Botschafter des Heils in Christo 1866

Der Eifer für Gott - Teil 2/2

Bemerken wir indessen die zweifache Wirkung der Botschaft Hiskias. „Man verlachte die Boten und spottete ihrer; doch etliche demütigten sich“ (2. Chr 30,10–11). dieser Umstand ist sehr lehrreich. Die Einladung wurde durch die verschiedenen Parteien verschieden angenommen; dennoch aber zeigte diese Annahme, trotz ihrer Verschiedenheit, dass die Botschaft göttlichen Ursprungs und dem Heiligtum entsprossen war. Die Gnade mühte entweder das Herz demütigen oder Spott und Hohn hervorrufen; in jedem Fall zeigte sie ihre Macht. Wir sind „den einen ein Wohlgeruch des Todes zum Tod, den anderen aber ein Wohlgeruch des Lebens zum Leben.“ Hiskia jedoch vermochte den Spott und das Gelächter zu ertragen, denn er begriff den Wert des vergossenen Blutes; und da er sah, dass „Etliche sich demütigten“, fühlte er sich reichlich für seine Mühe belohnt. Würden auch wir in der Kraft göttlicher Gnade wandeln, so würden sich auch dieselben Resultate zeigen: Etliche würden spotten, andere sich demütigen. Wenn wir aber, wenigstens in geringem Grad, weder das eine noch das andere erfolgen sehen, so ist diese Unbestimmtheit gerade der Beweis, dass unser Zeugnis nicht war, wie es hätte sein sollen. Die Gläubigen zeigen keine innige Verbindung; das scharfe Schwert eines heiligen Zeugnisses „schneidet nicht durchs Herz“ der Kinder dieser Welt. Traurige Lauheit und verabscheuungswürdige Gleichgültigkeit machen sich in Betreff göttlicher Dinge geltend, während die Begierde und das Ringen nach den Dingen dieser Welt zur Genüge beweisen, woran das Herz geknüpft ist. Gewiss, wenn wir einem solch beklagenswerten Zustand nicht entgegentreten, so muss alles unter uns dem Ruin entgegengehen; wir können nicht neutral bleiben. Wirken wir nicht für Christus, so wirken wir gegen Ihn; – tun wir nichts für Christus, so tun wir etwas für Satan.–

Wir haben bereits angedeutet, dass sich in den Handlungen Hiskias eine göttliche Ordnung fand. Dieses wird sich auf seinem ganzen Wege zeigen. Der Götzendienst der Israeliten vermochte weder seine Liebe zu ihnen zu schwächen, noch seine Anstrengung zu hemmen, sie auf den Platz wahrer Segnungen zurückzuführen. Sein Bemühen war, sie um den einzigen Mittelpunkt – den Altar zu Jerusalem zu sammeln; {Ich glaube, dass es in Betreff der göttlichen Grundlage einer christlichen Bereinigung und Gemeinschaft von unberechenbarem Nutzen sein würde, eine Völlige Erkenntnis der einfachen Grundsätze der Wahrheit zu besitzen. Darum verweise ich den Leser auf die beiden Schriftstellen: „Auf dass Er die zerstreuten Kinder Gottes in eins versammelte.“ – „Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, werde alle zu mir ziehen“ (Joh 11,52; 12,32). Wir sehen hier Christus als den Mittelpunkt, um welchen sich alle seine Glieder, wie die Planeten um die Sonne, vereinigen. Wenn nun Christus der Mittelpunkt ist, ist es denn nicht, selbst wenn es sich um irgendeine Wahrheit handelt, eine Sünde, wenn man einen anderen Mittelpunkt aufrichtet, sowie es für Jerobeam Sünde war, als er die Einheit des irdischen Volkes Gottes durch das Aufrichten der Kälber zu Dan und Bethel zerstörte, während Jerusalem der große Sammelplatz desselben war? Und welche Folgen trug die Handlungsweise Jerobeams? Anstatt des einen Mittelpunktes gab es jetzt drei solcher Punkte, nämlich: Jerusalem, Bethel und Dan; und mithin, da das Volk nach drei verschiedenen Richtungen sich bewegte, so entfernten sie sich immer mehr voneinander. Hätten sie hingegen den göttlich bezeichneten Platz festgehalten, so würde dieses das Zusammenkommen der Kinder Israel wesentlich gefördert haben, denn sie würden von Norden, Osten, Süden Und Westen herbeigeströmt sein, während jetzt viele ganz zurückblieben, da sie wussten, dass Dan und Bethel keine von Gott, sondern von Menschen eingerichtete Sammelplätze waren, Hiskia war von der Wahrheit, dass Jerusalem der Mittelpunkt sei, um welchen Israel sich scharen musste, so sehr überzeugt, dass er in seiner Einladung sagen konnte: „Bekehrt euch zu dem Herrn, dem Gott eurer Väter!“ Es wäre dieses eine unerlaubte Sprache gewesen, wenn Jerusalem nicht wirklich der von Gott bezeichnete Mittelpunkt war.

Für uns jedoch ist nicht Jerusalem, sondern der Name Jesu der Mittelpunkt und das Band der Vereinigung; und sobald etwas, als für diese Vereinigung nötig, dem Namen Jesu beigefügt wird, so ist die Einheit gebrochen Und eine Sekte ins Leben gerufen. Sollte dieser Name nicht genügen? Wenn den Gläubigen durch das Blut Jesu der Zugang in das Allerheilige gestattet ist – wenn sie aus Gnaden dort gemeinschaftlich eingetreten – wenn ihre Namen gemeinschaftlich in das Lebensbuch des Lammes eingeschrieben – wenn sie gemeinschaftlich auferweckt und jetzt im Geist und durch den Glauben in die himmlischen Örter versetzt sind – wenn, sie endlich bald der Tat nach gemeinschaftlich dem Herrn entgegengerückt werden in die Luft – warum sollten sie nicht auch schon hienieden gemeinschaftlich ihren Weg gehen? Wir stehen gemeinschaftlich vor dem prüfenden Auge Gottes und schreiten einem Ort zu, wo wir vor den Augen aller geschaffenen Wesen eins sein werden; und dürfen wir uns nun auf dem Weg in unsere engen Grenzen absperren und auf andere mit Geringschätzung herabblicken? Ach! möchten doch alle, die dieses gesegnete Band christlicher Vereinigung erkennen, dieselbe zu fördern suchen; Gott wurde wirklich dadurch verherrlicht werden.

Ist nun aber der Name Jesu das einzige Vereinigungsband der Christen, so ist der Heilige Geist die einzige Kraft, sie darin zu leiten. Wo diese beiden Grundsätze in ihrer vollen Bedeutung angenommen sind, da werden wir bald ihren Einfluss gewähren.

Wir dürfen indessen, während wir das Volk Gottes in die Freiheit und Einheit des Geistes zu leiten trachten, den hoffnungslosen und unvermeidlichen Ruin der bekennenden Kirche, als eine Körperschaft auf Erden, nicht aus dem Auge verlieren. Es wird hier das Wort eines treuen Dieners des Herrn am Platz sein, welcher einmal gesagt hat: „Wenn wir ein Zeugnis suchen, so werden wir zu Grund gehen; wenn wir aber mit Gott zu wandeln trachten, werden wir bestehen.“ – Es scheint mir, als ob jede Anstrengung, um das Volk Gottes zu vereinigen, den Charakter des „Rufes um Mitternacht“ an sich trage, wovon in Matthäus 25 die Rede ist. Man bemerkt hier, dass, wenn der Bräutigam kommt, die klugen Jungfrauen vereinigt sind. Das ganze Gleichnis lehrt dieses deutlich. Die, welche Öl hatten, waren zusammen und bereit; aber die, denen das Öl fehlte – die Törichten – die bloßen Bekenner – zerstreuten sich, um sich Öl zu verschaffen. O möchte doch dieses in den Herzen aller wahren Gläubigen den Wunsch erwecken, vereinigt gefunden zu weiden.} er strebte, die Stämme Israels, ohne ihrer seitherigen Unterlassung zu gedenken, um das Passahlamm zu scharen, nach dem Wort des Herrn: „Tröste, tröste mein Volk!“ (Jes 40,1) In diesem allen standen seine Handlungen in Verbindung mit den Grundsätzen der Wahrheit. Es ist stets die Weise Gottes, die Seele von dem Bösen hinweg zu locken, indem er ihr das Gute vorhält. Es wäre mit dieser göttlichen Weise nicht in Übereinstimmung gewesen, wenn Hiskia zuerst mit dem Haus Juda das Fest gefeiert hätte und dann zu den Städten Israels gegangen wäre, um gegen die Abgötterei zu predigen. Dieses würde seinen Einfluss nur geschwächt haben. Eins der Übel der Abgötterei war das Streiten wider die Einheit des Volkes Gottes und dessen Getrenntsein in Parteien und Sekten; und wie hätte Hiskia gegen diese Spaltungen zeugen können, wenn er nicht selbst von dem Grundsatz der Einigkeit ausgegangen wäre? Die Beschränkung des Festes auf die Grenzen Judas würde ebenso sektiererisch gewesen sein, als die Aufrichtung eines anderen Altars oder die Gründung eines neuen Vereinigungspunktes. Die wahre Methode, um die Christen von ihrer Sektiererei zu heilen, ist, sie kosten zu lassen die Süßigkeit wahrer Einheit. So dachte Hiskia und so handelte er. „Also hielten die Kinder Israel, die zu Jerusalem sich eingefunden hatten, das Fest der ungesäuerten Brote sieben Tage mit großer Freude. Und die Leviten und die Priester lobten den Herrn alle Tage mit Saitenspielen zum Preis des Herrn. Und Hiskia redete allen Leviten ans Herz, die verständig waren mit gutem Verstand am Herrn. Und sie aßen das Fest über, sieben Tage, und opferten Dankopfer und lobten den Herrn, ihrer Väter Gott. Und die ganze Gemeinde ward Rats, noch andere sieben Tage zu halten, und hielten auch die sieben Tage mit Freuden“ (2. Chr 30,21–23). – dieses war der geeignete Weg, um Israel das Schändliche der Abgötterei unter die Augen zu stellen. Solch glückliche Tage hatten sie nie in der Nähe des Kalbes zu Dan zugebracht; eine solche Freude hatten sie nie gekostet unter dem Einfluss jenes politischen Religionssystems, welches sie Jerobeam verdankten. Nein, nichts vermochte so tief in das Herz eines wahren Israeliten einzudringen, als die Stimme eines von Gott Verordneten Priesters oder Leviten – nichts vermochte ihre Seele so sehr zu erquicken, als das von Gott eingeführte Opfer. Und ist es nicht köstlich, dass wir die Echtheit eines Systems oder einer Einrichtung nach der Wirkung auf die Seele beurteilen dürfen? Dasjenige, was wirklich von Gott ist, wird die Seele wirklich glücklich machen, während Dasjenige, welches nicht von Gott ist, das Gegenteil ans Licht stellen wird. Die „Freude“ und die „zahlreichen Scharen“ bezeugen es uns daher deutlich, dass Gott unter ihnen war, und dass solch eine Versammlung den mächtigen Einfluss ausüben musste. Unvermeidlich musste der hier herrschende Geist laut gegen die Abgötterei und Sektiererei zeugen, die ihren verderblichen Einfluss über alle Städte Israels ausgebreitet hatten. Wie eine Wasserflut strömte eine moralische Macht aus Jerusalem, um die Götzen und ihre Altäre aus dem Land Israel zu verdrängen; und gewiss, wäre diese Macht nicht gehemmt worden, so würde sie für immer den Thron der Abgötterei und des Sektengeistes über den Haufen geworfen haben.

Die Lehre, die wir aus dem Vorhergehenden ziehen können, ist deutlich und von höchster Wichtigkeit. Der wahre Grundsatz, der bei jeder Reformation einen Wert hat, liegt nicht so sehr in dem Niederreißen dessen, was falsch ist, sondern vielmehr in dem Aufbauen des Wahren. Hiskia fühlte, dass, wenn er Israel nur um den wahren Altar führen und sie in die Lieblichkeit der wahren Anbetung des Gottes ihrer Väter leiten könnte, alle falschen Altäre bald verschwinden würden. Und wirklich, er wurde in seinen Erwartungen nicht getäuscht; denn „da dieses alles war ausgerichtet, zogen hinaus alle Israeliten, die sich eingefunden hatten, zu den Städten Juda, und zerbrachen die Säulen und hieben die Astarten ab, und rissen ein die Höhen und Altäre aus dem ganzen Juda und Benjamin, und in Ephraim und Manasse, bis sie es gar aufräumten. Und alle Kinder Israel kehrten wieder, ein jeglicher zu seinem Eigentum, in ihre Städte“ (2. Chr 31,1). Hier zeigt sich der wahre Eifer für Gott, als die Frucht der Anbetung. Die einzige Quelle, aus welcher ein solcher Eifer hervorströmen kann, ist die Herrlichkeit Gottes. Man hätte erwarten sollen, dass diese Altäre die Aufmerksamkeit der Kinder Israel würde erregt und ihren Abscheu dagegen aufgeweckt haben, als sie auf dem Weg nach Jerusalem waren; allein dieses war nicht der Fall. Nein, zuerst mussten sie den Segen und die Kraft der Wahrheit in ihren Herzen erfahren und, so zu sagen, aus dem Hauptbrunnen getrunken haben; sie mussten eingetreten sein in das Heiligtum zu, Jerusalem, wo der wahre Priester stand und das wahre Opfer darbrachte, – erst dann konnten sie, inmitten des anbetenden Volkes Gottes gestärkt und erquickt durch seine Gegenwart, sich aufmachen, um durch ihre Werke Zeugnis abzulegen. Und dieselbe Art des Handelns zeigt sich sowohl bei Hiskia, als bei Israel. Hiskia hatte die Türen des Hauses Gottes geöffnet, bevor er die Hand an die Altäre legte. Israel stärkte sich am Altar Gottes, um Satan überwältigen zu können. Aber ebenso wie Hiskia in Folge des Öffnens der Türen des Tempels die abgöttischen Altäre niederzureißen vermochte, so stärkte Gott auch Israel, um das Böse auszurotten. Unmöglich vermochten sie während ihres Ganges von Dan nach Jerusalem die Abgötterei zu vernichten. Nein, sie gingen von Dan nach Jerusalem, um dort Kraft zu empfangen, damit sie, zurückkehrend von Jerusalem, für Gott und gegen das Böse zeugen konnten. Wo wir den uns von Gott angewiesenen Platz verlassen haben, müssen wir uns hüten, auf dem Irrweg vorwärts zu gehen, sondern wir müssen sogleich mit Demut und Schuldbekenntnis zurückkehren. Auf diese Weise wird unser Auge für unseren Irrtum geöffnet werden, und wir empfangen Kraft, um denselben zu überwinden. Die Kinder Israel empfingen in diesen vierzehn Tagen der „Freude“ eine tiefe Erkenntnis von der Scheußlichkeit des Götzendienstes und der Sektiererei, und Zugleich die Kraft, über beides das Todesurteil zu fällen. Dieses hätten sie zu Dan nimmermehr lernen können. Sind wir der Gefahr eines wankenden Gebäudes entronnen, erst dann werden wir begreifen, wie nahe sein Sturz ist. –

Wir sehen es daher ebenso in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, dass die Kinder Israel, bevor sie ihre Hände an die abgöttischen Altäre legten, nach Jerusalem gingen, als dass Hiskia das Haus Gottes herstellte, bevor er nach außen hin in den Dienst Gottes trat. Der eine wie die anderen stehen auf einem wahrhaft göttlichen Grundsatz. Nachdem Israel einmal wieder die Kraft der alten, wahren Anbetung gekostet hatte, konnte es begreifen, wie weit es sich davon entfernt hatte und auf welchem Weg eine Rückkehr möglich war; und nachdem Hiskia den wahren Gott wieder auf seinen rechten Platz zwischen die Cherubim gesetzt und die Segnung dieses Werkes erfahren hatte, war er vorbereitet, jenes scheußliche Böse, die Aufrichtung der Götzenaltäre in den Straßen Jerusalems zu erkennen.

Bevor ich jedoch die Betrachtung dieses Gegenstandes abbreche, möchte ich noch ein tröstendes Wort reden zu dem unter meinen Lesern, der es fühlt, dass er in irgendeiner Weise von Gott abgewichen ist. Zu einem solchen sage ich: Bist du dir wirklich bewusst, an geistlichem Leben abgenommen und durch Sünden den Heiligen Geist betrübt zu haben – hast du es versäumt, über deine Gedanken und Werke zu wachen, so dass Satan die Macht über dich erlangt, dich zu schwächen und zu beunruhigen – hast du deine Pflichten des Dienstes oder der Anbetung versäumt – ist, mit einem Wort, etwas da, was dein Herz niederbeugt und deinen Geist umdunkelt: dann ist dem Brüten über das Böse nutzlos, sondern es ist nötig, dass du, gleich den Kindern Israel, sogleich zudem Altar Gottes hinschreitest, dein Auge auf das Blut, auf Jesus, als den Grund deiner Annahme vor „dem Thron Gottes“ richtest; und du kannst versichert sein, dass du mit neuer Kraft gegen das Böse streiten können wirft, waches dich in den Staub beugt und tagtäglich zu Boden drückt. Nicht die Anstrengung, um das Netz der Sünde und des Verderbens, worin wir gefangen sind, abzuwerfen, verleiht wahre Kraft, sondern das Bekenntnis unseres Vertrauens auf unsere vollkommene Annahme in dem Geliebten. Dann stehen wir plötzlich in dem vollen Licht der erlösenden Liebe Gottes; und in dem heiligen Triumph des Glaubens zertreten wir das Netz der Sünde. „Gott sei Dank, der uns den Sieg gibt.“

Doch wir wenden uns zu unserer Betrachtung zurück. Es war nicht zu erwarten, dass der Feind lange ein ruhiger Zuschauer dieser herrlichen Vorgänge bleiben würde. Es war zu viel Ehre für Gott, zu viel Freude für das Volk Gottes, um ein gleichgültiger Zeuge dieser Dinge sein zu können. Darum, nach diesen Geschichten und nach dieser Treue „kam Sanherib, der König zu Assur, und zog in Juda, und lagerte sich wider die festen Städte, und gedachte sie für sich aufzureißen“ (2. Chr 32,1). Wir dürfen nicht erwarten, dass wir, ohne Stürmen zu begegnen, unseren Weg fortsetzen werden. Wir haben es mit einem bösen und mächtigen Feinde zu tun; und selten finden wir auf Erden den Sonnenglanz des Glücks, ohne dass eine Wolke ihren Schatten darauf wirft. So wurden auch Hiskia und sein glückliches Anbeter Gefolge von Sanherib und von dessen wüsten Kriegsgesellen überfallen. Aber Gott sei Dank! das Heiligtum und seine heiligen Beschäftigungen machen uns nie für äußeren Dienst unfähig. Wir werden im Gegenteil nur dann mit Erfolg, wirken, wenn wir zuvor im Heiligtum gewesen sind. Haben wir zuerst dort im Inneren als Priester unsere Aufgabe erfüllt, dann sind wir auch bereit, um draußen als Leviten oder als Kriegsleute zu handeln; diese von Gott eingeführte Ordnung dürfen wir nicht umwenden. Hiskia war zum Handeln bereit, sobald der Augenblick dazu gekommen war. Freilich stand ihm das Heiligtum mit seiner feierlichen Stille höher, als der Rumor des Schlachtfeldes; und die lieblichen Altäre Gottes galten ihm mehr, als die Schlösser und Burgen der Kriegskunst; aber wenn es gefordert wurde, so konnte er auch die in stiller Verborgenheit gesammelte Weisheit zur Vernichtung seiner Feinde zur Schau stellen.

Es zeigt sich indessen augenscheinlich ein Unterschied in der Weise, wie uns in 2. Chronika 32 und in Jesaja 37 die Handlungen Hiskias dargestellt werden. In Ersterem ist nur, wie mir scheint, die einfache Tatsache als solche mitgeteilt, während Jesaja dieselben aus einem moralischen Gesichtspunkte betrachtet und zwar in Beziehung auf das zukünftige Schicksal Israels. In 2.Chronika finden wir die Kriegstaten Hiskias, die Jesaja ganz mit Stillschweigen übergeht Wir wollen daher bei den letzten Begebenheiten aus dem Leben dieses Königs, sowie uns dieselben durch den Geist in Jesaja mitgeteilt sind, ein wenig erweitern.

Wie schon bemerkt, setzte Hiskia einen weit höheren Wert auf die Stille des Heiligtums, als auf das Getümmel des Schlachtfeldes. Dieses zeigte sich in seiner ganzen Laufbahn. Besonders aber sagt uns Jesaja, dass er den größten Teil seiner Zeit den Dingen widmete, die mit dem Tempel in Verbindung standen. Er legte mehr, Wert auf den Ort, wo Gott zwischen den Cherubim wohnte, als auf seinen eigenen Platz auf dem Thron Davids, und seine Anhänglichkeit an des Herrn Haus ging so weit, dass, als die Zeit kam, wo wir sein Ausrücken ins Schlachtfeld sollten erwarten, wir ihn streitend im Heiligtum finden. Der stolze König von Assyrien stand mit einen: mächtigen, sieggewohnten Heere vor den Toren Jerusalems; und ein jeglicher würde natürlich den König von Juda, von Kopf bis zu Fuß gewappnet, inmitten seiner Kriegsleute gesucht haben; aber nein, Hiskia unterschied sich von den meisten Königen und Hauptleuten; er hatte einen Platz der Kraft ausfindig gemacht, den Sanherib durchaus nicht kannte; – er hatte ein Schlachtfeld entdeckt, wo er, ohne einen Hieb zu tun, Sieger sein konnte. Und welche Waffenrüstung hatte er sich angelegt? Wir lesen: „Da der König Hiskia das hörte, zerriss er seine Kleider und hüllte sich in einen Sack und ging in das Haus des Herrn“ (Jes 37,1). – das also war die Waffenrüstung, in welcher der König von Juda kämpfen wollte mit dem König von Assyrien. Wahrlich eine seltsame Rüstung! Es war eine Rüstung ans dem Heiligtum. Was würde Sanherib beim Anblick derselben gesagt haben? Mit einem solchen Gegner war er niemals zusammengetroffen; nie war er in Berührung gekommen mit einem Mann, der, anstatt sich einen Panzer anzulegen, sich in einen Sack hüllte, und der, anstatt auf seinem Wagen ins Schlachtfeld zu fliegen, im Tempel auf seinen Knien lag. Wahrlich das wäre in den Augen des stolzen Feindes eine neue Art von Kriegsführung gewesen. Er hatte sich gemessen mit den Königen von Hemath und Arpad und mit anderen; aber dieses war nach seinen eigenen Grundsätzen und in seiner eigenen Weise geschehen; und nie hatte er einem Gegner wie Hiskia gegenübergestanden. Und was anders gab diesem solch eine außergewöhnliche Kraft zum Streit, als gerade das Bewusstsein, dass er nichts, – und dass ein „Arm von Fleisch“ ein machtloses Ding sei, ja, dass es sich hier nur um Jehova und um nichts anders handelte. Dieses sehen wir vor allem in dem Ausbreiten des Briefes vor dem Herrn. Der Glaube trieb Hiskia ganz von dem Kriegsschauplatz hinweg, indem er das Ganze zu einer Frage machte zwischen Jehova und dem König von Assyrien. Nicht mehr Sanherib und Hiskia, sondern Sanherib und Gott standen sich gegenüber. Das ist die Ursache, warum Hiskia sich in einen Sack hüllte. Er fühlte sich ganz Hilflos und nahm den Platz eines Hilfsbedürftigen ein. Er teilte dem Herrn mit, dass der König von Assyrien ihn verhöhnt habe; er flehte zu Gott, dass Er seinen eigenen und herrlichen Namen rechtfertigen möge, und völlig war er überzeugt, dass Er also sein Volk erretten werde.

Welch eine bewundernswürdige Szene! Dort im Heiligtum liegt, schwach und zurückgezogen, ein Mann auf seinen Knien; er schüttete seine Seele aus vor dem, der da wohnt zwischen den Cherubim. Er rüstet kein Kriegsvolk aus, hält keine glänzenden Paraden ab, sondern sendet die „Nettesten und Priester, mit Säcken umhüllt“ zu dein Propheten Jesaja. Alles verrät Ohnmacht. – Ihm gegenüber aber steht, aufgebläht von Siegesfreude und lechzend nach Beute, an der Spitze eines zahlreichen Heeres ein mächtiger Eroberer. Sicher musste man menschlicher Weise sagen: Der Untergang Hiskias und Jerusalems ist unvermeidlich; Sanherib und sein trotziges Heer werden solch eine schwache Rotte in einem Augenblick verschlingen! – Und welchen Standpunkt nahm Sanherib ein? Er sagt: „Was ist das für ein Trotz, darauf du dich verlässt? ich sage (doch es sind nur leere Worte), es sei noch Rat und Macht zu streiten. Auf wen verlässt du dich denn, dass du abtrünnig von mir geworden bist? Siehe, verlässt du dich auf diesen zerstoßenen Rohrstab, auf Ägypten, welcher, so jemand sich darauf lehnt, wird ihm in die Hand gehen und sie durchbohren? Also ist Pharao, der König von Ägypten, allen, die sich auf ihn verlassen. Ob du aber wolltest zu mir sagen: Wir verlassen uns auf den Herrn, unseren Gott; – ist es denn nicht der, dessen Höhen und Altäre Hiskia hat abgetan und gesagt zu Juda und Jerusalem: Vor diesem Altar sollt ihr anbeten?“ (Jes 36,4–7) Wir sehen hier, dass Sanherib den Hiskia tadelt wegen seiner bewirkten Reformation, um ihn, nach seiner Meinung, jedes Ruheplatzes und alles Vertrauens zu berauben. Er sagt wiederum: „Bin ich denn nun ohne den Herrn heraufgezogen wider dies Land, es zu verderben? Der Herr hat mich es geheißen: Zieh hinauf wider dies Land und verderbe es“ (V 10). – In der Tat, Hiskias Glaube wurde auf die Probe gestellt – der Glaube musste in den Schmelztiegel; es ist nicht genug, dass wir unser Vertrauen zum Herrn mit Worten bezeugen, sondern wir müssen es durch die Tat beweisen, selbst wenn alles uns entgegen zu sein scheint. Und wie begegnet Hiskia den prunkenden Worten? in dem würdigen Schweigen des Glaubens. „Es war des Königs Gebot, der gesagt hatte: Antwortet ihm nichts“ (V 21). In dieser Weise zeigte sich der König vor den Augen des Volkes; ja in solcher Ruhe, Selbstbeherrschung und Würde tritt der Glaube stets vor den Blicken der Menschen auf, während er sich Zugleich vor Gott in den Staub niederbeugt. Der Glaubende kann zu seinen Mitmenschen sagen: „Steht fest und seht das Heil des Herrn!“ und im Gefühl seiner Ohnmacht schreit er in demselben Augenblicke zum Herrn (Siehe 2. Mo 14,13–15). – Also handelte der König von Juda in diesem feierlichen, entscheidenden Augenblicke. Aber lasst uns ihn belauschen, wie er in der Verborgenheit des Heiligtums mit Gott ringt und sein Herz ausschüttet vor dem einen, der stets bereit ist zu hören und mächtig zu helfen. „Und Hiskia betete zum Herrn und sprach: Herr Zebaoth, du Gott Israels, der du über den Cherubim sitzest; du bist allein Gott über alle Königreiche auf Erden; du Haft Himmel und Erde gemacht. Herr, neige dein Ohr und höre; tue deine Augen auf, Herr, und siehe, und höre alle die Worte Sanheribs, die er hergesandt hat, Hohn zu sprechen dem lebendigen Gott. Es ist wahr, Herr, die Könige von Assyrien haben alle die Reiche verstört und ihr Land, und haben ihre Götter ins Feuer geworfen; denn es waren nicht Götter, sondern Menschenhände Werk, Holz und Steine; darum haben sie sie umgebracht. Nun aber, Herr, unser Gott, hilf uns aus seiner Hand, auf dass alle Königreiche auf Erden erkennen, dass du, Herr, allein es bist“ (Jes 37,15–20). Hiskia legt die Sache ganz in die Hände Gottes und zieht sich selbst zurück. Er trachtet nicht, die Schwierigkeit gering darzustellen; er erkennt, „dass die Könige von Assyrien verstört haben alle die Reiche und ihr Land.“ Aber warum? Weil ihre Götter nicht gleich Jehova waren; sie verstanden nicht, ihre Sache in die Hand des lebendigen Gottes, des Schöpfers des Himmels und der Erde, zu legen. Das allein war das Geheimnis ihrer Niederlage. Welch ein überwindender Glaube! Welch ein kühnes, vertrauensvolles Verfahren! Wo, möchten wir fragen, wo war die Schwierigkeit, die einen solchen Glauben überstieg? Der Glaube, der sich auf Ihn stützt, der Himmel und Erde gemacht hat, kümmert sich wenig um das Heer, wie zahlreich es auch sein mag. Der Glaube entdeckt Miriaden von Engeln und Berge, die mit feurigen Wagen bedeckt sind, zur Verteidigung dessen, der auf Jehova vertraut. –

Und welche Aufnahme fand das Gebet Hiskias „zwischen den Cherubim?“ Der Herr verweigert es nie. Sich in Schwierigkeiten hinein ziehen zu lassen, wenn er nur frei handeln kann und nicht seiner Herrlichkeit beraubt wird. Und wie lautet seine Antwort: „So spricht der Herr, der Gott Israels: Das du zu mir gebetet Haft um Sanherib, den König von Assyrien, so ist dies das Wort, das der Herr wider ihn geredet hat: Die Jungfrau, die Tochter Zion, verachtet dich und spottet dein; die Tochter Jerusalem schüttelt ihr Haupt dir nach. Wen hast du gehöhnt und gelästert? Wider wen hast du die Stirne erhoben? Du hast deine Augen in die Höhe erhoben wider den Heiligen in Israel“ (Jes 37,21–23). – Wir haben schon angedeutet, dass Hiskia sich ganz aus der Schwierigkeit herauszog. Er erkannte es öffentlich an, dass er unvermögend sei, sich mit dem König von Assyrien in einen Streit einzulassen, indem er sich in einen Sack hüllte, anstatt seine Waffenrüstung anzulegen. Sein Verhalten in dem Haus des Herrn trug das Gepräge: Gott oder nichts! – Und nachdem der Glaube dieses demütigen, sich selbst erniedrigenden Mannes den Herrn, den Gott Israels, mit dem König von Assyrien in unmittelbare Berührung gebracht hatte, leitete derselbe Gott Israels den in einen Sack gehüllten Mann huldreich zu der Beute des überwundenen Feindes. Hiskia hatte gesagt: „Er hat gesandt, um Hohn zu sprechen dem lebendigen Gott;“ – und der Herr erwidert: „Wen hast du gehöhnt? Den Heiligen in Israel.“ – Sicher hatte Sanherib auf einen solchen Gegner nicht gerechnet; sicher hatte er nie daran gedacht, dass sein Brief würde ausgebreitet werden vor dem Auge des lebendigen Gottes. Seine Erwartung war, sich, wie er es gewohnt war, mit Fleisch und Blut, mit Schwert und Speer messen zu können; aber seht! ein Mann des Glaubens betete, und „da fuhr aus der Engel des Herrn und schlug im Lager der Assyrer hundert fünf und achtzig tausend Mann. Und da sie sich des Morgens früh aufmachten, siehe, da waren sie alle tote Leichname“ (Jes 37,36).

dieses lässt uns in die reichen Hilfsmittel Hiskias einen Blick tun. Er kannte den Wert des Alleinseins mit Gott; er war ruhiger und fühlte sich stärker in dem stillen Umgang mit Gott, als in der Mitte seiner gewappneten Kriegsknechte. In ihm erfüllte sich das Wort des Apostels: „Bin ich schwach, so bin ich stark.“ Und hätte Sanheribs Heer auch Millionen statt der Tausenden gezählt, so hätte der Engel des Herrn sie doch in einem Moment von der Oberfläche der Erde hinweg zu raffen vermocht; denn nichts begrenzt die Macht Jehovas, wenn Er seinen Arm ausstreckt, um als Antwort ihrer Gebete die Seinen zu retten. „Er stürzte Pharao und sein Heer ins Schilfmeer: denn seine Güte währt ewiglich“ (Ps 136,15).

Und bei Ihm ist kein Wechsel. Wendet sich der Glaube zum Gnadenthron, so werden stets die staunenswertesten Resultate folgen. „Was irgend ihr in meinem Namen bitten werdet, das werde ich tun“; (Joh 14,12) und: „Wiederum sage ich euch, dass, wenn zwei von euch auf der Erde in irgendeiner Sache, um welche sie bitten, einstimmig sein werden, sie ihnen von meinem Vater, der im Himmel ist, widerfahren wird“ (Mt 18,19). O, wie gering sind unsere Begriffe über das, was Gott, wenn wir Ihm nur die Ehre gäben, für uns tun würde! Wie beschränkt sind wir in unseren Gedanken, wie kalt in unseren Gebeten! Wie oft gleichen wir dem König von Israel (2. Kön 13), der dreimal an die Erde schlug und dann stille stand, da er hätte fünf– bis sechsmal schlagen sollen. Wie er den Wert des Schlagens nicht verstanden haben mag, so kann von uns dasselbe in Betreff unserer Gebete gesagt werden. Würden wir in unseren Schwierigkeiten den Herrn dadurch ehren, dass wir sie vor sein Angesicht brächten, so würde Er uns ohne Zweifel stets den Sieg über dieselben geben. Mögen diese Schwierigkeiten groß oder klein sein, so kann doch seine Macht die größten erreichen, und seine Liebe sich zu den kleinsten herabbringen. „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung euer Begehren vor Gott kundwerden; und der Friede Gottes, der jede Vernunft übersteigt, wird eure Herzen und eure Sinnen in Christus Jesus bewahren“ (Phil 4,6–7). Wie herrlich ist in dieser Beziehung das Beispiel Hiskias! Er gebot dem Volk: „Antwortet ihm nichts!“ – Warum? Weil er wusste, dass Jehova ihm antworten würde. Und Jehova – gepriesen sei sein herrlicher Name – tat es in einer Weise, als habe Er dem Hiskia zeigen wollen, dass er durch seine Beschäftigungen im Haus des Herrn nichts eingebüßt habe. Es sollte nicht von dem König von Juda gesagt werden können, dass er sich mit dem Dienst und der Anbetung im Tempel beschäftigt habe, während er sein Königreich gegen feindliche Überfälle hätte sicheren sollen. Hatte Hiskia mit Eifer gewacht über den Platz des Herrn zwischen den Cherubim, so zeigte Gott in seiner Huld, dass selbst von politischem Standpunkts aus kein Missgriff geschehen sei; denn in einer Nacht wirkte Gott ein Werk, welches die militärischen Vorbereitungen eines ganzen Jahrhunderts zu Schanden gemacht hätte. „Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, und dieses alles wird euch dazu gegeben werden.“ Gott bleibt niemandem etwas schuldig. Lasst uns nur mit ganzer Seele sein Werk treiben, und das Ende wird zeigen, ob wir auf guten Grund gebaut haben. „Prüft mich hierin, spricht der Herr der Heerscharen, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auftun werde und Segen herabschütten die Fülle“ (Mal 3,10). Ohne Zweifel gibt es viele unter uns, die sich mit Recht beschämt fühlen wegen der großen Wichtigkeit, die wir unseren eigenen Angelegenheiten beilegen, während die Dinge des Hauses Gottes – die Versammlung des lebendigen Gottes – so wenig unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Der Herr lässt oft unser Misslingen zu einer Lehre dienen, indem wir erkennen müssen, dass wir bei all unserem Eifer in Betreff unseres Ichs unser Ziel nicht erreichen. „Denn ihr wartet wohl auf viel, und siehe, es wird wenig; und ob ihre schon heimbringt, so zerstäube ich es doch. Warum das? spricht der Herr der Heerscharen. Darum, dass mein Haus so wüste steht, und ein jeglicher eilt auf sein Haus. Darum hat der Herr über euch den Tau verhalten und das Erdreich verhält sein Gewächs“ (Hag 1,9–10). Der Herr handelt mit seinem Volk auf einem Grundsatz vergeltender Gerechtigkeit nach den Worten: „Was irgendein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7). dieses tut der vollkommenen Annahme des Gläubigen aus Gnaden und seinem Bleiben in der Gnade durchaus keinen Eintrag. Nein, Gott sei Dank! diese Dinge stehen unerschütterlich fest. Aber dennoch lehrt uns der Apostel: „Wer sparsam sät, wird auch sparsam ernten“ (2. Kor 9,6). dieser Grundsatz gestattet eine ausgedehnte Anwendung. Der Charakter des Säens tut nichts zur Sache. Vermögen wir nicht freigebig für den Herrn zu säen, so wird Er uns auch keine reiche Ernte schenken. Haben für unsere Heiden und Seelen die Angelegenheiten der Versammlung, die Angelegenheiten der Lämmer und Schaft der Herde Christi kein Interesse, dürfen wir uns dann wundern, wenn unsere Seelen in einem dürren, unfruchtbaren Zustand sich befinden? Wenn wir nur mit unseren eigenen Dingen – mit unseren Umständen, unseren Sorgen, unseren Schwierigkeiten, unseren Kämpfen – beschäftigt sind, ist es dann ein Wunder, dass diese Dinge endlich unsere Herzen ganz anziehen? Hätte Hiskia nur an das Bauen der „Burgen und Türme“ gedacht, hätte er nur auf die Verstärkung seines Königreichs und auf die Befestigung seines Thrones sein Augenmerk gerichtet, wie hätte er dann im Augenblick der Gefahr in das Haus des Herrn eilen und dort Hilfe suchen dürfen? Würden nicht unter solchen Umständen, anstatt der oben gemeldeten herrlichen Antwort, die Worte sein Ohr getroffen haben: „Gehe hin zu deinen Burgen und Türmen, dass sie dich erlösen in der Stunde der Gefahr?“ Doch dieses war nicht der Fall. Hiskia hatte Wachs gehalten über das Haus Gottes, und Jehova trug Sorge um das Königreich Hiskias; denn: „Gott ist nicht ungerecht, zu vergessen eures Werks und der Liebe“ (Heb 6,10). Und also wird es zu allen Zeiten sein. Bilde sich niemand ein, dass seine Seele gedeihen werde, wenn er sich selbst nicht widmet den Interessen des Hauses Gottes. Wollen wir den stolzen Assyrer überwunden sehen, so müssen wir die Verborgenheit der Gegenwart Gottes kennen. Wir müssen mehr vor Gott und mehr für Gott sein, und zwar nicht, um irgendetwas zu gewinnen, sondern aus reiner und unbedingter Widmung an Ihn, den Geber aller Gaben, der uns durch die Ausübung seiner unumschränkten Gnade zu allem, was wir sind und ewiglich sein werden, gemacht hat.

In dieser Stellung finden wir bisher den guten König Hiskia. Wir sahen ihn als Priester im Heiligtum – als Levit unter den Brüdern – als Kriegsmann gegenüber dem Feind; und stets entdecken wir an ihm dieselbe Liebenswürdigkeit und dieselbe sittliche Größe. Er liefert uns ein beachtenswertes Beispiel von der Segnung eines Menschen, der sein Werk mit Gott beginnt, fortsetzt und vollendet. Er wünscht einen entscheidenden Sieg über den Feind davon zu tragen, ohne jedoch den lieblichen Ruheort des Heiligtums zu verlassen. Er wünscht den Tempel zu seiner Ratskammer zu machen und auf den Knien ordnet er seine Kriegsrüstungen. In dieser Weise überwand er – in dieser Weise gewann er den Sieg ohne Stoß und Hieb. Der König von Juda lag auf den Knien, während der König von Assyrien, gleich einem wilden Tier, mit „einem Ring in seiner Nase und einem Gebiss in seinem Maul“ in sein Land zurückgeführt wurde. Welch ein schlagendes Beispiel der Folgen des Hochmuts! Und dennoch war dieses das Ende seiner Laufbahn nicht. Wie beschämend und erniedrigend es auch für einen solch hochmütigen und aufgeblähten Eroberer sein mochte, in sein Land, und zwar geschlagen durch jenen in einen Sack gehüllten Mann, zurückkehren zu müssen, so harrte seiner doch noch ein größeres Unheil. Er hoffte Sicherheit zu finden in dem Tempel seines Gottes. Aber ach! er verstand es nicht, sich in einen Sack zu hüllen vor dem Angesicht dessen, der zwischen den Cherubim wohnt, und daher fand er sein schreckliches Ende vor dem Altar des Gegenstandes seiner Anbetung. Denn wir lesen: „Und da er anbetete im Haus Nisroch, seines Gottes, schlugen ihn Adramelech und Sar–Ezer, seine Söhne, mit dem Schwert; und sie entrannen in das Land Ararat. Und sein Sohn Assar–Haodon ward König an seiner Statt“ (Jes 37,38). Ein solches Ende ist das Los aller, die ihre Hand erheben wider den Herrn und sein Volk.

Ich habe bereits angedeutet, dass Jesaja die treffliche Geschichte des Hiskia mehr von einem moralischen Gesichtspunkt aus, und zwar in Verbindung mit dem zukünftigen Schicksal des Hauses Israel, zu behandeln scheint. Wenn wir sie von dieser Seite ins Auge fassen, so erkennen wir in Sanherib das Bild jenes „eigenwilligen Königs“, welcher sich „selbst erhöht über alles, was Gott heißt oder ein Gegenstand der Verehrung ist“, und von welchem wir lesen: „Er wird tun, was er will, und wird sich erheben und aufwerfen wider alles, das Gott ist; und wider den Gott aller Götter wird er gräulich reden, und wird ihm gelingen, bis der Zorn aus sei“ (2. Thes 2,4; Dan 11,16–45). Ebenso kann der in einen Sack gehüllte Hiskia als ein Sinnbild jenes gerechten Überrestes in den letzten Tagen betrachtet werden, welcher seufzt um Errettung von der Hand des mächtigen Unterdrückers, wenn der Herr seine Auserwählten „in die Wüste führen und freundlich mit ihnen reden wird“, und wenn „die Jungfrau, die Tochter Zion, ihr Haupt schüttelt“ gegen ihn, der die Erde beben und die Königreiche zittern macht. Wahrlich dann wird, „was entronnen und übriggeblieben ist vom Haus Juda, wird wieder unter sich wurzeln, und über sich Frucht tragen. Denn von Jerusalem werden ausgehen, welche übriggeblieben sind, und die Erretteten vom Haus Zion. Solches wird tun der Eifer des Herrn der Heerscharen“ (Jes 37,31–32).

Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus die letzten Zeiten Hiskias betrachten, so steigert sich für uns der Wert seiner Geschichte bedeutend,– denn sie liefert uns nicht nur tiefe moralische Grundsätze für unseren täglichen Wandel, sondern auch eine wichtige prophetische Schilderung von der Geschichte Israels in den letzten Tagen. Möge der Herr uns die Gnade schenken. Seine Zeugnisse mehr und mehr zu würdigen und zu lieben, zumal da die traurige Unsicherheit aller menschlichen Dings und Meinungen immer deutlicher in die Erscheinung treten! „Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte wie die Blume des Feldes. Das Gras ist verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Geist bläst darein. Ja, Gras ist das Volk. Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich“ (Jes 40,6–8).

In Jesaja 38 finden wir den König Hiskia „tot krank“. Hier handelt es sich nicht um die Umstände seines Königreichs, sondern um seine eigene Person. Wie er früher durch die stolze Herausforderung des assyrischen Königs erschreckt worden war, so fühlte er jetzt den verwelkenden Atem des Königs der Schrecken. Er erfährt jetzt, dass er nicht nur für sein Reich, sondern auch für sich selbst seine Zuflucht bei Gott suchen muss. Es war eine Prüfungszeit, aber auch eine heilsame Zeit für ihn. Wir gewähren in dieser ernsten Szene gar deutlich die Hand eines treuen Freundes. Hiskia hatte vieles erfahren, welches ihn unter dem Einfluss des Feindes zur Selbsterhebung hätte führen können. Die vielen Jahre seines Diensteifers für Gott – die herrliche, durch ihn bewirkte Reformation – sein Einfluss auf die Priester und Leviten, auf die Männer Judas und Israels – und schließlich die glänzende Befreiung, welche ihm der Herr der Heerscharen über einen so mächtigen Feind verliehen hatte – alles dieses war ganz und gar geeignet, den Hochmut seines Herzens zu nähren; und, wie wir im Verlauf seiner Geschichte sehen werden, wusste Hiskia sehr wohl, was Hochmut war.

Aber wie sehr müssen wir die Treue unseres Gottes bewundern, wenn wir, nach einem flüchtigen Blick auf die hervorragenden Lebensszenen dieses vortrefflichen Mannes, die feierlichen Worte vernehmen, mit denen dieses Kapitel beginnt. „So spricht der Herr: bestelle dein Haus; denn du wirft sterben und nicht leben bleiben.“ Hier handelt es sich um eine persönliche Frage. „Dein Haus.“ Er hatte, und zwar mit gutem Erfolg, für das Haus des Herrn geeifert; er hatte mit Recht dem Königreich seine ganze Sorgfalt gewidmet. Hätte er es nicht getan, so wäre er unfähig gewesen, den Thron Davids zu bekleiden. Aber es gab für ihn noch etwas von größerer Bedeutung. Der Herr will seinem Diener noch näherkommen. Er will mit ihm reden über sein Haus. „Bestelle dein Haus.“ Das war in der Tat ein prüfendes Wort. Bei einer solchen Berührung wird manche Saite des Herzens erzittern, die man im Geräusch des tätigen Dienstes nicht beachtete; und manche verborgene Kammer der Seele wird aufgeschlossen werden, die man im Verkehr mit Menschen nicht entdeckte. Wir begegnen hier am Bett Hiskias einer höchst ernsten Erscheinung, die uns umso mehr auffällt, da der Übergang ein so plötzlicher ist. Soeben gewahrten wir ihn im Glänze des Sieges, jetzt sehen wir ihn am Rand des Grabes; vor wenigen Augenblicken finden wir ihn, das Haupt kühn über seine Feinde erhebend, im Heiligtum, und jetzt sehen wir ihn niedergeworfen, und den Todesengel bereit, den letzten Schlag zu tun. Doch in diesen beiden Umständen entdecken wir die Hand Gottes. Freilich zeigt sich dort Gott in seiner Gnade und Barmherzigkeit, und hier in seiner Weisheit und Treue; aber immer ist es Gott; und man weiß nicht, ob die Gnade der an Sanherib gerichteten Worte: „Die Tochter Zions schüttelt ihr Haupt dir nach“, oder ob die Treue der zu Hiskia gesprochenen Worte: „Bestelle dein Haus!“ am meisten zu bewundern ist. In dem einen Fall sehen wir, wie Gott seinen Diener von einem Feind, und im anderen, wie er ihn von sich selbst befreit.

Was wird Hiskia tun in dieser Prüfungsstunde? Er kann nicht nach dem Haus Gottes pilgern: aber er kann zu Gott selbst gehen; und das tut er. „Da wandte Hiskia sein Antlitz zu der Wand, und betete zum Herrn.“ 1 Das war zu allen Zeiten sein Heilmittel. „Meine Seele wartet aus den Herrn; denn von ihm ist meine Erwartung.“ Der Herr hatte nur die Absicht, in seinem viel geliebten Diener das klare Bewusstsein seiner Abhängigkeit wach zu rufen. Er wollte ihm zeigen, dass dieselbe Hand, die sein Königreich noch kürzlich aus dem Rachen des Feindes befreit hatte, jetzt ihn selbst aus dem Rachen des Todes retten musste. Er sollte, mit anderen Worten, erfahren, dass weder er, noch sein Reich bestehen würden, solange sie nicht standen in der „Kraft der Auferstehung“. Welch eine göttliche Harmonie liegt in den Worten: „Bestelle dein Haus!“ und: „Da wandte Hiskia sein Antlitz zu der Wand.“ Das war seine Antwort. „Ist denn mein Haus nicht fest bei Gott? Denn Er hat mir einen ewigen Bund gesetzt, wohl geordnet in allem und bewahrt. Das all mein Heil und Wunsch ist – sollte Er es nicht lassen blühen?“ (2. Sam 23,5) Und wie einst sein Königreich, so übergibt er sich jetzt selbst den Händen des Herrn – dem einzigen Platze wahrer Sicherheit. Und siehe, wie der Herr die Befreiung des Königreichs genau verbindet mit der Wiederherstellung des Königs! „Siehe, ich will fünfzehn Jahre zu deinem Leben tun, und will dich und deine Stadt erretten aus der Hand des Königs von Assyrien; und will diese Stadt beschirmen“ (Jes 38,5–6). Hier sehen wir deutlich, dass sowohl Juda, als auch der König von Juda durch den Tod und die Auferstehung gehen mussten. Alles geschah ganz außer dem gewöhnlichen Laufe der Natur, und weil dieses, so ward auch der Lauf der Natur gestört. „Also ging die Sonne zehn Stufen zurück am Zeiger, die sie war niederwärts gegangen“ (V 8). Welch eine herrliche Entfaltung der Macht Gottes, der in seiner Gnade den Lauf der Natur geradezu umkehrt!

Jede Szene in dem Leben Hiskias ist beachtenswert. Auf eine wunderbare Weise wird er von dem Assyrer erlöst; –seine Befreiung aus dem Rachen des Todes ist noch wunderbarer. Er wusste alle seine Beschwerden in einer Weise auf Gott zu legen, dass die Handlungen Gottes dadurch durchaus ans Licht treten mussten; und Gott wird, wie mir wissen, keine Rücksicht auf irgendetwas nehmen, welches seinem Handeln in Betreff seines Volkes im Weg steht. Er lässt nicht nur die Sonne stillstehen, wie bei Josua, sondern lässt sie auch zurückgehen, und zeigt dadurch die göttliche Macht seiner Gnade und Barmherzigkeit, um zu helfen denen, die auf seine Hilfe warten. Wahrlich, wir dürfen sagen: Wenn der Glaube die Allmacht anruft, gibt es nichts, das nicht zu überwinden wäre.

Jedoch befreite der Herr seinen Diener nicht in einer Weise, die der göttlichen Unterweisung irgendwelchen Abbruch tat. Dies sehen wir deutlich beim Durchlesen der „Schrift Hiskias, da er krank gewesen und von seiner Krankheit gesund worden war.“ Die Erfahrung, die sich darin kundgibt, hätte er weder erlangen können inmitten der Gemeinde, noch im Schlachtfeld, noch sonst irgendwo, sondern nur da, wohin Gott ihn führte – auf dem Krankenbett. Niemand vermag zu unterweisen wie Gott.

Vielleicht wird jemand fragen, welche Lektion Hiskia denn eigentlich in der Leidensstunde gelernt habe. „Was soll ich reden? Er hat mir es zugesagt, und Er hat es auch getan. Ich will sachte wallen all meine Lebenstage um solcher Betrübnis willen meiner Seele“ (V 15). Er lernte, mit einem Wort, die Notwendigkeit, langsam zu wandeln. Und in der Tat war diese Heimsuchung geeignet, ihm diese Unterweisung zu geben, wie bald er sie auch wieder vergessen mochte. Aber noch mehr. Hiskia lernte etwas sowohl in Betreff Gottes, als auch in Betreff seiner selbst. Und das ist für uns höchst wichtig. Es würde wenig nützen, wenn wir nur die geheimen Triebfedern in unseren Herzen, und nicht Zugleich die geheimen Triebfedern in dem Herzen Gottes entdeckten. Lernt der Mensch nur, dass sich verborgene Sünden, sowie böse Grundsätze, die er bisher nicht kannte, in seinem Herzen befinden, so wird diese Erkenntnis seine Seele in Verzweiflung stürzen. Aber entdeckt er, im Blick auf seine Sünde, Zugleich die Gnade Gottes, um Sünden wegzunehmen, dann ist die Erkenntnis eine göttliche – dann lernt er sich selbst und Gott kennen; und nur diese Erkenntnis wird ihn wahrhaft demütig machen. Die Gnade, welche die Sünde hinwegnimmt, leitet die Seele zur wahren Demut. So war es auch bei Hiskia; er lernte „sachte zu wallen“, und zwar durch die Gnade, die ihm alle Furcht betreffs seiner Sünde weggenommen hatte. „Herr, davon lebt man, und das Leben meines Geistes steht gar in demselben. Denn du stärkst mich wieder und machst mich lebendig. Siehe, um Trost war mir sehr bange. Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen, dass sie nicht verderbe; denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück“ (V 16–17). Welch eine gesegnete Entdeckung! Er konnte nicht bloß sagen: „Du hast das Königreich aus der Hand des Königs von Assyrien gerettet!“, sondern auch: „Du hast meine Seele errettet, denn du hast alle meine Sünden hinter dich zurückgeworfen.“ So war also Hiskia befreit von sich selber, befreit von seinen Sünden, befreit vom Grab, um einen gesegneten Platz unter jenen „Lebendigen“ einzunehmen, die allein den Namen des Herrn zu preisen und zu verherrlichen vermögen. Ach! zu welch glücklichem Platz wurde die Seele dieses vortrefflichen Mannes durch jene Führungen Gottes gebracht, die uns in diesem Kapitel gezeichnet werden. Es begann mit den Worten: „Bestelle dein Haus!“ mit Worten, die, wie wir bemerkt haben, viele Dinge zu seiner Demütigung vor seinen Blicken aufdeckten, die ihn jedoch Zugleich so viel von der erlösenden und wiederherstellenden Liebe erkennen ließen, dass er diesen Befehl mit den Warten beantwortete: „Du hast alle meine Sünden hinter dich zurückgeworfen.“ Er übergab sich ganz seinem Bundesgott, der „alles wohl geordnet und bewahrt hatte“. „Herr hilf mir; so wollen wir meine Lieder spielen, solange wir leben, im Haus des Herrn“ (V 20).

Es ist höchst lehrreich, den Tempeldienst wiederhergestellt, das Königreich Juda aus der Hand des Unterdrückers befreit, und den König von Juda dem Grab des Verderbens entrückt zu sehen; und man könnte versucht sein zu denken, dass sich jetzt die Herrlichkeit selbst offenbaren werde. Aber leider konnte es so nicht sein. Alles war, wie segensreich auch, doch nur ein Schatten von dem, was offenbart werden soll, wenn der wahre König von Juda den Thron seines Vaters David einnehmen und das Zepter über ein Königreich führen wird, welches nimmer erschüttert werden kann.

Wir nähern uns jetzt der letzten Szene aus dem Leben Hiskias, die unsere Behauptung, dass die Herrlichkeit sich noch nicht offenbaren konnte, nur zu unzweideutig bestätigt. Wir brauchen bei diesem Teil unserer Betrachtung nicht lange zu verweilen. Der Heilige Geist gibt uns darin ein Beispiel: denn die Erzählung und deren Anwendung nimmt nur den Raum zweier Verse ein. Und in der Tat finden wir stets, dass der heilige Geschichtsschreiber eine weit höhere Wonne darin findet, die Tugenden, als die Mängel. Jener aufzuzeichnen, deren Geschichte er behandelt. Dieses ist besonders in der Geschichte Hiskias beachtenswert. Die Mitteilung seiner guten Taten umfasst vier lange Kapitel in dem zweiten Buch der Chronika, während wir, bezüglich seines Fehlers, nur die kurzen Worte lesen: „Da aber die Botschafter der Fürsten von Babel zu ihm gesandt waren, zu fragen nach dein Wunder, das im Land geschehen war, verließ ihn Gott also, dass Er ihn versuchte, auf dass kundwürde alles, was in seinem Herzen war“ (2. Chr 32,31). Nur wenige Worte; aber wie inhaltsreich! Es ist in der Tat kein geringes Maß von Erkenntnis der erlösenden Liebe erforderlich, um zu erkennen „Alles, was in dem Herzen des Menschen ist.“ Sie nahm alles in Anspruch, was Hiskia während seines gesegneten Lebens von Gott gelernt hatte, um ihn zu befähigen, in die tiefen Winkel seines Herzens blicken und dort „Alles“, was darin war, entdecken zu können. O wie umfangsreich ist das Wörtchen „Alles!“ Wer anders könnte dazu fähig sein, als nur der, welcher gelernt hat, zu sagen: „Du hast alle meine Sünden hinter dich zurückgeworfen.“ Nur dann, wenn wir wissen, dass der Herr uns alle unsere Übertretungen vergeben und alle unsere Krankheiten geheilt hat – wenn wir durch den Glauben den von Gott herbeigeführten Sündenbock erkennen, der „alle unsere Missetat und alle unsere Übertretung und alle unsere Sünden in ein abgesondertes Land trug“ (3. Mo 16,21–22), – nur dann können wir uns umwenden und in unsere Herzen hineinblicken und dort all das entsetzliche Böse entdecken. Das Letztere zu schauen, ohne das Erstere erkannt und erfahren zu haben, ist eine niederschmetternde Entdeckung. Wenn hingegen unser Blick auf dem Kreuz Christi ruht, dann werden wir nicht nur immer tiefer unsere eigene Nichtswürdigkeit erkennen und uns nicht nur immer mehr der Grenze des umfangreichen Wörtchens „Alles“ nähern, sondern wir werden auch immer mehr die Gnade unseres Gottes und die reinigende Kraft des Blutes unseres Herrn Jesus Christus zu würdigen verstehen.

Es ist höchst beachtenswert, dass Gott in den verschiedenen Zeitabschnitten dieser höchst anziehenden Geschichte immer näher an Hiskia herantritt. „Jegliche Rebe, die Frucht bringt, reinigt Er“ (Joh 15,2). je mehr jemand sich Gott gewidmet hat und je ausgezeichneter sein Wandel ist, desto eifersüchtiger wacht Gott über ihn, damit derselbe umso kräftigere und gesegnetere Beweise von seiner Ergebenheit an den Tag zu legen im Stande sei, oder auch, um irgendein verborgenes Nebel vor sein Auge zu bringen und auszurotten, welches bisher im Herzen geschlummert hatte. Das letztere war seine weise und treue Absicht in Bezug auf Hiskia.

Was die Verwaltung des Königreichs betraf, so hatten unverkennbar die jüngst geschehenen Ereignisse und vor allem die Niederlage Sanheribs einen tiefen, nachhaltigen Eindruck bei den innewohnenden Völkern zurückgelassen. Es lagen genügende Beweise vor, dass das Land sich einer guten Verwaltung erfreute. Dazu hatten die in ihre Heimat zurückkehrenden Kinder Israels die ihrem Herzen so wohltuende Überzeugung gewonnen, dass der Tempeldienst sich in bester Ordnung befand. Mit einem Wort, Hiskia hatte das Zeugnis von außen seitens der Welt und von innen seitens der Brüder, dass sein Pfad ein guter und gerechter sei. Das war von höchster Wichtigkeit. Welch ein Glück für uns, wenn wir der Welt keinen Anlass zum Tadel und den Brüdern keinen Anlass zum Argwohn geben! Und dieses Glücks müssen wir teilhaftig sein. Aber noch mehr als dieses. Gott prüft unseren Weg mit einem schärfen: Auge als die Welt und die Versammlung. Er begnügt sich nicht mit einem gutverwalteten Reiche, noch mit einem wohlgeordneten Haus, nein. Er stellt Höhere Forderungen; – Er schaut auf ein gut zugerichtetes Herz. Das ist lehrreich und entscheidend. Im Beginn seiner öffentlichen Laufbahn wurde die Aufmerksamkeit Hiskias zunächst auf die Unordnung des Reiches, dann auf den Verfall seines Hauses, und schließlich auf das schwer zu entdeckende Böse seines Herzens gelenkt. Und eben diese letzte, mühevolle Prüfung, die ihm auferlegt wurde, zeigt uns, wie sehr weit Hiskia selbst Männer übertraf, denen eine außergewöhnliche Gnade zu Teil geworden war. So wurde z. B. Jotham nie auf eine solche Probe gestellt; und warum nicht? Weil er schon auf der Schwelle seiner Laufbahn Fehler machte. Es gab hinsichtlich seiner ein „Aber“ in der bloßen Angelegenheit des Königreichs, geschweige denn im Blick auf sein Haus und sein Herz. Also war es nicht bei Hiskia. Bei ihm gab es kein „Aber“, bis die „Gesandten“ zu ihm kamen; d. h. mit anderen Worten, Gott hatte mit ihm zu reden über den Zustand seines Herzens, und müssen wir nicht sagen, dass nur einer existiert, der diese dreifache Probe bestehen konnte? Nur Er konnte sagen: „Im Inneren meines Hauses will ich wandeln in Lauterkeit meines Herzens“ (Ps 101,2).

Und von woher kam der Feind, der Überwinder jenes Mannes, den wir bisher mit so festen Tritten in den Wegen Gottes wandeln sahen? – Von Babylon. Ja, von Babylon, dieser alten Quelle des moralischen Bösen, die schon in den Tagen Josuas das Lager Israels durch ihre Wasser vergiftete. „Zu der Zeit sandte Merodach Bal Adan, der Sohn Bal Adans, König zu Babel, Briefe und Geschenke zu Hiskia“ (Jes 39,1). Hier wird Hiskia von einem anderen König angegriffen; es ist nicht der König van Assyrien mit einem zahlreichen Heer; es ist nicht der König der Schrecken mit der feierlichen Aufforderung zur Übergabe; nein, es ist der König von Babel mit einem Geschenk. Und, wie seltsam es auch erscheinen mag, das Geschenk aus Babel erwies sich als ein zu gewaltiger Angreifer für das Herz Hiskias. Als der König von Assyrien Briefe zu ihm sandte, „ging er in das Haus des Herrn und breitete sie vor dem Herrn aus.“ So siegte er. Aufgefordert, sich auf den Tod vorzubereiten, „wandte er sein Antlitz zur Wand und betete zum Herrn.“ So genas er. Als aber die Gesandten aus Babel kamen, „zeigte er ihnen ein Haus und die kostbarsten Schätze darin.“ So fiel er. Wie ernst – wie sehr ernst ist diese Warnung! Hiskia war nicht auf seiner Hut. Er betete nicht – er suchte nicht das Antlitz des Herrn – sein geistliches Auge entdeckte nicht die Angel, die unter der vergoldeten Lockspeise verborgen war. Hätte er wie ehedem den Brief Merodachs vor dem Herrn ausgebreitet, so würde er, wie einst über den Einfluss der erschreckenden Drohungen der Welt, auch jetzt über den Einfluss ihrer verführerischen Reize erhoben worden sein. Das Heiligtum würde ihm jetzt eine ebenso sichere Zufluchtsstätte gegen das Zischen der Schlange dargeboten haben, als früher gegen das Brüllen des Löwen. Aber wir haben das Geheimnis dieser Niederlage aus den Schriftworten kennen gelernt: „Da aber die Botschafter der Fürsten von Babel zu ihm gesandt waren ... verließ ihn Gott also, dass Er ihn versuchte, auf dass kundwürde alles, was in seinem Herzen war.“ Wenn Gott den Menschen sich selber überlässt, ist ein Strohhalm im Stande, ihn umzuwerfen.

Wir können indessen eine sehr nützliche Lehre aus dem Fall Hiskias ziehen. Wir können daraus lernen, dass das Lächeln der Welt uns besiegen kann, während vielleicht ihr Spott uns näher zum Kreuz getrieben hätte. Es ist weit schwieriger, einen scheinheiligen Gibeoniten oder einen höflichen gewandten Agag wahrheitsgetreu zu behandeln, als die rohen Sühne Enaks – diese offenbaren und nichts weniger als liebenswürdigen Feinde Gottes. Es ist sehr schwer, den Weltmenschen wahrheitsgetreu zu begegnen und zu gleicher Zeit ihre Komplimente hinnehmen zu müssen. Es erfordert kein geringes Maß von geistlicher Überlegenheit, an der gastfreien Tafel eines Weltlings zu sitzen und zu gleicher Zeit mit ihn: über das Heil seiner Seele zu verhandeln. „Du sollst nicht Geschenks nehmen; denn Geschenke machen die Sehenden blind und verkehren die Sache der Gerechten“ (2. Mo 23,8). Daher müssen die Christen unabhängig und getrennt von der Welt sein. Besser ist es, wenn wir, der geistlichen Kraft ermangelnd, uns so viel als möglich von der Welt fernhalten, als dass wir mit ihr verkehren und den Herrn verleugnen. Abraham nahm nichts an von dem König Sodoms und von den Kindern Het; er wollte den Unbeschnittenen nichts schuldig sein. Getrennt von ihnen, konnte er ein lebendiger Zeuge gegen sie sein.

Nun werden wir es uns vorstellen können, wie schwierig es Hiskia gefunden haben würde, mit diesen noblen Fremdlingen über die Wahrheit zu reden. Er mochte ihnen nicht gern mit solchen Gegenständen lästig fallen – die Zeit, der Platz und die Umstände mochten ihm nicht dafür geeignet scheinen; viele solcher Gedanken mochten in seinem Geist aufsteigen, um ein treues Zeugnis gegenüber seinen Gästen zu verhindern. Weder die Welt, noch vielleicht die Brüder würden etwas Verkehrtes darin zu finden vermögen, dass er ihnen seine Schatzkammer zeigte; aber ach! die heimlichen Beweggründe waren verkehrt. Der Hochmut schlummerte in der verborgenen Kammer des Herzens: anstatt mit ihnen zu reden über den, der zwischen den Cherubim wohnt, oder über die glänzende Befreiung aus der Hand des Königs von Assyrien, oder über die am Rand des Grabes empfangene Unterweisung, oder endlich über die vergebende Liebe Gottes, der „alle seine Sünden hinter sich zurückgeworfen hatte“, – anstatt ihnen diese Dinge vor Augen zu stellen, „zeigte er ihnen sein Schatzhaus, Silber, Gold, Spezerei, und das beste Öl, und seine ganze Rüstkammer (die ihn nicht gegen den König von Assyrien verteidigen konnte) und alles, was in seinen Schätzen vorhanden war. Es war nichts in seinem Haus und in seiner ganzen Herrschaft, was ihnen Hiskia nicht zeigte“ (Kap 39,2). Er tat alles in Betreff seiner, aber nichts in Betreff Gottes. Seltsame, unerklärliche Vergessenheit! So ist der Mensch – selbst ein Mann Gottes, – wenn er sich selbst überlassen ist. –

Jetzt aber, nachdem das Böse nicht nur vor dem Auge Gottes, sondern auch vor seinem Auge, völlig bloßgestellt ist, verdient es eine ganz besondere Beachtung, dass der Herr, durch seinen Propheten, seinen Diener, geradezu nicht nur zum Ende seines Königreichs, oder seines Hauses, sondern auch zum Ende seiner selbst zu führen trachtet. „Siehe“, sagt Er, „es kommt die Zeit, dass alles wird weggeführt werden, was in deinem Haus ist, und was deine Väter gesammelt haben bis auf diesen Tag, gen Babel; und wird nichts übriggelassen werden, spricht der Herr. Dazu aus deinen Kindern, die von dir kommen, die du zeugen wirst, werden genommen werden, dass sie Kämmerer seien im Palast des Königs zu Babel“ (Kap 33,6–7). Hier sah Hiskia das Ende seines Reiches, das Ende seines Hauses und das Ende seiner selbst. Alles sollte nach Babel hinweggeführt werden, dessen Gesandte ihn umstrickt hatten. Alles, dessen sich sein armes Herz vor den Menschen dieser Welt gerühmt hatte, sollte zu Grund gehen. Er hatte ihnen seine Schätze gezeigt; und gerade diese sollten eine Beute der Welt sein; denn den „Frieden und die Wahrheit“, oder mit anderen Worten, die Schätze, welche er bei Gott hatte, „konnte die Welt nicht geben und nicht nehmen;“ – es war ein „besseres und bleibendes Gut“, weil es „im Himmel“ war. –

So haben wir denn das Ende dieser lehrreichen Geschichte erreicht. Die Taten Hiskias, die ersten wie die letzten, sind an uns vorübergezogen. Wir sind in das Innere seines Königreichs, seines Hauses und seines Herzens geführt worden, sind mit ihm durch eine Regierung von neunundzwanzig Jahren gepilgert, und am Schluss verlassen wir ihn im gesegneten Besitz des „Friedens und der Wahrheit.“ Wir sahen ihn unter den schwersten Prüfungen voll Vertrauen auf Gott; wir sahen ihn gegenüber der Welt und gegenüber seinen Brüdern; und, mit nur einer Ausnahme, war sein Pfad wie der „Pfad des Gerechten, gleich einem glänzenden Licht, welches fortgeht und leuchtet bis auf den vollen Tag“ (Spr 4,18). – Und, o mein geliebter Leser! Ist es nicht ein tröstlicher Gedanke für die Seele, dass – nachdem wir bis an das Ende aller menschlichen Dinge gepilgert sind und das Ende aller irdischen Dinge kennen gelernt haben, ja, nachdem wir die ernste und demütigende Lektion unserer eigenen Herzen und das Böse darin verstanden und das „Ende alles Fleisches“ und unseres Fleisches entdeckt haben – dass „Friede und Wahrheit“ unser nie endendes Teil sein wird? – dass unser gnadenreicher Gott, nachdem Er „alle unsere Sünden hinter sich zurückgeworfen“ und uns aus dem „Grab des Verderbens“ auf einen Felsen geführt hat, uns „goldene Harfen in die Hand geben will“, damit wir, inmitten der Ruhe und der Glückseligkeit seines Hauses, von „Friede und Wahrheit“ singen mögen während der ganzen Dauer unseres „Tages“, der? wie wir wissen, ewig währen wird.

Fußnoten

  • 1 Es könnte jemand die Frage auswerfen, warum Hiskia sich so sehr an das Leben klammerte. Die Antwort ist, dass er als Jude gelernt hatte, ein langes Leben als einen besonderen Segen aus der Hand des Herrn zu betrachten; für den Gläubigen unter der Verwaltung des Evangeliums würde es hingegen widersinnig sein, nach einem langen Leben zu trachten. Für den Juden war es wünschenswert, lange in dem Land zu leben; aber das Bürgerrecht des Christen ist bereits jetzt im Himmel, und die Verwirklichung dessen, was im Geist und im Grundsatz wahr ist, nämlich der wirkliche Hingang zum Himmel, sollte jetzt sein Wunsch sein.
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