Botschafter des Heils in Christo 1868

Die Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus als Mensch - Teil 3/3

Die Männer von Kapernaum, welche einen Gichtbrüchigen zu Ihm bringen, verstehen den Herrn und bedienen sich seiner. Sie verstehen, was Er in sich selbst, was Er in seinem Charakter, in seinen Gewohnheiten und in den Gefühlen seiner Seele ist. Die Art und Weise selbst, wie sie sich Ihm zu nähren suchen, zeigt weder Zweifel noch Schüchternheit; sie machen es wie Jakob, als er sagte: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!“ (1. Mo 32) Ein solches Nahen ist dem Herrn angenehm und der Weise entsprechend, in welcher uns diese Liebe gern handeln sieht. Sie fragen nicht um Erlaubnis; sie bedienen sich keiner Zeremonien, sondern sie decken ohne Umstände das Dach des Hauses ab, um zu Ihm zu kommen. Sie erkannten also den Herrn und bedienten sich seiner. Sie wussten, dass es seine Freude war, wenn Notleidende seiner Gnade vertrauten und sich ohne Rückhalt seiner Macht bedienten. Levi handelt wenige Augenblicke später in derselben Weise. Er richtet ein. Gastmahl an und lässt Zöllner und Sünder in der Nähe Jesu Platz nehmen, woraus hervorgeht, dass Levi seinen Gast kannte. Er wusste wen er geladen, sowie Paulus es wusste, an „wen er geglaubt hatte“ (2. Tim 1,12).

Diese Erkenntnis des Herrn ist von großem Wert; sie ist göttlich. Fleisch und Blut vermögen sie nicht zu geben; die Brüder Jesu besaßen sie nicht. Während der Herr sich in seinem Dienst erschöpfte, sagten sie: „Er ist außer sich“ (Mk 3,21). Aber der Glaube macht in Betreff Jesu große Entdeckungen und handelt demgemäß; es kann zuweilen scheinen als ob derselbe die richtigen Grenzen überschreite und uns über das geziemende Maß hinausführe; aber nach dem Urteil Gottes ist dieses nimmer der Fall. Die Menge gebot dem blinden Bartimäus zu schweigen; allein er weigerte sich, weil er Jesus kannte, wie Levi es tat (Mk 10).

Die Fülle des Werkes Christi übersteigt unsere Begriffe; und dennoch gerade darin besteht ihre Herrlichkeit. Der Heiland kommt zu uns in jeder Not; aber zu gleicher Zeit führt Er Gott hinein; Jesus heilte die Kranken; aber Er predigte auch vom Reich. Doch dieses steht dem Menschen nicht an, wie seltsam dieses, da derselbe einen eigenen Vorteil gut zu schätzen weiß, auch scheinen mag. Er kennt wohl die Freude der erneuerten Natur; aber die Feindschaft des fleischlichen Herzens gegen Gott geht soweit, dass, sobald die Segnung mit der Gegenwart Gottes vereinigt ist, dieselbe nicht mit Freuden empfangen wird. Da aber der Zweck Christi sowohl die Verherrlichung Gottes, als auch die Rettung des Sünders ist, so kann von seiner Seite die Segnung nur in dieser Verbindung erscheinen. Gott ist in dieser Welt eben sowohl verunehrt worden, als der Mensch in derselben ruiniert worden ist, ja sich selbst ruiniert hat; und der Herr, der die Breschen wiederherstellt, vollbringt ein vollkommenes Werk, indem Er den Namen und die Wahrheit Gottes rechtfertigt. Sein Reich und dessen Rechte ankündigt und seine Herrlichkeit offenbart, und indem Er den verlorenen und toten Sünder rettet und lebendig macht.

Aber dieses, wie schon gesagt, steht dem Menschen nicht an. Wohl will er, dass man sich mit ihm beschäftige; aber um die Herrlichkeit Gottes mag er sich nicht kümmern. So ist der Mensch. Aber welch ein schönes Schauspiel, wenn durch den Glauben das Herz eines armen Sünders erneuert worden ist und er sich in Wahrheit der Herrlichkeit Gottes zu erfreuen hat! Das kananäische Weib liefert uns davon ein Beispiel. Die Herrlichkeit des Dienstes Christi hatte lebendig und kräftig ihre Seele getroffen. Dennoch hält der Herr in seiner Stellung, trotz der Betrübnis des armen Weibes, die Grundsätze Gottes aufrecht und weist sie mit den Worten ab: „Ich bin nicht gesandt, es sei denn zu den verlorenen Schaffen im Haus Israel“; und: „Es Ziemt sich nicht, das Brot der Kinder zu nehmen und es den Hunden hinzuwerfen“ (Mt 15,24.26). das Weib unterwirft sich diesem Ausspruch; sie erkennt den Herrn als den Austeiler der Wahrheit Gottes und setzt nicht einen einzigen Augenblick voraus, dass Er, zur Abhilfe ihrer Not, das Ihm anvertraute Pfand, die Wahrheit und die Grundsätze Gottes, verleugnen würde. Sie will, dass Gott nach seinen eigenen Ratschlüssen verherrlicht werde, und dass Jesus der treue Zeuge dieser Ratschlüsse und der Diener des Wohlgefallens Gottes sei, wie immer auch ihre eigene Sache ablaufen möge. „Ja, Herr!“ sagt sie und bestätigt also alles, was der Herr gesagt hat, fügt aber in völliger Übereinstimmung mit den Worten Jesu hinzu: „Dennoch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.“ – Wie schön ist dieses alles! Es war die Frucht des Lichtes Gottes in der Seele. Die Mutter Jesu in Lukas 2 steht unter dieser Heidin. Maria wusste nicht, dass Er „in dem sein musste, was seines Vaters war“, während dieses Weib erkannte, dass Er sich mit den Dingen seines Vaters stets beschäftigen musste. Sie wünschte die Verherrlichung der Wege Gottes durch die treue Hand Christi, ob auch sie, selbst in ihrer Not, dadurch bei Seite gesetzt wurde. Das hieß Christus erkennen und Ihn in der Fülle seines Werkes annehmen als den, der in einer abgefallenen Welt sowohl für Gott, als auch für den sich selbst ruinierten Sünder seinen Platz eingenommen hatte. – 9. Es ist nicht gut, immer verstanden zu werden. Unsere Gewohnheiten und Handlungen müssen die eines Fremdlings, eines Bürgers aus einem anderen Land sein, dessen Sprache, dessen Gesetze und Gebräuche nur unvollkommen begriffen werden. Fleisch und Blut vermögen dieselben nicht zu schätzen; und darum befinden sich die Heiligen Gottes in keinem guten Zustand, wenn die Welt sie erkennt. Selbst die nächsten Verwandten Jesu erkannten Ihn nicht. Oder erkannte Ihn seine Mutter, als sie auf der Hochzeit zu Kana in Ihn drang. Seine Macht durch Herbeischaffung von Wein zu offenbaren? (Joh 2) Oder erkannten Ihn seine Brüder, als sie zu Ihm sagten: „Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt?“ (Joh 7,4) Welch ein Gedanke. Sie versuchten den Herrn zu veranlassen. Sich selbst zu dem zu machen, was wir einen „Weltmenschen“ nennen. Darf man irgendeine Erkenntnis von Jesu voraussetzen, wenn solche Gedanken in dem Herzen Raum finden? Keineswegs; und darum auch fügt der Evangelist hinzu: „Denn auch seine Brüder glaubten nicht an Ihn“ (Joh 7,5). Sie erkannten die Macht des Herrn, aber nicht seine Grundsätze; und nach Menschenweise knüpften sie den Besitz von Macht und von Talenten an die daraus entspringenden Vorteile in der Welt.

Es wird nicht nötig sein zu bemerken, dass der Herr Jesus geradezu das Gegenteil von diesem allen bildete, und seine vom Geist dieser Welt geleiteten Verwandten nach dem Fleisch konnten. Ihn daher nicht erkennen! Die Grundsätze, die seine Handlungen bestimmten, waren gänzlich fremd in einer Welt, wie diejenige, in welcher wir leben; man verachtete sie, wie die Tochter Sauls den König David verachtete, als er vor der Bundeslade des Herrn tanzte (2. Sam 6,16).

Aber welche Anziehungskraft übte die Gegenwart Jesu für das Herz und die Augen, die durch den Heiligen Geist geöffnet waren! Die Apostel bezeugen es uns. Sie wussten der Lehre nach wenig von ihrem Meister; ihr Bleiben bei Ihm war kein Gewinn, d. h. kein weltlicher Gewinn, für sie. Ihre Lage hienieden war durch ihren Wandel mit Jesu nichts weniger als verbessert; auch kann man nicht sagen, dass sie auf seine Wundermacht trotzten. Im Gegenteil zweifelten sie weit eher an dieser Macht, als dass sie sich derselben bedienten; und dennoch hingen sie an Ihm. Sie gesellten sich nicht zu Jesu, weil sie in Ihm die unversiegbare Quelle erkannten, die alle ihre Bedürfnisse zu stillen fähig war; im Gegenteil, glaube ich, müssen wir bezeugen, dass sie nimmer zu ihren Gunsten von seiner Macht Gebrauch machten. Dennoch waren sie bei Ihm; man sah sie in Verlegenheit, wenn Er sie an sein Hinscheiden erinnerte, und ihre Augen warm mit Tränen erfüllt, als sie Ihn wirklich verloren zu haben meinten. Wir wiederholen es nochmals: Welch eine Anziehungskraft übte die Gegenwart Jesu auf die aus, deren Herzen und Augen durch den Geist geöffnet, oder welche „durch den Vater gezogen“ worden waren (Joh 6,44).

Aber auch mit welcher Gewalt drang bisweilen ein einziger Blick, ein einziges Wort Jesu in das Herz! Das einzige Wort seiner Lippen: „Folge mir!“ war völlig hinreichend. Und diese Autorität, die Anziehungskraft wurde von Menschen gefühlt, deren Charakter höchst verschieden war. Der vernünftelnde, glaubensträge Thomas, und der feurige unbedachtsame Petrus – beide werden durch diesen wunderbaren Mittelpunkt angezogen und festgehalten. Ja, Thomas, beseelt von dem Geist des eifrigen Petrus, konnte sogar in der Gegenwart des Herrn unter dem Eindruck dieser Anziehungskraft die Worte hören lassen: „Lasst auch uns gehen, auf dass wir mit Ihm sterben!“ (Joh 11,16)

Und was wird es sein, wenn auch wir dieses alles in gänzlicher Vollkommenheit sehen und empfinden werden! Was wird es sein, wenn die ganze menschliche Familie aller Länder, aller Farben und aller Charaktere versammelt sein wird, und alle Geschlechter und Sprachen und Völker und Nationen bei dem Herrn sein und Ihn in einer seiner würdigen Welt umringen werden! Es ist der Mühe wert, auf diese Beispiele unsere Gedanken zu richten; denn sie zeigen uns, welch einen Wert der Herr Jesus für Herzen hat, gleich den unsrigen. Betrachten wir dieselben als Unterpfänder dessen, was in Hoffnung sowohl uns, als ihnen gehört.

Das Licht Gottes strahlt oft vor uns, auf dass wir nach der uns verliehenen Kraft dasselbe unterscheiden, genießen, gebrauchen und ihm folgen können. Nicht, dass das Licht uns anklagt oder Forderungen an uns stellt, sondern es strahlt vor uns, auf dass wir, wozu wir Gnade empfangen haben, es zurückstrahlen lassen sollen. In dieser Weise sehen wir in der ersten Gemeinde zu Jerusalem das Licht wirken. Das hier scheinende Licht Gottes, forderte nichts. Es strahlte in Klarheit und Macht; und das war alles. Petrus redete die Sprache dieses Lichtes, als er zu Hananias sagte: „Blieb es nicht, wenn es so blieb, dein? Und war es nicht, als es verkauft war, in deiner Gewalt?“ (Apg 5,4) das Licht hatte nichts von Hananias gefordert; es glänzte einfach vor und neben ihm in seiner Schönheit, damit er nach seinem Maß darin wandeln konnte. In dieser Weise glänzt größtenteils die moralische Herrlichkeit Jesu; und beim Anschauen dieses Lichtes ist es unsere erste Pflicht zu lernen, was Christus ist. Wir dürfen nicht damit beginnen, dass wir uns mit Angst und Furcht nach seinem Schein abmessen, sondern wir müssen mit Ruhe, Freude und Danksagung Christus in der moralischen Vollkommenheit seiner Menschheit kennen zu lernen trachten. Freilich hat uns diese Herrlichkeit verlassen. Ihr lebendiges Bild existiert auf der Erde nicht mehr. Die Evangelien liefern uns eine Beschreibung von ihr; aber nirgends erblickt man hienieden ihren mächtigen Strahl. Er, dessen Herrlichkeit in dieser Welt offenbart worden, ist zum Vater zurückgekehrt; aber obwohl sein Fuß nicht mehr die Erde berührt, so ist Er dennoch geblieben, wie Er war. Wir sind berufen, Jesus, so zu sagen, aus der Geschichte kennen zu lernen; aber diese Geschichte liefert uns keine Dichtungen, sondern sie stellt uns nur lebende, wahre Blattseiten vor Augen; und also erkennen wir Christus für ewig.

Die Jünger kannten den Herrn persönlich. Seine Person, seine Gegenwart, sein Ich zog sie an; und dieses ist es, dessen wir in einem größeren Maße bedürfen. Wir mögen bemüht sein, Wahrheiten in Betreff Jesu kennen zu lernen, wir mögen auf diesem Weg bereits bedeutende Fortschritte gemacht haben, dennoch können die Jünger, bei all unserer Erkenntnis und trotz all ihrer Unwissenheit, uns weit hinter sich zurücklassen, wenn es sich handelt um die Kraft einer wahren und gänzlichen Anhänglichkeit an die Person des Herrn. Gewiss, geliebte Brüder, es ist nötig, dass die Zuneigungen unserer Herzen zu Jesu, das Maß der Erkenntnis überschreiten, die wir uns bezüglich seiner haben erwerben können; denn nur dieses wird der Beweis sein, dass wir Ihn wirklich verstanden haben. Zum Glück gibt es noch einfältige Seelen, bei welchen sich diese Anhänglichkeit an die Person Christi offenbart; aber leider ist es im Allgemeinen nicht also. In unseren Tagen überschreiten das Licht und die Erkenntnis der Wahrheit oft das Maß dessen, was wir für den Herrn fühlen; und diese Entdeckung ist für einen jeden, der noch irgendwie ein wahres Gefühl besitzt, höchst peinlich.

„Das Vorrecht unseres christlichen Glaubens“, sagt jemand „und das Geheimnis seiner Macht besteht darin, dass alles, was der Glaube besitzt und alles, was er darbietet, in einer Person enthalten ist“. Während viele Dinge ihre Schwachheit verraten. Zeigt der Glaube gerade darin seine Kraft, dass Er einen Christus zum Mittelpunkt besitzt, und dass er keinen Umkreis ohne einen Mittelpunkt, keine Erlösung ohne einen Erlöser, keine Seligkeit ohne einen Seligmacher hat. Dadurch ist der christliche Glaube – was er für pilgernde und reifende Menschen sein muss – ein Licht, welches Heller glänzt als die Sonne, und alles andere, im Vergleich mit demselben, erscheint nur wie das Licht des Mondes, welches zwar glänzt, aber kalt und unfruchtbar ist, während hier das Licht und das Leben ein und dieselbe Sache ist. – „Welch ein großer Unterschied“ – fährt jener Schriftsteller fort – „besteht zwischen der Tatsache, dass man sich einer Sammlung von Vorschriften unterwirft, und derjenigen, dass man sich an ein liebendes Herz wirft, zwischen der Annahme eines Systems und einem festen Anklammern an eine Person? Mögen wir es nimmer aus den Augen verlieren, dass unsere Schätze in einer Person enthalten sind, die nicht für eine einzelne Generation ein lebender und gegenwärtiger Lehrer und Herr war, und hernach ein ehemaliger und toter Lehrer und Herr geworden ist, sondern für alle Geschlechter zu allen Zeiten lebendig und gegenwärtig bleiben wird.“ – das sind meines Erachtens gute und beachtenswerte Worte. 10. Der Herr offenbart uns in seinem Dienst auf der Erde eine ebenso wunderbare Vereinigung moralischer Herrlichkeiten, wie in seinem Charakter. Im Hinblick auf diesen Dienst können wir den Herrn betrachten in seinem Verhältnis zu Gott, zu Satan und zu den Menschen. In seinem Verhältnis zu Gott stellt der Herr Jesus – in seiner Person – und in allen seinen Handlungen stets den Menschen so vor Gott hin, wie der Mensch nach dem Willen Gottes sein sollte. Er stellte die menschliche Natur wieder her als ein Friedensopfer voll duftenden Wohlgeruchs, als ein reiner Weihrauch, als eine reine Garbe der auf menschlichem Boden erwachsenen Erstlingsfrüchte; Er führte den Menschen in die Gunst Gottes zurück, die durch Adam oder durch die Sünde für Ihn verloren gegangen war. Die Reue Gottes, dass Er den Menschen gemacht, (1. Mo 6,6) verwandelt? sich in Wonne und Wohlgefallen an dem Menschen. Und dieses Opfer wurde Gott dargebracht inmitten aller Widersprüche, inmitten aller entgegenwirkenden Umstände, inmitten aller Mühsale, Leiden, Täuschungen und Herzenszerknirschungen. Wunderbarer Altar! Wunderbares Opfer! Es war ein unendlich köstlicheres Opfer, als es eine Ewigkeit von Unschuld in dem Paradies hätte sein können. Und ebenso wie Jesus den Menschen vor Gott darstellte, so stellte Er auch Gott vor dem Menschen dar.

Nach dem Fall Adams hatte Gott sein Ebenbild nicht mehr auf Erden; aber jetzt in Christus fand Er dasselbe weit vollkommener und glänzender, als es Adam hätte je darstellen können. Christus offenbarte Gott, und zwar nicht, was Er einer sehr guten Schöpfung, sondern was Er einer verlorenen und verdorbenen Welt gegenüber war. Er stellte Gott in Gnade vor, indem Er sagte: „Wer mich gesehen, hat den Vater gesehen“ (Joh 14,9). Jesus offenbarte Gott. Alles, was Gott ist, und was man von „dem Licht“, dem niemand nahen kann, zu erkennen vermag, ist in Jesu vor unser Auge gebracht worden.

Wollen wir noch einen Blick auf den Dienst Christi bezüglich seines Verhältnisses zu Gott werfen, so sehen wir, wie sich Christus immer der Rechte Gottes erinnert, und wie Er stets der Wahrheit und den Grundsätzen Gottes treu bleibt, wiewohl Er Zugleich tagtäglich unermüdlich beschäftigt ist, die Not des Menschen zu lindern. Von welcher Art auch das menschliche Leid, welches sich an Ihn wandte, sein mochte, so opferte Er um dessentwillen doch nimmer etwas auf, das Gott gehörte. Bei seiner Geburt sangen die Engel sowohl: „Herrlichkeit Gott in der Höhe!“ als auch: „An den Menschen Wohlgefallen!“ (Lk 2,14) – und daher zog Er während seines ganzen Dienstes die Ehre Gottes mit demselben Eifer zu Rat, wie Er sich dem Dienst des Elends und des Heiles des Sünders widmete. Das Echo der Worte: „Herrlichkeit Gott in der Höhe!“ und: „Friede auf Erden!“ ließ sich so zu sagen, bei jeder Gelegenheit vernehmen. Die bereits erwähnte Geschichte des kanaanitischen Weibes liefert uns davon ein lebendiges Beispiel. Bis zu dem Augenblick, wo sie gegenüber den Absichten und Ratschlüssen Gottes ihren wahren Platz einnahm, konnte Er nichts für sie tun; hernach aber vermochte Er alles. Wie herrlich ist der Dienst des Herrn Jesus, wenn mir denselben mit dem Auge Gottes beschauen!

Was Satan betrifft, so begegnet ihm Jesus zuerst, und zwar im Augenblick seines Dienstantritts, als dem Versucher. Satan trachtete in der Wüste, den Herrn in dasselbe moralische Verderben hineinzustürzen, welches in Adam und in die menschliche Natur zu pflanzen seiner List bereits gelungen war. Der Sieg über den Versucher bildete die wahre und notwendige Einleitung zu allen Werken und Handlungen des Herrn. Darum war es auch der Geist, der Ihn dem Versucher entgegenführte; wie wir lesen: „Da ward Jesus von dem Geist? in die Wüste hinausgeführt, um von dem Teufel versucht zu werden“ (Mt 4). Bevor der Sohn des Menschen in das Haus des Starken hineingehen und seinen Hausrat rauben konnte, musste der Starke gebunden sein (Mt 12,29). Bevor Jesus die „unfruchtbaren Werke der Finsternis“ bestrafen konnte, (Eph 5,11) musste Er zeigen, dass Er keine Gemeinschaft mit ihnen habe. Jesus musste dem Feind die Spitze bieten und ihn von sich fernhalten, bevor Er in sein Reich eintreten und seine Werke zerstören konnte. Jesus hat ihn zum Schweigen gebracht. Er hat ihn gebunden. Satan war gezwungen, sich als ein völlig überwundener Versucher zurückzuziehen. Er vermochte nichts von dem seinen in Jesu eindringen zu lassen, sondern erkannte im Gegenteil, dass alles, was von Gott war, in Christus gefunden wurde. Christus hielt alles außer sich, was Adam gegenüber einer ähnlichen Versuchung in sich hatte eintreten lassen; und der Herr Jesus hat, nachdem Er sich also als rein erwiesen, ein vollkommen moralisches Recht, alles Unreine zu verurteilen.

„Haut für Haut!“ (Hiob 2) hat der Ankläger im Blick auf einen anderen Menschen sagen und durch solche und ähnliche Worte die verdorbene Natur des gefallenen Menschen antasten und beschuldigen können. Aber als Verkläger Jesu vor dem Thron Gottes hat er nichts zu machen; er ist zum Schweigen gebracht. In dieser Weise beginnt das Verhältnis Jesu mit Satan; und nun tritt Er in sein Haus und beraubt ihn seines Hausrats. Die Welt ist dieses Haus; und dort sieht man den Herrn in seinem Dienst, indem Er die verschiedenen und tiefeingedrungenen Spuren der Macht des Feindes austilgt. Alle Tauben und Blinden, welche geheilt, alle Aussätzige, welche gereinigt worden, alle wiederherstellenden Werke der Hand Jesu, von welcher Art die menschlichen Gebrechen auch sein mochten, sind Zeugnisse der Beraubung des Hausrats des Starken in seinem eigenen Haus. Nachdem Satan gebunden ist, beraubt Jesus ihn seiner Güter und überliefert sich am Ende ihm, der „die Kraft des Todes“ hat (Heb 2). Golgatha war die Stunde der „Macht der Finsternis“ (Lk 22,53). Dort erschöpfte Satan alle seine Hilfsmittel und setzte seine ganze List in Tätigkeit; aber er ward besiegt; ein Gefangener wurde sein Überwinder. Durch den Tod machte Jesus den zunichte, der die Kraft des Todes hatte. Durch das Opfer seiner selbst hat Er die Sünde hinweggetan; der Kopf der Schlange ward zertreten; und dadurch ist, wie jemand gesagt hat, „nicht der Mensch, sondern der Tod kraftlos geworden.“

So hat also Jesus, der Sohn Gottes, den Teufel zu Boden geworfen, nachdem er ihn vorher gebunden und ihn dann seines Hausrats beraubt hatte.

Doch noch eine andere moralische Herrlichkeit sieht man in dem Dienst Christi bezüglich seines Verhältnisses zu Satan hervorstrahlen. Christus erlaubt dem Satan niemals, Zeugnis von Ihm abzulegen! Das Zeugnis mag wahr sein und selbst in den schmeichelhaftesten Ausdrücken, wie: „Ich kenne dich, wer du bist, der Heilige Gottes!“ (Mk 1) hervorgebracht werden, so gebietet Jesus ihm demnach, zu schweigen. Der Dienst des Herrn war ebenso rein, wie voll von Gnade; und Er nahm daher in keiner Weise in seinem Dienst die Hilfe dessen an, den zu zerstören Er gekommen war. Weder in seiner Natur, noch in seinem Dienst konnte Er mit der Finsternis Gemeinschaft haben. Bei Ihm kannte der Zweck das Mittel nicht heiligen; darum wurde der Teufel, als Antwort auf sein Zeugnis, bestraft und zum Schweigen gebracht. 1

Endlich strahlen uns auch die moralischen Herrlichkeiten des Dienstes Christi bezüglich seines Verhältnisses zu dem Menschen im hellsten Lichts entgegen. Ohne Unterbrechung erquickt und bedient Er den Menschen in den verschiedensten Arten der Leiden desselben; aber zu gleicher Zeit offenbart Er ihm in der deutlichsten Weise, dass er eine verdorbene, aufrührerische, von Gott entfremdete Natur besitze. Außerdem stellt Er den Menschen auf die Probe; und diese Wahrheit verdient umso mehr unsere Aufmerksamkeit, da sie im Allgemeinen wenig beachtet wird. In seinen Unterweisungen prüft der Herr die Menschen, in welcher Stellung – mochten es seine Jünger, mochte es eine hilfesuchende Schar, oder mochten es seine Feinde sein – sie Ihm auch gegenüberstanden. Während Er mit seinen Jüngern umherzog und sie unterwies, übte Er beständig ihr Herz und Gewissen; und dieses fand so oft statt, dass es überflüssig feile wird, Beispiele dafür anzuführen.

Auch die Scharen, die Ihm folgten, behandelte Er in derselben Weise. „Hört und versteht!“ (Mt 15,10) rief Er ihnen zu, um also ihren Geist zu üben, während Er sie belehrte. Zu etlichen, welche mit ihren Krankheiten zu Ihm kamen, sagte Er: „Glaubt ihr, dass ich dieses tun kann?“ (Mt 9,23) das kanaanitische Weib ist ein bemerkenswertes Beispiel von der Art und Weise, in welcher Er diese Klasse von Personen auf die Probe stellt. Im Haus Simons, nachdem Er die Geschichte eines Menschen erzählt hat, welcher zwei Schuldner hatte, wendet Er sich an Simon mit der Frage: „Wer nun von ihnen, sage, wird ihn am Meisten lieben?“ (Lk 7)

Ebenso stellte Er die Pharisäer, seine unermüdlichen Widersacher, beständig auf die Probe; und diese Tatsache zeugt uns mit Macht von dem, was Christus ist. Wir lernen daraus, dass Er die Pharisäer nicht unter ein allgemeines Urteil stellte, sondern dass Er sie zur Buße führen wollte. Und in gleicher Weise verfährt Er mit seinen Jüngern, wenn Er ein Selbstgericht in ihnen wachruft. Er belehrt uns damit, dass wir wirklich seine Lektionen nicht lernen, wenn nicht irgendeine Tätigkeit des Verständnisses, des Gewissens und des Herzens uns zu Ihm führt. Diese Art und Weise, diejenigen, welche Er geleitete und belehrte, zu prüfen, ist sicher eine der moralischen Herrlichkeiten, die den Dienst Christi unterscheiden.

Doch noch mehr. In seinem Dienst dem Menschen gegenüber nimmt Jesus oft die Stellung eines Richters ein; und dieses kann kaum anders sein inmitten der menschlichen Familie, die durch die Sünde in ihren gegenwärtigen Zustand gebracht ist; aber bewundernswürdig ist die Art und Weise seines Tadelns. Stand Er den Pharisäern gegenüber, deren irdisch gesinnter Geist sich stets wider Ihn erhob, dann nahmen seine Worte den feierlichsten Ton an, wie z. B.: „Wer nicht mit mir ist, ist wider mich!“ (Mt 12,30) Wandte Er sich hingegen zu denen, welche Ihn angenommen hatten und Ihn liebten, welche aber, um seine volle Gemeinschaft zu genießen, einer größeren Kraft des Glaubens und eines größeren Maßes von Licht bedurften, dann bediente Er sich einer anderen Sprache und sagte: „Wer nicht wider euch ist, der ist für euch!“ (Lk 9,50) – In Matthäus 20, wo es sich handelte um die zehn Jünger und die zwei Brüder, tritt Er in demselben Charakter vor uns. Wie sehr mildert Er den Verweis, den Er an Letztere richtet im Blick auf das Gute, welches sich bei denen findet, die Er zurecht zu weisen gezwungen ist! Wie sehr unterscheidet Er die beiden Brüder von seinen unwilligen Jüngern, welche keine Schonung in Betreff derselben zu sehen wünschten! Er prüft mit Geduld die ganze Frage und macht einen Unterschied zwischen dem, was gut, und dem, was schlecht ist.

Ebenso wendet sich der Herr tadelnd an Johannes, als die Jünger jemandem, der nicht mit ihnen wandeln wollte, verboten hatten, im Namen Jesu Teufel auszutreiben. Aber in demselben Moment war das Herz Johannes unter die Zucht des Herrn gekommen; in dem Licht der Worte Jesu hatte er den begangenen Irrtum entdeckt und machte eine Anspielung darauf, obwohl der Herr denselben mit keinem Wort erwähnt hatte. Und eben weil Johannes sich seines Fehlers bewusst war und ihn öffentlich bekannt hatte, so antwortet ihm der Herr mit der größten Zartheit (Siehe Lk 9,46–50).

Bei Johannes, dem Täufer, fand dasselbe statt. Jesus tadelte ihn und legte Zugleich ein schönes Zeugnis von ihm ab. Johannes befand sich damals im Gefängnis; und von welcher Bedeutung, musste dieser Umstand für Jesus in dieser Stunde sein! Nichtsdestoweniger verdiente Johannes getadelt zu werden, weil er an seinen Herrn eine solch beleidigende Botschaft richtete. Doch wie zart ist die Zurechtweisung Jesu! Er antwortet durch Worte, die nur von Johannes gewürdigt werden konnten, indem Er sagte: „Glückselig ist jeder, der sich nicht an mir ärgern wird!“ (Mt 11,6) selbst die Jünger Johannes, die mit der Botschaft ihres Meisters betraut worden waren, vermochten nicht die Tragweite dieser Worte zu verstehen. Jesus wollte dem Johannes sein eigenes Herz aufdecken, aber weder den Jüngern noch der Welt wollte Er dieses offenbaren. Die zurechtweisenden Worte, die Jesus an seine nach Emmaus wandelnden Jünger, sowie diejenigen, welche Er nach seiner Auferstehung an Thomas richtet, haben ihre besondere Vortrefflichkeit. Petrus wird in Matthäus 16 und in Matthäus 17 getadelt; aber wie verschieden ist bei diesen beiden Gelegenheiten die Art und Weise der Zurechtweisung. Und jede dieser Verschiedenheiten bietet eine Fülle von moralischer Schönheit. Mag sich Jesus mit Macht oder in Milde, mit Lebhaftigkeit oder mit Schonung ausdrücken, mag der Ton seiner tadelnden Worte so sehr herabgestimmt sein, dass er kaum mehr wie ein Verweis klingt, oder mag der Tadel sich zu einer Höhe steigern, dass er fast einer Verwerfung gleicht, so können wir doch stets mit Bestimmtheit sagen, dass, wenn wir die Umstände, welche die Worte Jesu hervorrufen, erwägen, wir in allen diesen Schätzungen ebenso viele Vollkommenheiten entdecken. Alle Verweise des Herrn sind „wie ein goldenes Stirnband und wie ein Geschmeide von seinem Gold“, mag das „Ohr“ ein „horchendes“ sein oder nicht (Spr 25,13). – „Der Gerechte schlage mich – es ist Güte; er strafe mich – es ist Öl des Hauptes“ (Ps 141,5). Sicher ließ der Herr seine Jünger diese Erfahrung machen. So habe ich denn einige Züge der moralischen Herrlichkeit Jesu Christi in seiner Menschheit aufgezeichnet. Er stellte vor Gott den Menschen dar, wie er sein sollte; und Gott ruhte in Ihm. Diese moralische Vollkommenheit des Menschen Christus Jesus und seine Annahme vor Gott sind uns vorbildlich gezeigt in dem Speisopfer – in dem Opfer von Feinmehl und Öl und Weihrauch, gebacken in der Pfanne oder im Ofen (3. Mo 2).

Während der Herr Jesus auf der Erde war und sich vor Gott als Mensch offenbarte, drückte Gott beständig sein Wohlgefallen aus, das Er an Ihm fand. Jesus nahm vor dem Auge Gottes zu in seiner menschlichen Natur und in der Entwicklung aller menschlichen Tugenden; und Er bedurfte, in welchem Augenblick es auch sein mochte, nichts anders zu seiner Empfehlung als sich selbst, sowie Er war. In seinen Wegen und in seiner Person war der Mensch moralisch verherrlicht, so dass Er, als sein Lauf vollendet war, „sogleich“ zu Gott gehen konnte, sowie einst die „Garbe der ersten Früchte“ direkt und unmittelbar, gerade wie sie war, vom Feld genommen, und ohne sich einem vorbereitenden Prozess unterwerfen zu müssen, zu Gott gebracht und von Ihm angenommen wurde.

Der Rechtstitel Jesu auf die Herrlichkeit war ein moralischer Titel. Er besaß moralisch das Recht, verherrlicht zu werden; dieses sein Recht fand sich in Ihm selbst. In Johannes 13 ist diese Wahrheit klar an ihren Platz gestellt. „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht“, sagt der Herr in dem Augenblick, als Judas die Tafel verlassen hatte; denn diese Handlung des Judas war die sichere Vorläuferin seiner Gefangennahme durch die Juden, sowie diese Gefangennahme die sichere Vorläuferin seiner Verurteilung zum Tod durch die Heiden war. Das Kreuz war die Fülle und die Vollkommenheit der vollständigen Form der moralischen Herrlichkeit in Ihm; und darum sagte Er gerade damals: „Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht“, und „Gott ist verherrlicht in Ihm.“

Gott war damals so vollkommen verherrlicht, wie Jesus es war, wiewohl die Herrlichkeit eine ganz verschiedene war. Der Sohn des Menschen war verherrlicht, indem Er die moralische Schönheit, die während deines ganzen Lebens aus Ihm hervorstrahlte, in ihrer Fülle darstellte. Kein Strahl dieser Herrlichkeit durfte in dieser Stunde fehlen, sowie vom Anfang bis zu dieser Stunde niemals etwas, das ihrer unwürdig, mit ihr vermengt wurden war; und jetzt war die Stunde angebrochen, wo der Sohn des Menschen, um den Glanz seiner Herrlichkeit vollständig zu machen, den letzten Strahl hervorleuchten lassen sollte. Aber auch Gott war verherrlicht, weil alles, was von Ihm war, aufrechterhalten und offenbart worden war. Seine Rechte waren aufrechterhalten, seine Güte war offenbart. Die Gnade und die Wahrheit, die Gerechtigkeit und der Friede waren sowohl aufrechterhalten als auch befriedigt. Die Wahrheit Gottes, seine Heiligkeit, seine Liebe, seine Majestät und seine ganze Herrlichkeit – mit einem Wort, alles war in einer Weise und nach einem Licht offenbart und großgemacht, dass dadurch alles, was man anders davon hätte erkennen können, übertroffen wurde. Das Kreuz ist, wie jemand gesagt hat, das moralische Wunder des Weltalls.

Doch der Herr fügt hinzu: „Wenn Gott verherrlicht ist in Ihm, so wird auch Gott Ihn verherrlichen in sich selbst, und sogleich wird Er Ihn verherrlichen“ (Joh 13,32). Jesus erkennt hier sein eigenes Recht auf die persönliche Herrlichkeit. Er hatte bereits die ganze Form der moralischen Herrlichkeit während seines Lebens und in seinem Tod erfüllt. Auch hatte Er, wie wir gesehen, die Herrlichkeit Gottes zurückgefordert und aufrechterhalten; sein Eintritt in seine eigene persönliche Herrlichkeit war daher nur eine gerechte Sache. Und dieses Rechts hat sich Jesus bedient, als Er seinen Platz im Himmel, zur Rechten der Majestät, bei Gott selbst einnahm, und zwar unmittelbar oder sogleich.

Das Werk Gottes, als des Schöpfers, war bald unter den Händen der Menschen verunreinigt worden. Der Mensch hatte sich selbst verdorben, so dass wir lesen: „Es gereute den Herrn, dass Er den Menschen auf Erden gemacht hatte“ (1. Mo 6,6). Welch ein Wechsel in den Gedanken Gottes seit jenem Tag, wo „Gott ansah alles, was Er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut!“ Aber in dem Herrn Jesus hatte Gott wieder sein Wohlgefallen gefunden an dem Menschen. Welch eine Segnung! Und diese Segnung ist umso größer wegen der Reue, welcher Gott einst einen Ausdruck gegeben hatte. Das war mehr als der erste Genuss; es war das Wiederfinden eines Glücks, das verloren war und nichts als getäuschte Hoffnungen zurückgelassen hatte, und zwar das Wiederfinden eines weit größeren Glücks als das erste, und dessen Erlangung auf eine weit vortrefflichere Weise geschah, als die erste war. Und wie, wenn ich mich also ausdrücken darf, der erste Mensch zufolge seiner Sünde, außerhalb der Schöpfung seinen Platz fand, so fand der zweite Mensch (der Zugleich der „Zerr vom Himmel“ war), nachdem Er Gott verherrlicht hatte, als das Haupt der Schöpfung zur Rechten der Majestät in der Hohe seinen Platz. Jesus ist als verherrlichter Mensch im Himmel, weil Gott auf der Erde in Ihm, dem gehorsamen Menschen im Leben und im Tod, verherrlicht worden ist. Wohl ist Er, wie wir wissen, noch in einem anderen Charakter im Himmel: Er ist dort als Überwinder, als der, welcher wartet, als der große Hohepriester in der Hütte, welche Gott aufgerichtet hat, als unser Vorläufer und als der, welcher die Reinigung unserer Sünden vollbracht hat. Aber Er ist dort in den himmlischen Örtern auch verherrlicht, weil Er Gott hienieden auf der Erde verherrlicht hat.

Das Leben und die Herrlichkeit gehören dem Herrn Jesus kraft eines persönlichen Rechts und wegen eines moralischen Titels. Wie erquickend ist es, bei einer solchen Wahrheit zu verweilen und immer von neuem seine Gedanken darauf zu richten! Für Jesus war der Garten Eden nicht verloren. Zwar wandelte Er während seines ganzen Lebens außerhalb Edens inmitten der Dornen und Disteln, der Mühsale und Entbehrungen einer verlorenen Welt; aber Er tat es in Gnade; Er versetzte sich in diese Lage; aber Er war ihr nicht unterworfen. Er war nicht, wie Adam und wie wir es sind, durch die Cherubims und durch das flammende Schwert von dem Baum des Lebens und dem Paradies getrennt. In seiner Geschichte sehen wir, dass die Engel, anstatt Ihn außerhalb des Gartens fern von dem Eingang zurückzuhalten, Ihm dienen, nachdem Er die Versuchung bestanden hat; denn Er hielt Stand, wo Adam verführt wurde und fiel. Obwohl daher Jesus wirklich und wesentlich Mensch war, so war Er doch der „vollkommene Mensch“. Gott wurde in Ihm verherrlicht, als Er durch alles andere getäuscht und verunehrt worden war.

In einem gewissen Sinne ist diese Vollkommenheit des Sohnes des Menschen, diese moralische Vollkommenheit, ganz für uns. Sie gibt dem Blut, welches unsere Sünden versöhnt, seinen Wert. Sie ist wie jene Wolke von Weihrauch, welche am Versöhnungstag Zugleich mit dem Blut zu Gott emporstieg (3. Mo 11,3).

Aber in einem anderen Sinne ist diese Vollkommenheit zu groß für uns. Sie ist so erhaben, dass wir sie nimmer erreichen. Sie überwältigt unser moralisches Gefühl, wenn wir zu ihr emporschauen und uns dessen erinnern, was wir in uns selber sind, während sie andererseits uns mit Bewunderung erfüllt, wenn wir sie als den Ausdruck dessen betrachten, was Er ist. Die in früheren Zeiten erscheinende richterliche Herrlichkeit Gottes war überwältigend. Selbst die Begünstigten unter den Kindern der Menschen, wie Jesajas, Hesekiel und Daniel, konnten ihren Glanz nicht ertragen. Auch Petrus und Johannes machten dieselbe Erfahrung; und auch uns würde diese moralische Herrlichkeit, wann sie sich uns in derselben Weise offenbarte, zu Boden drücken. Nur der Glaube findet sich in ihrer Gegenwart zu Haus. Der Gott dieser Welt verblendet die Sinne, damit man nicht diese moralische Herrlichkeit begreife und sich ihrer erfreue, während der Glaube sie mit Freuden begrüßt. Das ist die Geschichte der Herrlichkeit hienieden unter den Menschen. In ihrer Gegenwart fordern die Pharisäer und Sadduzäer gemeinschaftlich ein Zeichen vom Himmel. Die Mutter und die Brüder Jesu misskennen sie – die eine aus Eigenliebe, die anderen aus Weltlichkeit; (Joh 2,7) und selbst die Jünger werden beständig durch sie bestraft.

Das Öl, welches dieses Licht nährte, war für jedes andere Licht zu rein; aber es brannte beständig im Heiligtum „vor dem Angesicht des Herrn“. In der Synagoge zu Nazareth (Lk 4) sehen wir, wie wenig der Mensch bereit ist, dieses Licht aufzunehmen. Alle erkannten die gnadenreichen Worts, welche den Lippen des Herrn entströmten; sie fühlten die Kraft derselben; aber bald drängte sich ein mächtiger Strom des natürlichen Verderbens dazwischen, widerstand den Bewegungen in den Herzen und trug den Sieg davon. Der demütige Zeuge Gottes wird in einer hochmütigen, rebellischen Welt offenbart; aber man will nicht von Ihm bedient sein. Mag der „Sohn Josephs“ auch gnaden– und trostreiche Worte reden, so verweigert man Ihn: dennoch die Aufnahme. Er ist der Sohn eines Zimmermanns (Lk 4). Welch ein schreckenerregendes Zeugnis von der grundlosen Verdorbenheit unserer Herzen! Der Mensch hat seine liebenswürdigen Eigenschaften, seine Tugenden, seine guten Neigungen, seine zarten Gefühle, wie wir dieses bei der Szene zu Nazareth gewähren. Die gnadenreichen Worte Jesu rufen für einen Augenblick mancherlei gute Gefühle wach; aber was gelten sie und welchen Erfolg hatten sie, als Gott sie auf die Probe stellte? Ach, meine Freunde, trotz unserer Liebenswürdigkeit, trotz des Ansehens, dass wir genießen mögen, trotz unserer guten Neigungen und zarten Gefühls sind und bleiben wir zu dem Bekenntnis gezwungen: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes“ (Röm 7,18).

Doch, ich wiederhole es, der Glaube fühlt sich bei Jesu zu Haus. Können wir – möchte ich sagen – gegen Ihn argwöhnisch sein oder Ihn fürchten? Können wir irgendeinem Zweifel gegen Ihn Raum geben? Können wir uns fernhalten von Ihm, der am Jakobsbrunnen sich mit dem Weib von Sichar unterhielt? Hielt etwa sie sich fern von Ihm? Wahrlich, meine Brüder, wir sollten den innigsten Verkehr mit Jesu unterhalten. Die Jünger, welche bei Ihm waren, mussten stets die neue Lektion aufs Neue lernen; und auch wir missen davon etwas zu sagen. Sie hatten immer von neuem die Entdeckung zu machen, was Christus war, anstatt sich dessen zu erfreuen, was sie bereits von Ihm kennen gelernt hatten. In Matthäus 14 mussten sie ausrufen: „Wahrlich, du bist der Sohn Gottes!“ indem sie aufs Neue entdeckten, was Jesus war. Wäre ihr Glaube einfältig gewesen, so würden sie sich im Schiff ruhig neben Ihm zum Schlummer niedergelegt haben (Mk 4). Welch eine Szene – zu ihrer Beschämung und zu seiner Ehre! Sie hatten den Herrn in einem verletzenden, zurechtweisenden Tone angesprochen, als zeige Er sich gleichgültig und teilnahmslos gegenüber der Gefahr, in welcher sie schwebten. „Lehrer! Liegt dir nichts daran, dass wir umkommen?“ rufen sie Ihm zu. Er erwacht und bringt sogleich die Ursache ihrer Angst zum Schweigen. Dann aber richtet Er seine strafenden Worte an sie, jedoch nicht darüber, dass sie Ihn in einer kränkenden Weise angeredet und gestört haben, sondern wegen ihres Kleinglaubens.

Wie vollkommen ist dieses alles? Wirklich alles in Jesu ist vollkommen; alles ist an seinem Platz: die menschlichen Tugenden, als die Früchte der Salbung, die Ihm zu Teil geworden, und seine göttliche Herrlichkeit. In dieser Person sind die beiden Naturen nicht mit einander verschmolzen, sondern der Glanz der göttlichen Natur ist gemildert, und das Gewöhnliche in der menschlichen Natur ist erhöht. Es wird und kann nichts dergleichen in der ganzen Schöpfung gefunden werden. Und dennoch das Menschliche in Ihm war wirklich menschlich, und das Göttliche wirklich göttlich. Jesus schläft im Schiff – Er war Mensch; Jesus bringt Wind und Welle zum Schweigen – Er war Gott.

Diese moralische Herrlichkeit muss hervorstrahlen; und bis dieses erfüllt ist, müssen alle anderen Herrlichkeiten in den Hintergrund zurücktreten. Die Griechen, welche nach Jerusalem gekommen waren, um auf dem Fest anzubeten, fragen nach Jesu und verlangen, Ihn zu sehen (Joh 12). Es war eine Anspielung auf das Königreich, oder auf die königliche Herrlichkeit des Messias – eine Darstellung des Tages, wo die Nationen in die Stadt der Juden kommen werden, um Festfeier zu halten, und wo Er, als König in Zion, Herr über alles und Gott der ganzen Erde sein wird.

Allein es gibt ein tieferes Geheimnis als dieses; und zum Verständnis desselben bedarf es einer richtigen Erkenntnis der Wege Gottes, als die einfache Erwartung des Königreichs. Diese Erkenntnis mangelte den Pharisäern, (Lk 17) als sie an den Herrn die Frage richteten, wann das Königreich Gottes kommen werde. Jesus hatte daher mit ihnen van einem anderen Königreiche zu reden, welches sie nicht erwarteten und nicht schätzten – von einem Königreich in ihrer Mitte, einem gegenwärtigen Reiche, in welches man eingehen müsse, bevor das herrlich offenbarte Königreich in die Erscheinung treten werde. Auch den Jüngern fehlte diese Erkenntnis, als sie den Herrn in Apostelgeschichte 1 fragten: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich Mm Israel wieder her?“ – und auch sie mussten an etwas erinnert werden, welches stattfinden sollte, bevor diese Wiederherstellung sich erfüllen konnte, nämlich dass sie empfangen würden die Kraft des Heiligen Geistes, um seine Zeugen zu sein bis an das Ende der Erde.

Ebenso belehrt uns der Herr in Johannes 12, dass die moralische Herrlichkeit dem Reich vorangehen müsse. Sicher wird bald der Augenblick anbrechen, wo Jesus in der Herrlichkeit des Thrones erscheinen wird und die Heiden nach Zion kommen und den König in seiner Schönheit sehen werden; allein bevor dieses in die Erscheinung treten kann, muss die moralische Herrlichkeit sich in ihrer ganzen Fülle und in ihrer ganzen Reinheit offenbaren. Dieser Gedanke beschäftigte Jesus, als die Griechen Ihn zu sehen begehrten. „Die Stunde ist gekommen“, sagte Er, „dass der Sohn des Menschen soll verherrlicht werden.“ Dass es sich hier um seine moralische Herrlichkeit handelt, bemerkten wir bereits bei der Betrachtung von Johannes 13,31–32. Diese Herrlichkeit hatte von der Geburt des Herrn an bis zu diesem Augenblick auf alle seine Pfade ihre Strahlen geworfen; und sein Tod sollte sie vollständig machen. Darum nahte die Stunde, wo sie ihren letzten Strahl auswerfen musste, der sie bilden und vollkommen machen sollte. Der Herr teilt also bei dieser Gelegenheit eine Wahrheit mit, die Er in ähnlicher Weise in Lukas 17 und in Apostelgeschichte 1, wie wir bereits gesehen, ins Licht gestellt hat. Und diese Wahrheit, für deren Verständnis man eine richtigere und tiefere Erkenntnis der Wege Gottes bedarf, lässt sich in die Worte zusammenfassen: Die moralische Herrlichkeit muss vollständig offenbart sein, bevor der Messias sich zeigen kann in seiner königlichen Herrlichkeit bis an die Enden der Erde.

Indes gehört diese Herrlichkeit Ihm und nur Ihm allein. Unsere Herzen fühlen dieses wohl. Als (Apg 10) der Himmel aufgetan ward, sah man das Leintuch herniederkommen, bevor Petrus den Befehl empfing, Gemeinschaft damit zu machen, oder bevor es wieder in den Himmel aufgenommen wurde und sich in den Lüften von neuem den Blicken entzog. Der Inhalt des Leintuches musste gereinigt oder geheiligt werden. Aber als in Matthäus 3 die Himmel geöffnet wurden, war es durchaus unnötig, dass Jesus, der auf der Erde war, in den Himmel aufgenommen wurde, um das Siegel des Wohlgefallens seines Vaters zu empfangen, sondern Stimmen und Erscheinungen aus den Himmeln drückten ihr Siegel auf Ihn und zeugten von Ihm, sowie Er war: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe!“

Und als die Himmel (Mt 27,51) noch einmal aufgetan wurden, als der Vorhang des Tempels in zwei Stücke zerriss, da war alles vollbracht. Nichts war zu tun übriggeblieben; das Werk Christi war versiegelt und anerkannt, sowie es damals war. Ein im Anfang geöffneter Himmel zeugt von der völligen Annahme der Person Christi; ein am Ende geöffneter Himmel legt Zeugnis ab von der völligen Annahme seines Werkes.

Ich schließe hier diese Betrachtung mit der Bemerkung, dass es kostbar und lieblich für uns ist und zu gleicher Zeit einen Teil unseres Gottesdienstes ausmacht, die Züge der Wege und des Dienstes Jesu hienieden auf der Erde zu bezeichnen, sowie ich es in dieser Schrift zu tun versucht habe. Denn alles, was Jesus getan. Alles, was Er geredet hat. Sein ganzer Dienst – sowohl im Wesen als in der Form –, alles legt Zeugnis ab von dem, was Er war; und Er ist für uns der Zeuge dessen, was Gott ist. In dieser Weise, folgend den in den Blattseiten der Evangelien aufgezeichneten Pfaden des Herrn Jesus, schwingen wir uns zu Gott empor. Jeder Schritt auf diesen Pfaden wird bedeutungsvoll für uns. Alles, was Jesus getan und geredet hat, war der wahre und treue Ausdruck seiner selbst, sowie Er der wahre und treue Ausdruck Gottes war. Wenn wir fähig sind, den Charakter seines Dienstes zu verstehen, wenn wir die moralische Herrlichkeit, welche mit jedem Moment und mit jeder Einzelheit des Lebens und des Dienstes des Herrn hienieden verknüpft ist, zu unterscheiden vermögen, indem wir dabei lernen, was Er, und mithin was Gott ist, so erreichen wir Gott in einer wahren und unbewölkten Erkenntnis seiner selbst mittelst der gewöhnlichen Pfade und Tätigkeiten des göttlichen Sohnes des Menschen.

Fußnoten

  • 1 Insoweit die Evangelien von dem Dienst des Herrn bezüglich seines Verhältnisses zu Satan reden, stellen sie Ihn als den vor, der Satan zu Boden wirft, ihn bindet und ihn seines Hausrats beraubt. Die Offenbarung zeigt uns das fernere Verhalten Jesu gegen denselben Widersacher; und hier sehen wir, wie „Satan auf die Erde geworfen wird“ (Off 12) und wie Jesus ihn, wenn die Zeit gekommen, „gebunden in den Abgrund“ und schließlich in den „Feuer– und Schwefelsee“ wirft (Off 20). Wir können als den Sieg des Herrn Jesus über Satan von der Wüste an bis zum Feuersee verfolgen.
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