Vorträge über die Sendschreiben an die 7 Versammlungen
Botschafter des Heils in Christo 1881

Vorträge über die Sendschreiben an die sieben Versammlungen - Teil 6/14

Vierter Vortrag

In diesem Teil des Kapitels betreten wir, so zu sagen, einen neuen Boden. Dies offenbart sich in zweifacher Weise. Der Geist Gottes, der weit über all unserem Abfall erhaben ist, richtet das Auge des treuen Überrestes auf das Kommen des Herrn Jesus, und die Ermahnung: „Wer ein Ohr hat, der höre, was der Geist den Versammlungen sagt“, steht von jetzt ab nicht mehr in Verbindung mit der Anrede an die Versammlungen im Allgemeinen, sondern folgt erst auf die Verheißungen, die den Überwindern gegeben werden. Die Stellung des Überrestes wird dadurch in besonderer Weise gekennzeichnet, als nicht mehr in Verbindung stehend mit dem allgemeinen Körper der Versammlung, sondern mit dem Platz derer, denen die Verheißung gegeben ist: „dem, der überwindet.“

Das unterscheidende Element, welches wir in der Versammlung zu Pergamus eingeführt fanden, bestand darin, dass die Welt der Thron Satans ist; demzufolge muss die Versammlung in einer der beiden folgenden Stellungen sein: entweder ist sie wegen ihrer Treue eine verfolgte und leidende Versammlung in der Welt, oder sie verliert diesen Charakter, bequemt sich der Welt an und geht mit ihr. In Pergamus fanden verderbliche Lehren ihren Weg in die Versammlung als Körperschaft, und nicht nur zu Einzelnen; sie wirkten und verdarben das, was innerhalb der Versammlung war, so dass jetzt das Böse dort seinen Ausgangspunkt fand. Balaam, der falsche Prophet, verführte die Versammlung und verband sie mit der Welt: „du hast dort, die an der Lehre Balaams halten.“ Hier aber in Thyatira geht es weiter: „du lasst das Weib Isebel“, – das Böse wird gestattet. Wir haben gesehen, dass Balaam, als es ihm misslang, Gott zum verfluchen Israels zu bewegen, den Versuch machte, die Israeliten dadurch in Trübsal zu bringen, dass er sie mit dem Volk des Widersachers im Bösen vereinigte.

Ebenso ist das Böse in die bekennende Kirche eingedrungen. In Thyatira haben wir deshalb einen noch schrecklicheren Zustand, als in Pergamus. Es findet sich nicht nur falsche Lehre vor – „diejenigen, die an der Lehre Balaams halten“ – sondern eine Person hat sich darin niedergelassen, und sie hat Kinder, die aus dieser Verführung geboren werden. Nicht nur werden die Heiligen zum Bösen verführt, sondern Isebel ist, so zu sagen, in Thyatira so sehr zu Haus, dass Kinder geboren werden, die ihre Heimat und ihren Geburtsort im Bösen haben, ja, die dem Verderben selbst entsprossen sind. Doch beachten wir, dass wir angesichts dieses wachsenden Bösen und all dieser Gottlosigkeit eine zunehmende Energie seitens der Getreuen finden; denn Gott hatte inmitten dieses Bösen einen Überrest, dessen Treue wegen der großen Finsternis ringsum nur umso deutlicher hervortrat. Ähnliche Beispiele finden wir in der Geschichte Israels. Inmitten der götzendienerischen Anbetung des goldenen Kalbes oder während der Regierung der blutdürstigen Isebel, wurden tatkräftige Männer, wie Elias und Elisa, erweckt, die mit einer besonderen Kraft des Zeugnisses für Gott ausgerüstet waren; auf diese Weise zeigt Gott, dass Er für die Bedürfnisse seines Volkes stets genügend ist.

Wenn das Böse eine solche Höhe erreicht hat, dass es den Getreuen unmöglich wird, mit demselben länger voran zu gehen, so gelangen sie in der Absonderung von diesem Bösen zu einer weit höheren Erkenntnis und Kraft, obwohl (es unter großer Trübsal sein mag) als zu der Zeit, da sich die Versammlung in einem glücklicheren Zustand befand. Zur Zeit des Elias bewahrte Gott seinen Namen in ganz besonderer Weise. Das ganze Volk Israel hatte sich so schrecklich verdorben, dass Gott genötigt gewesen wäre, es gänzlich zu vertilgen; allem die Zeit war noch nicht gekommen. Alles war in Unordnung; weder Tempel, noch Opfer, noch Priestertum war auf dem Berg Karmel; dessen ungeachtet gab sich Gott den wenigen Getreuen in einer Weise kund, von welcher das Volk in Jerusalem weder Kenntnis noch Genuss hatte; die mächtige Kraft Gottes war vorhanden, um dem Wort seines Propheten Zeugnis zu geben. Ebenso war es bei Mose: er wandelte treu mit Jehova, während das ganze Volk um ihn her sich im Abfall befand. Nicht als Israel gut wandelte, war Mose Gott am nächsten, sondern als sie alle fehl gingen. Als Israel das goldene Kalb gemacht hatte, „nahm Mose das Zelt und schlug es sich auf außerhalb des Lagers, fern vom Lager“, und dann ging er in die Gegenwart Gottes, und daselbst „redete Jehova mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann redet mit seinem Freund“ (2. Mo 32–33). Und an diese herrliche Auszeichnung erinnert Jehova in 4. Mose 12, als Mirjam Wider Mose geredet hatte. Er sagt dort: „Warum habt ihr euch nicht gefürchtet, zu reden Wider meinen Knecht, wider Mose?“ „In meinem ganzen Haus ist er treu. Zu ihm rede ich von Mund zu Mund.“ Das Zusammentreffen mit Gott im Zelt außerhalb des Lagers zeichnete Mose mehr aus, als selbst seine Berufung aufs den Gipfel des Sinai. Es ist ein feststehender Grundsatz in der Schrift, dass Gott da, wo der Abfall ganz allgemein und offenbar ist, durch seine Getreuen ein viel lauteres Zeugnis und größere Macht an den Tag treten lässt, als vorher in dem Körper, in seiner Gesamtheit betrachtet, bekannt war. Auf diese Weise bestätigen sich die Worte Jetros: „In der Sache, worin sie übermütig waren, durch (ihre Sünde und Auflehnung gegen Gott) kam Er über sie“ in Gnade und Macht (2. Mo 18,11). Dieselbe Erscheinung wiederholte sich in den Tagen des Herrn Jesus. Er war ein höchst gesegnetes und herrliches Beispiel zu diesem Grundsatz; denn Er selbst legte das vollständigste und gesegnetste Zeugnis von der Gnade und Gerechtigkeit ab, um auf die Wege der Welt und seines eignen Volkes einzuwirken, gerade zu der Zeit, als Israel und die Welt im Begriff standen, die schrecklichste Sünde in der Kreuzigung des Sohnes Gottes zu begehen. Als das Herz Israels dick geworden war – als es sich in einem Zustand befand, geeignet, um sieben andere Geister aufzunehmen, böser als derjenige, von dem es früher besessen war – als es, mit einem Wort, im Begriff stand, in den letzten, traurigsten Zustand zu versinken, da redete Gott, der schon auf mancherlei Weise, durch die Opfer, die Vorbilder und Propheten, zu ihnen geredet hatte, zuletzt zu ihnen in seinem Sohn, in der Person des sanftmütigen und demütigen Jesus.

Den vorhin erwähnten Grundsatz finden wir auch hier in Thyatira, sobald Isebel Eingang gefunden hat. „Ich kenne deine Werke ... und dass deiner letzten Werke mehr sind, als der ersten.“ Der Zustand der bekennenden Kirche hatte zur Folge, dass die Heiligen eine Energie entfalteten, die ihnen vorher unbekannt war. Dies Zeigte sich stets in der Geschichte der Kirche während der so genannten „finsteren Jahrhunderte“ des Mittelalters. Das treueste Zeugnis offenbarte sich und ein Maß von Hingebung, wie es zu anderen Zeiten unbekannt war, und wie man es heutzutage so gern in irgendeiner Weise sehen möchte. Man wagte das eigene Leben, um für Gott Zeugnis abzulegen. Ach, wie wenig sieht man davon in unserem Jahrhundert der Bequemlichkeit und der Schlaffheit!

„Ich kenne deine Werke und deine Liebe und deinen Glauben und deinen Dienst und dein Ausharren, und dass deiner letzten Werke mehr sind, als der ersten.“ Hier sind die Liebe und der Glaube wirksam, die in Ephesus mangelten. Der Herr ermuntert daher die Gläubigen durch „Hoffnung“ (V 25), so dass wir hier Glaube, Hoffnung und Liebe finden, diese drei großen Grundsätze des Christentums. Wenn sie sich auch nicht, wie bei den Thessalonichern, in ihrer gesegneten Ordnung vorfanden, so waren sie doch alle in irgendeiner Weise vorhanden. Zugleich bemerken wir auch hier wieder, wie Gott stets bereit ist, das Gute anzuerkennen, ehe Er von dem Bösen redet.

„Dieses sagt der Sohn Gottes, der seine Augen hat wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Kupfer.“ Das Feuer ist das Sinnbild des unfehlbaren Gerichts; es durchdringt alles, wie das Auge Gottes. Was aber sieht Christus zuerst? Ohne Zweifel durchschaut Er sofort das schreckliche Böse; aber zuerst erwähnt Er das, woran sein Herz Wohlgefallen findet. Er sieht in diesem verachteten Häuflein, um welches sich niemand im Geringsten kümmert, das, was Ihn erfreut; und obwohl seine Füße gleich glänzendem Kupfer den unveränderlichen Charakter der Gerechtigkeit bezeichnen, welche Gott (in seinen geistlichen Handlungen mit dem Menschen und in seinen Anforderungen an ihn) hienieden offenbart, und welche in dem Menschen, in Christus, göttlich erfüllt war und seine Person charakterisierte, so ruht dennoch das Auge Gottes stets auf dem kleinsten Funken von Treue inmitten des Bösen. Kein Pulsschlag eines Herzens, das Ihm inmitten der überströmenden Ungerechtigkeit treu ergeben ist, bleibt von Ihm unbeachtet; und das ist es, was das Herz inmitten der widerwärtigen Umstände stets aufrecht hält. Wie köstlich ist es für uns in der Einfalt des Glaubens die volle Tragweite dieser zwei Wörtchen: „Ich kenne“, zu verstehen und sie mit Kraft in unseren Seelen zu verwirklichen, und also in dem glückseligen Bewusstsein voranzugehen, dass das Auge Gottes stets auf unserem Wandel und auf unseren Wegen ruht!

„Aber ich habe Wider dich, dass du lasst das Weib Isebel usw“ (V 20). Hier wird die Versammlung, als ein Ganzes, dadurch gekennzeichnet, dass sie das Böse duldet. Es heißt nicht mehr, wie früher: „Du kannst die Bösen nicht ertragen“; nein, der Geist des Bösen in der Versammlung wurde jetzt völlig und öffentlich gestattet. Das war ein weit höherer Grad von Verfall, als bloß die falsche Lehre unter sich zu haben. „Du lasst das Weib Isebel, die da sagt, sie sei eine Prophetin, und sie lehrt und verführt meine Knechte.“ Man duldete ein Weib, das einen erklärten Charakter in der Versammlung besaß: sie nannte sich eine Prophetin. Sie war ohne Zweifel eine falsche Prophetin, allein sie gab vor, in der Versammlung das Wort Gottes zu halten und zu lehren. „Ich gab ihr Zeit, auf dass sie Buße tue, und sie will nicht Buße tun.“ Gott geht nicht sogleich mit ihr ins Gericht, sondern lässt ihr Zeit zur Buße. Er handelt in Geduld mit ihr, aber sie tut keine Buße. Gott hat es hier nicht mit den Heiden zu tun – ihnen lässt Er das Evangelium predigen, um ihre Seelen für Christus zu gewinnen – sondern es ist eine Person, die sich Prophetin in der Versammlung nennt und die Knechte Gottes lehrte „Hurerei zutreiben und Götzenopfer zu essen“; demgemäß handelt Gott mit ihr auf diesem Boden ihres Bekenntnisses. Er „gibt ihr Zeit, Buße zu tun wegen ihrer Hurerei, aber sie tut keine Buße“; deshalb muss Er das Gericht vollziehen. Es heißt hier nicht, was wohl zu beachten ist: „Ich werde deinen Leuchter wegtun aus seiner Stelle, wenn du nicht Buße tust“ (Kap 2,5). Isebel wird durchaus nicht als Leuchter anerkannt.

Es ist hier von zweierlei Gericht die Rede, weil nicht alle Kinder Isebels waren. Der Ausdruck „Hurerei treiben“ wird in der Schrift häufig gebraucht, um eine Gemeinschaft mit dem Bösen, besonders mit dem Götzendienst zu bezeichnen: das Volk Gottes gibt sich einem anderen hin, als Ihm, dem es angehört. Zuerst heißt es: „Siehe, ich werfe sie in ein Bett, und die, welche mit ihr Ehebruch treiben, in große Drangsal, wenn sie nicht Buße tun von ihren Werken“; dann: „Und ihre Kinder werde ich mit Tod töten.“ Es gibt solche, die nicht ihre Kinder sind, aber mit ihr im Verkehr stehen und sich willig mit dem Bösen verbinden und Gemeinschaft mit ihm haben. Diese will ich strafen, sagt der Herr; sie werden die Frucht ihrer Wege ernten, „und alle die Versammlungen werden erkennen, dass ich es bin, der Nieren und Herzen erforscht.“ Ich werde untersuchen, wer zufrieden ist, mit dem Strom des Bösen abwärts zu schwimmen, und wer in Treue gegen mich ausharrt. Diejenigen, welche mit Isebel Ehebruch getrieben, die sich mit diesem Geist der falschen Prophezeiung abgegeben haben, „werde ich in große Drangsal werfen, wenn sie nicht Buße tun.“ Ihre Kinder aber, die durch diese falsche Lehre ihren christlichen Platz und Namen bekommen haben, wird ein völliges Gericht treffen: „ihre Kinder werde ich mit Tod töten.“ Für diese handelt es sich nicht bloß um Drangsal, sondern sie sind die Gegenstände eines vollendeten Gerichts. Nachdem ihnen vergeblich Zeit zur Buße gelassen worden ist, wird ein unmittelbares Gericht sie erreichen.

Wie betrübend, ja, wie überaus betrübend ist es, zu sehen, dass sich Christen so oft an solchem Bösen beteiligen! Nehmen wir z. B. die Galater. Unter ihnen gab es Heilige, die sich mit dem Judentum abgaben und das Gesetz einzuführen trachteten. Nicht, als ob sie keine Christen gewesen wären; allein sie verbanden sich mit einer Sache, die Gott ganz und gar verhasst war. Deshalb sagt Paulus zu ihnen: „Ich bin euretwegen in Verlegenheit“, obschon sein Glaube sie hernach mit ihrem auferstandenen Haupt verbindet, und er, kraft der unfehlbaren Gnade Christi und ihrer Vollendung in Ihm, ausrufen kann: „Ich habe Vertrauen zu euch im Herrn.“ Es ist große Wachsamkeit nötig, da die Seele immer in Gefahr steht, sich mit Grundsätzen einzulassen, die Gott völlig hasst. Die Kolosser hielten die Verbindung mit Christus, ihrem Haupt, nicht fest; sie stellten etwas zwischen das Haupt und die Glieder. Der Apostel Paulus war stets in großer Besorgnis, wenn er irgendetwas eindringen sah, was die unmittelbare, eigene und persönliche Verbindung der Heiligen mit Christus stören konnte. Wenn ein wahrer Christ auf diese Weise Gemeinschaft mit dem Bösen macht, so muss er in Drangsal kommen, um für Gott geläutert zu werden; tut es ein Unbekehrter, so gibt es für ihn nichts als das Gericht. So wird es auch der christlichen Welt unserer Tage ergehen, welche sich an dem Verderben des Christentums beteiligt, das in Thyatira durch Isebel dargestellt ist; alle, die nicht Buße tun von ihren Werken, werden einem verzweiflungsvollen Elend übergeben werden. Es ist ein sehr ernster, aber wahrer Gedanke, dass ein jeder, der etwas zwischen die Gläubigen und ihr verherrlichtes Haupt stellt, nachdem Gott sie gelehrt hat, dass sie eins sind mit Christus, das Christentum tatsächlich verleugnet. Das war die große Wahrheit, deren Entfaltung dem Apostel Paulus anvertraut war; es war dasjenige, was er speziell von dem Herrn empfangen hatte: „Ich bin Jesus, den du verfolgst.“ Deshalb war es für ihn so tief betrübend, wenn sich irgendetwas, mochten es Gesetzeswerke, das Priestertum, oder irgendetwas anderes sein, zwischen die Seele und Christus stellte und somit die große Wahrheit, die er gelernt hatte, verleugnete – die Wahrheit, zu der er bekehrt worden war, dass nämlich die Versammlung eins ist mit Christus, Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinen Gebeinen. Wenn diese gesegnete Wahrheit in der Einfalt des Glaubens festgehalten wird, so verleiht sie der Seele Kraft und räumt in dem ganzen täglichen Leben des Christen alles hinweg, was sich zwischen seiner Seele und Christus befindet. Ware ich ein Jude, so bedürfte ich etwas auf der Erde und hätte eine Mittelsperson nötig zwischen mir und dem Gott, von welchem ich nur eine dunkle Kenntnis besäße. Ich bin aber ein Christ, und deshalb ist alles, was ich bedarf, im Himmel. Ich wiederhole es noch einmal mit allem Nachdruck: Bin ich ein Christ, so bin ich mit Christus verbunden, ich bin eins mit Ihm; aus diesem Verbunden– und Einssein mit Ihm aber folgt, dass nichts, gar nichts zwischen Ihn und mich kommen kann, so dass jeder Versuch, etwas zwischen uns zu bringen, tatsächlich nichts anderes ist, als eine gänzliche Beseitigung des Christentums. Viele Christen würden erschrecken, wenn sie wüssten, wie vieles sie zwischen sich und Christus stellen und dadurch tatsächlich ihre Einheit mit Christus im Himmel verleugnen. Sobald ich einen Priester auf Erden, irgendeinen anderen als Christus im Himmel, zwischen mich und Gott stelle, so zerstöre ich dadurch mein Vorrecht; denn wenn Christus ein Priester ist und ich eins bin mit Ihm, so muss auch ich ein Priester sein. Wird aber dieses Priestertum auf der Erde verwirklicht? Nein, sein Platz ist im Himmel. Ein irdisches Priestertum verleugnet das Christentum auf doppelte Weise. Es macht das System und die Stellung irdisch und leugnet unsere Verbindung mit Christus. Wäre ich ein Jude, so würde ich ganz richtig handeln, wenn ich in einen irdischen Tempel ginge; da ich aber ein Christ bin, so muss ich, wenn ich mich Gott nahe, im Himmel sein. Vereinigt mit Christus, kann ich, wiewohl mein Leib auf der Erde ist, hienieden keinen Platz der Anbetung haben. Christus ist von der Erde verworfen, und ich bin in Ihm im Himmel. Will ich mich nun eines Priesters auf der Erde bedienen, so muss ich den Himmel verlassen und herniederkommen. Das Priestertum wird an dem Ort ausgeübt, welchem es angehört. Ein irdisches Priestertum war ganz an seinem Platz, als Gott auf der Erde, hinter dem Vorhang und zwischen den Cherubim, thronte. Ein himmlisches Priestertum aber findet seine Ausübung in dem Himmel. Ja, meine lieben Freunde, wenn unsere Seelen in dem Blut Christi gewaschen sind, so findet sich alles, was wir nur irgend bedürfen können, im Himmel. „Euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott“; deshalb geziemte uns notwendigerweise „ein solcher Hohepriester, der heilig, unschuldig, unbefleckt, abgesondert von den Sünden und höher denn die Himmel geworden.“ Möchte der gütige Herr seiner gesegneten Wahrheit mehr Kraft in unseren Seelen verleihen! Es werden dann alle Fragen hinsichtlich eines irdischen Priestertums, irdischer Satzungen und dergleichen bald verschwinden. Ich muss einen wahren Priester im Himmel haben, anders habe ich keinen wahren Christus für meine Seele.

Werfen wir jetzt einen Blick auf den Charakter, mit welchem Gott sich hier bekleidet: „Ich bin es, der Herzen und Nieren erforscht.“ Er sagt gleichsam: Ihr werdet mir nicht entfliehen; so annehmlich das Böse auch scheinen mag, und so sehr ihr es mit dem Namen des Herrn zu verbinden trachtet, (wie Israel einst den Namen Jehovas mit dem goldenen Kalb verband, indem es sagte: „Dies sind deine Götter, Israel ... Ein Fest dem Jehova ist morgen!“ 2. Mose 32,4–5), so wird euch dennoch ein völliges Gericht erreichen, denn ihr habt meine Heiligen in eine niedrigere Stellung gesetzt, wie ich sie in Christus gesetzt habe, und ihr habt die Wahrheit Gottes durch Götzendienst verdorben.

In Vers 24 und weiterhin wendet sich der Herr an den treuen Überrest, und deshalb sehen wir Ihn in anderer Weise verfahren: „Euch aber sage ich, den Übrigen, die zu Thyatira sind, so viele diese Lehre nicht haben“, Hurerei (zu treiben und Götzenopfer zu essen) „welche die Tiefen des Satans, wie sie sagen, nicht erkannt haben. Ich will nicht eine andere Last auf euch werfen.“ Dieses Sichfernhalten vom Bösen ist, wenn auch sehr gesegnet, dennoch nicht das Wachstum der Seele von Kraft zu Kraft bis zu dem vollen Wuchs des Christus, sondern: „Was ihr habt, das haltet fest.“ Ich werde „ihre Kinder mit Tod tobten ... doch ihr, was ihr habt, das haltet fest, bis ich komme.“ Es ist sein Kommen, worauf Er jetzt den Glauben der wenigen Getreuen, das Auge ihrer Seelen richtet. Er erwartet nicht, dass sie zu dem Standpunkt zurückkehren, von welchem die Versammlung abgewichen ist, sondern Er richtet ihren Blick vorwärts auf sein Kommen. Er ist bereit, das Gericht zu vollziehen. „Ihre Kinder werde ich mit Tod tobten.“ Ihr dürft deshalb nicht erwarten, dass Isebel zurechtgebracht oder in die Stellung eines Leuchters gelangen wird; nein, euer Auge muss auf etwas anderem ruhen. Dann wird die Hoffnung eingeführt, jedoch nicht in Form jener herrlichen und gesegneten Hoffnung, wie sie die Gläubigen im Anfang, z. B. die Thessalonich er, empfingen, von denen gesagt wird, dass sie sich „von den Götzenbildern zu Gott“ bekehrten, „zu dienen dem lebendigen und wahren Gott und zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln.“ Sie trägt hier einen veränderten Charakter, indem sie als die Zuflucht des Getreuen dargestellt wird, weil da, wo Gerechtigkeit hätte sein sollen, jetzt der Gesetzlose war (Pred 3,16). „Bis ich komme“, das ist der Trost, der inmitten des allgemeinen Verfalls dargeboten wird. Der Herr erkennt wohl die vorhandenen Werke, die Liebe, den Glauben, den Dienst und das Ausharren an. Ihr habt nur dieses wenige erlangt; „doch was ihr habt, das haltet fest, bis ich komme.“ Es ist etwas ganz anderes, wenn das Kommen des Herrn einigen wenigen Getreuen, die sich inmitten des verdorbenen Isabel–Zustandes der Kirche befinden, als ein Trost und eine Befreiung vorgestellt wird, oder wenn dieses Kommen die herrliche und gesegnete Hoffnung der Versammlung bildet, die sie aufrecht hält und über das Verderben der Welt erhebt. Es ist aber nicht bloß die Tatsache seines Kommens, es ist die Herrlichkeit dessen, der kommt, was allein das Verlangen des Herzens befriedigen kann.

In Vers 26–28 zeigt der Herr die Folgen seiner Ankunft für die Nationen und für die Versammlung: „Dem will ich Gewalt geben über die Nationen.“ Dies ist ein bemerkenswerter Ausdruck; wir finden nichts der Art, solange die Versammlung noch in ihrer vollen Blüte stand. Da jetzt aber die bekennende Kirche in eine Stellung gekommen ist, die für den Heiligen eine Gelegenheit zur ernstesten Prüfung wird, und ihre Verbindung mit der Welt sie – die bekennende Kirche, das, was den Namen Versammlung trägt – zur Mutter von Kindern des Verderbens gemacht hat, so empfangen die Getreuen, inmitten von diesem allen, besondere Verheißungen, als Stütze für ihre Seelen. Wir wissen aus der Geschichte, wie in den finstersten Zeiten Männer des Glaubens sich Bahn brechen mussten durch das Böse in der Kirche, wie sie in Gefahr standen, von denen verraten zu werden, welche sich selbst die Kirche nannten, und wie sehr sie von den regierenden Mächten der Erde verfolgt wurden. Die Namenkirche war in der Tat die Verderben bringende Macht Satans, ausgeübt durch die Nationen. So gehen auch hier in Thyatira die Heiligen, welche Glauben und Ausharren besitzen, standhaft durch jede Schwierigkeit hindurch, mag sie in Isebel und ihren Kindern, welche sich die Kirche nennen, bestehen, oder in der Verfolgung der Nationen. Der Gegenstand der Verheißung ist die Vereinigung mit Jesu selbst, dem glänzenden Morgenstern; und wo Glaube an diese Verheißung vorhanden gewesen ist, da wird Gewalt verliehen werden über die Nationen. Die Welt, welche unter der Macht Satans die Prüfung der Heiligen verursachte, wird ihnen unterworfen sein. „Wer überwindet und meine Werke bewahrt bis ans Ende inmitten (des Verderbens, welches noch den Namen und die Verantwortlichkeit einer Kirche trägt) will ich Gewalt geben über die Nationen“ (In Matthäus 24 finden wir dem Grundsatz nach dieselbe Sache, wiewohl mit Bezug auf eine andere Zeit: „Wer ausharrt bis ans Ende, dieser wird errettet werden.“). „Ich will ihm den Morgenstern geben.“ So gibt der Herr dem getreuen Überrest, während er sich in dieser Lage befindet, das besondere Bewusstsein seiner Verbindung mit Ihm. Die Schwierigkeit seiner Stellung besteht darin, dass alles um ihn her zu Isebel und ihrem Verderben sich wendet, um Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben. Doch auf seine Frage: „Was sollen wir tun?“ erwidert der Herr: „Folgt mir nach – bewahrt meine Werke bis ans Ende“, und dann werdet ihr am Ende mein Teil haben: „wie auch ich von meinem Vater empfangen habe.“

In dieser, den Getreuen gemachten Verheißung wird das Kommen des Herrn in einem zweifachen Charakter dargestellt. Der Erste betrifft ihre Stellung der Welt gegenüber: es wird ihnen Gewalt gegeben über die Nationen; der Zweite ihre eigentliche Segnung: der Morgenstern wird ihr Teil. Schon in Psalm 2,9 findet sich eine Anspielung auf jenen ersten Charakter. Die Versammlung des lebendigen Gottes hätte durch ihren Wandel auf dieser Erde die Welt richten sollen; da sie aber mit derselben Hurerei getrieben, so hat sie keine Macht, sie zu richten; deshalb sagt der Herr: „Ich muss richten“; weil die Kirche ermangelt hat, die Welt durch einen Wandel der Heiligkeit und Abgeschiedenheit zu verurteilen, so muss der Herr im Gericht zeigen, was die Welt ist. Wenn auch die Verfolgten sich der Autorität der Welt, als von Gott verordnet, unterwarfen, so waren sie doch moralisch von ihr getrennt. So groß der Einfluss Isebels auch sein mochte – sie hielten sich mit Abscheu von diesem Verderben fern, und deshalb ward ihnen die Ehre des Märtyrertums zu Teil. In den letzten Tagen werden sich die Mächte der Welt wider den Gesalbten Gottes verbünden, aber trotz allem wird Er seine Herrschaft über die Nationen antreten. Und was wird dann der Platz und das Teil der Versammlung sein? Christus sitzt jetzt zur Rechten Gottes, und der Heilige Geist ist herniedergekommen, um die Kirche zu sammeln; und wenn der Herr die Heiligen zu sich genommen hat, wird Er erscheinen und die Welt richten.

„Habe doch ich meinen König gesalbt auf Zion, dem Berg meiner Heiligkeit! Vom Beschluss will ich erzählen; Jehova sprach zu mir: Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“

Der Name Sohn trägt hier nicht den Charakter des ewigen Sohnes des Vaters, sondern der Herr wird betrachtet als in der Welt geboren, als der Mensch, der in Herrlichkeit eingesetzt ist, um über die Erde zu herrschen. „Fordere von mir, und ich will dir zum Erbteil geben die Nationen.“ Dies tut Christus jetzt nicht; Er bittet jetzt nicht für die Welt. Sobald Er Gott in Bezug auf die Welt bittet, so wird das Gericht derselben die unmittelbare Folge sein. „Mit eisernem Zepter wirst du sie zerschmettern.“ In Johannes 17 sagt Christus: „Nicht bitte ich für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben, hast.“ Er schließt die Welt nicht in seine Bitten ein. Während der gegenwärtigen Zeit Zerschmettert Er die Nationen nicht, sondern lässt ihnen sein gesegnetes Evangelium verkündigen, um Seelen aus der Welt zu sammeln; und der Heilige Geist ist beschäftigt, dieselben mit Christus zu verbinden und so die Versammlung zu bilden. Wenn Er aber einmal um die Nationen bitten wird, so geschieht es, um sie wie Töpfergefäße zu zerschmettern. Das wird das Gericht der Lebendigen sein. Deshalb finden wir am Ende des zweiten Psalms ein Wort der Warnung: „Und nun, ihr Könige, seid verständig ... Küsst den Sohn, dass Er nicht zürne.“ Denn wenn ihr jetzt dieser Aufforderung nicht Folge leistet, die euch in Langmut Gelegenheit zur Buße gibt, so müsst ihr euch einst vor dem Zorn des Lammes beugen. „Mir wird jegliches Knie sich beugen.“

Wir sehen hier also, was das Teil der Versammlung, als eins mit Christus, ist. „Wer überwindet, ... dem will ich Gewalt geben über die Nationen ... wie auch ich von meinem Vater empfangen habe.“ Und von Christus wird gesagt: „Er wird sie weiden mit eiserner Rute.“ Die Welt muss wieder zurechtgebracht werden; Christus wird kommen und das Gericht über sie vollziehen, und die Versammlung wird Ihm darin beigesellt sein. Jetzt aber wohnt sie da, wo der Thron Satans ist; das Böse umringt sie von allen Seiten, und es ist nicht ihre Sache, sich mit der Zurechtbringung desselben zu beschäftigen. Und deshalb ruft Christus seinem treuen Überrest gleichsam zu: „Fürchtet euch nicht; seid nicht in Unruhe wegen der Verfolgungen, auch nicht wegen des Verderbens Isebels; dies eine aber tut: Bewahrt meine Werke bis ans Ende.“ Es ist jetzt die Zeit der Geduld und der demütigen Treue. Wandelt durch die Welt, wie ich inmitten Israels gewandelt habe, und dann will ich euch „Gewalt geben über die Nationen ... wie auch ich von meinem Vater empfangen habe.“ „Die Gewalt wird euer Teil sein, sobald ich die meinige übernehmen und regieren werde.“ Das ist der besondere Charakter der Verbindung mit Christus in Macht.

Was sollen wir aber inzwischen tun, um die Welt zurecht zu bringen? Nichts; und das kann das Fleisch nicht begreifen. Wir sollen uns weder mit dem Toben der Nationen einlassen, noch uns um ihre Bündnisse bekümmern, obwohl (wir zu gleicher Zeit nicht vergessen dürfen, dass wir den bestehenden Gewalten, als von Gott verordnet, Unterwerfung und Gehorsam schuldig sind) noch endlich durch das Böse Isebels uns verunreinigen, sondern auf Gott harren. „Bewahrt meine Werke bis ans Ende“ und wartet mit Ausharren. Denn wenn Christus die Oberhand hat, so haben auch wir sie. Unsere Interessen sind die Seinen, und die Seinen unsere; sie sind so innig mit einander verbunden, dass sie unmöglich getrennt werden können. Wir lesen in Kolosser 2,20: „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, was unterwerft ihr euch den Satzungen, als lebtet ihr noch in der Welt?“ Das will sagen: Er ist in Gott verborgen, deshalb sind auch wir es. Sein Leben ist unser Leben. „Ihr seid gestorben, und euer Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott.“ Er macht seinen Zustand so sehr zu dem unsrigen, dass, wenn Er in Gott verborgen ist, auch wir es sind. Und wenn von seiner Erscheinung die Rede ist, so heißt es: „Wenn Er offenbar werden wird, dann werdet auch ihr mit Ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ Da wir ganz eins sind mit Christus, während Er auf dem Thron des Vaters wartet, so sind wir berufen, mit Ihm im Geist hienieden zu warten (Fortsetzung folgt).

Nächstes Kapitel der Artikelfolge »« Vorheriges Kapitel der Artikelfolge
Nächstes Kapitel der Zeitschrift »« Vorheriges Kapitel der Zeitschrift