Botschafter des Heils in Christo 1868

Der verborgene Ratschluss Gottes

Die Stunde der Finsternis war hereingebrochen. Die gewaltige Hand der Gerechtigkeit lag mit ihrer ganzen Schwere auf dem Haupt des zur Sünde gemachten Heilands. Satan triumphierte; der Mensch, voll Hass und Feindschaft, und vor allem jenes Volk, welches Jehova sich als sein Eigentum auserkoren, umgab höhnend und lästernd das Kreuz. Und dennoch ertönen aus dem Mund des sterbenden Messias die fürbittenden Worte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ – Worte, die dem Heiligen Geist zur Stütze dienen, um dem Volks Israel durch den Mund des Petrus zurufen zu können: „Nun, Brüder, ich weiß, dass ihr es aus Unwissenheit getan habt, wie auch eure Obersten. So tut nun Buße und bekehrt euch!“ (Apg 3,17.19) Aber ach! Dennoch verschloss Israel das Herz gegen eine solche Langmut und Güte Gottes. Sie machten sich selbst des ewigen Lebens unwürdig; Finsternis ward ihr Teil; und die Steinigung des Stephanus, eines Mannes „voll des Heiligen Geistes“, war die höhnende Antwort auf die Einladung einer solch unvergleichlichen Liebe. Was anders aber war ihr Verhalten, als eine Verwerfung des letzten Zeugnisses? Gott hatte alles versucht; aber Israel verharrte und verhärtete sich in seiner Halsstarrigkeit. Die Propheten waren getötet; der Gesalbte war gekreuzigt und der Heilige Geist verworfen. Gott hatte seine ganze Güte, Langmut und Treue ins Licht gestellt; aber sein Volk wollte Ihn nicht erkennen. Ein entschiedenes Abbrechen all seiner Beziehungen zu Israel war die Folge dieser beklagenswerten Abtrünnigkeit; der sterbende Stephanus sah den Sohn des Menschen zur Rechten Gottes stehen, bereit das Gericht zu halten; aber – o unvergleichliche Gnade! – neue, vor Grundlegung der Welt an in dem Herzen Gottes verborgene Gedanken und Ratschlüsse wurden von jetzt an zum Gegenstand seiner reichen Offenbarungen. Kaum war das eine Zeugnis durch die List Satans, und durch die Untreue der Menschen zerstört, so trat ein neues, weit herrlicheres ans Licht.

Allerdings bleibt es eine unumstößliche Wahrheit, dass „Gott sein Volk, welches er zuvor gekannt, nicht verstoßen hat“, dass „Verstockung Israel zum Teil widerfahren ist, bis dass die Fülle der Nationen eingegangen sein und dann ganz Israel errettet werden wird, wie geschrieben steht: Es wird ein Erretter kommen aus Zion und wird die Gottlosigkeiten abwenden von Jakob“ (Röm 11,2.25–29). Die Untreue Israels hat die Treue Gottes nicht aufzuheben vermocht; denn „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“. Wohl ist das Volk eine Zeitlang bei Seite gesetzt worden; aber „Gott vermag die natürlichen Zweige seines Ölbaums wiederum einzupfropfen“ (Röm 11,16–24). Diese Wiederherstellung aber gründet sich auf eine unbeschränkte Gnade, auf Verheißungen, die dem Abraham ohne jegliche Bedingung gegeben sind, während die auf Sinai gegebenen Verheißungen an Bedingungen geknüpft warm, deren Nichterfüllung von Seiten Israels die Auflösung des Bündnisses zwischen Jehova und seinem Volk notwendig machte. Israel büßte wegen seiner Untreue alles ein. Sein hochmütiges Streben, in eigener Kraft eine Gerechtigkeit darstellen zu wollen, führte seinen Fall herbei. Lange und mit einer unvergleichlichen Geduld ertrug Gott dieses halsstarrige, abtrünnige Volk, bis schließlich jedes Heilmittel erschöpft war und nichts übriggeblieben ist, als „ein gewisses, furchtvolles Erwarten des Gerichts, und ein Feuereifer, der die Widersacher verschlingen wird.“ Aber ob auch die an Bedingungen geknüpften Verheißungen für Israel wegen seiner Untreue verloren sind, so sind dadurch doch keineswegs jene dem Abraham bedingungslos gegebenen Verheißungen aufgehoben oder in Frage gestellt. Gott wird sie alle treulich erfüllen. Die Propheten des alten Bundes verkünden die in den letzten Tagen stattfindende Wiederherstellung Israels als eine unzweifelhaft festgestellte Tatsache; und selbst das Neue Testament liefert dazu an verschiedenen Stellen die bestimmtesten Zeugnisse. Freilich sind schreckliche Gerichte, welche die Gottlosen hinwegraffen werden, die Mittel dieser Wiederherstellung; aber dann wird der Herr „den Unflat der Tochter Zions abwaschen und die Blutschulden Jerusalems hinwegnehmen“, so dass ganz Israel sich der Segnungen seines Gottes wird erfreuen können (Siehe Jes 1,25–28; 4,2–4; Jer 3,16–18; 32,37–42; 33,6–11; Hes 11,17–20; 37; Amos 9,14–15; Röm 11 und andere Stellen mehr).

Zu wie vielen Missverständnissen aber führen die Weissagungen des Alten Testaments, sowohl die der Psalmen, als auch die der Propheten, wenn man die schließliche Wiederherstellung Israels außer Acht lässt, oder jene Weissagungen gar auf die Kirche anzuwenden sucht! Leider ist Letzteres bei vielen ein nur zu gewöhnliches Verfahren, indem man die Kirche, ohne dafür in der Schrift auch nur den schwächsten Anhaltspunkt zu finden, zu einem geistlichen Israel stempelt, während uns vielmehr in der bestimmtesten Weise bezeugt wird, dass einerseits die Kirche bis zurzeit der Apostel und Propheten des Neuen Testaments ein von den Zeitaltern her in Gott verborgenes Geheimnis war, und dass andererseits ihre Berufung eine himmlische ist. Auf diese beiden Wahrheiten möchte ich zunächst die Aufmerksamkeit des Lesers richten.

Die in Matthäus 16,18 auf das Bekenntnis des Petrus folgenden Worte des Herrn: „Du bist Petrus; und auf diesen Felsen will ich bauen meine Versammlung“, zeigen unzweideutig, dass die Versammlung weder während der Zeit des Alten Testaments, noch während des Pilgerlebens Jesu auf der Erde eine Stätte gefunden hatte. Er sagte nicht: „Ich habe gebaut“, sondern: „Ich will bauen meine Versammlung.“ Wenn ferner die Versammlung oder Kirche der Leib Christi genannt wird, so steht diese Bezeichnung außer allem Zweifel mit dem Tod und der Auferstehung Christi in Verbindung. Sie war nicht des auf der Erde lebenden, sondern ist der Leib des auferstandenen Christus. Ohne seinen Tod und ohne seine Auferstehung war jegliche Art von Vereinigung eine totale Unmöglichkeit; denn Er selbst sagt in dieser Beziehung: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, so bleibt es allein; wenn es aber stirbt, so– bringt es viele Frucht“ (Joh 12,24). Jetzt ist Er als „Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (Eph 1,23). Vor seiner Auferstehung konnte mithin unmöglich die Versammlung vorhanden sein.

Noch bestimmter bezeugt der Apostel Paulus, dass bis zu seiner Zeit die Versammlung ein in Gott verborgenes Geheimnis war, indem er sagt: „Wenn ihr anders vernommen habt die Verwaltung der Gnade Gottes, die mir an euch gegeben ist, dass mir das Geheimnis durch Offenbarung kundgetan worden ... welches in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht worden, wie es jetzt offenbart worden ist seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist, dass nämlich die Nationen Miterben sein sollten und ein Teil ein und desselben Leibes, und mitteilhaftig seiner Verheißung in dem Christus durch das Evangelium“ (Eph 3,2–5). Und ebenso bezeugt er etliche Verse weiter aufs Neue, dass dieses Geheimnis von den Zeitaltern her in Gott verborgen war (V 9). Eine deutlichere Sprache könnte kaum geführt werden; und es ist schwer zu begreifen, wie jemand im Alten Testamente die Kirche suchen kann, da diese, wie aus allen prophetischen Schriften hervorgeht, den inspirierten Schriften jener Tage ein völliges Geheimnis war und ihre Offenbarung erst den Aposteln und Propheten des Neuen Testaments zu Teil geworden ist. Freilich war die Berufung der Heiden und ihre Teilnahme an den Segnungen Israels schon öfters im Alten Testament ein Gegenstand prophetischer Aussprüche gewesen; allein die Tatsache, dass Juden und Heiden einen Leib, den Leib Christi, bilden und einer und derselben Verheißung in dem Christus durch das Evangelium teilhaftig werden sollten, war vor der Zeit der Wirksamkeit des Paulus ein unaufgedecktes Geheimnis. In diesem einen Leib ist jede Bevorzugung hinsichtlich der Juden aufgehoben und jede Zwischenwand der Umzäunung zwischen Juden und Heiden abgebrochen. Christus ist alles in allen; und durch Ihn nahen beide in einem Geist zum Vater (Siehe Eph 2,14–18; Kol 3,11). dieses Umstandes geschieht aber im Alten Testamente keine Erwähnung. Ebenso konnten die gesegneten Wahrheiten in Epheser 4,4: „Ein Leib und ein Geist“, sowie in 1. Korinther 12,13: „Denn wir sind durch einen Geist zu einem Leib getauft ... und sind alle in einen Geist getränkt“, und endlich in 1. Korinther 3,16: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und dass der Geist Gottes unter euch wohnt“, erst nach der Verherrlichung des Herrn und der Herniederkunft des Heiligen Geistes auf der Erde ihre Verwirklichung finden. Es geht also sowohl aus den oben angeführten Worten des Herrn und den klaren Zeugnissen des Heiligen Geistes, als auch aus der Natur und dem Charakter der als Christi Leib bezeichneten Versammlung selbst unzweideutig hervor, dass Letztere weder im Alten Testament zu suchen ist, noch während des Lebens Jesu auf der Erde existierte, sondern dass sie vielmehr erst, nachdem der Herr zur Rechten Gottes erhöht ist und der Heilige Geist seine Wohnung auf der Erde genommen hat, in die Erscheinung getreten ist. Doch wenden wir uns jetzt zu unserem zweiten Punkte, zu der Berufung der Versammlung.

Israel ist das irdische Volk Gottes und alle seine Verheißungen stehen mit der Erde in Verbindung. Aus diesem Grund handelt es sich auch im Alten Testament ausschließlich um die die Erde betreffende Regierung Gottes, wovon Jerusalem und die Juden den Mittelpunkt bildeten und stets bilden werden. Selbstredend hat daher diese Regierung nur auf der Erde ihre Gerechtigkeit zu offenbaren und sich nur in irdischen Dingen zu erweisen, wie geschrieben steht: „Und der Mensch wird sagen: Es ist doch Lohn für den Gerechten! Es gibt doch einen Gott, der die Erde richtet“ (Ps 58,11). Dass nun Gott in seinen Wegen mit seinem irdischen Volk in unwandelbarer Treue und großer Barmherzigkeit verkehrt und sicher alle darauf bezüglichen Verheißungen einmal zum Austrage bringen wird, beweist doch keineswegs, dass dieses Volk die Kirche sei und seine Verheißungen die Hoffnungen der Kirche ausmachen. Das Bewusstsein, dass Gott treu und barmherzig ist, wird ohne Unterschied jedes gläubige Herz erfreuen; aber die Gegenstände, mit denen sich ein solch treuer und barmherziger Gott beschäftigt, können doch verschieden sein. Israel und Jerusalem sind nicht die Kirche Gottes. Und wie köstlich auch jede Offenbarung Gottes für den Gläubigen sein mag, so wird doch deren falsche Anwendung das Verständnis in Verwirrung bringen und von der richtigen Beurteilung der Ratschlüsse und Wege Gottes ableiten. Israel ist der Mittelpunkt der die Erde betreffenden Regierung Gottes, während die Versammlung der Gegenstand seines Ratschlusses bezüglich der himmlischen Herrlichkeit ist. Wenn Christus sein Erbteil als Mensch übernimmt und die Ratschlüsse Gottes in Betreff der Erde erfüllt sind, dann werden ohne Zweifel die Heiligen auf Erden unter seinem Zepter glücklich sein; aber die Versammlung wird ihr Teil mit Christus droben haben. Der Charakter der himmlischen Berufung der Letzteren wird uns im Brief an die Epheser in der bestimmtesten und deutlichsten Weise enthüllt.

Schon im ersten Kapitel lesen wir: „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns gesegnet hat mit aller geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christus“ (V 2). dem Ratschluss Gottes gemäß, ist also die Segnung der Versammlung eine geistliche und der Schauplatz dieser Segnung ein himmlischer, während beides bei Israel irdisch ist. „So wie Er uns auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, dass wir seien heilig und tadellos vor Ihm in Liebe“ (V 4). Die Versammlung befindet sich ganz und gar außer dem Kreis der göttlichen Geschichte der Welt und der darauf bezüglichen Wege Gottes, weil sie vor Grundlegung der Welt für eine himmlische Stellung zuvor verordnet ist. In dieser Stellung befindet sie sich kraft ihrer Vereinigung mit Christus; und ihr Charakter ist in Übereinstimmung mit Gott, welcher heilig und die Liebe ist. „Und hat uns zuvor verordnet zur Kindschaft durch Jesus Christus, für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens“ (V 5). Israel ward auf der Erde als das Volk Gottes erwählt, während wir nach dem Wohlgefallen seines Willens zu Söhnen Gottes zuvor verordnet sind. Und wie überaus gesegnet ist unser Verhältnis zu Christus! Nachdem der Apostel von dem Geheimnis Gottes „für die Verwaltung der Fülle der Zeiten, nämlich alle Dinge, die in den Himmeln und die auf der Erde sind, unter ein Haupt in dem Christus zusammen zu bringen“, gesprochen hat, fügt er hinzu: „In Ihm, in welchem wir auch zu Erben gemacht sind“ (V 10–11). Wenn Christus alle Dinge als sein Erbteil besitzt, so ist die Versammlung seine Miterbin; wenn Er sich mit seiner großen Macht bekleidet und als König mit der Erde in Verbindung tritt, so wird sie mit Ihm herrschen. Sein Teil ist ihr Teil; als die Braut Christi genießt sie alle Vorrechte und selbst die erhabene Stellung ihres verherrlichten Bräutigams; denn, Gott hat Ihn, wie mir am Schluss des ersten Kapitels lesen, „als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt“ (V 22–23). Wie innig ist diese Vereinigung! Wie unser Leib mit unserem Haupt zusammenhängt, und der Leib das Haupt vervollständigt und zu einem Menschen macht, so ist die Versammlung mit Christus verbunden und vervollständigt Ihn, das Haupt, zu jenem geheimnisvollen Menschen der vor Grundlegung gefassten Ratschlüsse Gottes.

Im zweiten Kapitel dieses Briefes zeigt uns der Heilige Geist, dass die Kirche, weil vereinigt mit ihrem verherrlichten Haupt, ihren Platz im Himmel hat. „Er hat uns mit auferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus“ (V 6). Wie könnte jetzt noch von einer Unterscheidung zwischen Juden und Heiden die Rede sein? Christus hat die zwei in sich selbst zu einem neuen Menschen geschaffen; indem Er sie auf dem Kreuz mit Gott versöhnte und in einem Leib vereinigte (V 14–16). – dieser aus Juden und Heiden zusammengesetzte Leib nun ist die Versammlung Gottes, die, aufgebaut auf die Grundlage der Apostel und Propheten des Neuen Testaments, statt des von Jehova einst bewohnten Tempels zu Jerusalem zu einer „Behausung Gottes in dem Geist“ geworden ist. Dieses kennzeichnet den wahren Charakter der Versammlung hienieden.

Das dritte Kapitel stellt, wie bereits erwähnt, hauptsächlich ins Licht, dass die Versammlung ein in Gott verborgenes Geheimnis war; aber auch Zugleich, dass „jetzt den Fürstentümern und Gewalten in den himmlischen Örtern durch die Versammlung kundgemacht sei die mannigfaltige Weisheit Gottes, nach dem Vorsatz von den Zeitaltern her usw“ (V 9–10). Wohl waren jene Fürstentümer und Gewalten Augenzeugen der Geduld, der Macht und der Regierung gewesen; aber nimmer hatten sie auf der Erde einen himmlischen Leib, vereinigt mit seinem Sohn im Himmel, geschaut. Das war für sie eine ganz neue Offenbarung der Weisheit Gottes.

Im vierten Kapitel bezeugt der Apostel, dass nur ein Leib und ein Geist vorhanden sei; (V 4) und dann redet er von den für diesen Leib verliehenen Gaben (V 7–12). Der unausforschliche Reichtum des Christus ist die Quelle der Auferbauung der Versammlung, indem jedes Glied nach der ihm gegebenen Gnade aus dieser unerschöpflichen Schatzkammer dem Leib mitteilt. Der Leib wächst, sich selbst entwickelnd, „zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“ (V 13). Christus selbst – seine Fülle, sein voller Wuchs – ist das Ziel und der Maßstab für die Versammlung. Nach Christus werden wir gebildet. Ihm werden mir einmal völlig gleich sein.

Im fünften Kapitel endlich wendet der Apostel das Verhältnis zwischen Mann und Weib auf Christus und die Versammlung an. Er erinnert nicht nur an seine unvergleichliche Liebe und zärtliche Sorge für die Versammlung, sondern auch an ihr inniges Verhältnis und an ihre unzertrennliche Einheit mit Ihm. Wie Eva aus Adam war, so ist die Versammlung aus Christus, dem zweiten Adam; denn „wir sind seines Leibes Glieder, von seinem Fleisch und von seinem Bein“ (V 30). Sie ist ein Teil von Ihm, seine Fülle, seine Miterbin; und diese enge, unauflösbare Verbindung drängte ihn einst, einem Verfolger, Schmäher und Lästerer der Versammlung die Worte zuzurufen: „Saul! Saul! was verfolgst du mich!“ Köstliche, gesegnete Wahrheit! O möchte diese Einheit, dieses unzertrennliche Band doch stets von unserem Herzen völlig verstanden und gefühlt werden!

Auch in noch anderen Briefen des Paulus finden sich in Bezug auf diese Wahrheit die reichhaltigsten Belehrungen. So in dem ersten Briefe an die Korinther, der uns bezüglich der inneren Einrichtung einer örtlichen Versammlung die genauesten Anweisungen liefert und worin uns der Apostel zeigt, dass die an einem Ort als Leib vereinigten Christen die Einheit des ganzen Leibes darstellen. Sie bilden die Versammlung Gottes an irgendwelchem Ort; dort war es die Versammlung Gottes zu Korinth. An diesem Ort gab es nur eine Versammlung; und sie bestand aus den „Geheiligten in Christus Jesus, den berufenen Heiligen“, die in Korinth lebten. Sie waren durch ihr Bekenntnis, wie durch ihr gemeinsames Betragen als Leib von der Welt geschieden; und in dieser Stellung wurden sie von derselben gesehen und gekannt. Das Abendmahl war das äußere Zeichen ihrer Vereinigung; (1. Kor 10,16) und der Heilige Geist wohnte in der Versammlung. Sie ist, wie auch jeder einzelne Christ, ein Tempel des Heiligen Geistes (Kap 3,16–17; 6,19). dieser Geist nun vereinigt alle Christen zu einem Leib. „Denn gleich wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle die Glieder des einen Leibes aber, obgleich viele, Ein Leib sind, also ist auch der Christus. Denn auch durch einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft, es seien Juden oder Griechen“ usw (Kap 12,12–13). Die Versammlung also ist der Leib Christi; und der Heilige Geist ist es, der die Christen in einen Leib vereinigt und der Zugleich jedem Glied zum Nutzen des ganzen Leibes Gaben darreicht.

Ebenso beschäftigt sich der Brief an die Kolosser auch teilweise mit unserem Gegenstand, indem uns darin einerseits die doppelte Herrlichkeit Christi, als des Hauptes aller Dinge und als des Hauptes der Versammlung (Kap 1,15–18) und andererseits sein Wohnen in derselben als „die Hoffnung der Herrlichkeit“ (V 27) vor Augen gestellt wird. Im Geist gegenwärtig sichert Er auch den Heiden, die ohne Verheißung und ohne Hoffnung waren, die himmlische Herrlichkeit, in die Er selbst bereits eingegangen ist. Die Versammlung besitzt in Ihm die „ganze Fülle der Gottheit, die leibhaftig in Ihm wohnt, und sie ist in Ihm vollendet, welcher ist das Haupt jedes Fürstentums und jeder Gewalt“ (Kap 2,9–10). Welch eine herrliche, dem Haupt völlig würdige Vollendung!

Aus allem diesem ersehen wir, dass die Berufung der Kirche oder Versammlung Gottes himmlisch und ihre Stellung überaus herrlich und gesegnet ist. Wie nötig ist es daher, dass wir, wollen wir anders die Höhe und Tiefe, die Breite und Längs ihrer Segnung verstehen und genießen, mit Begierde die unausforschlichen Reichtümer Christi zu ergründen trachten! Sie ist mit ihm gesegnet; und dieses „Mit Ihm“ zeigt uns die Fülle des Segens. Wie überschwänglich auch seine Herrlichkeit sein mag; – sie ist seine Miterbin. Alle seine Titel und Würden teilt Er mit ihr kraft seiner unergründlichen Liebe. Auf dem Kreuz hat Er ihr die unreinen Kleider ausgezogen und sie dann geschmückt mit den Zierden seiner Schönheit und Lieblichkeit. Er führt sie vor das Angesicht des Vaters „heilig und tadellos in Liebe“, als geliebte Kinder; Er führt sie ein als seine Braut und als die Miterbin all seiner Güter, in die für sie erworbene himmlische Herrlichkeit; und Er führt sie als sein Weib auf diese Erde zurück, um mit Ihm zu richten und zu herrschen, stets weilend in ihrer Nähe, um sich ihres Lobes und ihrer Anbetung, ihres Glücks und ihrer Wonne zu erfreuen. Wie könnte es auch anders sein? Sie ist ganz für Ihn, von Ewigkeit her für Ihn bestimmt, durch sein eigenes Blut erkauft und, als sein Leib „Fleisch von seinem Fleisch, und Bein von seinem Nein“, mit Ihm durch ein unauflösliches Band verbunden. Welch ein unaussprechliches Glück, diesem Leib, seiner Versammlung anzugehören, die zwar jetzt alle daraus hervorströmenden Segnungen nur im Geist und durch den Glauben genießt, die aber bald Ihn schauen und in Wirklichkeit seiner ganzen Fülle teilhaftig sein wird (Fortsetzung folgt).

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