Botschafter des Heils in Christo 1865

"Christus wohne in euren Herzen"

Vor einiger Zeit lag auf seinem Sterbebett ein junger Mann, der durch den Glauben ohne Furcht dem Tod ins Auge schauen konnte. Dennoch genoss sein Herz wenig Freude auf seinem Sterbelager; es fehlte an einem reichlichen Eingang in das ewige Reich unseres Herrn und Heilands Jesu Christi. Ein erfahrener Diener des Herrn, der ihn besuchte, und von der unaussprechlichen Herrlichkeit, die seiner wartete, mit ihm sprach, fragte ihn, ob sein Herz über diese glückliche Aussicht mit Freude erfüllt sei. Der sterbende Jüngling erwiderte: „Was meine Sünden betrifft, so habe ich Frieden durch den Glauben an das kostbare Blut Christi; aber der Himmel kommt mir vor wie ein fremdes, unbekanntes Land; und es ist mir fast bange, wenn ich daran denke, dass ich so allein in diesen geheimnisvollen, verborgenen Ort eintreten muss.“ Sein älterer Freund merkte bald, woran es fehlte. Er ruhte zwar auf dem Werk Christi, aber er machte sich nicht vertraut mit dem Herrn, als einem lebendigen Heiland. Deshalb sagte er ihm, dass er nicht den Himmel vor seinen Geist stellen möchte, sondern die gesegnete Tatsache, dass der geliebte Jesus, dem er seine Erlösung und alles verdanke, dort wäre, um ihn zu empfangen, so wurde ihm der Himmel nicht mehr ein fremder Ort sein. Da wurde des Jünglings Herz durch die Gnade Gottes sogleich mit großer Freude erfüllt. Es war ihm ein höchst köstlicher Gedanke, Jesus zu sehen und für immer bei Ihm zu sein – bei dem Jesus, der ihn geliebt und sich selbst für ihn dahingegeben hatte. Jetzt waren seine letzten Stunden voll von Freude; denn nicht nur war sein Gewissen beruhigt, sondern Jesus selbst erfüllte sein Herz und seine Zukunft – der köstliche Jesus, zu dem sein scheidender Geist nun bald hinfließen sollte.

Sicher wirst nun du, mein christlicher Leser, mit mir bekennen, dass wir die persönliche Liebe unseres auferstandenen Heilands nicht allein in der feierlichen Sterbestunde, sondern auch in unserem täglichen Leben nötig haben. Die Verwirklichung dieser göttlichen Wahrheit ist zu jeder Zeit der Schild unserer Herzen. Viele Gläubige haben durch das Werk Christi ein beruhigtes Gewissen, aber die Person Christi bildet nicht den gesegneten Mittelpunkt der Neigungen ihres Herzens. Paulus bittet für die gläubigen Epheser, dass sie „mit Macht gekräftigt werden möchten durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, dass der Christus durch den Glauben in ihren Herzen wohne.“ O möchte dies auch stets unser Gebet sein!

So gesegnet und köstlich es auch ist, durch das Blut Christi im Gewissen Ruhe zu haben, so ist doch noch weit köstlicher, stets die glückliche Gemeinschaft des Herrn selbst zu genießen. Möge deshalb ein jeglicher sich selbst fragen: Verlangt mein Herz nichts mehr – sucht es nichts mehr, seitdem ich Ihn kenne und besitze? Habe ich genug, wie Maria Magdalena, weil der auferstandene Jesus mich mit Namen gerufen und sich mir offenbart hat? Was kann mein Herz noch begehren, wenn ich sagen kann: „Meines Freundes bin ich, und sein Verlangen steht nach mir?“ (Hld 7,10)

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