Botschafter des Heils in Christo 1866

Der Korb der ersten Früchte

In dieser höchst interessanten Anordnung begegnen wir drei verschiedenen praktischen Resultaten, welche aus Israels Besitzergreifung des Landes Kanaan hervorstießen; und diese Resultate sind: 1. der Gottesdienst, 2. das tätige Wohlwollen und 3. die persönliche Heiligkeit. Nachdem Jehova mit mächtiger Hand sein Volk in das verheißene Land eingeführt hatte, konnten die Früchte dieses Landes dargebracht werden. Man musste unbedingt in Kanaan sein, bevor man die Früchte Kanaans beim Gottesdienst opfern konnte. Der Anbeter war fähig zu sagen: „Ich bekenne heute dem Herrn, deinem Gott, dass ich gekommen bin in das Land, das der Herr unseren Vätern geschworen hat, uns zu geben“ (V 3).

„Ich bin gekommen.“ Das war der Kern der Sache. Er sagt nicht: „Ich werde kommen“ oder: „Ich hoffe zu kommen“, oder: „Ich wünsche zu kommen“; nein, sondern: „Ich bin gekommen.“ Also muss es stets sein. Wir müssen uns gerettet wissen, bevor wir die Früchte einer erkannten Rettung zu bringen vermögen. Wir mögen in unserem Verlangen nach Rettung sehr aufrichtig, und in unseren Anstrengungen, um gerettet zu werden, sehr ernst sein; aber wir können nur sehen, dass unsere Anstrengungen, um dieses Ziel zu erreichen, gänzlich von den Früchten unserer Errettung verschieden sind. Der Israelit opferte den Korb der ersten Früchte nicht, um in das Land einzugehen, sondern er tat es, weil er wirklich darin war. „Ich bekenne heute, dass ich gekommen bin.“ Das beseitigt jeden Irrtum. Ich bin im Land; und hier ist die Frucht desselben. –

„Da sollst du antworten und sagen vor dem Herrn, deinem Gott: Mein Vater war ein irrender Mesopotamier; der zog hinab in Ägypten, und war daselbst eilt Fremdling mit wenigen Leuten, und ward daselbst ein großes, starkes und vieles Volk. Aber die Ägypter behandelten uns übel, und zwangen uns, und legten einen harten Dienst auf uns. Da schrien wir zu dem Herrn, dem Gott unserer Väter, und der Herr erhörte unsere Stimme, und sah an unser Elend, Angst und Not; und der Herr führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und ausgestrecktem Arm, und mit großem Schrecken und mit Zeichen und Wundern; und brachte uns an diesen Ort, und gab uns dieses Land, ein Land, darin Milch und Honig stießt. Nun bringe ich hier die ersten Früchte des Landes, das du, Herr, mir gegeben hast. Und sollst sie lassen vor dem Herrn, deinem Gott, und anbeten vor dem Herrn, deinem Gott; und fröhlich sein über alles Gute, das der Herr dir gegeben hat, und deinem Haus, du und der Levit, und der Fremdling, der bei dir ist“ (V 5–11).

Ein herrliches Beispiel der Anbetung! „Ein irrender Mesopotamier. Das war der Ursprung. Da gab es nichts zu rühmen, insofern es sich um die Natur handelte. Und bot der Zustand etwa einen Grund zum Rühmen? Keineswegs. Das Land Ägypten hatte für das Volk nur einen „harten Dienst“, – eine ermüdende Arbeit in den Ziegelhütten unter der grausamen Geißel der Frohnvögte Pharaos. Aber dann: „Wir schrien zu Jehova.“ Hier war die Zufluchtsstätte der Unglücklichen. Es war alles, was sie zu tun vermochten; aber es war auch genug. Der Schrei der Hilfslosigkeit stieg direkt zum Thron Gottes empor und führte Gott hernieder in die nämlichen Ziegelhütten Ägyptens. Hören wir, welch feierliche Worte Jehova an Moses richtet: „Ich habe angesehen das Elend meines Volkes in Ägypten, und habe ihr Geschrei gehört über ihre Treiber; ich habe ihr Leid erkannt. Und bin herniedergefahren, dass ich sie errette von der Hand der Ägypter, und sie ausführe aus diesem Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt ... Weil denn nun das Geschrei der Kinder Israel vor mich gekommen ist, und habe auch gesehen die Drangsal, damit die Ägypter sie drangen usw. usw“ (2. Mo 3,7–9).

Das war die unmittelbare Antwort Jehovas auf den Hilferuf seines Volkes. „Ich bin herniedergefahren, dass ich sie errette.“ Ja, – gesegnet sei sein Name! – Er kam hernieder, um, in Ausübung einer freien und unumschränkten Gnade, sein Volk zu befreien; und keine Macht der Menschen oder der Teufel, der Erde oder der Hölle, konnte es fest halten über die bestimmte Zeit hinaus. Daher finden in 5. Mose 26 die großen Resultate in der Sprache des Anbeters und in dem Inhalt seines Korbes ihren Ausdruck. „Ich bin gekommen in das Land, das der Herr unseren Vätern geschworen hat, uns zu geben;“ und: „Nun bringe ich hier die ersten Früchte des Landes, das du, Herr, mir gegeben hast.“ – Der Herr hat in Betreff der Liebe seines Herzens und in Betreff der Treue seines Wortes alles erfüllt. Nicht ein Jota, nicht ein Titelchen hat gefehlt. „Ich bin gekommen;“ und: „Ich habe gebracht die Früchte.“ Die Früchte – wovon? Von Ägypten? Nein, sondern „die Früchte des Landes, das du, Herr, mir gegeben hast.“ Die Lippen des Anbeters verkündigten die Vollendung des Werkes Jehovas. Der Korb des Anbeters enthielt die Früchte des Landes Jehovas. Nichts konnte einfacher, nichts wirklicher sein. Der Anbeter hatte nur das Werk Gottes bekannt zu machen und die Früchte zu zeigen. Alles – vom Anfang bis zum Ende – war von Gott. Er hatte die Israeliten von Ägypten ausgeführt; und Er hatte sie in das Land Kanaan gebracht. Er hatte ihre Körbe mit den reifen Früchten Kanaans gefüllt, und ihre Herzen mit dem Lob des Gottes ihres Heils.

Und was denkst du, mein teurer Leser? Hältst du es etwa für eine Vermessenheit, dass der Israelit eine solche Sprache führte? War es recht, war es bescheiden, war es die Sprache der Demut, wenn er sagte: „Ich bin gekommen?“ Würde es vielleicht geziemender gewesen sein, wenn er bloß der schwachen Hoffnung, etwa in einer zukünftigen Periode ins Land zu kommen, einen Ausdruck gegeben hätte? Würden Zweifel und Ungewissheit hinsichtlich seiner Stellung und seines Teils mehr zur Ehre des Gottes Israels gedient haben? Gewiss nicht. Und welch ein herrliches Beispiel liefert uns hier das alte Volk Gottes! Konnte ein Israelit sagen: „Ich bin gekommen in das Land, das der Herr unseren Vätern geschworen hat, uns zu geben“, so kann jetzt mit derselben Zuversicht ein Gläubiger sagen: „Ich bin gekommen zu Jesu!“ Freilich war es in dem einen Fall die Wirklichkeit, während es in dem anderen der Glaube ist. Über ist es in dem letzteren Fall weniger wahr, als in dem erstem? Sagt der von Gott erleuchtete Apostel nicht zu den Hebräern: „Ihr seid gekommen zum Berg Zion?“ und wiederum: „Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, so lasst uns die Gnade festhalten, durch welche wir Gott wohlgefällig dienen mit Ehrfurcht und Frömmigkeit.“ Wenn wir darüber im Zweifel sind, ob wir gekommen sind oder nicht, und ob wir das „Reich empfangen“ haben oder nicht, so sind wir unfähig, in Wahrheit anzubeten oder einen annehmlichen Dienst zu üben. Nur wenn wir uns im friedlichen Besitze unseres Platzes und unseres Teils in Christus befinden, nur dann steigt wahre Anbetung zum Thron droben, und nur dann wird wirklicher Dienst geübt werden können in dem Weinberg hienieden.

Denn was ist wahre Anbetung? Was anders, als dass ich rühme in der Gegenwart Gottes das, was Er ist und was Er getan hat? Er hat alles getan. Wenn ich Ihn nun nicht kenne, und wenn ich nicht glaube an das, was Er getan hat, wie kann ich Ihn denn anbeten? „Wer zu Gott naht, muss glauben, dass Er ist.“ – Gott zu erkennen, ist das ewige Leben (Joh 17,3). ich kann Gott nicht anbeten, wenn ich Ihn nicht kenne; und ich kann Ihn nicht erkennen, ohne das ewige Leben zu haben. Die Athener hatten dem „unbekannten Gott“ einen Altar errichtet; und Paulus sagte ihnen, dass ihre Anbetung in Unwissenheit geschehe, und fuhr fort, ihnen den wahren Gott, als dargestellt in der Person und dem Werk Christi, zu verkündigen.

Es ist von höchster Wichtigkeit, in diesem Punkt klar zu sein. Ich muss Gott erkennen, bevor ich Ihn anbeten kann. Ich mag „Gott suchen, ab ich ihn vielleicht tastend fühlen und finden möchte;“ aber nach jemandem tastend fühlen, den ich nicht gefunden, und jemanden anbeten, den ich gefunden habe, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Gott hat sich im Angesicht Jesu Christi offenbart. Er ist in der Person seines hochgelobten Sohnes nahe zu uns gekommen, so dass wir Ihn erkennen und lieben. Ihm vertrauen und in all unseren Schwachheiten und Bedürfnissen bei Ihm Hilfe suchen können. Wir brauchen Ihn nicht tastend zu suchen inmitten der Finsternis der Natur, oder unter den Wolken und Nebel einer in zehntausend Formen aufgelösten falschen Religion. Nein; unser Gott hat sich in einer so deutlichen Weise zu erkennen gegeben, dass der pilgernde Mensch, wie töricht er sonst auch sein mag, nicht darüber im Irrtum zu sein braucht. Der Christ kann sagen: „Ich weiß, an wen ich glaube.“ Das ist der Grund aller wahren Anbetung. Es kann ein ungeheures Maß von fleischlicher Frömmelei und mechanischer zeremoniöser Übung ohne ein einziges Sonnenstäubchen einer geistlichen Anbetung existieren. Letztere kann nur aus der Erkenntnis Gottes hervorstießen.

Indes ist es nicht unsere Absicht, eine Abhandlung über die Art und Weise der Anbetung zu schreiben, sondern wir wünschen nur unseren Lesern einfach und in möglichster Kürze die belehrende und schöne Anordnung, betreffs des Korbes mit den ersten Früchten, vor Augen zu stellen. Und nachdem wir gezeigt haben, dass die Anbetung die erste Handlung eines Israeliten war, der sich im Besitz des Landes sah, und dass auch wir unseren Platz und unsere Vorrechte kennen müssen, bevor wir den Vater im Geist und in Wahrheit anbeten können, werden wir fortfahren, die Aufmerksamkeit des Lesers auf das zweite in unserer Betrachtung hervortretende, praktische Resultat, nämlich auf das tätige Wohlwollen, zu richten.

„Wenn du schließlich zehntest alle Zehnten deines Einkommens im dritten Jahr, dem Jahr des Zehnten, so sollst du dem Leviten, dem Fremdling, dem Waisen und der Witwe geben, dass sie essen in deinen Toren und satt werden. Und sollst sprechen vor dem Herrn, deinem Gott: ich habe das Geheiligte aus meinem Haus getan, und habe es gegeben den Leviten, den Fremdlingen, den Waisen und den Witwen, nach alle deinem Gebot, das du mir geboten hast; ich habe deine Gebote nicht übergangen noch vergessen“ (V 12–13).

Nichts kann in moralischer Beziehung schöner sein, als die Ordnung dieser Dinge. Es ist ganz dasselbe, was wir in Hebräer 13 finden. „Durch Ihn lasst uns denn Gott stets das Schlachtopfer des Lobes darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die Seinen Namen bekennen.“ Soweit ist es die Anbetung. „Des Wohltuns aber und des Mitteilens vergesst nicht; denn an solchen Opfern hat Gott Wohlgefallen.“ Hier ist es das tätige Wohlwollen. Fassen wir Neides zusammen, so haben wir, so zu sagen, die obere und die untere Seite des Charakters eines Christen – er preist Gott und tut den Menschen Gutes. Kostbare Charakterzüge. O möchten wir sie doch treuer ans Licht treten lassen! Eins ist gewiss – sie gehen immer zusammen. Man zeige mir einen Menschen, dessen Herz voll des Lobes Gottes ist, und ich will euch einen zeigen, dessen Herz für jede Form menschlicher Notdurft geöffnet ist. Er mag nicht reich sein an Gütern dieser Welt; er mag gezwungen sein zu sagen: „Silber und Gold habe ich nicht;“ – gleich jenem vor Alters, der sich nicht schämte, dieses zu sagen; aber er wird haben eine Träne des Mitgefühls, einen freundlichen Blick, ein tröstendes Wort; und diese Dinge werden mächtiger reden zu einem fühlenden Herzen, als das Öffnen der Börse und das Geklingel des Silbers und des Goldes.

Aber beachten wir die in Hebräer 13 aufgestellte und in 5. Mose 26 erläuterte, göttliche Ordnung. Die Anbetung hat den ersten – den höchsten Platz. Mögen wir es nimmer vergessen. Wir haben Gott das Schlachtopfer des Lobes „stets“ darzubringen. Auch der Psalmist sagt dasselbe. „Ich will den Herrn preisen allezeit; sein Lob soll stets in meinem Mund sein.“ Dieses Lob soll nicht nur dann und wann, wenn etwa alles glänzend und fröhlich um uns her ist, oder wenn alles nach dem Wunsch des Herzens geht, laut werden, sondern „allezeit“ – „stets“. Der Strom der Danksagung muss ununterbrochen stießen. Da gibt es keine Frist zum Murren oder zur Klage, zum Verdruss oder zur Unzufriedenheit, zum Trübsinn oder zur Verzagtheit. Lob und Danksagung sind die beständigen Verrichtungen. Wir haben stets den Geist der Anbetung in Übung zu erhalten. Das wird unser glückseliger und heiliger Dienst sein, während die Ewigkeit auf der Bahn goldener Jahrhunderte dahin rollt. Ja, selbst wenn die Forderung „mitzuteilen“ nicht mehr an uns gestellt, wenn nicht mehr unser Mitgefühl und unsere Hilfe begehrt werden, wenn wir aufgefordert worden sind, diesen Schauplatz der Trauer und der Not für immer zu verlassen, auch dann werden wir Gott stets und ununterbrochen loben droben im Heiligtum seiner glückseligen Gegenwart.

„Des Wohltuns aber und des Mitteilens vergesst nicht.“ Er sagt nicht: „Aber die Darbringung des Schlachtopfers des Lobes vergesst nicht.“ Nein, sondern damit wir, in dem glückseligen Genuss unseres Platzes und Teiles in Christus, nicht vergessen sollen, dass wir ein Schauplatz der Trauer und der Not, der Trübsal und des Drucks durchpilgern, fügt der Apostel die heilsame Ermahnung in Betreff des Wohltuns und des Mitteilens hinzu. Der geistlich gesinnte Israelit hat sich nicht nur jedes guten Dinges, welches der Herr, sein Gott, ihm gewährt, zu erfreuen, sondern hat sich auch des Leviten, des Fremden, des Waisen, der Witwe, kurz solcher zu erinnern, die kein irdisches Teil, keine irdische Heimat, keinen irdischen Beschützer und keine irdische Wohnung besitzen. Der Strom der Gnade wälzt sich hernieder von dem Busen Gottes und füllt unsere Herzen bis zum Überfließen; und in ihrem Überfluss erfrischen und erfreuen sie die uns umringende Szene. Wenn wir nur in dem Genuss dessen lebten, was unser Teil in Gott ist, so würde jede Bewegung, jede Handlung, ja, jeder Blick von unserer Seite nur Gutes wirken. Der Christ, nach göttlichem Begriff, erhebt die eins Hand zur Darbringung des Schlachtopfers des Lobes, während seine andere Hand gefüllt ist mit den wohlriechenden Früchten reinen Wohlwollens, um damit jedem Hilfsbedürftigen zu begegnen.

Und jetzt noch ein kurzes Wort über den dritten Punkt. Wir werden nur die Stelle anführen. Nachdem der Israelit seinen Korb gereicht und seinen Zehnten ausgeteilt hatte, wurde er weiter belehrt zu sagen: „Ich habe nicht davon gegessen in meinen: Leide, und habe nicht davon getan in Unreinigkeit; ich habe nicht für die Toten davon gegeben“ (V 14). Hier haben wir also die persönliche Heiligkeit, die gänzliche Absonderung von allem, was unvereinbar war mit dem heiligen und glückseligen Platze der Anbetung und des Dienstes, in welchen er eingeführt worden war. Dort durften kein Leid, keine Unreinigkeit, keine toten Werke sein. Wir haben keinen Raum für irgendeins dieser Dinge. Wir haben, mit einem Wort, drei Dinge zu verrichten. Wir blicken auf Gott und bringen die Schlachtopfer des Lobes dar; wir blicken um uns her in der Welt und tun Gutes, und wir blicken in den Kreis unseres eignen Wesens, unseres inneren Lebens, und halten uns rein.

„Betet unablässig; danksagt in allem; denn dieses ist der Wille Gottes in Christus Jesus an euch“ (1. Thes 5,18). „Lasst uns im Gutestun nicht milde werden; denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten!“ (Gal 6,9) „Da wir nun diese Verheißungen haben, Geliebte, so lasst uns von aller Befleckung des Fleisches und des Geistes uns reinigen, und vollenden die Heiligkeit in der Furcht Gottes“ (2. Kor 7,1).

Möge der treue Herr uns die Gnade schenken, dass bei uns allen diese Dinge reichlich vorhanden seien! Sie gehören zusammen. Wo das eine ist, da kann das andere nicht fehlen. Einer wahren Anbetung entspringt ein treuer Dienst und ein heiliger Wandel.

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