Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum
Kommentar zum Hebräer-Brief

Kapitel 2

Der neue und lebendige Weg in das Heiligtum

Durch den ganzen Brief hindurch erkennt man, dass auf jeden belehrenden Teil eine Ermahnung folgt bzw. ein an das Gewissen, an das Herz oder an die Verantwortlichkeit des Lesers gerichteter Appell. Das finden wir auch in den ersten vier Versen unseres Kapitels.

„Deswegen sollen wir umso mehr auf das achten, was wir gehört haben, damit wir nicht etwa abgleiten“ (2,1).

Wenn Gott im Sohn zu uns geredet hat, dessen göttliche Größe soeben vorgestellt wurde, welche Aufmerksamkeit sollten wir dann den Dingen schenken, die wir aus seinem Mund vernommen haben! Mit welcher Energie sollten wir ihnen anhangen! Sonst laufen wir Gefahr, „abzugleiten“ oder „abzutreiben“, wie ein Schiff, das im Augenblick, wo es in den Hafen einläuft, von der Strömung mit fortgerissen und vom Untergang bedroht wird.

„Denn wenn das durch Engel geredete Wort fest war und jede Übertretung und jeder Ungehorsam gerechte Vergeltung empfing, …“ (2,2).

„Das durch Engel geredete Wort“. Im Alten Bund wurden oft himmlische Boten benutzt, um göttliche Mitteilungen zu überbringen. Hier handelt es sich um das Gesetz, das durch Engel angeordnet wurde, wie Paulus sagt (Gal 3,19). „Die ihr das Gesetz durch Anordnung von Engeln empfangen... habt“, sagt Stephanus (Apg 7,53). Dieses Gesetz war unerbittlich gegenüber jeder Übertretung und jedem Ungehorsam, wie es die ganze Geschichte Israels beweist.

„… wie werden wir entfliehen, wenn wir eine so große Errettung vernachlässigen?“ – die den Anfang ihrer Verkündigung durch den Herrn empfangen hat und uns von denen bestätigt worden ist, die es gehört haben, wobei Gott außerdem mitzeugte, sowohl durch Zeichen als durch Wunder und mancherlei Wunderwerke und Austeilungen des Heiligen Geistes nach seinem Willen“ (2,3.4).

Wie viel weniger kann man heute einer gerechten Vergeltung, der Züchtigung und der Verurteilung entfliehen, wenn man die Gnade verachtet, die eine so große Errettung anbietet. Die Größe dieser Errettung zeigt sich in jeder Weise. Sie ist in sich selbst groß, denn sie erstreckt sich auf alles, was uns betrifft: auf die Übertretungen, auf die täglichen Schwierigkeiten des Weges, auf die Befreiung von unserem Leib der Niedrigkeit, auf die endgültige Befreiung des Überrestes aus Israel. Was kann diese Errettung ersetzen, wenn wir sie vernachlässigen? Wie könnte man dann dem Gericht entfliehen?

Aber die Errettung erscheint uns dann besonders groß, wenn wir den betrachten, der sie uns gebracht und verkündigt hat. Es ist der Herr selbst, der große Apostel Gottes, der sie uns zu Lebzeiten verkündigt und sie durch seinen Tod bewirkt hat. Die Apostel, die Ihn selbst haben predigen hören, bestätigten nach seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt die Verkündigung der Errettung durch ihre eigene Predigt. Aber noch mehr: Gott selbst hat mit ihnen gezeugt. Der Heilige Geist, der in ihnen war, offenbarte seine göttliche Macht durch Zeichen, durch Wunder und mancherlei Wunderwerke, also durch verschiedene Austeilungen dieses Geistes, so wie es Gott gefiel. Alles das zeigt die Größe der durch das Evangelium bezeugten Errettung.

Es ist schön zu sehen, wie sich Paulus, der Schreiber, in die Mitte derer stellt, an die er sich richtet, und zwar als einer, der selbst Nutznießer des Dienstes der Zwölf war. Er sagt: „uns bestätigt worden ist“, denn er hatte keinen Anteil an jenem Zeugnis, wovon der Herr in Johannes 15,27 sprach: „Aber auch ihr zeugt, weil ihr von Anfang an bei mir seid“. Wie Petrus sich ausgedrückt, mussten es solche Zeugen sein, die der Herr während der Zeit, in der Er unter ihnen ein- und ausging, auserwählt hatte, von der Taufe Johannes an bis zu seiner Aufnahme in den Himmel. Es mussten Zeugen seiner Auferstehung sein (Apg 1,21.22). Paulus gehörte nicht dazu. Sein Zeugnis war anderer Art. Er hatte den verherrlichten Christus gesehen. Wenn es sich um die Offenbarung des Geheimnisses der Versammlung, den Leib des Christus handelt, ist Paulus der größte der Apostel. Er hatte von den anderen bezüglich seines besonderen Dienstes nichts empfangen. Selbst die, die als Säulen angesehen wurden, hatten ihm nichts hinzugefügt (Gal 2). Aber hier stellt sich der Schreiber mitten unter die gläubigen Hebräer und sieht sich – wie sie – als ein Jünger der zwölf Apostel an. Das ist ein schönes Beispiel dafür, wie sich Diener als voneinander abhängig ansahen (vgl. 2. Pet 3,15.16).

„Denn nicht Engeln hat er den zukünftigen Erdkreis unterworfen, von dem wir reden; …“ (2,5).

Der Schreiber nimmt nun sein Thema der unendlichen Erhabenheit des Sohnes gegenüber den Engeln wieder auf. Angesichts seiner Herrlichkeit als Sohn des Menschen verschwinden die Engel.

In Israel hatten die Engel, wie wir gesehen haben, eine besondere Verwaltung. In der gegenwärtigen Welt aber, deren Fürst Satan ist und wo Gott alles durch seine Vorsehung regiert, haben die Engel gegenüber den Erlösten einen Dienst zu erfüllen (Heb 1,14). Sie haben sogar dem Herrn, der als Mensch auf der Erde lebte, gedient (Mk 1,13; Mt 4,11).

Aber es gibt auch einen zukünftigen Erdkreis, der nicht den Engeln unterworfen ist sondern dem Sohn des Menschen. Die Engel werden zweifellos an den Ereignissen teilhaben, die diese Herrschaft vorbereiten (Mt 13,41; 2. Thes 1,7 usw.). Wenn das Reich aber einmal aufgerichtet ist, haben sie keinen vermittelnden Dienst mehr. Dann ist alles dem Sohn des Menschen und seinen Heiligen unterworfen (1. Kor 6,2; 2. Tim 2,12).

„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder des Menschen Sohn, dass du auf ihn siehst? Du hast ihn ein wenig unter die Engel erniedrigt; mit Herrlichkeit und Ehre hast du ihn gekrönt [und ihn gesetzt über die Werke deiner Hände]; du hast alles seinen Füßen unterworfen. Denn indem er ihm alles unterworfen hat, hat er nichts gelassen, was ihm nicht unterworfen wäre; jetzt aber sehen wir ihm noch nicht alles unterworfen“ (2,6–8).

Der Heilige Geist hat durch den Mund Davids, des königlichen Propheten, in Psalm 8 im voraus diese große Wahrheit der Unterwerfung der ganzen Schöpfung unter den Menschen in der Person Christi verkündigt.

„Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, oder des Menschen Sohn, dass du auf ihn siehst?“ Das ist es, was Er von der Kleinheit und dem gegenwärtigen Elend des Menschen im Vergleich zum Glanz der Werke Gottes in den Himmeln sagt. Gott hat ihn „in unserem Bilde, nach unserem Gleichnis“ erschaffen. Er hat ihn über die Werke seiner Hände gesetzt und ihm die Herrschaft über alle Dinge anvertraut (1. Mo 1,26). Er hat ihm eine unsterbliche Seele gegeben, indem Er den Odem des Lebens in seine Nase einhauchte (1. Mo 2,7). Aber Adam, der erste Mensch, ist durch die Sünde gefallen. Er hat die Ehre, die Gott ihm gegeben hatte, beschmutzt und in den Staub gezogen. Damit hat er alles verloren und ist dem Tod und Satan unterworfen worden, er, der alles unter seinen Füßen hätte haben sollen.

Gott jedoch hat in seinem Erbarmen auf ihn gesehen. Er hat den zweiten Menschen eingeführt, in dem sich der ganze Ratschluss Gottes bezüglich des Menschen auf vollkommene Weise verwirklicht. Der Heilige Geist stellt Ihn uns in der Person Jesu vor und Gott sagt gleichsam: „Für mich ist Er nun der eigentliche Mensch.“

Auch darin zeigt sich der schon erwähnte Gegensatz: Die erste Weise, in der Gott geredet hat, macht dem Wort des Sohnes Platz. Das Gesetz verschwindet angesichts der großen Errettung. Der erste Mensch wird durch den zweiten ersetzt. Die Engel verschwinden angesichts der Herrlichkeit des Sohnes des Menschen.

„Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt – so dass er durch Gottes Gnade für alles den Tod schmeckte“ (2,9).

Wie wir im Weiteren sehen hat Jesus, der Sohn des Menschen, der zweite Mensch, als Erretter durch den Tod gehen müssen. Er ist dadurch ein wenig unter die Engel erniedrigt worden, die den Tod nicht erleiden. Durch Glauben aber sehen wir Ihn nun da, wo Gott Ihn hinversetzt hat, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, indem Gott alle Dinge seinen Füßen unterworfen hat. Alles Geschaffene ist Ihm und nicht den Engeln unterworfen worden.

Es ist wahr, dass wir es noch nicht verwirklicht sehen: Diese Zeit ist noch nicht gekommen. Aber die Sache selbst steht fest für die herrliche Zeit seiner tausendjährigen Herrschaft, wenn sein Reich offenbart ist. Seine jetzige Erhöhung zur Rechten Gottes, mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt, ist Beweis dafür.

Er nimmt diesen erhabenen Platz ein, nachdem Er den Tod erlitten hat – deswegen war Er unter die Engel erniedrigt. Durch Gottes Gnade hat Er für alles den Tod geschmeckt. Wir müssen wegen unserer Sünde durch den Tod gehen; Er aber hat ihn um der Gnade Gottes willen wegen unserer Sünden erduldet. Er hat den Tod geschmeckt, damit dieser für uns seine Bitterkeit verliert. Er hat für alles, was aus seinem Tod Nutzen ziehen wird, den Tod geschmeckt, sowohl für Personen als auch für Dinge (Kol 1,20–22).

„Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen“ (2,10).

Der Ratschluss Gottes beinhaltete, viele Söhne zur Herrlichkeit zu bringen, und zwar zu der Herrlichkeit, in der sich der Sohn des Menschen schon jetzt befindet. Sie wird offenbart werden, wenn Er wiederkommen wird und Ihm alle Dinge unterworfen sein werden. Seine Miterben werden in der kommenden Welt Teilhaber derselben Herrlichkeit sein (Röm 8,18.19). Wer waren diese Menschen, die Gott zu dieser Sohneswürde erhoben hat? Es waren arme, verurteilte und verlorene Sünder, die der Sünde, dem Tod und dem Teufel unterworfen waren. Christus nahm sich ihrer Sache an und bahnte ihnen den Weg des Heils trotz aller Hindernisse: Sünde, Tod und Satan. Gott nun geziemte es, diese Person, den Urheber unseres Heils für dieses Amt passend zu machen durch die Leiden, die Er auf seinem Lebensweg erduldet hat, sowohl in seinem ringenden Kampf in Gethsemane als auch in seinem Tod auf dem Kreuz. So ist Er der Urheber unserer Errettung geworden, auf diese Weise hat Er den Sieg davongetragen und sein Triumph ist auch unser Sieg.

„Denn sowohl der, der heiligt, als auch die, die geheiligt werden, sind alle von einem; um welcher Ursache willen er sich nicht schämt, sie Brüder zu nennen, …“ (2,11).

Der, welcher heiligt, ist Christus. Die, die geheiligt werden, sind die Seinen, seine Erlösten, die Er absondert. Er vereinigt sie mit sich selbst, und so sind sie vor Gott alle von einem. Es wird nicht von allen Menschen gesagt „An ihnen ist all mein Gefallen“ (Ps 16,3), sondern nur von „den Heiligen“, die auf Erden sind, die Er „die Herrlichen“ nennt. Im Gegensatz zu den übrigen Menschen sind sie „Geheiligte“, abgesondert von den anderen Menschen.

Schon bei der Taufe des Johannes wird das deutlich. Als der Herr kam, um sich taufen zu lassen, stellte Er sich in die Mitte des bußfertigen Überrestes. In Gnade macht Er sich mit ihnen eins. Er hat seine Freude an denen, die vor Gott den richtigen Platz einnehmen. Für Ihn sind das die „Herrlichen der Erde“. Sie sind somit „geheiligt“, durch Ihn, für Ihn und mit Ihm abgesondert, „alle von einem“.

Auch heute sind die Gläubigen Geheiligte. Christus war in Vollkommenheit der abgesonderte Mensch, und die Seinen sind es mit Ihm.

Die Ausdrücke „Geheiligtsein“, und „Heilige“ findet man in diesem Brief immer wieder. Denken wir in diesem Zusammenhang daran, dass es eine Heiligung gibt, die der Rechtfertigung vorangeht. Gott nimmt in einem bestimmten Augenblick Menschen und sondert sie für sich ab – dieses Werk geschieht in einem Augenblick und stellt keinen Prozess dar (vgl. 1. Kor 6,11; 1. Pet 1,2). Dann folgt eine praktische Heiligung, die der Rechtfertigung folgt. Weil die Geheiligten mit Ihm „alle von einem“ sind, schämt der Herr sich nicht, ihnen den Namen „Brüder“ zu geben.

„… indem er spricht: Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen“ (2,12).

Der Schreiber des Briefes führt in diesem Zusammenhang wieder einen Psalm an: „Ich will deinen Namen kundtun meinen Brüdern; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen“ (Ps 22,23). Diese Stelle bezieht sich zunächst auf den Überrest Israels, obwohl der Herr diese Worte nach seiner Auferstehung aussprach (Joh 20,17).

Während seines Lebens inmitten des Volkes Israel hat Er diesen Titel „Brüder“ auf die bezogen, die das Wort Gottes „hören und tun“ (Mt 12,49.50; Mk 3,33–35; Lk 8,20.21). In Matthäus 25,40 gibt Er den Boten, die später allen Nationen das Evangelium des Reiches verkündigen werden, diesen Namen. Sie sind seine Brüder, aber zweifellos werden es nicht Heilige der jetzigen Haushaltung sein, Söhne im christlichen Sinn. Man muss also unterscheiden zwischen der Anwendung dieses Namens „Brüder“ auf den Überrest und der Bedeutung dieses Namens für Christen, die zum Vater in derselben Sohnesbeziehung stehen wie Christus als Mensch, eine Beziehung, wovon der Heilige Geist in ihnen das Siegel und der Zeuge ist. Die Stellen, die sich wie Psalm 22,22 wörtlich auf den Überrest beziehen, lassen sich also geistlicherweise auch auf die Christen, die wahren Söhne des Vaters, anwenden, wie wir es in Johannes 20,17 sehen: „Gehe aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater.“ Anderseits aber sind die Stellen, die sich direkt auf die Christen beziehen, wie z. B. Römer 8,29, nicht auf den Überrest anwendbar.

Bis der Überrest des Endes die wertvollen Erklärungen, die das Wort für ihn enthält, auf sich anwendet, finden diese Erklärungen schon ihre gegenwärtige und unmittelbare Anwendung auf die christlichen Gläubigen. Der Überrest aus der jüdischen Nation zur Zeit der Jünger, zusammengesetzt aus solchen, die vor Christi Tod und seiner Auferstehung an den Herrn glaubten, wurde nach dem Kommen des Heiligen Geistes auf diese Erde zur christlichen „Versammlung“, zu welcher der Herr die hinzutat, die gerettet werden sollten. Sie waren der Überrest Israels, den Gott verschonte (Apg 2,47). Die Gläubigen, an die sich unser Brief richtet, wurden demnach als der wahre Überrest jener Zeitepoche betrachtet.

„Und wiederum: Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.“ Und wiederum: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat“ (2,13).

Hier werden die Worte aus Jesaja 8,17.18 angeführt. In dem Augenblick, in dem die beiden Häuser Israel und Juda, besonders das letztere, ihre Hilfe in fleischlichen Verbindungen suchten, redete der Prophet von seinen eigenen Kindern. Aber diese Kinder wurden vom Herrn gegeben „zu Zeichen und Wundem in Israel“. Sie waren Zeichen, von denen das erste den kommenden Überrest darstellte (Jes 7,3), während das andere die Befreiung dieses Überrestes ankündigte. Der Prophet und mit ihm der Überrest erklärt, dass er auf den Herrn wartet, der sein Angesicht vor dem Haus Jakobs verborgen hat, und nennt als Beweggrund seines Vertrauens die Kinder, die Gott ihm gegeben hat. Er selbst stellt sich mit ihnen dar.

Aber in unserem Vers im Hebräerbrief zeigt der Heilige Geist, dass die Worte Jesajas Christus zum Gegenstand haben, den Emmanuel. Der Prophet und seine Kinder waren nur Bilder. Christus als Mensch vertraute auf Gott (Ps 16,1), und wir sehen Ihn hier an der Spitze des Überrestes stehen, der mit Ihm auf Gott vertraut. Christus stellt sie Gott vor als die, die Ihm selbst gegeben worden sind. Er verbindet sich mit ihnen: „Siehe, ich und die Kinder, die Gott mir gegeben hat.“ Er ist der Anführer ihrer Errettung. Er hat sie mit sich selbst abgesondert. Er schämt sich nicht, sie Brüder zu nennen und sie sind miteinander eine heilige Körperschaft von Zeugen vor Gott.

„Weil nun die Kinder Blutes und Fleisches teilhaftig sind, hat auch er in gleicher Weise daran teilgenommen, damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel und alle die befreite, die durch Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen waren“ (2,14.15).

Der 14. Vers stellt ein anderes Wunder der göttlichen Gnade vor unsere Seele. Christus hatte der Erretter dieser Geheiligten, dieser Brüder, dieser Kinder, die Gott Ihm gegeben hatte, werden wollen. Sie hatten von Anfang an einen menschlichen Leib, waren also „Blutes und Fleisches teilhaftig“. Er aber, der vorher kein Teil daran hatte, wollte an der menschlichen Natur teilnehmen, um ihr Heiland zu werden. Er ist das Wort und wurde Fleisch (Joh 1,1.14). Als Mensch konnte Er nun persönlich für sie in den Tod gehen, um sie völlig zu befreien. Er ist in den Tod hinabgestiegen, in diese Festung Satans, um ihm seine Macht zu nehmen. „Darum, so wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben“ (Röm 5,12). Durch die erste Sünde hat sich der Mensch unter die Macht des Todes gestellt. Aber er sündigte auf Anstiftung des Teufels, der sich dadurch die Macht des Todes erworben hat und diesen Tod mit dessen Schrecken vor die Seele des Menschen stellt. Die Todesfurcht und die Furcht vor der Verdammnis ist also eine Knechtschaft, der der Mensch unterworfen ist. Unter dem alten Bund war der Tod selbst für die Gerechten furchterregend, wie wir den Worten Hiskias (Jes 38) und verschiedenen Stellen in den Psalmen entnehmen können. Der Tod öffnete ihnen den Scheol, den Ort der Finsternis, wo alle Freude zu Ende ist, wo man den Herrn nicht mehr lobt. Welch ein Unterschied gegenüber der Sprache des befreiten Christen, der mit Paulus sagen kann: „Denn das Leben ist für mich Christus, und das Sterben Gewinn“.

Wenn aber das Leben im Fleisch mein Los ist – das ist für mich der Mühe wert, und was ich erwählen soll, weiß ich nicht. Ich werde aber von beidem bedrängt, indem ich Lust habe, abzuscheiden und bei Christus zu sein, denn es ist weit besser“ (Phil 1,21–23).

Es ist wahr, die „Gesetzlosen“ können durch Verhärtung so weit kommen, dass sie keine Todesfurcht mehr haben (Ps 73,4) und wie unvernünftige Wesen sterben. Aber wie schrecklich wird ihr Erwachen sein! Anderseits findet man Christen, die von dieser Todesfurcht noch nicht befreit sind. Aber wenn sie die große, hier verkündete Wahrheit, den völligen Sieg Christi über Satan, im Glauben erfasst hätten, wie könnten sie sich da noch fürchten? Beachte die Ausdrücke: „Damit er durch den Tod den zunichtemachte, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel.“ Über den, der durch den Tod Christi befreit ist, hat Satan diese Macht nicht mehr, er ist zunichte gemacht worden, seine Macht ist am Kreuz, wo der Herr Jesus gestorben ist, gebrochen worden.

„Denn er nimmt sich fürwahr nicht der Engel an, sondern der Nachkommen Abrahams nimmt er sich an“ (2,16).

Dieser Vers sagt ein letztes Wort über die Engel und knüpft an Vers 5 an. Die kommende Welt, die Leiden und der Tod Christi, die Söhne und ihre Herrlichkeit, sein Triumph über Satan – alles das bezieht sich nicht auf die Engel. Christus hat sich nicht der Engel angenommen. Er hatte nicht die Engel vor Augen, als Er Fleisch und Blut annahm. Die treuen Engel hatten kein Heil nötig. Was Er war und was Er getan hat betrifft den sündigen Menschen, den zu befreien Er gekommen war. „Er nimmt sich der Nachkommen Abrahams an“, das heißt der Gläubigen. Sie sind es, um die es ging, für die ist Er Mensch geworden.

„Daher musste er in allem den Brüdern gleich werden, damit er in den Sachen mit Gott ein barmherziger und treuer Hoherpriester werde, um die Sünden des Volkes zu sühnen; denn worin er selbst gelitten hat, als er versucht wurde, vermag er denen zu helfen, die versucht werden“ (2,17.18).

Das wird uns im 17. Vers gezeigt. Christus wird uns hier als barmherziger und treuer Hoherpriester vorgestellt, der für seine Brüder tätig ist. Er musste ihnen in allen Dingen gleich werden und an ihrem Zustand teilnehmen, natürlich ausgenommen die Sünde.

Das Hohepriestertum Christi für die Gläubigen nimmt im Brief an die Hebräer einen großen Platz ein. Wir sehen Ihn hier zum ersten Mal in diesem Amt. Christus ist Mensch geworden und auf die Erde gekommen, um den Hohepriesterdienst im Himmel ausüben zu können. Zuerst hat Er hier auf der Erde alles erfüllt, was zur Sühnung der Sünden nötig war: Die Ansprüche der Gerechtigkeit, Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes mussten befriedigt werden. Unser Heiland war darin gegen uns alle barmherzig, die wir ohne die bewirkte Sühnung verloren gewesen wären. Er war treu gegenüber Gott, um seinen Willen zu tun und Ihn zu verherrlichen (Heb 10,7.9).

Aber indem Er über diese Erde schritt, ist Er durch Leiden und Prüfungen verschiedenster Art hindurchgegangen, denen auch wir selbst als Christen in dieser gottfeindlichen Welt ausgesetzt sind. Er hat in seinem Herzen gelitten. Er ist dem Widerspruch der Sünder begegnet. Er wurde versucht, nicht durch die Sünde, aber in seinem Charakter als gehorsamer Mensch, Er wurde in jeder Weise bedrängt und kann uns daher nun in tiefem Mitgefühl in allen diesen Übungen und Prüfungen, durch die wir zu gehen haben, beistehen. So zeigt Er sich uns jetzt beständig als barmherziger und treuer Hoherpriester. Wie kostbar ist es für das Herz und wie ermunternd für die Seele, Ihn im Himmel zu betrachten, wie Er sich für uns vor Gott interessiert!

Noch eine allgemeine Bemerkung: Wenn der Schreiber des Briefes an die Hebräer von den Opfern und dem Dienst der Priester spricht, so bezieht er sich auf den großen Sühnungstag, wie er in 3. Mose 16 beschrieben wird. Das geht aus den Worten hervor: ... um die Sünde des Volkes zu sühnen“ (3. Mo 16,17.24.33.34). An diesem alljährlichen Sühnungstag erfüllte Aaron einen doppelten Dienst: Er opferte die Schlachtopfer und trug zugleich ihr Blut durch den Vorhang in das Allerheiligste hinein, damit für die Sünden des Volkes vor Gott Sühnung geschehe.

Wir fassen zusammen: Dieses Kapitel stellt uns Christus dar:

  1. Er führt den Ratschluss Gottes aus, bringt viele Söhne zur Herrlichkeit und wird zum Urheber ihrer Errettung. Er hat die menschliche Natur angenommen, um durch seine Leiden dem zu entsprechen, was die Heiligkeit und Majestät Gottes bezüglich des Zustandes derer forderte, die Er errettete.
  2. Er ist gekommen um zu sterben und durch seinen Tod den zunichte zu machen, der die Macht des Todes hat, das ist den Teufel, und um die Heiligen auf diese Weise von der Todesfurcht zu befreien.
  3. Er ist für uns der große Hoherpriester geworden, der den Gläubigen helfen kann, weil Er selbst in gleicher Weise versucht worden ist.
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