Der verheißene König und sein Reich
Kommentar zum Matthäus-Evangelium

Kapitel 9

Der verheißene König und sein Reich

Die Heilung eines Gelähmten (9,1-8)

„Und er stieg in ein Schiff, setzte über und kam in seine eigene Stadt. Und siehe, sie brachten einen Gelähmten zu ihm, der auf einem Bett lag; und als Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Sei guten Mutes, Kind, deine Sünden werden vergeben. Und siehe, einige von den Schriftgelehrten sprachen bei sich selbst: Dieser lästert. Und als Jesus ihre Gedanken sah, sprach er: Warum denkt ihr Böses in euren Herzen? Denn was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden werden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Gewalt hat, auf der Erde Sünden zu vergeben - . Dann sagt er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett auf und geh in dein Haus. Und er stand auf und ging in sein Haus. Als aber die Volksmengen es sahen, fürchteten sie sich und verherrlichten Gott, der den Menschen solche Gewalt gegeben hat“ (9,1-8).

Der Herr setzte an das andere Ufer über und kam nach Kapernaum, seiner eigenen Stadt (vgl. Kap 4,13). Dort brachten sie einen Gelähmten liegend auf einem Bett zu Ihm. „Und als Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Sei guten Mutes, Kind, deine Sünden werden vergeben.“ Auch hier sehen wir, wie der Herr dem Glauben antwortet. In diesem Fall war es der Glaube derer, die den Kranken trugen. In Markus 2 sieht man, mit welcher Glaubens-Energie sie alle Hindernisse überwinden, um den armen Gelähmten in die Nähe des Herrn zu bringen.

Dieser Bericht enthält unter anderem eine Belehrung, die wir alle beherzigen sollen. Wir haben weiter oben gesagt, dass die Lähmung ein Bild der Unfähigkeit ist, in der sich jeder Mensch durch die Sünde befindet, wenn es darum geht, irgendetwas zu tun, um das Leben zu erwecken. Deshalb sollen alle, die das neue Leben schon besitzen, solchen helfen, die es noch nicht haben. So taten es auch diese Männer, die den Gelähmten in dem Glauben zum Herrn brachten, damit Er ihn heilen würde.

Jeder von uns kann etwas dazu beitragen, dass Sünder mit dieser heilenden Macht in Berührung kommen, indem er bei passender Gelegenheit zu ihnen vom Herrn spricht, sie vor allem im Gebet vor den Herrn bringt und sie veranlasst, die Verkündigung des Evangeliums zu hören oder indem er Traktate verteilt. Wir sollen jede Gelegenheit benutzen, Seelen zum Herrn zu führen. Wohl sind wir nicht in der Lage, andere zu bekehren, aber wir können ihnen den Weg des Heils zeigen. Lasst uns wie der Knecht im Gleichnis von Lukas 14,23 die draußen Stehenden nötigen, in das Haus des Abendmahls hereinzukommen. Lasst uns die Belehrung, die wir aus dem Glauben dieser Männer schöpfen können, nicht vergessen!

Als etliche der Schriftgelehrten den Herrn die Worte sagen hörten: „Deine Sünden sind vergeben“, beschuldigten sie Ihn bei sich selbst der Lästerung. Der Herr durchschaute ihre Gedanken und sprach: „Warum denkt ihr Böses in euren Herzen? Denn was ist leichter, zu sagen: Deine Sünden werden vergeben, oder zu sagen: Steh auf und geh umher? Damit ihr aber wisst, dass der Sohn des Menschen Gewalt hat, auf der Erde Sünden zu vergeben -. Dann sagt er zu dem Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett auf und geh in dein Haus. Und er stand auf und ging in sein Haus.“ Diese Schriftgelehrten sahen in der Person des Herrn Jesus nicht den HERRN, der sein Volk besuchte und von dem in Psalm 103,3 gesagt wird: „Der da vergibt alle deine Ungerechtigkeit, der da heilt alle deine Krankheiten.“ Der diese Macht hatte, Sünden zu vergeben, befand sich jetzt auf der Erde, als Sohn des Menschen, wie der Herr sich in seiner Verwerfung immer nennt. Für Ihn war es ebenso leicht zu sagen: „Deine Sünden werden vergeben“, wie zu sagen: „Steh auf und geh.“ In den Regierungswegen Gottes mit seinem irdischen Volk war jedes Gebrechen die Folge gewisser Sünden. Daher war die Heilung eines solchen Menschen gleichbedeutend mit der Vergebung der Sünden, die die Ursache seiner Gebrechen waren. Nur Gott allein konnte so etwas tun. Gott war in der Person Jesu erschienen, um ganz Israel zu heilen, wenn sie Ihn nur hätten aufnehmen wollen.

Die Volksmengen, die dieser Heilung beiwohnten, wurden von Furcht erfüllt und verherrlichten Gott, weil Er den Menschen eine solche Gewalt gegeben hatte. Daraus können wir aber noch nicht schließen, dass sie glaubten, dass der Sohn des Menschen der HERR sei. Die Menschen werden eher durch die Auswirkungen der Macht Gottes in Furcht versetzt, als dass sie durch seine Liebe angezogen werden. Die durch das Erleben der Wunder hervorgebrachten Gefühle können niemanden erretten. Dazu ist der Glaube an die Person des Herrn und an sein Wort nötig.

Die Berufung des Matthäus (9,9-13)

„Und als Jesus von dort weiterging, sah er einen Menschen am Zollhaus sitzen, Matthäus genannt, und er spricht zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach. Und es geschah, als er in dem Haus zu Tisch lag, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und lagen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern. Und als die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern? Als er es aber hörte, sprach er: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das ist: 'Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer'; denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (9,9-13).

Nur auf dem Boden der Gnade konnte der HERR in die Mitte seines Volkes treten, und auch sein Handeln entsprach dieser Gnade, die nicht danach fragt, was der Mensch ist. Um das Werk der Liebe und der Macht inmitten seines armen Volkes zu erfüllen, wollte sich der Herr Menschen als Apostel zugesellen, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. Dazu erwählte Er nicht Pharisäer oder Gesetzgelehrte, denn diese religiösen Menschen besaßen so wenig wie andere, was ihnen ein Anrecht auf eine solche Berufung hätte geben können. Der Herr berief einen Zöllner, einen von den Juden wegen seines Berufes verachteten Menschen. Es ist die Gnade, die ihn zum Dienst für den Herrn zubereiten will (vgl. Mk 1,17).

Die Zöllner hatten die Aufgabe, Zoll und Steuer für die Römer einzuziehen. Das taten sie oft gewissenlos und willkürlich. Deshalb erteilte ihnen Johannes der Täufer auch eine Ermahnung (Lk 3,13).

Die Juden, die das Joch der Römer so schwer ertrugen, verachteten alle, die sich aus ihrem eigenen Volk für dieses Amt zur Verfügung stellten. Sie setzten die Zöllner den Sündern und lasterhaften Menschen gleich und schlossen sie aus ihren Synagogen aus. Aber wenn sich Gott mit einem Menschen beschäftigen will, blickt Er weder auf seine Fehler, noch auf seine menschlich guten Eigenschaften. Der Herr kam, um allen Gnade zu bringen, weil alle ohne Unterschied verloren waren. Als die Pharisäer, die sich über andere erhaben glaubten, Jesus mit Zöllnern und Sündern am Tisch sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: „Warum isst euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern? Als Er es aber hörte, sprach Er: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das ist: ‚Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer'; denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder“ (vgl. Hos 6,6).

Welch eine herrliche Erklärung der Gnade, die in der Person des Herrn Jesus erschienen ist! Der Herr will Barmherzigkeit erweisen, denn Gott kann von dem durch die Sünde verunreinigten Menschen keine Opfer annehmen. Sobald jemand sich selbst als verlorenen Sünder erkannt hat, kann er zum Heiland kommen und empfängt bei Ihm die Vergebung seiner Sünden. Aber solange er sich für gerecht hält und in seinem Zustand des Verderbens bleibt, weiß er die Gnade nicht zu würdigen. Er befindet sich dann im Widerspruch mit dem Wort Gottes, das sagt: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer“ (Röm 3,10).

Neuer Wein und alte Schläuche (9,14-17)

„Dann kommen die Jünger des Johannes zu ihm und sagen: Warum fasten wir und die Pharisäer oft, deine Jünger aber fasten nicht? Und Jesus sprach zu ihnen: Können etwa die Gefährten des Bräutigams trauern, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es werden aber Tage kommen, da der Bräutigam von ihnen weggenommen sein wird, und dann werden sie fasten. Niemand aber setzt einen Flicken von neuem Tuch auf ein altes Kleidungsstück; denn das Eingesetzte reißt von dem Kleidungsstück ab, und der Riss wird schlimmer. Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche verderben; sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche, und beide bleiben zusammen erhalten“ (9,14-17).

Der Herr verglich die Stellung seiner Jünger mit der Stellung von Freunden eines Bräutigams am Tag der Hochzeit. Da seine Gegenwart sie mit Freude erfüllte, war es für sie nicht am Platz, zu fasten. Wer begriffen hatte, wer dieser göttliche Meister war und die Wirkungen seiner Gegenwart und seiner Tätigkeit genoss, konnte nicht fasten. Die Jünger waren die Gegenstände seiner Liebe. Sie hatten, wie Philippus zu Nathanael sagte, „den gefunden, von dem Mose in dem Gesetz geschrieben hat und die Propheten“ (Joh 1,45).

Wir sehen aus ihrer Frage, wie selbst die Jünger des Johannes nur wenig verstanden hatten, wer es war, von dem ihr Lehrer sagte: „Der Freund des Bräutigams aber, der dasteht und ihn hört, ist hocherfreut über die Stimme des Bräutigams; diese meine Freude nun ist erfüllt“ (Joh 3,29). In seiner Antwort an die Jünger des Johannes deutete der Herr aber auch seine Verwerfung an, die für seine Jünger Tage der Trauer und des Fastens herbeiführen wird (vgl. Joh 16,16-22).

Durch die Bilder der Verse 16 und 17 zeigt der Herr, dass die Gnade, die Er brachte, eine vollständig neue Sache ist. In den gesetzlichen Formen des Judentums findet eine solche Gnade keinen Raum und passt auch nicht zu der Selbstgerechtigkeit der Pharisäer.

„Niemand aber setzt einen Flicken von neuem Tuch auf ein altes Kleidungsstück … Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche; sonst zerreißen die Schläuche, und der Wein wird verschüttet, und die Schläuche verderben; sondern man füllt neuen Wein in neue Schläuche, und beide bleiben zusammen erhalten.“ Die aus Tierhäuten hergestellten Schläuche, die man im Orient zur Aufbewahrung von Flüssigkeiten benutzt, vertragen die Kraft des gärenden neuen Weines nicht mehr, wenn sie alt und gebraucht sind. An diesem Beispiel veranschaulicht der Herr, dass unter der Haushaltung der Gnade, die Er im Begriff stand einzuführen, alles neu sein muss. Das Gesetz richtete sich an den Menschen im Fleisch, um ihn auf die Probe zu stellen. Die Gnade steht im Gegensatz dazu. Sie sieht nicht den Menschen an, ob er Jude oder Heide sei, oder ob er religiös oder ein großer Sünder sei. Sie handelt vielmehr in freier Weise gegen alle, die die Gnade brauchen. Die Grundsätze der Gnade passen daher nicht in das System des Gesetzes.

Die Auferweckung der Tochter des Vorstehers (9,18-26)

„Während er dies zu ihnen redete, siehe, da kam ein Vorsteher und warf sich vor ihm nieder und sprach: Meine Tochter ist eben jetzt verschieden; aber komm und lege deine Hand auf sie, und sie wird leben. Und Jesus stand auf und folgte ihm, und seine Jünger. Und siehe, eine Frau, die zwölf Jahre an Blutfluss litt, trat von hinten herzu und rührte die Quaste seines Gewandes an; denn sie sprach bei sich selbst: Wenn ich nur sein Gewand anrühre, werde ich geheilt werden. Jesus aber wandte sich um, und als er sie sah, sprach er: Sei guten Mutes, Tochter; dein Glaube hat dich geheilt. Und die Frau war geheilt von jener Stunde an. Und als Jesus in das Haus des Vorstehers kam und die Flötenspieler und die lärmende Volksmenge sah, sprach er: Geht fort, denn das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Als aber die Menge hinausgeschickt war, ging er hinein und ergriff ihre Hand; und das Mädchen stand auf. Und die Kunde hiervon ging aus in jenes ganze Land“ (9,18-26).

Während der Herr dies redete, kam ein Synagogenvorsteher zu Ihm, der in den Evangelien Markus und Lukas Jairus genannt wird und sagt: „Meine Tochter ist eben jetzt verschieden; aber komm und lege deine Hand auf sie, und sie wird leben.“ Der Herr Jesus folgt diesem Wunsch direkt und kommt mit seinen Jüngern. Unterwegs aber näherte sich Ihm von hinten eine Frau, die zwölf Jahre lang blutflüssig war, und rührte die Quaste am Saum seines Kleides an (vgl. 4. Mo 15,37-39). „Denn sie sprach bei sich selbst: Wenn ich nur sein Gewand anrühre, werde ich geheilt werden. Jesus aber wandte sich um, und als er sie sah, sprach er: Sei guten Mutes, Tochter; dein Glaube hat dich geheilt. Und die Frau war geheilt von jener Stunde an.“

Im Haus des Jairus angekommen, fand Jesus eine lärmende Volksmenge vor. Wie es im Orient bei einem Sterbefall üblich war, so spielten auch hier die Flötenspieler ihre Klagelieder. Der Herr lässt alle hinausgehen und sprach: „Das Mädchen ist nicht gestorben, sondern es schläft. Und sie verlachten ihn. Als aber die Menge hinausgeschickt war, ging er hinein und ergriff ihre Hand; und das Mädchen stand auf. Und die Kunde hiervon ging aus in jenes ganze Land.“ Im Gegensatz zu denen, die den Herrn nicht erkannten, ist es erfreulich, den Glauben des Vaters zu sehen. Er wusste: Wenn Er meine verstorbene Tochter nur anrührt, wird sie zum Leben zurückkehren. Auch diese Frau war überzeugt: Wenn ich nur sein Kleid anrühren würde, könnte ich geheilt werden. Anderseits sehen wir hier mit Bewunderung die unermüdliche Liebe des Herrn Jesus, der stets bereit war, den Bedürfnissen, die Er vorfand, zu entsprechen. Das war seine Speise, die Freude seines eigenen Herzens.

Diese Begebenheiten enthalten - bildlich betrachtet - auch noch eine Belehrung über den Zweck des Dienstes des Herrn in Bezug auf Israel. Das gestorbene Mädchen stellt den Zustand des moralischen Todes des Volkes dar. Der Herr war gekommen, Israel aufzuerwecken und es zum Leben zurückzurufen. Da Er aber verworfen wurde, wird sich dies erst in der Zeit des Endes erfüllen. Doch jetzt schon kann jeder, der, wie diese Frau den Ernst seines eigenen Zustandes erkennt und Glauben hat, von der Macht und der Liebe des Herrn zu seinem eigenen Heil Gebrauch machen. Das galt für alle Juden, die den Herrn damals annahmen und erstreckt sich in der Gnadenzeit auf alle, die glauben.

Die Heilung zweier Blinder und eines Stummen (9,27-31)

„Und als Jesus von dort weiterging, folgten ihm zwei Blinde, die schrien und sprachen: Erbarme dich unser, Sohn Davids! Als er aber in das Haus gekommen war, traten die Blinden zu ihm; und Jesus spricht zu ihnen: Glaubt ihr, dass ich dies tun kann? Sie sagen zu ihm: Ja, Herr. Dann rührte er ihre Augen an und sprach: Euch geschehe nach eurem Glauben. Und ihre Augen wurden aufgetan; und Jesus gebot ihnen ernstlich und sprach: Gebt Acht, niemand erfahre es! Sie aber gingen aus und machten ihn bekannt in jenem ganzen Land“ (9,27-31).

Diese Blinden stellen eine andere Seite des moralischen Zustandes sowohl des Volkes Israels als auch jedes anderen Menschen dar: Sie sind blind, unfähig, das in der Person des Herrn gekommene Licht zu erfassen. Nur unter der Einwirkung seiner Macht, die dem Glauben antwortet, ist dies möglich. Trotz des traurigen Zustandes Israels fanden alle, die sich an den Sohn Davids wandten, in Ihm die Antwort auf ihren Glauben und empfingen das, was Er eigentlich dem ganzen Volk schenken wollte: das Licht, das jedem noch nicht bekehrten Menschen fehlt.

Der Herr hat den geheilten Blinden verboten, von der Heilung anderen zu erzählen, wie Er es auch dem Aussätzigen ausdrücklich untersagt hatte (Kap 8,4). Trotzdem verbreiteten sie die Kunde von Ihm in dem ganzen Land. Der Herr wollte die Neugier der Volksmengen nicht erregen: Er war gekommen, um den Bedürfnissen der Sünder zu entsprechen, aber Er suchte nicht den Ruhm bei den Menschen. Aus dem gleichen Grund hatte der Herr (Kap 8,18), als eine große Volksmenge Ihn umringte, befohlen, an das andere Ufer zu fahren.

Ein stummer Mensch (9,32-34)

„Als sie aber weggingen, siehe, da brachten sie einen stummen Menschen zu ihm, der besessen war. Und als der Dämon ausgetrieben war, redete der Stumme. Und die Volksmengen verwunderten sich und sprachen: Niemals wurde so etwas in Israel gesehen. Die Pharisäer aber sagten: Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus“ (9,32-34).

Die Stummheit weist ebenfalls auf den moralischen Zustand des gefallenen Menschen hin, der genau so wenig sprechen kann, wie ein Blinder sehen kann. Er kann über die Liebe Gottes, über die Vollkommenheit des Herrn und über himmlische Dinge nichts aussagen, weil er das alles nicht kennt. Aber der Herr ist da, um ihn aus der Gewalt Satans zu befreien und ihn fähig zu machen, seine Schönheit zu sehen, Ihm zu folgen und - wie auch im Fall der Schwiegermutter des Petrus - Ihm zu dienen und auch von Ihm zu reden. Welch glücklicher Wechsel, dank der vollkommenen Gnade und Macht Gottes! Das ist wirklich ein Übergang vom Tod zum Leben, von der Finsternis zum Licht, von der Macht Satans zu Gott. Welche Ehre gebührt Gott dafür, jetzt und in der Ewigkeit!

„Und die Volksmengen verwunderten sich und sprachen: Niemals wurde so etwas in Israel gesehen. Die Pharisäer aber sagten: Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus.“ Wie die Gegenwart Satans der Welt erträglicher war als die Anwesenheit Jesu, so erfüllte seine Tätigkeit in Gnade und Liebe jetzt auch die hochmütigen Pharisäer, also die Religiösen unter dem jüdischen Volk, mit Hass und Eifersucht. Sie wurden sich in der machtvollen Gegenwart des Herrn ihrer eigenen Ohnmacht bewusst und fürchteten, dass ihr Ansehen vor den Menschen schwinden könnte. Um ihre angeblich göttliche Sendung in den Augen der Menschen zu retten, scheuten sie sich nicht, die Macht des Sohnes Gottes dem Teufel zuzuschreiben. Damit verwarfen sie Ihn endgültig und begingen die „Lästerung des Geistes“, wofür es keine Vergebung gibt (Kap 12, 31).

Schafe, die keinen Hirten haben (9,35-38)

„Und Jesus zog umher durch alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium des Reiches und heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen. Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und hingestreckt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Dann spricht er zu seinen Jüngern: Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende“ (9,35-38).

Trotz des Hasses, der sich gegen den Herrn richtete und offenbar machte, dass sein Volk nichts von Ihm wissen wollte, führte der Herr sein Werk aus, indem Er das Evangelium des Reiches in den Städten und Dörfern predigte. Seine Macht und seine Liebe standen jedem, der ihrer bedurfte, zur Verfügung. Er heilte jede Krankheit und jedes Gebrechen.

Bei allem Widerstand der religiösen Führer gab es doch Bedürfnisse unter dem Volk. „Als er aber die Volksmengen sah, wurde er innerlich bewegt über sie, weil sie erschöpft und hingestreckt waren wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Pharisäer, die im Volk die Stellung von Hirten eingenommen hatten, kümmerten sich nicht um die Herde. Sie beuteten vielmehr das Volk zu ihrem persönlichen Gewinn aus. Schon im Alten Testament (Hes 34) hatte sie der HERR deswegen getadelt und die Ankunft des guten Hirten, der sich der Schafe annehmen würde, angekündigt. Die Bosheit der Führer des Volkes, ihre Untreue gegenüber der Herde, ihr Hass gegen den Herrn, waren für Ihn nur ein Grund mehr, das Werk der Liebe an den Hilfsbedürftigen zu erfüllen. Deshalb sprach Er zu seinen Jüngern: „Die Ernte zwar ist groß, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende.“

Wie bewunderungswürdig ist doch diese unermüdliche Liebe des Herrn! Sie ist wie eine erfrischende, klare Quelle, die ruhig ihren Lauf nimmt. Wenn sie an einen harten Felsen stößt, fließt sie an ihm vorbei, um ihre wohltuende Wirkung woanders hinzubringen. Begegnet diese Quelle der Gnade und des Lebens unter den Lesern etwa einem harten Herzen? Möge er sich doch durch die Güte Gottes erweichen lassen! Sie will ihn zur Buße leiten (Röm 2,4), damit die Quelle des Heils sich nicht für immer von ihm abwende.

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