Botschafter des Heils in Christo 1881

Bist du glücklich?

Der Gedanke Gottes bei der Schöpfung war, dass der Mensch glücklich sein sollte. Nicht nur war er rein und unschuldig, sondern er war geschaffen in dem Bild Gottes. Im Verein mit der ganzen übrigen Schöpfung wurde er für „sehr gut“ erklärt. Jedoch wurde er von allen anderen Kreaturen in einer höchst beachtenswerten Weise ausgezeichnet. „Und Jehova Gott bildete den Menschen, Staub von der Erde, und hauchte in seine Nase den Odem des Lebens; und der Mensch ward zu einer lebendigen Seele.“ Auf diese Weise gab Er, der allein Unsterblichkeit besitzt, dem Menschen eine unsterbliche Seele. Außer diesem segnete ihn Gott. „Mann und Weib schuf er sie. Und Gott segnete sie, und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan, und herrscht über die Fische des Meeres und über das Gevögel des Himmels und über alles Getier, das auf der Erde kriecht.“ Der Mensch war also im Anfang glücklich, gesegnet und geehrt. Er wurde durch den Schöpfer in eine Stellung von Autorität und Freude gesetzt.

Doch nur zu bald sündigte der Mensch, und dann kam der Tod und das Gericht; „denn Gott trieb den Menschen aus und ließ wohnen gegen Osten vom Garten Edens die Cherubim und die Flamme des zuckenden Schwertes, zu bewahren den Weg zum Baum des Lebens.“ Nachdem der Mensch ausgetrieben war, bewies er unaufhörlich, dass er böse war; und anstatt sich nach den wiederholten Gerichten Gottes mit aufrichtiger Buße zu Ihm zu wenden, machte er sich Götzenbilder und verehrte das Geschöpf mehr als den Schöpfer. In diesem Zustand der Dinge berief Gott aus allen Nationen einen Mann, Abraham, und sprach zu ihm: „Ich will dich segnen.“ Und als Abraham dem Wort Gottes glaubte, rechnete Er ihm seinen Glauben zur Gerechtigkeit und verhieß, dass in seinem Samen alle die Völker der Erde gesegnet werden sollten. So sehen wir, dass die Gedanken Gottes stets darauf gerichtet waren, den Menschen, der mit Ihm zu tun hatte, glücklich zu machen.

Im Lauf der Zeit wurde der Same Abrahams, das Volk Israel, aus Ägypten herausgeführt, kraft des Blutes des Lammes und durch die mächtige Dazwischenkunft Gottes. So befreit von Elend und Sklaverei, wurde Israel, obgleich ein irdisches Volk, in eine nahe Beziehung zu Gott gebracht. Wieder zeigte Gott, dass es seine Absicht war, dass der Mensch glücklich sein sollte; denn nicht nur segnete Er die Kinder Israel in einer wunderbaren Weise, sondern Er forderte sie wieder und wieder auf, sich zu freuen. „Und ihr sollt euch freuen vor Jehova, eurem Gott, ihr und eure Söhne und eure Töchter und eure Knechte und eure Mägde und der Levit, der in euren Toren ist.“ „Und du sollst anbeten vor Jehova, deinem Gott und dich freuen all des Guten, das Jehova, dein Gott, dir gegeben hat und deinem Haus, du und der Levit und der Fremdling, der in deiner Mitte ist“ (vgl. 3. Mo 23,40; 5. Mo 12,7.12.18; 26,10–11).

Ebenso ist es jetzt, nur in einem weit höheren und ewigen Sinne, offenbar der Wille des Herrn, dass alle, die seine Kinder sind, glücklich sein sollten. Nicht nur hat Er uns Vergebung unserer Sünden geschenkt und uns in Christus Jesus zu neuen Kreaturen geschaffen, sondern Er hat seine Liebe in unsere Herzen ausgegossen durch den Heiligen Geist, welcher uns gegeben ist, und „hat uns gesegnet mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (Röm 5,5; Eph 1,3.7). Indem wir so in die Nähe Gottes und in eine innige Beziehung zu Ihm versetzt sind und den Heiligen Geist besitzen, sind wir gebracht in „die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesu Christus“ (1. Joh 1,3), und so können unsere Herzen in seiner Liebe ruhen und, wenn auch in geringem Mühe, in seine Gedanken eindringen. Der Herr selbst wird der Gegenstand unserer Zuneigungen – und die Quelle unserer Segnungen. Alles, was wir besitzen und in Ewigkeit besitzen werden, ist in seiner Person eingeschlossen. Seine persönliche Herrlichkeit, sein unermesslicher Wert, seine Vortrefflichkeiten und vollkommenen Schönheiten, sein vollendetes Werk auf dem Kreuz, seine Erhöhung, sein Sitzen zur Rechten Gottes, bis alle seine Feinde gelegt sind zum Schemel seiner Füße, seine Wiederkunft, um uns zu sich zu nehmen – alles das beschäftigt jetzt unsere Herzen und erfüllt sie mit unaussprechlicher Freude. Wir haben das Vorrecht und werden wiederholt aufgefordert, uns „alle Zeit zu freuen“, uns „stets zu freuen in dem Herrn“, ja uns – „Gottes zu rühmen durch unseren Herrn Jesus Christus, durch welchen, wir nun die Versöhnung empfangen haben.“

Der Herr belehrt uns, welch eine Freude im Himmel herrscht über einen Sünder, der Buße tut. Sobald der gute Hirte sein verlorenes Schäflein gefunden hat, legt Er es mit Freuden auf seine Schultern und trägt es heim. Und wenn er nach Haus kommt, ruft er die Freunde und Nachbarn zusammen und spricht zu ihnen: „Freut euch mit mir, denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war!“ Der Vater frohlockt, weil er seinen verlorenen Sohn wohl und gesund wiedererhalten hat. Wir werden auf diese Weise unterrichtet, welch eine Freude es für den Vater und den Sohn ist, wenn ein Sünder wirtlich zu Gott gebracht wird. Dem entsprechend belehrt der Herr seine Jünger, welche rein waren um des Wortes willen, das Er zu ihnen geredet hatte: „Dies habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude erfüllt werde“ (Joh 15,11). Es ist also offenbar des Herrn Wille, dass die Gläubigen glücklich sein sollen. Die ersten Christen kannten sehr gut die gesegnete Wirklichkeit dieser Freude und dieses Glücks. Als Jesus nach seiner Auferstehung in der Mitte seiner trauernden Jünger erschien, welche sich aus Furcht vor den Juden eingeschossen hatten, zeigte Er ihnen seine Hände und seine Füße und sprach: „Friede euch!“ und „es freuten die Jünger, als sie den Herrn sahen.“ An dem Schluss des Evangeliums Lukas wird uns erzählt, dass Jesus seine Jünger, als Er gen Himmel fuhr, so glücklich zurückließ, dass „sie alle Zeit im Tempel waren, Gott lobend und preisend.“ Und weshalb waren sie so glücklich? Weil ihr ganzer Sinn auf ihren gekreuzigten und jetzt hoch erhobenen Heiland gerichtet war.

Zur Zeit des Pfingstfestes finden wir die Gläubigen zu Jerusalem in einem so glücklichen Zustand, dass von ihnen gesagt werden konnte: „Und indem sie täglich einmütig im Tempel verharrten und zu Haus das Brot brachen, nahmen sie Speise mit Frohlocken und Einfalt des Herzens, lobten Gott und hatten Gunst bei dem ganzen Volk.“ Als später der äthiopische Eunuch auf der einsamen Straße von Jerusalem nach Gaza durch Philippus mit seiner ewigen Errettung durch den Glauben an Christus bekannt gemacht worden war, zog er seinen Weg mit Freuden. Auch der Kerkermeister zu Philippi, der, von Furcht überwältigt, seinem Leben ein jähes Ende bereiten wollte, frohlockte, sobald er auf das Wort der treuen Diener Christi zu Ihm seine Zuflucht genommen hatte, „an Gott glaubend, mit seinem ganzen Haus.“

An einer anderen Stelle des Wortes Gottes werden wir belehrt, dass „das Reich Gottes nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“; und wir tun sicher wohl, dieses Schriftwort zu beherzigen, da wir von den Jüngern von Ikonium lesen, dass sie „mit Freude und Heiligem Geist erfüllt waren“ (Röm 14,17; Apg 13,52). Paulus betete, dass die Heiligen mit aller Freude und mit Frieden im Glauben erfüllt sein möchten. Johannes schreibt in seinem ersten Brief: „Und dies schreiben wir euch, auf dass eure Freude völlig sei.“ Petrus spricht von solchen, die, an Jesus glaubend, „mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlockten.“ Wie lieblich und tröstend ist es, zu wissen, dass nach dem Willen Gottes die Gläubigen jetzt schon unaussprechlich glücklich sein sollten. Vielleicht möchte der Eine oder Andere einwerfen: „Wenn Sie wüssten, womit ich in meinem Inneren zu kämpfen habe, ich glaube, Sie würden nicht so vertrauensvoll von dem Glück des Christen sprechen.“ Aber ich frage dagegen: Wer hat jemals gehört, dass das eigene Ich die Quelle wahrer Glückseligkeit ist? Im Gegenteil versichert der Apostel ausdrücklich: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes.“ Zugleich aber teilt uns das untrügliche Wort des lebendigen Gottes mit, dass unser alter Mensch mit Christus gekreuzigt ist; wir werden aufgefordert, uns der Sünde für gestorben zu halten, d. h. uns nicht mehr als lebend, sondern als tot, als völlig in Christus hinweggetan zu betrachten, „indem wir dieses wissen, dass unser alter Mensch mitgekreuzigt ist.“ Wir sind ans diese Weise durch das Gericht von unserem alten Menschen befreit und aus der Stellung des ersten Adam herausgenommen. Und jetzt ergeht an uns die Ermahnung: „Haltet euch der Sünde für tot, Gott aber lebend in Christus Jesus.“ Glückselig alle diejenigen, welche sich so betrachten wie Gott sie sieht, und sich stets bewusst sind, dass sie von Gott in Christus in den himmlischen Örtern erblickt werden! Nur diese haben mit dem eigenen Ich einen Abschluss gemacht.

Wieder möchten andere sagen: „Wenn meine Umstände verändert wären, dann würde ich in der Tat glücklich sein“; oder: „wenn mich Gott nur von dieser niederdrückenden Trübsal befreien wollte, so würde ich gewiss frohlocken.“ Doch du täuschest dich, mein lieber Leser, wenn du so denkst. Ist deine gegenwärtige. Freude abhängig von deinen Umständen, so gleicht sie auf ein Haar den meisten weltlichen Freuden und bedarf weder Gnade noch Glauben. Sicher ist es wahr, dass wir stets mit aller Sorgfalt unsere Geschäfte wahrnehmen und ordnen sollten, um Gott dadurch zu ehren; allein Umstände, so glücklich und glänzend sie sein mögen, sollten nie die Quelle der Freude des Christen bilden, obwohl sie Gelegenheit zu Lob und Dank bieten mögen. Im Gegenteil genießt der Christ oft in den tiefsten Wassern irdischer Trübsal am meisten die Freude in dem Herrn. Es war dies z. B. mit den in 1. Petrus 1,8 angeredeten Heiligen der Fall. Sie befanden sich in mancherlei Trübsalen, waren zerstreut in einem fremden Land, ferne von der Heimat, und den heftigsten Verfolgungen und Widerwärtigkeiten aller Art ausgesetzt. Doch wie sehr waren sie mit Freude erfüllt! Die Ausdrücke des Apostels könnten nicht stärker sein. Dasselbe sehen wir bei Paulus und Silas. Als ihre Rücken mit Geißeln blutig geschlagen und ihre Füße in den Stock gelegt waren, füllte ihre Herzen eine solche Freude, dass sie Gott im innersten Gefängnisse ihre Loblieder sangen. Lassen wir dies nicht so leichtnehmen, mein lieber christlicher Leser! Fragen wir uns mit Aufrichtigkeit, woher es kommen mag, dass heutzutage so wenig Lob und Dank, so wenig Freude und Friede bei den Christen gefunden wird!

Bevor wir diese kurze Betrachtung schließen, möchte ich noch auf drei Punkte aufmerksam machen, die uns über den vorliegenden Gegenstand belehren und in dem bereits angeführten Verse, 1. Petrus 1,8, gefunden werden: „Welchen ihr, obgleich ihr Ihn nicht gesehen habt, liebt; an welchen glaubend, obgleich ihr Ihn jetzt nicht seht, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlockt.“ Wir haben hier zunächst die Quelle der Freude des Christen, dann das Geheimnis ihrer Verwirklichung und endlich ihr Maß.

1. Die Quelle unseres Glücks und unserer Freude ist der Herr Jesus Christus selbst – „an welchen glaubend, obgleich ihr Ihn jetzt nicht seht, ihr frohlockt.“ Es ist der Mensch Christus Jesus in der Herrlichkeit, welchen wir jetzt durch den Glauben schauen. Alle unsere Quellen sind in Ihm. Es ist vergebliche Mühe, anderswohin zu blicken. Alle anderen Ströme sind trocken. Er ist der Fels, welcher geschlagen wurde, und wir haben jetzt nur zu Ihm zu reden, und Er wird sein Wasser geben (4. Mo 20,8). Er allein ist die Quelle des Lebens. Er ist vor dem Angesicht Gottes in Herrlichkeit für uns; und wir sind vollendet in Ihm, in welchem alle Fülle wohnt, der das Haupt aller Fürstentümer und Gewalten ist. Möchte es eine Tatsache sein, dass Christus – nicht Freunde, nicht das eigene Ich, noch die Umstände, sondern Er allein für unsere Seelen – die einzige Quelle des Glücks sei.

2. Durch die Tätigkeit des Glaubens an Ihn haben wir gegenwärtige Glückseligkeit. Es mag jemand ein wahrer Gläubiger sein, ohne dass sein Glaube in praktischer Tätigkeit ist und sein Herz in die göttlich offenbarte Wahrheit in Betreff der Person Christi eindringt. Wir haben es mit Ihm zu tun, den wir nicht gesehen haben, der aber in dem Wort offenbart ist, auf dass wir uns in der Jetztzeit seiner freuen, indem wir nicht nach unseren armen, schwachen Gedanken seiner gedenken, sondern so wie Gott uns Ihn in seinem Wort vor Äugen gestellt hat. Deshalb lesen wir: „An welchen glaubend, ... ihr frohlockt.“ Wir können nicht erwarten, glücklich zu sein, wenn wir mehr oder weniger mit unseren Gedanken, Gefühlen und Umständen beschäftigt sind. Allein die Beschäftigung der Seele mit Ihm macht uns fähig, uns über diese Dinge zu erheben.

3. Was schließlich das Maß unserer Freude anlangt, so sagt der Herr: „auf dass eure Freude erfüllt werde.“ Petrus spricht von einer „unaussprechlichen und verherrlichten Freude.“ Sich mit der unendlichen Fülle und der Vollkommenheit des Werkes und der Person Christi zu beschäftigen, ist gleich dem Tauchen in das unergründliche Meer der göttlichen Liebe. Unsere Gedanken sind gerichtet auf einen verherrlichten Christus und dringen gleichsam in die Herrlichkeit droben ein. Wir betreten den Boden der unermesslichen, ewigen und unveränderlichen Liebe und Herrlichkeit Gottes. Dank sei der freien, reichen – und unverdienten Liebe Gottes, die uns durch Jesus Christus zu ewiger Herrlichkeit berufen hat! Obgleich wir jetzt noch durch den Glauben in Ihm frohlocken, kann unser Herr doch jeden Augenblick kommen und uns dort einführen. Dann wird der Glaube in Schauen verwandelt werden; wir werden sein Antlitz sehen, werden bei Ihm und Ihm gleich sein für immer und ewiglich.

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