Der verheißene König und sein Reich
Kommentar zum Matthäus-Evangelium

Kapitel 15

Der verheißene König und sein Reich

Die Überlieferungen der Ältesten (15,1-11)

„Dann kommen Pharisäer und Schriftgelehrte von Jerusalem zu Jesus und sagen: Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Und warum übertretet ihr das Gebot Gottes um eurer Überlieferung willen? Denn Gott hat [geboten und] gesagt: 'Ehre den Vater und die Mutter!', und: 'Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben.' Ihr aber sagt: Wer irgend zum Vater oder zur Mutter spricht: Eine Opfergabe sei das, was irgend dir von mir zunutze kommen könnte - der wird keineswegs seinen Vater [oder seine Mutter] ehren. Und so habt ihr das Gebot Gottes ungültig gemacht um eurer Überlieferung willen. Ihr Heuchler! Treffend hat Jesaja über euch geweissagt, indem er spricht: 'Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren.'
Und er rief die Volksmenge herzu und sprach zu ihnen: Hört und versteht! Nicht was in den Mund eingeht, verunreinigt den Menschen, sondern was aus dem Mund ausgeht, das verunreinigt den Menschen“ (15,1-11).

Die Schriftgelehrten und Pharisäer suchten immer wieder bei den Jüngern Jesu und auch bei dem Herrn selbst Fehler zu finden (vgl. Mt 12). Sie fragten Ihn: „Warum übertreten deine Jünger die Überlieferung der Ältesten? Denn sie waschen ihre Hände nicht, wenn sie Brot essen.“

Überlieferungen sind Erzählungen oder Verordnungen, die von Generation zu Generation mündlich oder schriftlich weitergegeben werden und oft wegen ihres hohen Alters große Bedeutung erlangt haben. Oft sind sie menschlichen und nicht göttlichen Ursprungs. Viele messen diesen dieselbe Bedeutung zu, wie der Heiligen Schrift. So war es wenigsten bei den Juden. So geschieht es auch in der Römischen Kirche. Das umgekehrte Phänomen sieht man in der Evangelischen Kirche, wo selbst das Wort Gottes als eine menschliche Überlieferung angesehen wird. Wir sollten den Ausdruck „Überlieferung“ in diesem Sinn niemals auf die Heilige Schrift als Ganzes oder auf gewisse Teile anwenden. Denn die Bibel ist vom ersten bis zum letzten Blatt das Wort Gottes, inspiriert durch den Heiligen Geist.

Der Herr wies den Pharisäern nach, dass sie nicht nur ihre eigenen Überlieferungen auf dieselbe Stufe wie die Heilige Schrift stellten, sondern auch mit ihren Überlieferungen die Heilige Schrift übertraten. Das Gesetz hatte gesagt: „Ehre den Vater und die Mutter!“ und „Wer Vater oder Mutter schmäht, soll des Todes sterben“ (vgl. 2. Mo 20,12; 21,17). Die Pharisäer aber sagten, indem sie sich auf die Überlieferungen stützten, zu dem Vater oder zu der Mutter: „Eine Opfergabe sei das, was irgend dir von mir zunutze kommen könnte.“ Sie belehrten also das Volk, dass sie durch eine Gabe für den Tempel von der Sorge für ihre Eltern befreit seien. Sie machten auf diese Weise das Gebot Gottes ungültig. Deshalb nennt der Herr sie Heuchler. Sie wollten fromm und religiös erscheinen und vernachlässigten dabei, was sie Gott und ihren Nächsten schuldig waren. Der Herr Jesus erinnerte sie deshalb an die Worte des Jesaja, der von ihnen gesagt hatte: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist weit entfernt von mir. Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren“ (Jes 29,13). Darauf zeigte ihnen der Herr, was in Wirklichkeit Verunreinigung ist: Sie kommt aus dem Herzen und wird durch den Mund hervorgebracht. Aber man verunreinigt sich nicht, wenn man mit ungewaschenen Händen Brot isst.

Das sind auch für uns wichtige Belehrungen. Die einzige Möglichkeit, Gott zu ehren, besteht darin, die Autorität seines Wortes anzuerkennen und in unbedingtem Gehorsam das Leben mit seinem Wort in Übereinstimmung zu bringen.

Adam war in dem Zustand der Unschuld nur an ein einziges Gebot gebunden. Es bestand nicht darin, etwas zu tun, sondern sich einer Sache zu enthalten. Sein Ungehorsam hat alles verdorben und die Menschen in die Stellung von Sündern versetzt. Daraufhin hat Gott seinem Volk das Gesetz gegeben, und Israel nahm es in völliger Unkenntnis über sich selbst mit den Worten an: „Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen“ (2. Mo 24,3-7). Aber das Volk verunehrte Gott durch seinen Ungehorsam, und zwar noch mehr als die Heiden. Denn das natürliche Herz ist dem Gesetz Gottes nicht untertan und vermag es auch nicht (Röm 8,7).

Trotzdem behauptet der Mensch in seinem Hochmut immer wieder, Gott geben zu wollen, was Ihm gebührt. Dabei aber schmälert er das göttliche Maß, vermindert die gerechten Forderungen Gottes und gleicht sie dem an, was seinem eigenen Herzen angenehm ist. Er behält nur gewisse Formen der Wahrheit bei, um das, was er seine Religion nennt, zu befolgen. Mit diesem Mantel äußerer Frömmigkeit glaubt er sein Gewissen beruhigen zu können, lässt aber in Wirklichkeit nur seinem eigenen Willen freien Lauf. Er dient Gott in äußerlicher Weise.

Das ist der Charakterzug jeder fleischlichen Religion, welchen Namen sie sich auch beilegen mag. Sie ersetzt die Forderungen Gottes durch Formen, die das Fleisch befriedigen und den eigenen Willen gewähren lassen; und das nennt man Gottesdienst. Wir verstehen daher, dass der Herr den religiösen Führern des Volkes Heuchelei vorwarf, denn auch sie vertraten ein solches System im Judentum.

Die Vernachlässigung der Pflichten gegenüber den Eltern, die nächst dem Gehorsam gegen Gott die höchsten sind, entspringt der gleichen Ursache. Wenn man nicht davor zurückschreckt, Gott um seine Rechte zu bringen, so wird man sich auch nicht scheuen, den Eltern ihr Recht zu verweigern. Ohne Gottesfurcht ist es unmöglich, die moralischen Pflichten zu erfüllen, die uns obliegen. Die Kinder werden gegen ihre Eltern fehlen, die Diener gegen ihre Herren, die Menschen im Allgemeinen gegen die Obrigkeit. So ist die Welt unter einer christlichen Form in einen Zustand gekommen, den der Apostel in 2. Timotheus 3,1-5 beschreibt: „Dies aber wisse, dass in den letzten Tagen schwere Zeiten eintreten werden; denn die Menschen werden selbstsüchtig sein, geldliebend, prahlerisch, hochmütig, Lästerer, den Eltern ungehorsam, undankbar, unheilig, ohne natürliche Liebe, unversöhnlich, Verleumder, unenthaltsam, grausam, das Gute nicht liebend, Verräter, verwegen, aufgeblasen, mehr das Vergnügen liebend als Gott, die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen.“ Die Ursache hierfür ist die Entfernung von Gott und das Aufgeben seines Wortes, und zwar unter einer „Form der Gottseligkeit“.

In der ganzen Schrift finden wir die dringliche Mahnung, die Eltern zu ehren. Diese Mahnung gibt es schon unter dem Gesetz, wie z. B. in den Worten, die der Herr in unserem Kapitel aus 2. Mose 20 - 21 anführt. Auch der Apostel Paulus ermahnt die Kinder zum Gehorsam. Er benutzt dabei auch diese Stelle und fügt hinzu: „Welches das erste Gebot mit Verheißung ist, damit es dir wohl ergehe und du lange lebest auf der Erde“ (Eph 6,1-3).

Das war eine Verheißung für Israel, die irdische Segnungen verhieß. Die den Christen gegebenen Verheißungen dagegen sind unendlich höher, denn sie sind geistlich und himmlisch. Ihr Genuss ist nicht auf unser kurzes Leben beschränkt, sondern wird ewig sein. In Kolosser 3,20 bekräftigt der Apostel die gleiche Ermahnung mit den Worten: „denn dies ist wohlgefällig im Herrn.“ Und in 1. Timotheus 5,8 fügt er die Warnung hinzu: „Wenn aber jemand für die Seinen und besonders für die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlechter als ein Ungläubiger.“ Wie kann ein Kind seine Eltern unterstützen und für sie besorgt sein, wenn es ihnen in der Jugend nicht gehorcht hat? In erster Linie ist es der Gehorsam, der beweist, ob die Kinder ihre Eltern lieben. Wie oft findet man, sogar in christlichen Familien Verhältnisse vor, die aus der Missachtung des Wortes Gottes hervorgegangen sind. Ungehorsam gegen die eigenen Eltern ist Ungehorsam gegen Gott! Wenn man sich dem, was Gott gesagt hat, nicht unterwerfen möchte, dann handelt man so, als wäre man weiser als Gott und erhebt sich über Ihn. Das kann zu ernsten Züchtigungen führen. „Ein Auge, das den Vater verspottet und den Gehorsam gegen die Mutter verachtet, das werden die Raben des Baches aushacken und die Jungen des Adlers fressen“ (Spr 30,17).

Die Quelle jeder Verunreinigung (15,12-14)

„Dann traten seine Jünger herzu und sprachen zu ihm: Weißt du, dass die Pharisäer Anstoß genommen haben, als sie das Wort hörten? Er aber antwortete und sprach: Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden. Lasst sie; sie sind blinde Leiter der Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, werden beide in eine Grube fallen“ (15,12-14).

Die Jünger berichteten dem Herrn Jesus, dass die Pharisäer sich über seine Worte geärgert hätten. Es konnte ja nicht anders sein, denn der Herr hatte ihr Gewissen getroffen, als Er sie offen der Heuchelei beschuldigte. Sie wollten nach außen hin durch die Beobachtung der Überlieferungen gerecht erscheinen und sich dadurch einen Schein der Heiligkeit schaffen. Der Herr hatte ihnen aber zu verstehen gegeben, dass der Mensch vor Gott nicht durch äußerliche Befleckung verunreinigt wird, sondern durch das, was aus dem eigenen Herzen hervorgeht.

Auf die Bemerkung der Jünger antwortete Er ihnen nun: „Jede Pflanze, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird ausgerissen werden. Lasst sie; sie sind blinde Leiter der Blinden. Wenn aber ein Blinder einen Blinden leitet, werden beide in eine Grube fallen.“ Es ist unmöglich, seinen eigenen Weg zu erkennen und andere richtig zu leiten, es sei denn durch das Licht des Wortes Gottes, das man in seiner vollen Autorität anerkannt haben muss. Wer da glaubt, ein geistlicher Führer zu sein, dabei aber die Schrift, oder wenigstens Teile davon, unbeachtet lässt, gerät auf Abwege, zum eigenen Verderben und zum Schaden derer, die ihm nachfolgen. Solche Führer haben sich selbst eingesetzt, aber der Herr wird sie wieder beseitigen. Er sagt von ihnen: „Lasst sie!“. Wenn sich jemand dem Wort Gottes nicht unterwirft, was nützt es da, mit ihm zu streiten? „Lasst sie!“

Das Herz des Menschen (15,15-20)

„Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Deute uns dieses Gleichnis. Er aber sprach: Seid auch ihr noch unverständig? Begreift ihr nicht, dass alles, was in den Mund eingeht, in den Bauch geht und in den Abort ausgeschieden wird? Was aber aus dem Mund ausgeht, kommt aus dem Herzen hervor, und das verunreinigt den Menschen. Denn aus dem Herzen kommen hervor böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerungen; diese Dinge sind es, die den Menschen verunreinigen, aber mit ungewaschenen Händen essen verunreinigt den Menschen nicht“ (15,15-20).

Petrus bat den Herrn, ihnen das soeben den Pharisäern vorgestellte Gleichnis (Verse 10-11) zu erklären. Sie verstanden noch nicht, was nach Gottes Gedanken die Quelle und der wahre Charakter jeder Verunreinigung ist. Denn sie waren gewohnt, nur äußere Dinge als Verunreinigung anzusehen, wovon man durch die im Gesetz verordneten Waschungen gereinigt wurde. Sie hatten nicht erkannt, dass dies nur Bilder der Wirklichkeit waren, so, wie Gott sie sieht. Die Sünde ist es, die den Menschen verunreinigt, und diese kommt aus dem natürlichen Herzen. Sie beginnt in bösen Gedanken und offenbart sich durch entsprechende Worte oder Handlungen.

Der 19. Vers enthält eine Aufzählung der schrecklichen Dinge, die aus dem Herzen hervorgehen können. Wie sehr sollten wir gegenüber dieser Quelle des Verderbnisses wachsam sein, damit wir nicht verunreinigt werden!

Zuerst werden die bösen Gedanken genannt. Sie sind Regungen des Herzens, die niemand außer Gott wahrnehmen kann. Aber sie bringen alle die hier aufgezählten groben Sünden hervor, die Gott verunehren, den Menschen entwürdigen und auf die Dauer das natürliche Gefühl von Gut und Böse in ihm zerstören. Hätte Kain den Hass, den er gegen seinen Bruder im Herzen trug, gerichtet, so wäre es nicht zum Brudermord gekommen. Deshalb sagt das Wort: „Jeder, der seinen Bruder hasst, ist ein Menschenmörder“ (1. Joh 3,15). Es ist von höchster Wichtigkeit, über sein eigenes Herz zu wachen. Salomo sagt: „Behüte dein Herz mehr als alles, was zu bewahren ist; denn von ihm aus sind die Ausgänge des Lebens“, d. h. die Gedanken des Herzens werden in der Praxis früher oder später ausgelebt (Spr 4,23).

Wir wachen sehr darüber, dass nichts Unreines in unseren Mund kommt. In noch höherem Maß aber sollten wir darauf achten, dass aus unserem Mund nichts Unreines hervorkommt, was uns und andere befleckt. Der Mund ist nur das Werkzeug, aber die Quelle ist das Herz. Lasst uns dieses Werkzeug doch nicht in den Dienst des Bösen stellen!

Die kananäische Frau (15,21-28)

„Und Jesus ging aus von dort und zog sich zurück in das Gebiet von Tyrus und Sidon; und siehe, eine kananäische Frau, die aus jenem Gebiet hergekommen war, schrie und sprach: Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen. Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Und seine Jünger traten herzu und baten ihn und sprachen: Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her. Er aber antwortete und sprach: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Sie aber kam und warf sich vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Er aber antwortete und sprach: Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen. Sie aber sprach: Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an“ (15,21-28).

Danach zog sich der Herr zurück in die Gegenden von Tyrus und Sidon. Auch hier war die Macht Satans wirksam. Dennoch fand sich bei einer armen Heidin der Glaube an die Macht des Herrn und an seine Gnade. Eine kananäische Frau kam ihnen entgegen und rief, als sie Ihn sah: „Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter ist schlimm besessen.“ Doch der Herr antwortete ihr nicht. Und zu den Jüngern, die sich nicht mit ihr beschäftigen wollten und sagten: „Entlass sie, denn sie schreit hinter uns her“, sprach Er: „Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt.“ Aber sie warf sich trotzdem vor Ihm nieder und bat: „Herr, hilf mir!“ Aber Er wies sie mit den Worten ab: „Es ist nicht schön, das Brot der Kinder zu nehmen und den Hunden hinzuwerfen.“ Sie aber sprach: „Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von den Brotkrumen, die von dem Tisch ihrer Herren fallen.“

Der Herr zeigte sich dem Hilferuf dieser Frau gegenüber scheinbar gleichgültig, damit sie den Platz als Sünder vor Gott einnehmen würde. Sie hat keinerlei Anrecht, von Gott eine Antwort zu erhalten, obwohl Er der Gott der Liebe ist. Diese Frau gehörte zu einem fremden Volk, das Israel beim Einzug in das Land Kanaan eigentlich hätte vernichten müssen. Trotzdem wandte sie sich an den Herrn Jesus als den Sohn Davids.

Der Herr wird als der Sohn Davids dem Volk Israel die verheißenen Segnungen bringen, wenn Er die Herrschaft antreten wird. Dabei wird Er die Feinde des Volkes vernichten. Als Sohn Davids konnte der Herr ihr also nicht antworten. Aber Er war auch der „Heiland der Welt“, der in Gnade gekommen und die Offenbarung der Liebe Gottes ist. Sobald sich der Glaube an diese Liebe wendet, die sich über alle Unterschiede der Abstammung und der Zeitalter erhebt, empfängt er von dem Gott der Gnade das, was der Sohn Davids einer kananäischen Frau nicht geben konnte. „Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Frau, dein Glaube ist groß; dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter war geheilt von jener Stunde an.“ Es fiel weit mehr von dem Tisch der Juden als nur Brotkrumen. Die Juden wiesen als Volk alle Speisen auf dem Tisch zurück. Aber diese Weigerung führte zum Heil der Welt (vgl. Röm 11,11.12).

Wie war auch hier das Handeln unseres Herrn so vollkommen! Er, der als Messias für Israel gekommen war, hielt gegenüber einer Fremden diesen Charakter aufrecht. Aber als Gott der Gnade, der in seine gefallene Schöpfung herabgekommen ist, weist Er keinen zurück der zu Ihm kommt, vorausgesetzt, dass dieser den Platz eines Sünders einnimmt.

Der verlorene Sohn sprach: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir, ich bin nicht mehr würdig, dein Sohn zu heißen“ (Lk 15,21). Daraufhin ließ ihm der Vater das beste Kleid anziehen.

Mephiboseth beugte sich vor David nieder und sprach: „Was ist dein Knecht, dass du dich zu einem toten Hund gewandt hast, wie ich einer bin?“ (2. Sam 9,8). Da aber nahm David ihn auf, damit er beständig an seinem Tisch esse.

Wie wunderbar ist doch die Liebe Gottes! Gerade weil es verlorene Sünder gibt, die keine Kraft besitzen, um sich selbst zu retten, ist der Heiland gekommen, um ein Werk zu tun, aufgrund dessen Gott allen Menschen Gnade erweisen kann.

Die Speisung der Viertausend (15,29-39)

„Und Jesus ging von dort weg und kam an den See von Galiläa; und als er auf den Berg gestiegen war, setzte er sich dort. Und große Volksmengen kamen zu ihm, die Lahme, Blinde, Krüppel, Stumme und viele andere bei sich hatten, und sie legten sie zu seinen Füßen nieder; und er heilte sie, so dass die Volksmenge sich verwunderte, als sie sah, dass Stumme redeten, Krüppel gesund geworden waren und Lahme umhergingen und Blinde sahen; und sie verherrlichten den Gott Israels. Als Jesus aber seine Jünger herzugerufen hatte, sprach er: Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage weilen sie bei mir und haben nichts zu essen; und ich will sie nicht hungrig entlassen, damit sie nicht etwa auf dem Weg verschmachten. Und die Jünger sagen zu ihm: Woher nehmen wir in der Einöde so viele Brote, um eine so große Volksmenge zu sättigen? Und Jesus spricht zu ihnen: Wie viele Brote habt ihr? Sie aber sagten: Sieben, und wenige kleine Fische. Und er gebot der Volksmenge, sich auf der Erde zu lagern. Und er nahm die sieben Brote und die Fische, dankte und brach sie und gab sie den Jüngern, die Jünger aber gaben sie den Volksmengen. Und sie aßen alle und wurden gesättigt; und sie hoben auf, was an Brocken übrig blieb, sieben Körbe voll. Die aber aßen, waren viertausend Männer, ohne Frauen und Kinder. Und als er die Volksmengen entlassen hatte, stieg er in das Schiff und kam in das Gebiet von Magada“ (15,29-39).

Jesus verließ die Gegend von Tyrus und Sidon wieder und kam nach Galiläa. Die Bewohner dieses Teiles Palästinas wurden von den Juden in Judäa verachtet, wie wir bei der Betrachtung von Kapitel 4, 12-17, gesehen haben. Aber gerade dort war ein „großes Licht“ aufgegangen. „Und als er auf den Berg gestiegen war, setzte er sich dort. Und große Volksmengen kamen zu ihm, die Lahme, Blinde, Krüppel, Stumme und viele andere bei sich hatten, und sie legten sie zu seinen Füßen nieder; und er heilte sie, so dass die Volksmenge sich verwunderte ... Und sie verherrlichten den Gott Israels.“ Wo sich Glaube findet, antwortet der Herr den Bedürfnissen. Aber die heuchlerischen Pharisäer in Jerusalem ließ Er wegen ihres Unglaubens ohne Antwort.

Der HERR hatte gesagt: „Seine Speise will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen“ (Ps 132,15). In Erfüllung dieses Wortes rief der Herr seine Jünger herbei und sprach zu ihnen: „Ich bin innerlich bewegt über die Volksmenge, denn schon drei Tage weilen sie bei mir und haben nichts zu essen; und ich will sie nicht hungrig entlassen, damit sie nicht etwa auf dem Wege verschmachten.“ Auch hier sieht man, mit welchem Mitgefühl der Herr von allen Bedürfnissen Kenntnis nimmt. Er hatte sogar gezählt, wie viele Tage die Volksmenge bei Ihm war. Und Er, der vierzig Tage lang gefastet hat, weiß, was Hunger ist. Niemals schickt Er jemand, der zu Ihm kommt, leer fort. Es ist kostbar für uns, zu wissen, dass der Herr auch heute noch derselbe ist. Die Herrlichkeit, die Ihn jetzt umgibt, lässt Ihn keinen seiner Geliebten übersehen oder vergessen. Die Jünger hatten die in Kapitel 14 erwähnte Speisung der Fünftausend vergessen und sagten zu Ihm: „Woher nehmen wir in der Einöde so viele Brote, um eine so große Volksmenge zu sättigen?“ Hier antwortete der Herr nicht wie im vorigen Kapitel: „Gebt ihr ihnen zu essen“; sondern Er fragte sie: „Wie viele Brote habt ihr?“ Sie antworteten: „Sieben, und wenige kleine Fische.“ Dann gebot Er der Volksmenge, sich auf die Erde zu lagern, dankte, brach die Brote und gab sie den Jüngern, damit sie diese der Volksmenge austeilten. Als alle gesättigt waren, blieben so viele Brocken übrig, dass sie davon sieben Handkörbe voll einsammeln konnten. Viertausend Männer, außer den Frauen und Kindern, waren es, die gesättigt wurden.

Bei der ersten Speisung waren es fünf Brote, zwölf Handkörbe voll Brocken und fünftausend Männer. Hier sind es sieben Brote, sieben Körbe und viertausend Männer. Die Zahl fünf wird in der Heiligen Schrift vielfach in Verbindung mit Schwachheit genannt. Die Zahl zwölf steht in Verbindung mit einer dem Menschen anvertrauten Verwaltung: z.B. zwölf Stämme Israels, zwölf Jünger.

Die erste Speisung erinnert an die Verantwortung der Jünger, die der Herr ihnen mit den Worten übertragen hatte: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Obwohl sie nur geringen Vorrat hatten, war es doch mehr als genug, weil der Herr selbst der Geber war. In diesem Kapitel dagegen handelte der Herr gemäß seiner göttlichen Macht; das uns die göttliche Seite vorstellt. Deshalb sind es sieben Brote und sieben Handkörbe, denn die Zahl sieben stellt die göttliche Vollkommenheit dar. Diese Einzelheiten sind nicht bedeutungslos, sie zeigen in allem die Vollkommenheit des Wortes Gottes. Und wenn uns etwas unverständlich ist, so ist es, weil wir gegenüber den Vollkommenheiten der göttlichen Offenbarung zu wenig erkannt haben.

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