Botschafter des Heils in Christo 1865

Elia, der Tisbiter - Teil 7/7; anschließend einige Worte über die Lehre der Versammlung

Obgleich Elias, der Tischbiter, wie schon bemerkt, in dem Charakter seines Dienstes viel Ähnlichkeit mit Johannes, dem Täufer, hat, so steht er doch, wenn wir ihn persönlich, sowie seinen Pfad als Pilger und Fremdling, und besonders seine Entrückung zum Himmel betrachten, als ein bemerkenswertes Beispiel der Kirche oder der himmlischen Familie vor uns. Von diesem Gesichtspunkt aus wird man es wohl nicht unpassend finden, den vorhergehenden Betrachtungen über Elias, den Tischbiter, schließlich einige Worte über die wichtige Lehre der Kirche oder Versammlung hinzuzufügen.

Es ist von der höchsten Wichtigkeit, die Lehre von dem himmlischen Charakter der Kirche zu verstehen. Dies ist das alleinige Schutzmittel gegen die verschiedenen Formen der schlechten und ungesunden Lehre, die um uns her die Oberhand hat. Sind wir über den himmlischen Ursprung, die himmlische Stellung und die himmlische Bestimmung der Kirche unterrichtet, so finden wir darin einen höchst mächtigen Damm gegen die Weltlichkeit in Bezug auf den gegenwärtigen Pfad des Christen, sowie auch gegen die falsche Lehre in Bezug auf seine zukünftige Hoffnung. Jedes System der Lehre oder der Zucht, welches die Kirche, sei es in ihrer gegenwärtigen Stellung oder sei es in ihrer zukünftigen Hoffnung, mit der Erde zu verbinden sucht, ist schlecht und kann nur einen verderblichen Einfluss ausüben. Die Kirche gehört nicht zur Erde. Ihr Leben, ihre Stellung, ihre Hoffnung sind himmlisch, im vollsten Sinne des Wortes. Die Berufung und das Dasein der Kirche sind, menschlich gesprochen, auf die Verwerfung er Erde gefolgt. Der Garten Eden und das Land Kanaan waren nach einander der Schauplatz der göttlichen Wirksamkeit; allein die Sünde, wie wir oft gehört haben, verdarb beide; und jetzt machen alle, die dem Evangelium der Gnade Gottes, welches ihnen im Namen eines gekreuzigten, auferstandenen und in den Himmel aufgenommenen Heilands gepredigt wird, glauben, die lebendigen Glieder des Leibes Christi aus und sind berufen, auf jede irdische Hoffnung zu verzichten. Lebendig gemacht durch die Stimme dessen, der in die Himmel eingegangen ist, und in ihrem Leben eins mit dem seinen, sind sie berufen, auf Erden den Platz eines Fremdlings und Pilgers einzunehmen. Die Stellung von Elias, dem Tischbiter, als er auf der Wüstenseite des Jordans stand und auf seine Entrückung zum Himmel wartete, drückt genau den Zustand der Kirche in ihrer Gesamtheit, sowie auch den jedes Gläubigen in Sonderheit aus. Die Kirche, im wahren Sinne des Wortes, wird in ihrem Dasein durch das Kreuz und das Kommen des Herrn begrenzt, und sicher hat die Erde keinen Platz zwischen diesen geweihten Grenzen. Wer die Kirche oder Versammlung als eine irdische Körperschaft betrachtet, sinkt weit unter die göttlichen Gedanken darüber hinab.

Die Lehre von dem himmlischen Charakter der Kirche wurde in ihrer ganzen Kraft und Schönheit durch den Heiligen Geist in dem Apostel Paulus enthüllt. Bis dahin, und noch während der ersten Zeit seines Dienstes, war es der göttliche Vorsatz, sich mit Israel zu beschäftigen. Die ganze Zeit über gab es eine Kette von Zeugnissen, deren Gegenstand ausschließlich das Haus Israel war. Die Propheten bezeugten diesem Volk nicht nur ihren gänzlichen Abfall, sondern auch die zukünftige Gründung des Reichs, in Übereinstimmung mit dem Bund, den Gott mit Abraham, Isaak, Jakob und David machte. Sie redeten aber nicht von der Kirche als dem Leib Christi im Himmel. Wie konnten sie es auch, da diese Sache ein tiefes Geheimnis war, „welches den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht worden war“ (Eph 3,5). Der Gedanke an eine, aus Juden und Heiden zusammengesetzte Kirche, deren Platz „in den himmlischen Örtern“ ist, lag weit über dem Bereich des prophetischen Zeugnisses im Alten Testament. Jesajas spricht ohne Zweifel in sehr erhabener Weise von Jerusalems Herrlichkeit in den letzten Tagen, und dass „die Heiden werden in ihrem Licht wandeln und die Könige zu dem Glänze ihres Aufgangs“; (Jes 60,3) aber er erhebt sich nie über das Reich, und bringt in Folge dessen nie etwas hervor, das hinaus geht über den mit Abraham gemachten Bund, der die immerwährende Segnung seinem Samen und durch ihn den Heiden sichert. Wir mögen das Gesetz und die Propheten von einem Ende bis zum anderen durchsuchen; aber wir finden keine Erwähnung von dem „großen Geheimnis“ der Kirche.

Ebenso ist es mit dem Dienst des Johannes, des Täufers, dessen Inhalt und Tragweite in jenen Worten ausgedrückt ist: „Tut Buße! denn das Reich der Himmel ist nahegekommen.“ Er kam als der große Vorläufer des Messias, und suchte unter allen Klassen die moralische Ordnung hervorzubringen. Er sagte dem Volk, was sie in jenem Übergangszustand zu tun hatten, in welchen einzuführen und Zugleich auf den hinzuweisen, der kommen sollte, sein Dienst war. Finden wir in diesem allen etwas von dem Geheimnis? Nicht eine Silbe. Noch immer war das Reich der höchste Gedanke. Johannes führte seine Jünger zu den Wassern des Jordans – dem Platz des Bekenntnisses; aber er vermochte sie nicht von dorther hinauf zu bringen; ein „Mächtigerer als er“ vermochte allein dieses zu tun.

Danach setzte der Herr Jesus selbst die Kette des Zeugnisses fort. Die Propheten waren gesteinigt, Johannes enthauptet worden, und jetzt trat der „treue Zeuge“ auf den Schauplatz; und Er erklärte nicht nur, dass das Reich nahegekommen sei, sondern stellte sich auch der Tochter Zion als ihren König dar. Doch auch Er wurde verworfen und versiegelte, gleich jedem vorhergehenden Zeugen, sein Zeugnis mit seinem Blut. Israel wollte Gottes König nicht haben, und Gott wollte Israel das Königreich nicht geben.

Endlich kamen die zwölf Apostel an die Reihe, um das Zeugnis fortzusetzen. Unmittelbar nach der Auferstehung fragten sie den Herrn: „Stellst du in dieser Zeit das Reich dem Israel wieder her?“ Ihre Sinne waren mit dem Gedanken an das Reich erfüllt. „Wir aber hofften“, sagten die beiden Jünger auf ihrem Weg nach Emmaus, „dass Er der sei, der Israel erlösen sollte.“ Und so war es; die Frage war nur, wann? Der Herr tadelte die Jünger durchaus nicht wegen ihres Festhaltens an dem Gedanken des Reichs; Er sagte ihnen einfach: „Es ist nicht eure Sache, Zeit oder Zeiten zu wissen, welche der Vater in seiner eigenen Gewalt gesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, indem der Heilige Geist auf euch kommt; und ihr werdet mir Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria, und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,7–8). In Übereinstimmung hiermit stellt Petrus in seiner Ansprache an Israel diesen das Reich vor. „So tut nun Buße und bekehrt euch, dass eure Sünden ausgetilgt werden, dass Zeiten der Erquickung kommen möchten vom Angesicht des Herrn, und dass Er euch senden möchte den zuvor verordneten Jesus, welchen freilich der Himmel empfangen muss bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, wovon Gott von jeher geredet hat durch den Mund seiner heiligen Propheten“ (Apg 3,19–21). Haben wir hier die Enthüllung des Geheimnisses? Nein; das Resultat des obigen Zeugnisses war einfach das Zusammenbringen einer Anzahl von Gläubigen zu einer irdischen Körperschaft. Die also gesammelten Personen empfingen keine Belehrung über die unterscheidende Stellung der Kirche in den Himmeln. Die Zeit, um diese verstehen zu lernen, war für sie noch nicht gekommen. Die Lehre von der Kirche wurde als etwas ganz Besonderes hineingebracht – als etwas, das gänzlich außer dem gewöhnlichen Lauf der Dinge war. Die Kirche, wie sie im Anfang der Apostelgeschichte gesehen wird, stellt nur ein Muster lieblicher Gnade und Ordnung dar, das zwar in seiner Art ausgezeichnet war, aber nicht über die Kenntnis und Würdigung des Menschen hinausging. Mit einem Wort, es war noch das „Reich“, und nicht das „große Geheimnis der Kirche.“ Jene, welche denken, dass der Anfang der Apostelgeschichte die Kirche in ihrem erhabensten Anblick darstelle, haben die Gedanken Gottes über diesen Gegenstand noch in keiner Weise erreicht. Das Gesicht des Petrus in Apostelgeschichte 10 ist seiner Predigt in Kapitel 3 entschieden ein Schritt voraus. Das große Leinentuch kam vom Himmel herab und wurde dorthin wiederaufgenommen; noch mehr, es enthielt reine und unreine Tiere und war darum ein bezeichnendes Sinnbild der Kirche. Doch noch immer war die große Idee des himmlischen Geheimnisses nicht erfasst. In der zu Jerusalem stattfindenden Versammlung, um eine Frage, die sich in Bezug auf die Heiden erhoben hatte, zu erwägen, finden wir die Apostel alle in Übereinstimmung mit Jakobus in folgendem Beschluss: „Simon hat erzählt, wie Gott zuerst die Nationen besucht hat, um aus ihnen ein Volk zu nehmen für seinen Namen. Und hiermit stimmen überein die Worte der Propheten, wie geschrieben steht: ‚Danach will ich zurückkehren und wieder aufbauen die Hütte Davids, die verfallen ist; und ihre Ruinen will ich wieder bauen, und werde sie wieder aufrichten, damit die übrigen der Menschen den Herrn suchen und alle die Nationen, über welche mein Name angerufen ist‘ (Amos 9,11), spricht der Herr, der dieses tut, was von Ewigkeit her bekannt ist“ (Apg 15,14–18). Hier sind wir belehrt, dass in der Berufung der Nationen nichts war, das nicht mit den Worten der Propheten harmonierte. Und sicher konnte dasselbe gesagt werden in Bezug auf das Geheimnis der Kirche; denn obgleich in den Propheten nichts darüber geredet ist, so ist es ihren Weissagungen doch nicht zuwider, sondern bringt vielmehr, wenn wir es mit denselben zusammenstellen, eine völlige Übereinstimmung. Es ist aber ein großer Unterschied, selbst eine Wahrheit dartun und mit einer Wahrheit übereinstimmen, die durch andere dargetan ist. Doch die Frage ist: Erfasste die Versammlung zu Jerusalem die Frage von der Kirche, (Juden und Heiden in einem Leib) als sitzend in den himmlischen Örtern? Ich glaube nicht. Einige Glieder mochten von Paulus davon gehört haben; (Siehe Gal 2,1–2) aber als Leib schienen sie jene Wahrheit noch nicht verstanden zu haben. Die Frage, die sie erwogen, betraf nicht den Platz der Kirche im Himmel, sondern vielmehr wie sie in ihrer irdischen Stellung geleitet und geordnet werden sollte. Wir folgern deshalb, dass das durch Petrus verkündigte Evangelium an die Nationen nicht die Enthüllung des großen Geheimnisses der Kirche war, sondern einfach die Eröffnung des Reichs, in Übereinstimmung mit den Worten der Propheten und dem Auftrag an Petrus in Matthäus 16: „Aber auch ich sage dir, dass du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Versammlung, und die Pforten des Hades werden sie nicht überwältigen. Und ich werde dir die Schlüssel des Reichs der Himmel geben, und was irgend du auf der Erde binden wirst, wird in den Himmeln gebunden sein“ (V 18–19). Hier haben wir das Reich und nicht die Kirche in ihrem himmlischen Anblick. Es ist nichts über die Kirche im Himmel erwähnt; im Gegenteil, in der Person des Petrus ist die Kirche betrachtet als auf der Erde, wo gelöst und gebunden wird, und in keiner Weise als sitzend in den himmlischen Örtern. Petrus empfing die Schlüssel des Reichs, und er gebrauchte jene Schlüssel, um zuerst den Juden und dann den Nationen das Reich zu öffnen. Er empfing aber nimmer einen Auftrag, die Kirche in die himmlischen Örter zu leiten. Selbst in seinen Briefen finden wir nichts von dem „Geheimnis.“ Er sieht die Kirche auf der Erde, als Fremdling, das ist wahr, aber doch auf der Erde, die ihre Hoffnung in den Himmeln hat, aber nicht selbst dort ist. Es war dem großen Apostel der Nationen aufbewahrt, in der Energie und Kraft des Heiligen Geistes jenes Geheimnis, von dem wir reden, ans Licht zu bringen.

Israel, obgleich es das Maß seiner Sünden erfüllt hatte, war noch nicht so ganz bei Seite gesetzt worden. Es schien, als wäre der Herr in Betreff seiner geliebten Stadt noch unschlüssig, als wäre Er noch nicht gewillt gewesen, das Gericht über sie eintreten zu lassen. Jemand sagt: „Wenn der Herr einen Ort der Gnade verlässt oder mit Gericht heimsucht, so geht Er in langsamem Und bedächtigem Schritt.“ Dies ist sehr wahr, und daher machte der Apostel der Nationen – obwohl erweckt und berufen zum Träger einer Wahrheit, die bestimmt war, alle, welche dieselbe aufnahmen, weit über die Grenzen der jüdischen Dinge hinauszutragen – dennoch das Haus Israel zu seinem vornehmsten Gegenstand, und wirkte, indem er dieses tat, in Gemeinschaft mit den Zwölfen, obgleich er in keiner Weise ihr Schuldner war. „Zu euch musste notwendig“, sagte er zu den Juden, „das Wort Gottes zuerst geredet werden; weil ihr es aber von euch stoßt, und euch selbst nicht würdig achtet des ewigen Lebens, siehe, so wenden wir uns zu den Nationen“ (Apg 13,46). Warum war es notwendig? Wegen der Langmut und Gnade Gottes. Paulus war nicht allein ein Träger der göttlichen Ratschlüsse, sondern auch der göttlichen Zuneigungen. In ersterem Fall hatte er seinen besonderen Auftrag zu erfüllen, in letzterem hatte er bei „seinen Brüdern, seinen Verwandten nach dem Fleisch“ zu verweilen. In jenem Fall war er berufen, die Kirche in die Erkenntnis „eines Geheimnisses“ zu leiten, „das in anderen Geschlechtern den Söhnen der Menschen nicht kundgemacht worden war“; aber in diesem hatte er, gleich seinem Herrn, mit langsamem und bedächtigem Schritt der zur Zerstörung geweihten Stadt und der betörten Nation den Rücken zu wenden. Mit einem Wort, da das Evangelium, mit dem er betraut war, nur auf dem Grund des gänzlichen Verlassens der Erde, der irdischen Stadt und der irdischen Nation bekannt gemacht werden konnte, und da das Herz des Paulus über diese Nation und Stadt seufzte, so kam es, dass er zögerte, öffentlich das ihm anvertraute Evangelium zu verkündigen. Er zögerte, wie er uns selbst erzählt, vierzehn Jahre. „Dann, nach vierzehn Jahren, ging ich wiederum hinauf nach Jerusalem mit Barnabas, und nahm auch Titus mit. Ich ging aber hinauf gemäß einer Offenbarung, und legte ihnen das Evangelium vor, welches ich unter den Nationen verkündige; in Sonderheit aber den Angesehenen, damit ich nicht etwa vergeblich laufe oder gelaufen wäre“ (Gal 2,1–2). Dies ist in der uns hier beschäftigenden Frage eine höchst wichtige Stelle. Der Dienst des Paulus war ganz frei von irdischen, menschlichen und jüdischen Elementen, und zwar so sehr, dass er zu zahlreichen Fragen in Betreff seines göttlichen Ursprungs Veranlassung gab. 1

Dem Apostel Paulus war anvertraut, was er ausdrücklich sein Evangelium nennt. Aber, wie bemerkt worden ist, fragte es sich, ob die Dinge, in Betreff der göttlichen Ratschlüsse, in Bezug auf Israel reif waren, um das Evangelium zu offenbaren. Der Apostel fühlt die Wichtigkeit dieser Frage; deshalb ist er beim Mitteilen derselben, besonders in Bezug ans einiges, so vorsichtig. Er konnte sogar inmitten der Kirche zu Jerusalem nicht offen über diese große Sache reden, weil er fürchtete, dass die rechte Zeit noch nicht gekommen war, und dass, wenn er sie zu früh offenbaren würde, nur wenige geistliche Einsicht und Erkenntnis genug haben würden, um sie zu verstehen und in dieselbe einzudringen. Seine Befürchtungen waren, wie wir wissen, wohl begründet. Es gab wenige zu Jerusalem, die für das Evangelium des Paulus völlig vorbereitet waren. Sogar finden wir einige Jahre später, dass Jakobus, der in der Kirche zu Jerusalem einen hervorragenden Platz einzunehmen schien, den Paulus überredet, sich zu reinigen und sein Haupt scheren zu lassen. Und wozu geschah dieses? Um mit den irdischen Dingen einen Bruch zu verhüten. „Bruder, du siehst“, sagt Jakobus, „wie viel tausend Juden es gibt, welche glauben, und alle sind Eiferer des Gesetzes. Sie sind aber über dich berichtet, dass du alle Juden, die unter den Nationen (wohnen), Abfall von Moses lehrst und sagst, sie sollen die Kinder nicht beschneiden, und nach den Gebräuchen wandeln. Was ist es denn? Auf jeden Fall muss die Menge zusammenkommen; denn sie werden hören, dass du gekommen bist. Tue nun dieses, was wir dir sagen: Wir haben vier Männer, die haben ein Gelübde auf sich. Diese nimm zu dir, und reinige dich mit ihnen, und trage die Kosten mit ihnen, dass sie das Haupt scheren lassen; und alle werden erkennen, dass nichts an dem ist, wessen sie über dich berichtet sind, sondern dass du selbst auch in der Beobachtung des Gesetzes wandelst“ (Apg 21,20–24). Hier haben wir einen genügenden Beweis, dass das „große Geheimnis“ von der Kirche zu Jerusalem nicht verstanden, noch aufgenommen wurde. Und Zugleich konnten wir wohl begreifen, wie der Geist des Jakobus vor dem schrecklichen Bruch zurückgeschreckt sein würde, der durch die öffentliche Bekanntmachung des Evangeliums des Paulus unter denen erfolgt wäre, deren Herzen noch an irdischen Dingen hingen. Es war in der Tat das Vorrecht der gläubigen Juden, eine reinere Atmosphäre einzuatmen, als die des irdischen Heiligtums; aber sie waren nicht vorbereitet für die starke Speise des Evangeliums des Paulus; und überdies hing das Herz mit besonderer Innigkeit an dem Gedanken, dass Jerusalem der große Mittelpunkt des christlichen Lichts und Zeugnisses sei, von dem die Strahlen der evangelischen Wahrheit ausgehen würden, um alles umher zu erleuchten. Wenn daher Paulus das Geheimnis, das er ihnen privatim mitgeteilt, der Menge bekannt gemacht hätte, so würden „die vielen Tausenden der Juden“ es nicht aufgenommen haben, und der große Mittelpunkt des Lichts würde ein Mittelpunkt des Zwiespalts geworden sein. Dies bewog den Apostel, sich nach den Gedanken und Gefühlen derer zu richten, die noch nicht über die irdische Ordnung der Dinge hinausgekommen waren. Jede Neigung seines Herzens, als Mensch und Jude, wurde ihn geleitet haben, in Jerusalem zu bleiben und auch in Betreff der Enthüllung einer Lehre Bedenken zu tragen, welche Jerusalem und alle irdischen Dinge in Schatten stellte und alle Gedanken und Gefühle zu einer weit höheren und reineren Region erhob, als bis jetzt verwirklicht worden war. Paulus kannte sehr wohl die Eitelkeit und Nichtigkeit der Gelübde und der äußerlichen Reinigungen. Er sah in dem Tempel und seinen glänzenden Zeremonien nichts weiter, als ein ausgedehntes System von Schatten, deren Wirklichkeit im Himmel war. Doch seufzte sein zartfühlendes Herz über seine Brüder, die durch dies alles noch gefangen gehalten wurden, und zögerte deshalb, die ganze Fülle des Lichts, welches ihm mitgeteilt war, auf sie scheinen zu lassen, damit es sie nicht blende, weil sie an die Schatten vergangener Tage noch zu sehr gewöhnt waren. Wenn diese Meinung über das Verhalten unseres Apostels in Betreff des Gelübdes richtig ist, so zeigt es uns ihn in einem wirklich interessanten Gesichtspunkt und stellt sehr deutlich die beiden Züge seines Charakters ins Licht: als Teilnehmer der göttlichen Zuneigung gegen Israel und Zugleich als Träger der göttlichen Nachschlüsseln Betreff der Kirche. Beide Züge sind höchst lieblich in ihrer Art. Seine innige Zuneigung gegen Israel, sowie seine Treue in Bezug auf seinen besonderen Auftrag sind bewundernswürdig. Einige mögen denken, dass er zuweilen, wie z. B. in Betreff des Gelübdes, jener Zuneigung erlaubt habe, im Widerspruch mit seiner Treue zu sein; aber es ist ein Widerspruch, den wir wohl zu verstehen und zu fassen vermögen. Sein Herz leitete ihn, in Jerusalem zu bleiben; ja, zu bleiben, bis der Herr ihm befahl, es zu verlassen. Sein Auftrag war an die Nationen; und doch begibt er sich immer wieder nach Jerusalem. Bei seinem Zögern, es zu verlassen, erinnert er uns an „den langsamen und bedächtigen Schritt“, mit welchem die Herrlichkeit des Herrn, wie wir in Hesekiel sehen, sich vom Tempel trennte. Der Herr aber bestand darauf, dass sein Diener Jerusalem verließ. „Eile“, sagt Er, „und gehe eilend aus Jerusalem, denn sie werden dein Zeugnis von mir nicht annehmen.“ Das jüdische Herz des Paulus aber zögert noch. Er erwidert: „Herr, sie selbst wissen, dass ich die an dich Glaubenden ins Gefängnis warf und in den Synagogen schlug; und als das Blut des Stephanus, deines Zeugen, vergossen ward, dastand auch ich dabei und willigte mit ein und verwählte die Kleider derer, die ihn töteten“ (Apg 22,19–20).

Welch ein Kampf ist hier! Es ist, als wollte er sagen: „Ihr Unglaube ist meine Schuld; mein schmähliches Verhalten ist das große Hindernis ihrer Annahme des Zeugnisses – darum lass mich bleiben.“ Unmöglich! „Gehe hin; denn ich werde dich aussenden fern zu den Nationen“ (V 21). Die Wahrheit musste ans Licht gebracht, die göttlichen Ratschlüsse mussten erfüllt werden. Die Zeit war herangerückt, und es war für Jakobus vergeblich, den mächtigen Lauf der Ereignisse aufzuhalten zu trachten, oder für Paulus, noch länger zu zögern und unschlüssig zu sein. Der Entscheidungspunkt war gekommen; und wenn Paulus nach allem diesem wieder nach Jerusalem zurückkehren will, so muss er in Banden von dort hinweggeführt werden. Die Stelle, welche wir soeben angeführt haben, ist Paulus eigene Mitteilung dessen, was der Herr ihm bei einer früheren Gelegenheit gesagt hatte. Dennoch, obgleich ihm ausdrücklich befohlen war, Jerusalem zu verlassen, weil sie sein Zeugnis nicht annehmen würden, geht er später wiederum dorthin: und wir kennen das Resultat dieses Besuchs. Es war sein letzter. Gerade die Sache, welche Jakobus befürchtete und zu vermeiden suchte, kam über sie; ein Aufruhr entstand und Paulus wurde in die Hände der Nationen überliefert. Der Herr war entschlossen, ihn zu den Nationen zu senden; und wenn er nicht als ein freier Mann gehen wollte, so musste er „ein Gesandter in Ketten“ sein. Doch konnte er sagen, dass er „um der Hoffnung Israels willen mit dieser Kette gebunden sei.“ Würde sein Herz nicht so sehr nach Israel verlangt haben, so würde er den Banden entgangen sein. Israel war ohne Entschuldigung; aber er selbst wurde ein Gefangener und Märtyrer.

So verließ denn Paulus endlich Jerusalem. Er hatte es immer wieder aufs Neue besucht, und würde auch dort geblieben sein; aber es war nicht sein Platz. Jerusalem war für einige Zeit der Gegenstand der göttlichen Auszeichnung und der Mittelpunkt der göttlichen Wirksamkeit; aber jetzt war der Augenblick nahegekommen, wo es von den Nationen zertreten, wo der Tempel zerstört, und wo die Herde Christi, welche dort gesammelt war, zerstreut werden sollte. Noch einige wenige Jahre, und der Ort, der solange mit allen Gedanken Gottes in Betreff der Erde verbunden gewesen war, sollte vertilgt, ja sogar von dem harten Fuß der Römer zertreten werden.

Der Abschied des Paulus kann als der unmittelbare Vorbote von diesem allen betrachtet werden. Die besondere Wahrheit, deren Träger er war, konnte in ihrer ganzen Fülle und Kraft nur in Verbindung mit dem Verlassen der Erde, als dem offenbarten Schauplatz der göttlichen Wirksamkeit, ans Licht gebracht werden; daher muss die Reise des Paulus von Jerusalem nach Rom von jedem einsichtsvollen und denkenden Christen mit dem tiefsten Interesse betrachtet werden.

Doch möchten wir fragen: Verließ unser Apostel, als er Jerusalem den Rücken kehrte, auch Israel? Nein; er verzweifelte noch nicht. Es ist wahr, sie hatten in Jerusalem sein Zeugnis nicht angenommen; aber sollten sie es nicht vielleicht in Rom annehmen? Im Osten hatten sie ihm kein Gehör gegeben; vielleicht aber taten sie es im Westen. Auf alle Fälle wollte er es versuchen. Er wollte Israel nicht verlassen, obgleich Israel ihn verworfen hatte. Deshalb lesen wir: „Es geschah aber nach drei Tagen (nachdem er in Rom angekommen war), dass er die, welche unter den Juden die Vornehmsten waren, zusammenberief. Als sie sich aber versammelt hatten, sprach er zu ihnen: Männer, Brüder! Ich, der ich nichts wider das Volk oder die väterlichen Gebräuche getan habe, bin gebunden ans Jerusalem in die Hände der Römer überliefert. ... Aus diesem Grund also habe ich gebeten, euch zu sehen, und mit euch zu reden; denn um der Hoffnung Israels willen bin ich mit dieser Kette gebunden. Als sie ihm aber einen Tag bestimmt hatten, kamen mehrere zu ihm ins Quartier, denen er das Reich Gottes auslegte und bezeugte, von früh morgens bis an den Abend, um sie zu überzeugen von (der Lehre) in Betreff Jesu, sowohl aus dem Gesetz Moses, als auch aus den Propheten“ (Apg 28,17–20.23). Hier mm haben wir diesen gesegneten „Gesandten in Ketten“, wie er noch immer „die verlorenen Schafe des Hauses Israel“ sucht und ihnen zuerst das „Heil Gottes“ anbietet. Aber sie werden unter sich uneins und zuletzt ist Paulus genötigt zu sagen: „Wohl sein hat der Heilige Geist durch Jesaja, den Propheten, geredet zu unseren Vätern und gesagt: ‚Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Mit Gehör werdet ihr hören und nicht verstehen; und sehend werdet ihr sehen und nicht wahrnehmen. Denn das Herz dieses Volkes ist dick geworden, und mit den Ohren haben sie schwer gehört, und ihre Augen haben sie geschlossen, damit sie nicht irgend mit den Augen sehen und mit den Ohren hören, und mit dem Herzen verstehen und sich bekehren, und ich sie heile.‘ (Jes 6,9–10) So sei es euch denn kund, dass das Heil Gottes den Nationen gesandt ist; und sie werden hören“ (Apg 28,25–23). Da war keine Hoffnung mehr. Jede Anstrengung, welche die Liebe machen konnte, war gemacht, aber ohne Erfolg– und unser Apostel schließt sie mit widerstrebendem Herzen unter das Gericht der Verblendung als die natürliche Folge ihrer Verwerfung des Heils Gottes. Somit war jedes Hindernis in Bezug auf die klare und vollständige Enthüllung des Evangeliums des Paulus beseitigt. Er befand sich inmitten der weiten Heidenwelt – ein Gefangener in Rom und von Israel verworfen. Er hatte sein Äußerstes getan, um unter ihnen zu bleiben; sein liebendes Herz leitete ihn, solange als möglich zu zögern, bevor er den Ausspruch der Propheten wiederholte; aber jetzt war alles vorbei – jede Erwartung war vereitelt – alle menschlichen Einsetzungen und Verbindungen stellten seinem Auge nichts als Ruin und getäuschte Hoffnung dar. Er muss sich deshalb anschicken jenes heilige und himmlische Geheimnis, wodurch die Kirche von der Erde zum Himmel geführt war, ans Licht zu stellen. Dies schließt die Apostelgeschichte, welche, gleich den Evangelien, mehr oder weniger mit dem Zeugnis für Israel verbunden ist. Und solange Israel als Gegenstand des Zeugnisses betrachtet werden konnte, solange dauerte dies Zeugnis; aber als sie unter das Gericht der Verblendung geschlossen waren, da kamen sie nicht mehr in den Bereich des Zeugnisses, und dieses hörte deshalb auf.

Lasst uns jetzt sehen, was dieses „Geheimnis“, dieses „Evangelium“, dieses „Heil“ in Wirklichkeit war, und worin seine Eigentümlichkeit bestand. Dies zu verstehen, ist von der größten Wichtigkeit. Was war denn das Evangelium des Paulus? War es eine besondere Lehre der Rechtfertigung eines Sünders, die verschieden war von dem, was die anderen Apostel predigten? Nein; durchaus nicht. „Er bezeugte sowohl Juden als Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus“ (Apg 20,21). Dies war der Inhalt seiner Predigt. Die Eigentümlichkeit des von Paulus gepredigten Evangeliums bestand darin, dass es nicht so viel Beziehung zu der Handlungsweise Gottes mit dem Sünder als mit dem Heiligen hatte; es handelte sich weniger darum, wie Gott einen Sünder rechtfertigte, als darum, was Er mit ihm tat, wenn er gerechtfertigt war. Ja, der Platz, in welchen das Evangelium des Paulus die Kirche einführte, war es, wodurch die Eigentümlichkeit desselben gekennzeichnet wurde. In Betreff der Rechtfertigung eines Sünders konnte es nur einen Weg geben, nämlich den durch Glauben an das eine Opfer unseres Herrn Jesus Christus; aber in Betreff der Erhebung oder der Stellung der Heiligen konnten es zahlreiche Stufen geben. So hat z. B. im Anfang der Apostelgeschichte ein Heiliger höhere Vorrechte, als unter dem Gesetz. Moses, die Propheten, Johannes, unser Herr in seinem persönlichen Dienst und die Zwölf verkündigten alle verschiedene Seiten von der Stellung des Gläubigen vor Gott; aber das Evangelium des Paulus ging weit über diese hinaus. Es war weder das Reich, welches dem Volk Israel auf Grund der Buße von Johannes, dem Täufer, und unserem Herrn, angeboten, noch war es das Reich, welches von Petrus in Apostelgeschichte 3 und 10 den Juden und Heiden eröffnet wurde; sondern es war die himmlische Berufung der Kirche Christi, zusammengesetzt aus Juden und Heiden zu einem Leib – nicht auf die Erde, sondern in die himmlischen Örter versetzt in Christus Jesus. Der Brief an die Epheser enthüllt vollkommen das Geheimnis des Willens Gottes in Betreff der Kirche. Dort finden wir eine ausgedehnte Belehrung über unsere himmlische Stellung, unsere himmlische Hoffnung und unseren himmlischen Kampf. Der Apostel betrachtet die Kirche nicht als Pilger auf der Erde, obgleich (sie sicher diesen Charakter hat), sondern als sitzend im Himmel – nicht als hienieden wirkend, sondern als droben ruhend. „Gott hat uns mitauferweckt und mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern in Christus Jesus.“ Er will dieses nicht tun, sondern Er hat es getan. Als Christus aus den Toten auferweckt wurde, da sind alle Glieder seines Leibes mitauferweckt worden; als Er in den Himmel aufstieg, da sind in Ihm auch sie aufgestiegen; als Er sich niedersetzte, haben in Ihm auch sie sich niedergesetzt, d. h. nach dem Ratschluss Gottes, um im Lauf der Zeit an ihnen verwirklicht zu werden durch den vom Himmel hernieder gesandten Heiligen Geist. Dieses aber war in Betreff ihrer der Gedanke und Vorsatz des, göttlichen Willens. Die Gläubigen wussten dies im Anfang nicht; es wurde durch den Dienst der Zwölf nicht enthüllt, wie wir in der Apostelgeschichte sehen, weil das Zeugnis für Israel noch fortdauerte; und solange die Erde der offenbarte Schauplatz der göttlichen Wirksamkeit und noch irgendein Grund von Hoffnung in Verbindung mit Israel vorhanden war, wurde das himmlische Geheimnis zurückgehalten; sobald aber die Erde verlassen und Israel bei Seite gesetzt war, schreibt der Apostel der Nationen aus seinem Gefängnis zu Rom an die Kirche, und eröffnet alle die herrlichen Vorrechte, die mit ihrem Platz in dem Himmel bei Jesu verbunden sind. Sobald Paulus als Gefangener nach Rom kam, war er, wie es scheint, mit allen menschlichen Dingen zu Ende gekommen. Er dachte nicht mehr an die Kirche, als ein vollkommenes Zeugnis auf der Erde darstellend. Er sah die Kirche im Himmel, und dort allein in all der Schönheit und Vollkommenheit Christi. Er wusste, welch einen Verlauf der irdische Pfad der Kirche nehmen würde; er wusste, dass es damit gehen würde, wie mit dem Schiff, auf welchem er von Jerusalem nach Rom gesegelt war; aber sein Geist wurde aufrechterhalten durch die glückliche Gewissheit, dass nichts die Einheit des Leibes Christi zu berühren vermochte, weil es eine Einheit war, die, obgleich sie auf der Erde verdorben werden konnte, unfehlbar im Himmel erhalten blieb. Dies war die Quelle der Freude des Paulus, da er als ein verachteter und vernachlässigter Gefangener im Kerker des Nero lag. Er wurde nicht beschämt; denn er wusste, dass die Kirche, obgleich hier in unzählige Parteien zerteilt, durch die ewige Macht des Sohnes Gottes bewahrt bleiben würde bis zu jenem glücklichen Augenblicke ihrer Aufnahme, wo sie dem Herrn in der Luft begegnen wird.

Es könnte aber gefragt werden: Wie können die Gläubigen in den himmlischen Örtern sitzen, wenn sie noch in der Welt sind, und mit ihren Schwierigkeiten, ihren Sorgen und Versuchungen zu kämpfen haben? Dieselbe Frage könnte man vorbringen in Bezug auf die wichtige Lehre in Römer 6: Wie können die Gläubigen als der Sünde tot dargestellt werden, wenn sie die Sünde noch beständig in sich wirksam finden? Auf beide Fragen gilt dieselbe Antwort. Gott betrachtet den Gläubigen als gestorben mit Christus, und ebenso betrachtet Er die Kirche als sitzend in den himmlischen Örtern in Christus; aber es ist die Sache des Glaubens, die Seele in die Wirklichkeit von Beidem zu führen. „Haltet euch selbst“ für das, wofür Gott euch hält. Die Kraft des Gläubigen, um sich die innewohnende Verderbtheit unterwürfig zu machen, besteht darin, dass er sich derselben für tot hält; und seine Kraft, sich von der Welt zu trennen, besteht darin, dass er sich als auferweckt und in Christus in den himmlischen Örtern sitzend betrachtet. Die Kirche hat nach den Gedanken Gottes ebenso wenig mit der Sünde und der Welt zu tun, wie Christus; aber Gottes Gedanken und unsere Begriffe sind sehr verschiedene Dinge.

Wiederum könnte gefragt werden: Betrachtet nicht der Apostel in Römer 11 die Kirche, als nähme sie die Stellung Israels auf der Erde ein? Die Antwort ist: Wir haben in Römer 11 gar nichts von der himmlischen Berufung der Kirche – gar nichts von dem „großen Geheimnis“, und wo wir auch dem „Ölbaum“ begegnen mögen – es ist völlig offenbar, dass es nicht der Leib Christi in dem Himmel ist. Es ist wahr, Paulus spricht im ersten Kapitel von seinem Evangelium und von seiner Bereitwilligkeit, es in Rom zu predigen; auch spielt er im letzten Kapitel auf die „Offenbarung des Geheimnisses“ an; aber wir haben in den elf ersten Kapiteln keine Darstellung der Wahrheit in Betreff der Stellung der Kirche, als des Leibes Christi – Juden und Heiden vereinigt zu einem Leib und sitzend in den himmlischen Örtern. Dies zu tun war in jenem Abschnitt nicht die Absicht des Geistes, obgleich Er darin andere höchst ernste und wichtige Wahrheiten behandelt. Es könnte nie von der Kirche, als dem Leib Christi, gesagt werden: „Auch du wirst abgeschnitten werden.“ Ein solcher Gedanke selbst wäre höchst verwerflich. Was ist denn der Ölbaum? Ich betrachte als solchen die bekennende Kirche in ihrer Stellung des Zeugnisses auf der Erde, in welcher Hinsicht sie in auffallender Weise gefehlt hat, wie alles fehlen muss, was mit der Erde in Verbindung steht. Sie ist nicht an der Gute Gottes geblieben und ist darum abgeschnitten werden; sie hat aufgehört, „das Haus Gottes zu sein“, und ist das „große Haus“ geworden, von welchem man sich trennen muss, wenn man „ein Gefäß zur Ehre sein will, geheiligt und nützlich dem Hausherrn, zu jedem guten Werk bereitet“ (2. Tim 2,20–21). Der Ölbaum steht, gleich dem Reich, mit der Erde in Verbindung. Die Kirche, als der Leib Christi, im Gegenteil, hat nichts mit der Erde zu tun, am wenigsten in Betreff ihres Ursprungs und ihrer Hoffnung. Die Periode der Kirche bildet eine Parenthese in der Geschichte der göttlichen Haushaltung, und ist ohne alle Verbindung mit dem, was voranging und was hernach folgt. Die Ereignisse der Erde werden weder durch die Gegenwart noch durch die Abwesenheit der Kirche berührt werden. Wenn die Aufnahme der Heiliges stattfinden wird, so kann die Welt mit all ihren politischen und religiösen Systemen vorangehen wie immer. Die Kirche Gottes bildet keinen Teil in der großen Maschine dieser Welt, und alle, die sie dazu machen wollten, würden ihren wahren Charakter verkennen. Lasst uns nur erfüllt sein mit dem himmlischen Geheimnis der Kirche Christi, so werden wir sicher ein gesundes Urteil über die Christenheit, über alle ihre vielfältigen Charaktere und Sekten haben.

Der christliche Leser sollte stets daran denken, dass jede Richtung des menschlichen Geistes in Betreff dieser ganzen göttlichen Wahrheit über die Kirche nicht nur nicht entspricht, sondern mit derselben sogar in wirklichem Widerspruch steht. Wir haben gesehen, wie lange es dauerte, bevor der Mensch diese Wahrheit zu fassen vermochte; und wir haben nur die Geschichte der Kirche in den letzten achtzehn Jahrhunderten zu betrachten, um zu sehen, wie schwach sie bewahrt und wie schnell sie verlassen worden ist. Das Herz hängt natürlich an der Erde, und der Gedanke an eine irdische Korporation zieht dasselbe an. Daher können wir voraussetzen, dass die Wahrheit von dem himmlischen Charakter der Kirche nur von einer sehr kleinen und schwachen Minorität erfasst und verwirklicht wird. Die protestantischen Reformatoren richteten ihre Gedanken nicht auf diesen wichtigen Gegenstand. Sie waren zu Werkzeugen gemacht, um die kostbare Lehre von der Rechtfertigung aus dem Schutt des römischen Aberglaubens wieder hervorzubringen, und auf das menschliche Gewissen das Licht des Wortes Gottes, im Gegensatz zu den falschen und verstrickenden Dogmen der menschlichen Überlieferung, fallen zu lassen. Dies war keine leichte Aufgabe; doch muss es eingeräumt werden, dass die Stellung und die Hoffnung der Kirche ihre Aufmerksamkeit nicht in Anspruch nahmen. Von der Kirche in Rom bis zu der Kirche im Himmel würde ein höchst kühner Schritt gewesen sein; und doch wird man am Ende finden, dass es keinen besonderen neutralen Boden zwischen diesen beiden gibt, oder, um deutlicher zu reden, man wird finden, dass jede religiöse Korporation, gegründet und geleitet durch die Weisheit und die Hilfsquellen eines Menschen, sei ihr Prinzip auch noch so rein und dem Katholizismus auch noch so feindlich, wenn man sie durch den Geist und im himmlischen Licht beurteilt, mehr oder weniger an den Elementen des römischen Systems Teil hat. Die Idee von der Kirche im Himmel – von Menschen, die hier wandeln, und doch ihren eigentlichen Platz und den Mittelpunkt ihrer Einheit droben haben – ist zu rein, zu erhaben, zu himmlisch, um dieselbe umfassend unter den Menschen aufrecht zu erhalten. Das Herz hängt an der Erde und wird nicht so leicht dahin gebracht, zu glauben, dass gerade die Zeit, in welcher Gott aufgehört hat, sich im Offenbaren mit der Erde zu beschäftigen, dass gerade der unbemerkbare Zwischenraum in der Geschichte der Zeit, die Periode ist, worin Er durch den Heiligen Geist die Kirche sammelt, um den Leib Christi im Himmel zu bilden; und ferner, dass, während Gott sich im Offenbaren mit der Erde beschäftigte, die Kirche als solche nicht in Betracht kam, und dass sie, wenn Er seine öffentliche Wirksamkeit auf der Erde und unter Israel wieder fortsetzt, vom Schauplatz verschwunden sein wird. Dies alles zu verstehen, erfordert ein größeres Maß von Geistlichkeit, als gewöhnlich unter den Christen gefunden wird.2 Es entsteht nun in der nach Wahrheit forschenden Seele natürlich die Frage: Was ist die am meisten schriftgemäße Form der Verwaltung der Kirche? Welchem Körper von Christen soll ich mich anschließen? Die einfache Antwort auf diese Frage ist: „Schließe dich denen an, die in Wahrheit bemüht sind, ‚die Einheit des Geistes in dem Band des Friedens zu bewahren.‘“ Seelen sind nicht die Kirche, noch religiöse Parteien der Leib Christi. Wenn wir uns einer Sekte angeschlossen haben, so befinden wir uns in einem jener zahlreichen Ströme, welche reißend vorwärts fließen in den schrecklichen Strudel, von dem wir in Offenbarung 17 und 18 lesen. Lasst uns nicht verführt werden; sicher werden allerlei Vorurteile wirksam sein und die Offenbarung jener himmlischen Grundsätze, von denen wir sprechen, zu verhindern suchen. Diejenigen, welche das Evangelium des Paulus aufrecht zu erhalten trachten, werden sich, gleich ihm, unter dem glänzenden Pomp und Schimmer der Welt verlassen und verachtet finden. Das Entgegenstreiten der kirchlichen Systeme, der Widerspruch der Sekten, das Getöse der religiösen Streitigkeiten werden sicherlich die schwachen Stimmen derer ersticken, die von der himmlischen Berufung und der Aufnahme der Kirche zu sprechen versuchen. Doch möge sich der geistliche Mensch, der sich inmitten all dieser traurigen und herzkräntenden Verwirrung befindet, der folgenden einfachen Grundsätze erinnern: Jedes System von kirchlicher Disziplin, und jedes System von prophetischer Auslegung, das die Kirche in irgendeiner Weise mit der Erde oder den Dingen der Erde verbindet, steht im Widerspruch mit dem Geist und den Grundsätzen des großen Geheimnisses, welches durch den Heiligen Geist in dem Apostel der Nationen enthüllt ist. Die Kirche bedarf in Bezug auf ihre Ordnung oder ihre Disziplin nicht der Hilfe der Welt. Der Heilige Geist wohnt in der Kirche, mag sie auch noch so zerteilt und zerstreut, seine Innewohnung auch noch so wenig anerkannt und irdisches und menschliches Clement noch so sehr damit vermengt sein. Dies alles kann nur die Wirkung haben, jenen Geist zu betrüben, dessen Gegenwart das wahre Licht der Gläubigen und die Quelle und Kraft des Dienstes und der Disziplin ist.

In Bezug auf die Hoffnung der Kirche haben wir auf den Herrn, und nicht auf die Erfüllung eines irdischen Ereignisses zu schauen. Gott sei Dank, dass die Heiligen nicht auf die Offenbarung des Antichristes zu warten haben, sondern auf die Ankunft des Sohnes Gottes, „der sie geliebt und sich selbst für sie dahingegeben hat.“ Die Christen sollten verstehen, dass sie auf nichts zu warten haben, als auf ihre Aufnahme in die Luft, um dem Herrn zu begegnen. Die Welt mag über diesen Glauben lächeln, und falsche Lehrer mögen feindliche Systeme entgegenstellen, um den Glauben der einfältigen Herzen zu erschüttern, aber durch die Gnade werden wir fortfahren, einander mit der Versicherung zu ermuntern, dass der Herr nahe ist, und uns bald aus dieser Verwirrung zu sich aufnehmen wird.

Hiermit muss ich diesen Abschnitt schließen. Wie schwach und unvollkommen ich auch das entwickelt habe, was ich in Betreff der Lehre von der Kirche in meinem Herzen trage, so zweifele ich doch nicht an deren Wichtigkeit, und bin auch fest überzeugt, dass je näher die Zeit rückt, desto mehr Licht den Gläubigen darüber mitgeteilt werden wird. Es ist jetzt zu fürchten, dass es wenige gibt, die wahrhaft in diesen wichtigen Gegenstand eindringen. Wenn er mehr verstanden würde, so würden viel weniger Anstrengungen gemacht werden, einen Namen und einen Platz auf der Erde zu erlangen. Paulus, der große Zeuge der himmlischen Berufung der Kirche, muss in den Augen der Kinder dieser Welt ein jämmerliches Bild dargestellt haben, und so wird es allen gehen, die seine Grundsätze verteidigen und in seinen Fußstapfen wandeln; aber er tröstete seinen Geist mit dem Gedanken, dass „der feste Grund Gottes steht und dieses Siegel hat: Der Herr kennt, die sein sind;“ und er wusste auch, dass selbst in der dunkelsten Zeit etliche sein würden, „die den Herrn aus reinem Herzen anrufen würden.“ Möge dieses, inmitten dieser traurigen Szene, auch unser Teil sein, bis wir Jesus schauen, wie Er ist, und Ihm für immer gleich sein werden! Ja, der Herr richte unsere Herzen unverrückt „zu der Liebe Gottes und zu dem Ausharren des Christus“ (2. Thes 3,5). „Denn noch um ein gar Kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen;“ (Heb 10,37) und deshalb möge der Ruf: „Komm, Herr Jesu!“ von Tag zu Tag lebendiger und stärker in unseren Herzen werden.

Fußnoten

  • 1 Es fehlt nicht an solchen, die bemüht sind, den Dienst des Paulus seines besonderen himmlischen Charakters zu berauben, indem sie ihn dem Dienst der übrigen Apostel, dessen Richtung und Charakter doch offenbar jüdisch war, völlig gleichstellen. Dieses tun sie, indem sie die Erwählung des Matthias in Zweifel ziehen. Doch für alle, die mehr als die Kundgebung eines geistlichen Urteils bedürfen, um sie in dieser Sache zu leiten, mag es hinreichend sein, zu sagen, dass der Heilige Geist in Betreff der Gültigkeit der Erwählung des Matthias keine Frage erhob; denn Er fiel auf ihn in Gemeinschaft mit seinen Mitaposteln. Wir verstehen aber wohl, weshalb jene, die sich berufen fühlen, menschliche Systeme aufzurichten, so bemüht sind, den Dienst unseres Apostels auf eine menschliche und irdische Grundlage zu stellen.
  • 2 Der Leser wird, wie ich hoffe, den Unterschied zwischen dem öffentlichen Wirken Gottes und dem verborgenen Walten seiner Vorsehung verstehen. Ersteres hörte auf, sobald Israel bei Seite gesetzt war, und wird aufs Neue beginnen, sobald Israel wieder in Betracht kommt; letzteres geht jetzt vor sich. Gott leitet die Räder der Regierung und die Ratschläge der Fürsten, um seine eigenen großen Pläne ans Licht zu bringen.
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