Aber der Tag wird kommen, wo Er „glücklich hinziehen wird um der Wahrheit willen.“ Er war der Sanftmütige und Demütige; aber „wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Das Resultat seiner Demut und Gnade wird seine Erhöhung sein. „Dein Thron, o Gott, ist immer und ewiglich, ein Zepter der Aufrichtigkeit ist das Zepter deines Reiches. Gerechtigkeit hast du geliebt und Gesetzlosigkeit gehasst: darum hat dich, Gott, dem Gott gesalbt mit Freudenöl, mehr denn deine Genossen“ (V 6–7). Hier wird der Herr als Gott begrüßt, und in Psalm 2 von Gott als sein Sohn. Er ist gesalbt über seine Genossen, oder mit anderen Worten, Er hat den Vorrang vor allen seinen Genossen. Wer sind diese Genossen? In Hebräer 2 lesen wir, dass wir seine Genossen sind: „Denn sowohl der, welcher heiligt, als auch die, welche geheiligt werden, sind alle von einem, um welcher Ursache willen Er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen.“ Er lobsingt in ihrer Mitte (Heb 2,12–13). An einer anderen Stelle lesen wir: „Denn wir sind Genossen des Christus geworden, wenn wir anders den Anfang der Zuversicht bis zum Ende standhaft festhalten“ (Heb 3,14). Er ist gesalbt mit dem Öl des Frohlockens, und das köstliche Öl stießt von seinem Haupt bis auf die Säume seiner Kleider. An dem Tag der Herrlichkeit Christi, wenn Er glücklich hinziehen wird, werden wir bei Ihm sein und jene Herrlichkeit teilen; das Öl seines Frohlockens wird auf uns herabfließen.

„Myrrhen, Aloe und Kassia sind alle deine Kleider, aus Palästen von Elfenbein erfreut dich Saitenspiel“ (V 8). In Christus ist ein herrlicher Wohlgeruch vorhanden, und dasselbe sollte bei uns der Fall sein, wie der Apostel sagt: „denn wir sind Gott ein süßer Geruch Christi“ (2. Kor 2,15).

„Der Könige Töchter sind unter deinen Herrlichen; es steht die Königin zu deiner Rechten in seinem Gold von Ofir“ (V 9). Wenn von dem König die Rede ist, so ist die Braut Jerusalem, so dass dieser Psalm sich in seiner direkten Anwendung auf das tausendjährige Reich bezieht. Israel wird Ihn erblicken, den es verworfen und getötet hat, und wird über Ihn wehklagen. Doch der Herr wird sein Volk von seinen Sünden erretten und ihm in göttlicher Gerechtigkeit einen Platz in seiner Nähe geben. „Es steht die Königin zu deiner Rechten in seinem Gold von Ofir.“ Dann wird sie Ihn betrachten und ihr Ohr Ihm zuwenden. Sie wird aufgefordert, ihr Volk und ihres Vaters Haus zu vergessen (V 10). Dies lehrt uns, dass Christus zwischen die Seele und alles, was hienieden ist, gebracht werden muss. Die Natur muss von Ihm ferngehalten werden; ich muss sie vergessen. Christus muss mein erster Gegenstand sein. „Wer Vater oder Mutter mehr liebt denn mich“, sagt der Herr, „ist meiner nicht würdig“ (Mt 10,37).

„Also habe der König Lust an deiner Schönheit.“ Dann, wenn so Christus dein alles ist, wird Er Schönheit in dir sehen. Du wirst dann für Ihn sein, was Eva für Adam war. Zu dir aber heißt es: „Er ist dein Herr; huldige Ihm!“ (V 11) Die Ansprüche des Herrn sind für alle diejenigen, welche Ihn zu ihrem Gegenstand haben, von großem Gewicht. Alles andere ist wertlos für sie, und die Anbetung strömt freiwillig und freudig hervor.

„Ganz herrlich ist des Königs Tochter drinnen, von Goldwirkerei ihr Gewand“ (V 13). Hier haben wir mehr die moralischen Schönheiten der Königin; sie ist herrlich gemacht in den Tugenden Christi. Seine Schönheit ist es, in welcher sie strahlt, und deshalb empfängt Er Lob. „Darum werden die Völker dich preisen immer und ewiglich“ (V 17).

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