Botschafter des Heils in Christo 1868

Die herrliche Hoffnung der Versammlung oder der Kirche Gottes - Teil 2/2

2. Die zweite Ankunft Christi

Die Ankunft Christi ist die herrliche Hoffnung der Kirche und der glückliche Augenblick, wo sie mit Ihm, ihrem himmlischen Haupt, in der Herrlichkeit vereinigt sein und alle Segnungen mit Ihm teilen wird. Freilich jetzt schon im Geist uns nahe, weilt Er, so oft wir in seinem Namen versammelt sind, in unserer Mitte, so dass das lebendige Bewusstsein seiner unsichtbaren Gegenwart unsere Herzen mit Trost und Freude erfüllt; aber bei seiner Wiederkunft wird seine sichtbare Gegenwart das Maß unserer Freude und unseres Glücks überströmend machen. Auf diese seine herrliche Wiederkehr richtete sowohl der Herr selbst in den Tagen seines Fleisches, wie auch später der Heilige Geist durch den Mund der Apostel die ganze Aufmerksamkeit der Gläubigen. Sie war der Gegenstand der Erwartung der ersten Christen, machte sie fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, und stärkte sie zum Ausharren im Kampf. Von dem Augenblick an, wo die Kirche aufhörte, die Rückkehr ihres hochgelobten Herrn und Hauptes zu erwarten, siechte ihre Kraft dahin; ihr Blick, abgewandt von den lieblichen Strahlen der himmlischen Herrlichkeit, ward hernieder gezogen aus die durch die Sünde in Schatten gehüllte Erde; und sich immer mehr vermengend mit der Welt, war diese schließlich für sie nicht mehr eine Stätte der Fremdlingschaft, so dass das feierliche Wort des Herrn: „Ihr seid nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin“, wirkungslos verhallte und die Seelen bis zum traurigsten Gerade einer Wahrheit entfremdet wurden, welche sich einst unleugbar als die Quelle der Freude und des Trostes der Christen erwiesen hatte.

Wir mögen klar sein über das Werk unserer Erlösung; wir mögen die Überzeugung in uns tragen, dass wir durch die Kraft Gottes bewahrt werden zum Heil; aber was könnte geeigneter sein, unseren Wandel nach oben zu richten und unser Wachstum zu fördern, als die lebendige Erwartung unseres geliebten Herrn und Heilands? Welch herrliche Resultate knüpfen sich an diese seine Wiederkunft! Er wird uns einführen in die durch Ihn selbst bereiteten Wohnungen des Vaterhauses. Die jetzt in den Gedanken Gottes bereits vollzogene Vereinigung des Leibes mit dem Haupt wird dann zur wirklichen Tatsache werden; die Verlobte Christi wird in der Herrlichkeit alles mit Ihn: teilen, alles mit Ihm genießen. Wahrlich, die Versammlung ist in ganz besonderer Weise der Gegenstand seiner unendlichen Liebe. Für sie gab Er sein Leben hin; Er nährt und pflegt sie, und Er wird sie sich selbst verherrlicht darstellen in seiner eigenen Herrlichkeit. Das wird die Hochzeit des Lammes sein. Sobald die Kirche, wie auch jede einzelne Seele, diese ihre himmlische Berufung erkennt, bricht sie jede Gemeinschaft mit der Welt, verleugnet ihr ungöttliches Wesen und kann nicht mehr Teil haben an ihrem Dichten und Trachten. Sie harrt ihrem Herrn entgegen und dieses drückt ihrer ganzen Erscheinung das Gepräge eines himmlischen Charakters auf. Welch ein Gewicht legt der Apostel auf diese Erwartung der persönlichen Wiederkehr des Herrn! Sie bildet, so zu sagen, den Grundton seines ganzen Wirkens. Aus eigener Erfahrung weiß er, dass, je lebendiger die Sehnsucht nach der Rückkehr des Herrn in der Seele ist, desto mehr auch der Wandel des Christen mit seiner himmlischen Berufung im Einklänge stehen wird. Ohne Zweifel sind wir bis zu seiner Wiederkunft und „der Erlösung des erworbenen Besitzes“ versiegelt, und zwar durch den Heiligen Geist, welcher das „Pfand des herrlichen Erbes“ ist; (Eph 1,13–14) ohne Zweifel genießt die Versammlung durch den Glauben schon jetzt in Hoffnung die Segnungen der kommenden Herrlichkeit; aber erst dann, wenn sie Ihn persönlich schaut in seiner Herrlichkeit, wird völlige Befriedigung ihr Teil sein; denn was anders könnte, da sie sein Leib, seine Braut ist, „ihr Glück und ihre Freude vollkommen machen, als seine persönliche und sichtbare Gegenwart“? Wenn „Er offenbart ist, so werden wir Ihm gleich sein; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“

Diese Hoffnung aber erfreut nicht allein unsere Herzen, sondern bewirkt auch unsere Reinigung, wie Er rein ist; (1. Joh 3,2–3) sie hält uns getrennt von den Dingen, die ans Erden sind, während sie Zugleich unsere Neigungen an die Dinge kettet, die droben sind. Das Bewusstsein der nahen Ankunft des Bräutigams erhält unsere Seelen nüchtern und wachsam. Und gottlob! diese Hoffnung ist aufs Neue geweckt. Das göttliche Wort: „Siehe, der Bräutigam kommt!“ pflanzt ihren Schall immer tiefer in die Herzen der Gläubigen unserer Tage; und sicher wird Er bald kommen und unserer Fremdlingschaft in einer feindseligen und gottlosen Welt für immer ein Ziel setzen. Noch heute kann dieses glückselige Ereignis seiner Wiederkehr in die Erscheinung treten; und welch eine Freude für das Herz des Bräutigams, wenn Er seine vielgeliebte Braut in treuer Liebe und mit Sehnsucht seiner harrend antreffen würde! Unbestreitbar ist Sterben Gewinn und der Zustand außer dem Leib und daheim beim Herrn ein höchst glückseliger; aber nicht der Tod ist der Gegenstand unserer Erwartung, denn die im Herrn Entschlafenen befinden sich noch selbst in einem Zustand des Wartens. Sie warten bei und mit den: Herrn auf ein Ereignis, welches den Schlussstein seines Erlösungswerkes bildet. Nur an einzelnen Stellen redet die heilige Schrift von dem Trost abgeschiedener Seelen, während sie häufig redet von der Wiederkunft des Herrn und unserer Versammlung zu Ihm. Sollte daher nicht seine Wiederkunft, in welcher alle unsere Hoffnungen und Wünsche ihre Erfüllung finden, für uns von höchstem Interesse sein? In ihr finden wir die Vollendung unserer Kindschaft – die Erlösung des Leibes und den völligen Genuss der himmlischen Herrlichkeit mit Christus, den wir von Angesicht zu Angesicht schauen und bei dem wir für immer sein werden. Gepriesen sei der Herr, dass Er uns bezüglich unserer Zukunft nicht in Ungewissheit gelassen, sondern uns seine vor Grundlegung der Welt gefassten, herrlichen Ratschlüsse betreffs Christi und der Versammlung völlig enthüllt hat. Schon jetzt erfreut die Erkenntnis dieser Wahrheit unsere Herzen; und indem sie unseren Wandel heiligt, macht sie uns getrost und stark inmitten der mannigfachen Versuchungen dieser armen Erde. Möge sich daher auch an uns die Kraft der Fürbitte des Apostels erweisen: „Der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit, gebe euch den Geist der Weisheit und der Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst, damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisst, welches die Hoffnung seiner Berufung ist, und welcher der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen, und welche die überschwängliche Größe seiner Macht an uns den Glaubenden ist usw“ (Eph 1,17–19). und möge der Herr auch unsere Herzen auf die baldige Ankunft unseres geliebten Herrn richten und sie mit einer Sehnsucht erfüllen, die uns alles Sichtbare vergessen lasst.

Bevor wir jedoch zur schriftgemäßen Begründung der Wahrheit der Wiederkunft Christi und unserer Versammlung zu Ihm übergehen, erinnern wir daran, dass das Alte Testament eine Fülle von Weissagungen enthält, die sich sowohl auf die Niedrigkeit, als auch auf die Herrlichkeit Christi beziehen, indem die Propheten den Messias ankündigen, der leiden und sterben, aber dann in Herrlichkeit auf den Wolken wiederkommen und auf dem Berg Zion und in Jerusalem herrschen werde (Dan 7,13–14; Jes 24,23 und an vielen anderen Stellen). Jedoch handelt es sich in all diesen Stellen nimmer um die Wiederkunft Christi zur Aufnahme der Versammlung, sondern stets um sein Kommen zum Gericht der Völker am Tag des Herrn, sowie um den herrlichen Zustand Israels auf dieser Erde und den Mitgenuss aller dann noch lebenden Völker, die an Israels Segnungen Anteil haben werden. Und dasselbe kann von allen auf die Wiederkunft Christi bezüglichen Stellen in den Evangelien (vgl. Mt 16,27; 24,30; 25.31; Mk 6,13; Lk 9,26) mit Ausnahme jener Stelle behauptet werden, wo der Herr sagt: „Ich gehe hin, für euch eine Stätte zu bereiten; und wenn ich hingegangen bin und euch eine Stätte bereitet habe, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, auf dass, wo ich bin, auch ihr seid“ (Joh 14,2–3). Hier, aber auch nur hier in den Evangelien redet der Herr in ganz bestimmter Weise von seiner Wiederkunft zur Aufnahme der Seinen. Hier handelt es sich weder um das Gericht der Völker, noch um die Segnungen Israels, sondern um eine sichere Stätte für die Seinen. Eine solche findet sich, bevor das Gericht vollzogen ist, auf dieser armen Erde nicht; der Herr selbst hatte hienieden nicht, wohin Er sein Haupt legte. Überhaupt ist es beachtenswert, dass in dem Evangelium Johannes Christus und die Seinen als van der Erde verworfen betrachtet werden. Schon im ersten Kapitel lesen wir: „Er war in der Welt, und die Welt ward durch Ihn, und die Welt kannte Ihn nicht“, – während es Zugleich in Bezug auf Israel heißt: „Er kam in sein Eigentum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf“ (Joh 1,11). In Kapitel 8 stoßen die Juden Ihn aus dem Tempel, dem Haus seines Vaters, und in Kapitel 9 den Ihn bekennenden Blindgeborenen aus der Synagoge. Für beide gab es hienieden keine Wohnstätte; denn außerhalb der Grenzen des Hauses Israels war nur eine Gott entfremdete Welt. Nur noch eine Heimat bei dem Vater gab es für den Sohn Gottes. Dorthin kehrte Er zurück; und dorthin will Er auch die Seinen führen. Das Ziel ihres Pilgerlaufs wird ihre Aufnahme in die himmlische Herrlichkeit sein, „auf dass, wo er ist, auch wir sind.“ Die Gefühle seiner Liebe zu den Seinen sind zu mächtig, als dass Er von ihnen getrennt bleiben könnte. Er führt sie zuerst in das Haus des Vaters, wo keine Versuchung sie erreichen, kein Gericht sie je erschrecken kann. Er muss sie für immer in seiner Nähe haben, wo sie, fern von allem Kummer dieser Wüste, im Anschauen und Genuss seiner Herrlichkeit eines ewigen Glücks, einer ewigen Nuhs teilhaftig werden sollen. Welch unaussprechliche Gnade!

Auch in der Apostelgeschichte finden wir zwei Stellen bezüglich der Wiederkunft Christi, die aber zur Aufnahme der Versammlung in keinerlei Beziehung stehen. So lesen wir in Kapitel 1,11: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr und schaut hinauf gen Himmel? Dieser Jesus, der von euch in den Himmel aufgenommen ist, wird also kommen, wie ihr Ihn in den Himmel habt auffahren sehen.“ – Welch eine trostreiche Botschaft für die zurückbleibenden Jünger, deren staunende Blicke hinaufstarrten gen Himmel, der ihren geliebten Herrn aufgenommen hatte. Seine Wiederkunft war der Gegenstand ihrer Erwartung und der süße Trost ihrer trauernden Herzen – ein Trost, der, von Gott gegeben, sich als nächster Gedanke mit seiner Aufnahme in den Himmel verknüpfte. Die zweite Stelle in Kapitel 3,19–21 verkündigt dem Volk Israel, im Fall einer aufrichtigen Buße und Umkehr, die Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn bei seiner Rückkehr.

Beginnen mir jetzt hinsichtlich der uns vorliegenden Frage mit der Prüfung der darauf bezüglichen Stellen der apostolischen Briefe; und es wird uns sowohl klarwerden, dass die Wiederkunft des Herrn zur Aufnahme der Versammlung der Gegenstand einer lebendigen und steten Erwartung der ersten Christen war, als auch, dass dieses Ereignis seiner glorreichen Wiederkunft völlig getrennt ist von seiner Erscheinung zum Gericht oder zur Segnung Israels. In letzterem Fall wird der Herr wieder mit der Erde in Verbindung treten; und schon zum Voraus sind Ereignisse bezeichnet worden, die dieser seiner Erscheinung vorangehen müssen, während die Aufnahme der Versammlung durch keine vorhergehenden Begebenheiten bedingt sein wird. Gottlob, dass es sich also verhält! Denn wie könnten unsere Herzen, wenn sie mit der Prüfung vorlaufender Ereignisse beschäftigt sein mühten, auf den Herrn warten? Sicher würden sie, unwissend über die Berufung und Hoffnung der Versammlung, auf diese vermeintlichen Vorerscheinungen, keineswegs aber auf den Herrn gerichtet sein.

Der Brief an die Römer stellt diese Wahrheit nur in einzelnen Zügen dar. So lesen wir in Römer 8,16–18, dass wir „Gottes Kinder“ sind, mit der Beifügung: „Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi, wenn wir anders mit Ihm leiden, auf dass wir auch mit Ihm verherrlicht werden“ (vgl. 1. Pet 4,13; 1. Joh 3,2; 8.Kor 4,17). Obwohl wir schon jetzt den Geist der Kindschaft besitzen, so erwarten wir doch die Kindschaft selbst, die Erlösung unseres Leibes (V 23). Auch das sehnsüchtige Harren der Schöpfung ist auf die „Offenbarung der Söhne Gottes“ gerichtet, indem auch sie dann „freigemacht werden wird van der Knechtschaft des Verderbnisses zu der Freiheit der Herrlichkeit der Kinder Gottes“ (V 21). Jetzt noch befindet sich die der Eitelkeit unterworfene Schöpfung in einem Zustand des Elends und des Verderbens, hervorgerufen durch den Fluch der Sünde. Und ob auch das Blut Jesu, dem wir unsere Erlösung verdanken, für sie als Lösegeld geflossen ist, so knüpft sich dennoch ihre Befreiung an die Offenbarung der Söhne Gottes. Die Wiederkunft Christi wird die Quelle der Freude aller sein, die Ihn anerkennen; Er wird als der Herr des Himmels und der Erde seine Macht und Herrschaft ausüben, und die ganze Schöpfung, die sich bis dahin in dem Zustand des Wartens befindet, wird dann von der reichsten Fülle des Segens überflutet werden. Doch wird die Aufnahme der Versammlung, die Erlösung unseres Leibes, das erste Resultat der Wiederkunft Christi sein; und erst danach wird Gott alle Dinge in Ihm, unter einem Haupt, vereinigen und mithin auch die Schöpfung von ihrer. Knechtschaft befreien. Bis jetzt sind wir dem Leib nach noch selbst mit der unterjochten Schöpfung verbunden; und aus diesen: Grund seufzen wir und sehnen uns nach unseres Leibes Erlösung – ein Zustand, an welchem auch der vom Himmel gesandte Heilige Geist Teil nimmt, indem Er für uns bittet mit nicht auszusprechenden Seufzern (V 26).

Der Versammlung zu Korinth gibt der Apostel das Zeugnis, dass sie in Christus in allem, in aller Rede und Erkenntnis, reich gemacht worden und dass unter ihnen in keiner Gnadengabe irgendein Mangel vorhanden sei, so dass ferner nichts anderes zu erwarten übrigbleibe, als die „Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus“ (1. Kor 1,5–7). In Ihm besitzt die Kirche alle Fülle; und seine Rückkehr versetzt sie in den vollen Genuss dieser Fülle. Ach – warum hat die Kirche diese so überaus köstliche Wahrheit aus dem Auge verloren und diese herrliche „Ankunft des Herrn“ mit dem Gericht in Verbindung gebracht und mit dem „Tage des Herrn“ verwechselt? Hat sie nicht dadurch ihren himmlischen Charakter abzustreifen versucht und sich, anstatt die sichtbaren Dinge bis zu dem Tag seiner Wiederkunft zu verleugnen, in der Welt und ihrem Wesen verloren? Wie bestimmt trennt auch hier der Apostel diese beiden Ereignisse, indem er im Blick auf den „Tag des Herrn“, der immer ein Tag der Gerechtigkeit und des Gerichts sein wird, den Korinthern bezeugt, dass „Gott sie befestigen werde bis ans Ende, damit sie am Tag unseres Herrn Jesus Christus tadellos seien“ (V 8).

Es wird hier die Bemerkung am Platz sein, dass der Tag Christi, als ein Tag der Vergeltung, immer sowohl mit der Verantwortlichkeit der Christen, als auch derjenigen der Welt in Verbindung steht. Dieser Tag wird die Treue der Arbeiter ans Licht stellen und den Lohn ihres Ausharrens und ihrer Mühe herbeiführen. So lesen wir: „Gleich wie ihr auch unser Ruhm seid am Tag des Herrn Jesus;“ (2. Kor 1,14) ferner: „Auf dass ihr untadelig und unanstößig seid am Tag Christi, erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit;“ (Phil 1,9–11) ferner: „Mir zu einem Ruhm auf den Tag Christi, dass ich nicht vergeblich gelaufen, noch auch vergeblich mich bemüht habe“ (Phil 2,16). alle diese Ermahnungen zur Erweckung einer Liebe mit Einsicht und eines lauteren Wandels sind, wie wir sehen, mit Hinweis auf den „Tag des Herrn“ gegeben worden; aber sie bezeugen uns auch Zugleich, dass dieser „Tag Christi“, der sich für die Welt als cm Tag des Zorns und der Offenbarung des gerechten Gerichts Gottes erweisen wird (Röm 2,5), für den Apostel, obwohl er „das Schrecken des Herrn kannte und darum die Menschen überredete“, nicht nur alles Erschreckende verloren hatte, sondern dass auch das Bewusstsein seine Seele erfüllte, dass nur Freude und Seligkeit, sowie eins überschwängliche Belohnung sein zu erwartendes Teil sei. Wie könnte auch dieser Tag ein Gegenstand der Furcht und des Schreckens für die Heiligen sein? denn sagt derselbe Apostel: „Wisst ihr nicht, dass die Heiligen die Welt richten sollen? Wisst ihr nicht, dass wir die Engel richten sollen?“ Diese Stellen reden allerdings nicht direkt von unserer Aufnahme; aber sie zeigen uns in völligster Klarheit, dass wir die über diese Welt hereinbrechenden Gerichte keineswegs zu fürchten haben, da wir, sobald Christus seine Rechte geltend macht, an seinem Gericht und an seiner Herrschaft völligen Anteil nehmen werden. Bis dahin hat die Kirche nur zu leiden und zu warten, nicht aber zu herrschen. Diesen Charakter hatte die Versammlung zu Korinth allmählig aus den Augen verloren. Ein Geist der Herrschsucht hatte die ihr angemessene Stellung erschüttert, so dass der Apostel zu den zurechtweisenden Worten gezwungen ist: „Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt!“ (Kap 4,5) und: „Schon seid ihr satt geworden, schon seid ihr reich geworden; ohne uns habt ihr geherrscht; und ich wollte wohl, dass ihr herrschtet, auf dass auch wir mit euch herrschen möchten“ (V 8). Ist die Kirche reich und satt geworden, so beginnt sie zu herrschen und die Vorteile dieser Welt auszubeuten. Wohl wünschten die Apostel den Augenblick herbei, wo die Kirche in Wahrheit mit Christus herrschen möchte; aber die Korinther herrschten jetzt schon, und zwar ohne Christus und ohne die Apostel, welche noch unter den vielen Drangsalen dieser Zeit auf die Ankunft des Herrn mit Sehnsucht warteten. Auch zeigt uns die Weissagung Henochs in Judas 14–15: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausenden, Gericht auszuüben wider alle usw.“ ganz deutlich, dass, wenn Jesus zur Vollziehung des Gerichts erscheint. Er mit seinen Heiligen kommen wird. Wir sehen also, dass die Schrift die Ankunft des Herrn zur Aufnahme der Heiligen völlig von seiner Ankunft zum Gericht unterscheidet, und dass die Heiligen keineswegs Ursache haben, dieses letztere über diese Welt hereinbrechende Ereignis fürchten zu müssen.

Doch wir fahren mit der Prüfung der uns vorliegenden Frage fort. Die darauf bezüglichen Stellen in 1. Korinther 15 einer spätem Betrachtung vorbehaltend, wenden wir uns jetzt mit Umgehung der Briefe an die Galater und Epheser, welche sich beide nicht mit unserem Gegenstand beschäftigen, 1 zu dem Brief an die Philipper, wo wir die Worte lesen: „Unser Wandel ist in den Himmeln, woher wir auch als Heiland erwarten den Herrn Jesus Christus, der den Leib unserer Niedrigkeit umgestalten wird, dass er gleichförmig sei dem Leib seiner Herrlichkeit, nach der Wirkung, womit er vermag auch alle Dinge sich untertänig zu machen“ (Kap 3,20–21). – Was unsere Seele betrifft, „so sind wir erlöst;“ und wir erwarten jetzt den Herrn Jesus als den Erlöser unseres Leibes, wofür dasselbe Blut als Lösegeld bereits geflossen ist. Bei seiner Wiederkunft wird er die in Ihm Entschlafenen auferwecken und die noch Lebenden verwandeln (1. Thes 4). Jede Spur von Sterblichkeit wird dann für immer verschwunden sein; und wir, im Besitz eines seinem verherrlichten Leib gleichförmigen Leibes, werden die Worte des Paulus in ihrer völligen Verwirklichung sehen: „Ist jemand in Christus – eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen; siehe alles ist neu geworden“ (2. Kor 5,17). Und was könnte den Christen mehr zur Freude, zur Milde, zu ausharrender Geduld und zur Sündhaftigkeit in der Hoffnung ermuntern, als die Erinnerung an die nahe Ankunft des Herrn! – „Freut euch im Herrn allezeit; abermals sage ich: Freut euch! Eure Lindigkeit lasst kund werden allen Menschen; der Herr ist nahe!“ (Phil 4,4–5; 1. Pet 4,13) „Ihr bedürft des Ausharrens, auf dass ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung davontragt. Denn noch um ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen (Heb 10,36–37). „So seid denn geduldig, Brüder, bis zur Ankunft des Herrn! ... und stärkt eure Herzen, denn die Ankunft des Herrn ist nahe“ (Jak 5,7–8).

In dem Brief an die Kolosser finden wir die auf unseren Gegenstand bezügliche Stelle: „Wenn der Christus, unser Leben, offenbart sein wird, dann werdet auch ihr mit Ihm offenbart werden in Herrlichkeit“ (Kap 3,4). Noch ist unser Leben mit Christus in Gott verborgen; allein seine Offenbarung wird Zugleich diejenige seiner Versammlung sein, woraus klar hervorgeht, dass sie schon vor derselben mit Ihm vereinigt sein muss. Wenn Christus sein Reich einnimmt, wird seine Versammlung bei Ihm sein. Sie ist jetzt mit Ihm von der Welt verworfen; sie wird mit Ihm verherrlicht werden; und die uns jetzt verachtende Welt wird dann erkennen, dass wir in dem Maß ein Gegenstand der Liebe Gottes sind, wie Christus selbst es ist.

Indes gibt es keinen Brief, welche sich so sehr mit der Wiederkunft Christi beschäftigt, wie die beiden Briefe an die Thessalonicher. Namentlich sehen wir in dem ersten Briefe, dass diese Versammlung in einer lebendigen und freudigen Erwartung des Herrn lebte, und dass der im Glauben, in der Liebe und in der Hoffnung sich kundgebende Charakter des christlichen Lebens derselben den ersten Platz unter den Christen jener Tage anwies. Der Apostel war stets „eingedenk ihres Werkes des Glaubens, ihrer Bemühung der Liebe und ihres Ausharrens der Hoffnung unseres Herrn Jesus Christus“ (Kap 1,3). Ihr sehnliches, freudiges Erwarten der Wiederkunft des Herrn beruhigte ihre Herzen über das kommende Gericht, verlieh ihnen Trost und Mut zum Ausharren in ihren mannigfachen Versuchungen und machte sie eifrig zu einem heiligen, Gott wohlgefälligen Wandel. Nichts ist so sehr geeignet, diese Gesinnung in uns zu erwecken und das Herz von allem ab und zu Ihm, der Quelle aller Segnungen hinzuziehen, als die Liebe zum Herrn und das lebendige Entgegenharren seiner Wiederkehr. Wie sehr bemüht sich daher auch der Heilige Geist, die Erwartung des Herrn mit den mannigfachsten Einzelheiten des Lebens zu verknüpfen! Im ersten Kapitel bringt Er sie mit der Bekehrung selbst in Verbindung, indem wir lesen: ... „und wie ihr euch zu Gott bekehrt habt von den Götzenbildern, zu dienen dem lebendigen und wahren Gott, und zu erwarten seinen Sohn aus den Himmeln, welchen Er auferweckt hat aus den Toten – Jesus, der uns errettet von dem kommenden Zorn.“ Denselben Gedanken über diese Errettung spricht der Apostel in Römer 5,8–9 aus, wenn er sagt: „Gott aber erweist seine Liebe gegen uns, indem Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Vielmehr denn, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch Ihn von dem Zorn errettet werden.“ Dieser Zorn ist das Gericht der Lebendigen, jenes Gericht, welches unausbleiblich am „Tage des Herrn“ über eine in Sicherheit sich wähnende, gottlose Welt hereinbrechen wird; und die Versammlung Gottes soll durch Jesus, den wir vom Himmel erwarten, von diesem Zorn errettet und befreit werden. Deshalb bildet sein Kommen zu unserer Errettung den grellsten Kontrast zu seinem Kommen zum Gericht, wo sich sein Zorn in seiner ganzen Furchtbarkeit entladen wird; und hier, wie in verschiedenen anderen Stellen, tritt es uns klar vor das Auge, dass wir während des Gerichts unmöglich auf der Erde sein können. Die deutlichsten Beweise dafür liefert uns jedoch das an die Versammlung in Philadelphia gerichtete Sendschreiben (Off 3,7–13), welches Unverkennbar auf die Gläubigen unserer Tage angewandt werden kann. Diese Versammlung zeichnete sich keineswegs durch außergewöhnliche Taten aus; aber der Heilige Geist sagt zu ihr: „Du hast eine kleine Kraft, und hast mein Wort bewahrt, und hast meinen Namen nicht verleugnet“ (V 8). Und in seiner Gnade gibt der Herr die feierliche und trostreiche Versicherung: „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, so will ich dich auch bewahren vor der Stunde der Versuchung, die da kommen wird über den ganzen Erdkreis, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen“ (V 10). Die Versammlung soll also nicht in, sondern vor der Stunde der Versuchung bewahrt werden; sie soll nicht einmal eintreten in eine Stunde, die einmal sicher und gewiss über eine gottlose Welt hereinbrechen wird. Henoch und Noah liefern uns in dieser Hinsicht sehr deutliche Vorbilder. Henoch, ein Bild der aufzunehmenden Versammlung, kam nicht in jene Stunde des Gerichts, in welcher gewaltige Wasserfluten alles, was Odem hatte, von der Erde vertilgten, sondern er wurde vorher, ohne den Tod zu sehen, zu Gott entrückt (Heb 11,5). Noah aber, ein Bild der Auserwählten in den Tagen des Gerichts, musste in jene Stunde eintreten und fand erst inmitten der schrecklichsten Szenen einen Bergungsort in der nach göttlicher Anweisung erbauten Arche. Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch eine andere Schriftstelle als einen Beleg dafür anführen, dass die Gläubigen unserer Tage während des kommenden Zorns nicht mehr auf der Erde sein werden. Wir finden sie in 2. Thessalonicher 1,6–7, wo der Apostel der Versammlung die Trostworte zuruft: „Sintemal es bei Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen, und euch, die ihr (jetzt) bedrängt werdet, Ruhe mit uns in der Offenbarung des Herrn Jesus vom Himmel mit den Engeln seiner Macht, um Vergeltung zu geben denen, die Gott nicht kennen usw.“ Wie aber könnte die Versammlung ihre Ruhe auf der Erde haben, während diese durch schreckliche Gerichte heimgesucht wird? Wie könnte der Apostel sagen: „Ruhe mit uns!“ wenn diese Ruhe nicht allein dort gefunden würde, wo Sünde und Versuchungen nicht einzudringen vermögen?

Doch wenden wir unsere Blicke wieder auf den ersten Brief an die Thessalonicher zurück; und bei genauerer Prüfung werden wir finden, wie die Erwartung des Herrn nicht nur mit der Bekehrung, sondern auch, wie schon gesagt, mit den verschiedenartigsten Einzelheiten des christlichen Lebens in Verbindung steht. So sehen wir sie in Kapitel 2 in Verbindung mit der Freude in den Heiligen und der Frucht der Arbeit des Apostels; denn wir lesen: „Wer ist unsere Hoffnung, oder Freude, oder Krone des Ruhmes? Nicht auch ihr vor unserem Herrn Jesus Christus bei seiner Ankunft?“ (V 19) In Kapitel 3 ist sie mit einem in der Liebe heiligen und tadellosen Wandel verbunden; denn der Apostel sagt: „Euch aber mache der Herr völlig und überströmend in der Liebe ... um eure Herzen tadellos in Heiligkeit zu befestigen vor unserem Gott und Vater in der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus mit allen seinen Heiligen“ (V 12–13). Im 4. Kapitel dient die Wiederkunft des Herrn zu lieblichem Trost der Gläubigen im Blick auf die in Christus Entschlafenen. Die Thessalonicher waren so sehr mit dem Gedanken an seine Wiederkehr erfüllt, dass, als der Tod Einzelne unter ihnen abrief, sie der Befürchtung Raum gaben, die Entschlafenen möchten bei seiner Erscheinung in Herrlichkeit mit den Seinen fehlen. „Wir wollen aber nicht, Brüder, dass ihr, was die Entschlafenen betrifft, unkundig seid, auf dass ihr euch nicht betrübt, wie auch die Übrigen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, also wird auch Gott die Entschlafenen durch Jesus mit Ihm bringen“ (V 13–14). Während also die Kinder dieser Welt ahne den Trost einer solchen Hoffnung am Grab der Ihrigen stehen, können sich die Gläubigen im Blick auf die Heimgegangenen Lieben ermunternd zurufen: „Getrost! Gott wird sie mit Jesu wiederbringen!“ Aber ach! in welch geringer Übereinstimmung stehen diese Trostworte mit der allgemeinen Anschauung unzähliger Christen in unserer Zeit, die, nicht wartend auf den Herrn, nur den Gedanken fest zu halten vermögen, dass der Tod sie einmal mit den Vorangegangenen wieder vereinigen werde. Doch der Apostel fährt fort: „Denn dieses sagen wir euch im Wort des Herrn, dass wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn, den Entschlafenen nicht zuvorkommen werden. Denn der Herr selbst wird mit gebietendem Zuruf, mit der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen; danach werden wir, die übrig gebliebenen Lebenden, Zugleich mit ihnen in Wolken dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft und allezeit bei dem Herrn sein“ (V 14–17). Der Apostel stellt also fest, dass bei seiner glorreichen Ankunft keiner der Seinen fehlen wird, dass die einen dieses herrliche Ziel, wie der Herr selbst, durch Tod und Auferstehung, und die anderen durch Verwandlung erreichen werden. Welch eine trostreiche Verheißung!

Hier würde wohl der Platz sein, um in Kürze auf die bezüglichen Stellen in 1. Korinther 15 zurück zu kommen. Im Anfang dieses Kapitels bezeichnet der Apostel die Auferstehung Christi als das Fundament unseres Glaubens und stellt uns dann die Ordnung der Auferstehung im Allgemeinen vor Augen, indem er sagt: „Der Erstling Christus; danach die Christi sind bei seiner Ankunft; und danach wird das Ende sein“ (V 23). Dann aber fügt er in Bezug auf die Lebenden hinzu: „Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden nicht alle entschlafen, aber wir werden alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaunt. 2 Denn posaunen wird es und die Toten werden unverweslich auferweckt und wir werden verwandelt werden. Denn das Verwesliche muss Unverweslichkeit anziehen, und das Sterbliche muss Unsterblichkeit anziehen“ (V 51–53). Wir begegnen also auch hier derselben Wahrheit; die Versammlung wird ihm bei seiner Ankunft entgegen gerückt werden in die Luft – die in Christus Entschlafenen durch die Auferstehung und die Lebenden durch eine plötzliche Verwandlung – und sie wird mit Ihm seine Herrlichkeit im Himmel völlig genießen. Die Vereinigung der Kirche mit Christi wird also das erste Werk seiner Zukunft sein. Wie einst Elieser, der treue Knecht Abrahams, beauftragt war, Rebekka aus Mesopotamien zu holen und sie ihrem Bräutigam, dem Isaak, als dem Vorbild des auferstandenen Christus, entgegen zu führen, so ist jetzt der Heilige Geist hernieder gesandt, um die himmlische Braut aus der Welt herauszuführen, sie schon im Voraus mit allerlei geistlicher Segnung zu erquicken und zu erfreuen, und sie dann dem im Himmel harrenden Bräutigam zuzuführen; und wie einst Isaak der kommenden Braut persönlich entgegeneilte und sie heimholte, so wird auch Jesus selbst seiner geliebten Braut, nachdem Er durch sein Machtwort die Entschlafenen auferweckt und die Lebenden verwandelt hat, in der Luft begegnen und sie mit Freuden und Frohlocken in das Haus des Vaters einführen. Ohne Zweifel wird dieses glückliche Ereignis der Welt verborgen bleiben, da sie, nur lebend in irdischen Dingen, kein Auge haben wird für etwas, welches nur für Jesus und die seinigen eine Bedeutung hat. Bei der Himmelfahrt des Herrn waren nur seine Jünger gegenwärtig; und bei der Himmelfahrt des Elias genoss nur Elisa das Vorrecht des Anschauens; und sicher wird Christus der Welt nicht eher offenbart werden, bis auch wir mit Ihm offenbart werden in Herrlichkeit (Kol 3,4). Doch welch ein Moment der Freude und des Entzückens wird sein Kommen für die Seinen sein! Befreit von aller Schwachheit und Sterblichkeit, werden aller Augen Ihn, den Geliebten, mit sehnendem Verlangen suchen; aller Blicke werden zuerst in namenloser Wonne seine herrliche Person anschauen. Hat Ihn doch dieselbe Liebe, die Ihn einst ans Kreuz getrieben, von neuem bewegt, den Thron des Vaters zu verlassen, um die Seinen in eigener Person abzuholen. „Ermuntert euch mit diesen Worten!“ ruft der Apostel der Versammlung zu. Er teilt nicht die Befürchtungen vieler Christen der Jetztzeit, die nicht selten behaupten, man könne in einer solchen Erwartung zu weit gehen; vielmehr lebte er selbst so sehr darin, dass er sagen konnte: „Wir, die Lebenden, die übrigbleiben bis zur Ankunft des Herrn.“ Er wünschte, „nicht entkleidet, sondern überkleidet zu werden, damit das Sterbliche verschlungen werde vom Leben“ (2. Kor 5,4). Diese köstliche Hoffnung erfüllte sein Herz mit dankbarer Freude, machte ihn geduldig in Trübsalen, ausharrend in den Schwierigkeiten und eifrig im Dienst, weil ja Christus, den Er in jenem glückseligen Augenblick sehen sollte, der Gegenstand und der Zweck seines ganzen Lebens war. Auch kannte er den mächtigen Einfluss jener steten Erwartung auf den Wandel der Christen hienieden; und eben deshalb war er bemüht, die Herzen der Thessalonicher in dieser erhabenen Wahrheit zu ermuntern und zu befestigen.

Doch auch Satan entdeckte die große Wirkung, die diese stete Erwartung des Herrn inmitten solch großer Drangsale auf den Wandel der Thessalonicher ausübte; und daher ging sein boshaftes Streben dahin, ihre Herzen in dieser Wahrheit zu verwirren und möglichst zu schwächen. Er suchte durch seine Diener ihre Gedanken von der Ankunft Christi zur Aufnahme der Versammlung abzulenken und sie mit dem „Tage des Herrn“, dieser Szene des Schreckens, zu beschäftigen. „Aber“ – könnte jemand fragen – „ist denn der Tag des Herrn nicht ein ebenso wichtiger und beachtenswerter Gegenstand?“ – Wer wollte dieses leugnen? Allein dieses Ereignis als nächste Erwartung des Christen in den Vordergrund stellen zu wollen, würde das geeignetste Mittel sein, das Verlangen nach der Ankunft des Herrn völlig zu verdrängen. Und ach! wie sehr ist dieses dem Feind bereits gelungen! Nachdem daher der Apostel die Heiligen zu Thessalonich über die Zukunft der in Christus Entschlafenen beruhigt hat, tritt er in diesem letzten Kapitel und namentlich in dem folgenden Brief der List und Bosheit des Feindes mit festem und kühnem Mut entgegen. Augenscheinlich benutzten die Verführer die großen Drangsale der Thessalonicher, um dadurch das Vorhandensein des „Tages des Herrn“ zu beweisen. War aber dieser Tag bereits angebrochen, dann war selbstredend die Erwartung des Herrn zur Errettung vom kommenden Zorn nichts als eine eitle und nichtige Täuschung und Paulus war ein Betrüger. Und sicher gehörte es mit zu einer der schlauesten Berechnungen der Verführer, dass die Gläubigen, wenn die Erwartung des „Tages des Herrn“ ihre Herzen erfüllte, gezwungen waren, auf Zeit und Zeiten, mit denen dieser für die Welt bestimmte Tag unvermeidlich in Verbindung stand, zu achten; und wie hätten sie dann vor der bestimmten Zeit auf den Herrn warten können? In der Tat, wenn dieser Kunstgriff des Feindes gelang, dann waren die Herzen von den hellen Strahlen des Himmels zu den finsteren Schatten dieser Erde herniedergezogen; und anstatt mit Christus und seiner Liebe beschäftigt zu sein, würde sein kommender Zorn der Gegenstand ihrer Beschäftigung gewesen sein. Es bedurfte daher von Seiten des Apostels des bestimmtesten Zeugnisses, dass dieser Tag nicht für die Heiligen sei und mit einer göttlichen Autorität hören wir ihn sagen: „Was aber, Brüder, Zeit und Zeiten betrifft, so habt ihr nicht nötig, dass man euch schreibe; denn ihr selbst wisst genau, dass der Tag des Herrn also kommt wie ein Dieb in der Nacht“ (Kap 5,1–2). Wie sehr unterscheidet sich diese Sprache von der des vorigen Kapitels! Dort kommt Er zur Abholung der Seinen, hier kommt Er wie ein Dieb. „Wenn sie“ – nicht „ihr“, sondern „sie“, die Gottlosen, die Ihn verworfen haben, oder auch die Verführer – „sagen werden: Friede und Sicherheit, dann kommt ein plötzliches Verderben auf sie“ – nicht auf euch – „wie die Geburtswehen auf die Schwangere; und sie werden nicht entfliehen“ (V 3). Wie ganz anders klang die an die Gläubigen gerichtete zusage: „Ihr werdet dem Herrn entgegen gerückt werden in die Luft und also allezeit bei dem Herrn sein.“ Wer entdeckt hier nicht die in die Augen springende Verschiedenheit? Nicht die Gläubigen, sondern die Kinder dieser Welt haben den Tag des Herrn zu erwarten. „Aber“ – könnte man einwenden – „wird dann die Kirche nicht ausgespien werden?“ Freilich; aber erst dann wenn die Gläubigen vor der Stunde der Versuchung bewahrt (Off 3,10), vor dem kommenden Zorn errettet und in Sicherheit gebracht sind, und wenn die Kirche, wie die Versammlung zu Laodizea, ihres Schmuckes beraubt, als „die Elende, die Jämmerliche, die Blinde und die Entblößte“ (Off 3,17) ihren Platz auf dieser Erde einnimmt. Dann allerdings wird die an die Versammlung zu Sardes gerichtete Drohung: „Neun du nicht wachen wirst, werde ich über dich kommen, wie ein Dieb“ (Off 3,3) buchstäblich an ihr erfüllt werden. – „Ihr aber, Brüder“, fährt der Apostel fort, „seid nicht in der Finsternis, dass euch der Tag wie ein Dieb ergreife; denn ihr alle seid Söhne des Lichts und Söhne des Tages ... Denn Gott hat uns nicht gestellt zum Zorn, sondern zur Erlangung der Seligkeit durch unseren Herrn Jesus Christus“ (V 9). Und auch hier ruft er, während seine Gedanken bei den Schrecken dieses finsteren Tages weilen, den Gläubigen das Trostwort zu: „Deshalb ermuntert einander!“ (V 11) sein einziger Zweck ist nur, die Herzen der Gläubigen durch die Erinnerung an die Ankunft des Herrn zu ihrer Aufnahme mit Freude und Hoffnung zu erfüllen, sowie durch die Belehrung über den Tag des Herrn zum Gericht, sie, getrennt vom Bösen, zur Nüchternheit und Wachsamkeit zu ermahnen.

Der Inhalt des Zweiten Briefes an die Thessalonicher drängt uns, fast die Vermutung auf, als ob es dem Feind bereits gelungen sei, etliche Seelen in ihrer Erwartung wankend zu machen; denn wir sehen den Apostel mit einem noch gesteigerten Eifer bemüht, den Bestrebungen der falschen Lehrer entgegen zu arbeiten. Wohl rühmt er im 1. Kapitel dieses Briefes den wachsenden Glauben der Thessalonicher und ihre überströmende Liebe; aber ihr Ausharren in der Hoffnung unseres Herrn Jesus Christus, wovon er im ersten Briefe gesprochen, berührt er mit keiner Silbe (vgl. 1. Thes 1,3 mit 2. Thes 1,4). Er belehrt sie, wie sie ihre großen Trübsale zu betrachten haben, nicht als einen Beweis, dass der Tag Christi vorhanden sei, sondern, wie er sagt, als einen „Beweis des gerechten Gerichts Gottes, dass ihr würdig geachtet werdet des Reiches Gottes, für welches ihr auch leidet; sintemal es bei Gott gerecht ist, Drangsal zu vergelten denen, die euch bedrängen, und euch, die ihr bedrängt werdet, Ruhe mit uns in der Offenbarung Jesu vom Himmel“ (V 5–7). Ihre zu erduldenden Drangsale, anstatt das Dasein des Tages des Herrn zu beweisen, sollten nur zur Rechtfertigung Gottes in seiner Vergeltung am Tag des Zornes dienen. Es war völlig klar, dass, solange die Kinder Gottes von Seiten der Welt Trübsale zu erdulden hatten, diese in völliger Sicherheit dahin lebte; und darum konnte unmöglich der Tag des Gerichts angebrochen sein, weil derselbe zufolge der vergeltenden Gerechtigkeit ein schreckliches Wehe über die Welt, „ewiges Verderben, fern von dem Angesicht des Herrn und von der Herrlichkeit seiner Stärke“ (V 8–9), bringen musste, während die Kinder Gottes in ihre ewige Ruhe eingegangen sind und zwar an jenem Tag, wo Jesus „kommen wird, verherrlicht zu werden in seinen Heiligen, und bewundert in allen denen, die geglaubt haben“ (V 10).

Deutlicher noch tritt im zweiten Kapitel das Bestreben der Verführer, die Erwartung der Ankunft Christi zur Aufnahme der Versammlung durch das vorgebliche Vorhandensein des Tages des Herrn zu beseitigen, vor unser Auge. Ihnen, als den Dienern Satans, war jedes Mittel willkommen, um nur ihre teuflischen Zwecke zu erreichen. Sie gaben ihre Lügen als Worte Gottes, als Eingebungen des Geistes, oder auch als vom Apostel selbst geschriebene Briefe aus. Es bedurfte daher der dringendsten Vorstellungen, um die Thessalonicher zu warnen, und um sie fühlen zu lassen, welch einer Gefahr sie sich aussetzten. Wie feierlich sind daher die Worte des Apostels, wenn er sagt: „Wir bitten euch aber, Brüder, um der Ankunft unseres Herrn Jesus Christus willen und unserer Versammlung zu Ihm, dass ihr nicht schnell erschüttert werdet in eurer Gesinnung, noch bestürzt, weder durch Geist, noch durch Wort, noch durch Brief, als von uns, als ob der Tag des Herrn da sei“ (V 1–2). Erreichte der Feind seinen Zweck, dann war ihre köstlichste Hoffnung dahin, der Trost und die Kraft in den vielfachen Versuchungen zerstört und das so wirksame Mittel der Heiligung vernichtet. Welch ein großer Verlust! Und ach! wie wenig beachten in dieser Beziehung die Christen unserer Tage das Wort des Apostels: „Lasst euch von niemandem auf irgendeine Weise verführen; denn dieser (Tag kommt nicht), es sei denn, dass zuerst der Abfall komme und offenbart sei der Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens!“ (V 3) Und ob es auch klar am Tag liegt, dass es sich hier um den „Tag des Herrn“ zum Gericht, nicht aber um seine Ankunft zur Aufnahme der Versammlung handelt, so ist doch die Zahl jener oberflächlichen Bibelleser nicht gering, die ohne Anstand diese Stelle zum Beweis anführen, dass die hier bezeichneten Ereignisse unbedingt unserer Aufnahme durch den Herrn vorangehen würden, und somit gleich jenen Verführern die Ankunft Christi bis zu den fernsten Zeiten hinausschieben und das Warten auf seine Erscheinung als Torheit und Hirngespinst darzustellen suchen.

Wohl finden wir nach Matthäus 24 und vielen anderen Stellen der Schrift, dass während der Regierung des Antichristen und während der vielen schweren, dem Tag des Herrn vorangehenden Trübsale und Gerichte noch Auserwählte auf der Erde sind, die auf die Erscheinung Christi harren; jedoch sind dieses nicht Glieder der Kirche, sondern andere Gläubige und namentlich aus den Juden, als der Überrest Israels betrachtet. In Offenbarung 12 sehen wir auf den ersten Blick, dass das hier vom Satan verfolgte Weib und ihr Samen nicht die Kirche ist, sondern das Volk Israel, in dessen Schoß Jesus geboren ist (V 1–2), und welchem der Herr eine Zufluchtsstätte in der Wüste bereitet (V 14). Die treue Kirche wird zu dieser Zeit im Himmel wohnen; denn weil sie vereinigt mit Christus und weil sie sein Leib ist, so kann sie nicht ins Gericht kommen; Er kann sich selbst nicht richten. Der treue Überrest Israels hingegen, sowie noch andere Gläubigen aus den Nationen haben die Gerichte auf Erden durchzumachen, bis der Herr mit seinen Heiligen erscheinen, ihre Dränger umbringen und sie befreien wird.

Aus dem Zusammenhang der beiden Briefe an die Thessalonicher muss es jedem nüchternen und vorurteilsfreien Christen, der die Erscheinung des Herrn liebhat, völlig klarwerden, dass die Ankunft Christi zur Einführung der Kirche in seine Herrlichkeit und der Tag Christi zum Gericht der Welt zwei ganz verschiedene Ereignisse in der Zukunft des Herrn sind. Es wird daher nicht nötig sein, auf die in den folgenden Briefen sich vorfindenden, unsere Frage betreffenden Stellen näher einzugehen, da dieselben bereits zum großen Teil angeführt sind. Augenscheinlich ist es der Wille Gottes, dass in den Herzen der Gläubigen keine Kluft sei zwischen dem gegenwärtigen Augenblicke und demjenigen der Ankunft Christi, denn sicher verzieht der Herr nicht länger, als bis das letzte Glied seiner Kirche gesammelt ist. Und dieser Zeitpunkt kann heute sein. Um auch uns der Zahl derer beizufügen, die das Vorrecht genießen. Seiner baldigen Erscheinung mit Frohlocken entgegen harren zu dürfen, hat Er sein Kommen bis zu diesem Augenblick verzögert. Ein lebendiges Warten auf seine Wiederkunft charakterisiert jetzt unsere Stellung; eine Verwirklichung dieser Stellung wird die gesegnetsten Früchte zur Folge haben. Möge daher der Herr stets unsere Herzen richten „zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus!“

Fußnoten

  • 1 Im Brief an die Galater redet der Apostel von den Fundamenten des Christentums im Gegensatz zum Gesetz, während er im Brief an die Epheser die Kirche als ein Ganzes, als den Leib Christi, betrachtet, der in Ihm schon in die himmlischen Örter versetzt ist.
  • 2 Manche geben hinsichtlich dieses Ausdrucks dem Gedanken Raum, als ob hier von der siebenten oder „letzten Posaune“ des siebenten Engels in Offenbarung 12,1 die Rede sei; und hieraus ziehen sie dann folgerichtig den Schluss, dass die Kirche vor ihrer Aufnahme die Gerichte während der sechs ersten Posaunen auf Erden durchzumachen habe. Doch sind wir der Meinung, dass, wie wir Ähnliches oft in der Schrift finden, der Apostel hier nur eine Gewohnheit der Römer bei ihren Kriegen als Bild gebraucht. Es wurde nämlich dreimal die Posaune geblasen; bei der ersten Posaune musste das Heer sich rüsten, bei der zweiten in Reih und Glied stehen und bei der dritten oder „letzten Posaune“ aufbrechen. Da nun hier vom Aufbruch der Kirche die Rede ist, wo für sie die letzte Posaune erschallen wird, so lag es für den Apostel sehr nahe, sich dieses Ausdrucks zu bedienen. Und wie hätte er hier auch von der „letzten Posaune“ des Johannes die sich nur auf die Gerichte der Erde bezieht, reden können, da doch dessen Offenbarung späteren Zeiten vorbehalten war?
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