Botschafter des Heils in Christo 1881

Der hebräische Knecht

Im Anfang des 21. Kapitels des 2. Buches Mose finden wir eine höchst interessante Verordnung in Bezug auf die hebräischen Knechte, die sich inmitten des Volkes Israel befanden. Sie zeigt uns, wie Christus von jeher der Gegenstand des Geistes Gottes war. In allen den Wegen und Handlungen Gottes von Grundlegung der Welt an bildete Er stets den Mittelpunkt, und in allem, was in den Büchern des Alten Testaments geschrieben ist, finden wir immer wieder neue Vorbilder von Christus. „Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen das Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39). Selbst solch zeitliche Verordnungen, wie die oben erwähnte, gab Gott nur im Blick auf Christus, obwohl sie sich buchstäblich auf diese Erde beziehen mochten.

Wenn jemand in Israel einen hebräischen Knecht kaufte, so sollte dieser sechs Jahre dienen, aber im siebenten frei ausgehen, ohne ein Lösegeld bezahlen zu müssen. „Wenn er für seine Person gekommen ist, so soll er für seine Person ausgehen; wenn er eines Weibes Mann war, so soll sein Weib mit ihm ausgehen. Wenn sein Herr ihm ein Weib gegeben, und sie ihm Söhne oder Töchter geboren hat, so soll das Weib und ihre Kinder ihres Herrn sein, und er soll für seine Person ausgehen. Wenn aber der Knecht etwa sagen wird: Ich liebe meinen Herrn, mein Weib und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen, so soll ihn sein Herr vor die Richter bringen und soll ihn bringen an die Tür oder an den Pfosten, und sein Herr soll sein Ohr durchbohren mit einer Pfrieme, und er soll sein Knecht sein auf ewig“ (V 3–6). Dieselbe Wahl hat der Herr getroffen. Er war hienieden der vollkommen gehorsame Diener, dessen Speise und Wonne es war, den Willen des Vaters zu tun, Er selbst sagte zu seinen Jüngern, als sie sich stritten, wer der Größte unter ihnen sei: „Denn auch der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben als Lösegeld zu geben für viele“ (Mk 10,45). Welch ein Anblick, Ihn, den Sohn Gottes, den Schöpfer aller Dinge – durch welchen und für welchen alles geschaffen ist – den Herrn der Herrlichkeit, in dem Gewände der Niedrigkeit, als gehorsamer und abhängiger Diener, hienieden wandeln zu sehen! Aber so wunderbar, erhaben und göttlich dies auch ist, so erreicht es doch bei weitem nicht die Höhe der Gedanken Christi. Er wollte nicht nur hienieden, während seines Lebens als Mensch auf dieser Erde, Diener sein, sondern für immer und ewig. Nachdem sein Lauf vollbracht war und Er in allen Lagen und Umständen bewiesen hatte, dass nicht sein Wille, sondern der Wille des Vaters die einzige Richtschnur für Ihn war, hätte er frei ausgehen können. Allein das hätte sein liebendes Herz nimmer befriedigt. Er wollte ein ewiger Knecht sein und gab deshalb sein Leben für die Seinen hin, ließ seine Hände und Füße durchbohren.

Er liebte die Seinen, die Er in dieser Welt geliebt hatte, bis ans Ende. Er wusste, dass diejenigen, welche seiner unausgesetzten Sorge und Pflege so dringend bedurft hatten, während Er noch unter ihnen weilte, nach seinem Weggang, dieselben schwachen, kleingläubigen und fehlenden Geschöpfe bleiben würden, die sie immer gewesen waren, und Er sagte gleichsam: „Ich will nicht frei ausgehen; ich liebe mein Weib, die Braut, die mir der Vater gegeben hat, zu sehr, um mich je von ihr trennen zu können. Sie bedarf in ihrer Schwachheit meiner ununterbrochenen, zärtlichen Fürsorge, meiner sorgsamen Pflege, meines aufmerksamen Dienstes; ich kann sie nicht verlassen, noch mein Verhältnis zu ihr ändern.“ Und Er hat uns, ehe Er aus dieser Welt zum Vater ging, gezeigt, in welcher Weise Er die Seinen, solange sie in dieser Welt sind, bedienen will. „Und während des Abendessens ... steht Jesus, wissend, dass der Vater Ihm alles in die Hände gegeben, und dass Er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe, von dem Abendessen auf und legte die Oberkleider ab und nahm ein leinenes Tuch und umgürtete sich. Dann gießt Er Wasser in ein Waschbecken und fing an, die Füße der Jünger zu waschen und abzutrocknen mit dem leinenen Tuch, womit Er umgürtet war“ (Joh 13,2–5). Die Jünger verstanden damals nicht, was der Herr tat, sie sollten es aber hernach verstehen. Wohl erkannten sie die tiefe Erniedrigung des Herrn, und Petrus weigerte sich deshalb, Ihn diesen Dienst an sich ausüben zu lassen, aber ihr Verständnis war in jenem Augenblick noch zu schwach, um die wahre Bedeutung der Handlung erfassen zu können. Wie gnädig, wie herablassend ist der Herr, dass Er sich mit dem Schmutz beschäftigen will, mit dem wir unsere Füße auf dem Weg durch eine sündige Welt besudeln, dass Er sie reinigt, um uns auf diese Weise fähig zu machen, teil mit Ihm zu haben, in seiner Gegenwart zu weilen und Ihn selbst zu genießen! Wie tief sollte es uns demütigen, wenn, wir durch unser Tun den Herrn veranlassen, diesen niedrigen Dienst an uns auszuüben! Wie sollte uns der Gedanke, dass der Herr, wenn wir gefehlt haben, genötigt ist, sich mit unserer Sünde zu beschäftigen, niederbeugen Und zu einem heiligen Wandel anspornen! Er kann uns nicht so hingehen lassen, weil Er uns so unaussprechlich liebt und die Sünde Ihn verhindert, uns diese seine Liebe genießen zu lassen.

Aber wenn nun der herrliche Augenblick kommt, wo wir Ihn sehen und unsere Leiber dem seinen gleichgestaltet sein werden, wird dann der Herr nicht aufhören, Diener zu sein? Nein; Er hat es freiwillig gewählt, für alle Ewigkeit Diener zu bleiben. Obwohl sein Dienst einen anderen Charakter annehmen mag, so wird er doch nimmer aufhören. Hören wir seine eignen Worte hierüber: „Und ihr, seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten. ... Glückselig jene Knechte, die der Herr, wenn Er kommt, wachend finden wird! Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich umgürten und sie sich zu Tische legen lassen und hinzutreten und sie bedienen“ (Lk 12,36–37). Christus ist nach der freien Wahl seiner Liebe Diener für ewig. Wie Er niemals seine Gottheit ablegen wird, so wird Er auch niemals aufhören, Mensch und Diener zu sein. Er selbst wird seine Geliebten in die Freuden des Vaterhauses einführen und sie bedienen.

Der Herr gebe uns, dass wir als solche erfunden werden, die auf Ihn warten und, solange wir in dieser Welt sind, dem Beispiel, das Er uns hinterlassen hat, nachahmen! „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: der Knecht ist nicht größer, denn sein Herr, noch der Gesandte größer, denn der ihn gesandt hat: Wenn ihr dieses wisst, glückselig seid ihr, wenn ihr es tut“ (Joh 13,16–17)..

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