Eine Auslegung des Markusevangeliums

Kapitel 13

In dem kurzgefassten Bericht, den Markus von der prophetischen Predigt unseres Herrn auf dem Ölberg und von den Fragen, die zu ihr führten, gibt, sehen wir, wie die bevorzugten Zuhörer – d. h. Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas – mehr als anderswo herausgestellt werden. Diese Genauigkeit in den Einzelheiten ist kennzeichnend für Markus, obwohl sein Evangelium das kürzeste ist.

Als Antwort auf ihre Frage, wann diese Dinge geschehen würden, nämlich die Zerstörung der großen Tempelgebäude, und was das Zeichen sei, wann dieses alles vollendet werden soll, warnte Er die Jünger davor, sich von irgendeinem Menschen verführen zu lassen. Diese Ermahnung ist allen drei Evangelisten, die uns diese Rede mitteilen, gemeinsam. Aber wir werden hier finden, dass die Warnungen und Belehrungen des Herrn offensichtlich in Hinsicht auf ihren Dienst vorgestellt werden. Das war im ganzen Markusevangelium der Fall. Christus selbst ist der vollkommene Knecht Gottes und der Prophet, der hienieden das Evangelium predigte und Werke tat, die dem Geist des Evangeliums entsprachen. So ist Er auch in seiner prophetischen Rede der Knecht, indem Er den Jüngern das gibt, was nicht nur für ihre Seelen, sondern auch für ihr Werk größte Bedeutung hat. Es handelt sich nicht nur um die Vorhersage kommender Gerichte, sondern auch um Vorauswarnungen und Ermahnungen bezüglich ihres Zeugnisses. Sie sollten sich vor Verführern hüten. Weiterhin sollten sie sich nicht durch äußere Erscheinungen, wie Kriege, Kriegsgerüchte, usw. beunruhigen lassen. Angesichts des einen oder anderen sollten sie wissen, dass das Ende noch nicht gekommen war.

Wenn es sich um die Versammlung (Kirche) handelt, wird der Nachdruck auf eine gerade entgegengesetzte Einstellung gelegt; denn für sie steht das Ende bevor. Die Sprechweise ist zu ihr ganz anders. Das ist bemerkenswert, denn der Christ weiß, dass diese unruhigen Zeiten des Endes über das jüdische Volk hereinbrechen und nicht über die Kirche. Sie sind die Vergeltung dafür, dass die Juden den wahren Christus verworfen haben. Im Gegensatz hierzu hat die Versammlung den wahren Christus angenommen und kommt deshalb nicht unter diese Gerichte. Darum wird dem Christen im Wort Gottes immer wieder die Gewissheit eingeprägt, dass das Ende aller Dinge unmittelbar bevorsteht. „Die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe“ (Röm 13,12).

Da die Jünger damals nicht als Christen, sondern als Stellvertreter des Überrests der jüdischen Jünger in den letzten Tagen gesehen wurden, bestand der Hauptgegenstand der Rede auf dem Ölberg für sie darin, dass trotz dieser Bedrängnis und dieser Unruhen, welche jener Katastrophe dieses Zeitalters vorausgehen, das Ende noch nicht da ist. Der Herr sorgte auf zweifache Weise für sie. Er gab ihnen Belehrungen, die damals und bis zur Zerstörung Jerusalems galten. Doch Er sorgte auch dafür, dass diese Belehrungen auf einen späteren Tag zutreffen, wenn Jerusalem ein zweites Mal belagert und wenigsten zu einem großen Teil noch einmal fallen wird. Gott wird die Geißel, die große assyrische Macht, senden. Der Assyrer wird wegen des Gräuels der Verwüstung über Jerusalem hereinbrechen.

„Denn Nation wird sich gegen Nation erheben und Königreich gegen Königreich. Es werden Erdbeben sein an verschiedenen Orten; es werden Hungersnöte sein. Dies ist der Anfang der Wehen“ (V. 8). Daher war das Ende noch nicht da. Doch Er wandte sich jetzt etwas vom Thema ab und führte eine Belehrung ein, die in den anderen Evangelien nicht in diesen Zusammenhang gebracht wird. Auch wenn es sich dort um etwas Ähnliches handelt, so wurde es doch zu einer früheren Zeit erwähnt. Es galt für eine Mission, auf die Er die Jünger aussandte und von der sie zurückgekehrt waren. Ich bezweifle keineswegs, dass der Herr diese Ermahnung auch dort vorstellte. Matthäus (Kap. 10) und Lukas (Kap. 12) wurden einfach von Gott angeleitet, uns ähnliche Worte woanders mitzuteilen. Markus wurde hingegen inspiriert, sie hier anzuführen. Der Herr gab zweifellos diese Belehrung wenigstens zu beiden Anlässen.

„Ihr aber, gebt Acht auf euch selbst: Sie werden euch an Synedrien und an Synagogen überliefern; ihr werdet geschlagen und vor Statthalter und Könige gestellt werden um meinetwillen, ihnen zum Zeugnis; und allen Nationen muss zuvor das Evangelium gepredigt werden. Und wenn sie euch hinführen, um euch zu überliefern, so sorgt euch vorher nicht, was ihr reden sollt, sondern was irgend euch in jener Stunde gegeben wird, das redet. Denn nicht ihr seid die Redenden, sondern der Heilige Geist. Und der Bruder wird den Bruder zum Tod überliefern und der Vater das Kind; und Kinder werden sich erheben gegen die Eltern und sie zu Tode bringen. Und ihr werdet von allen gehasst werden um meines Namens willen. Wer aber ausharrt bis ans Ende, der wird errettet werden“ (V. 9–13). Das ist ganz eindeutig eine Anleitung für ihren Dienst inmitten dieser prophezeiten Ereignisse. Es ist ebenso offensichtlich, dass diese Verse in einer ganz besonderen Weise zum Markusevangelium passen.

Danach kommen wir zur letzten Szene. „Wenn ihr aber den Gräuel der Verwüstung stehen seht, wo er nicht sollte – wer es liest, beachte es –, dann sollen die, die in Judäa sind, in die Berge fliehen (V. 14). Das ist die allgemeine Wahrheit, die wir auch anderswo finden. „Wer aber auf dem Dach ist, steige nicht in das Haus hinab und gehe nicht hinein, um etwas aus seinem Haus zu holen; und wer auf dem Feld ist, kehre nicht zurück, um sein Oberkleid zu holen. Wehe aber den Schwangeren und den Stillenden in jenen Tagen! Betet aber, dass es nicht im Winter stattfinde; denn jene Tage werden eine Drangsal sein, wie sie seit Anfang der Schöpfung, die Gott schuf, bis jetzt nicht gewesen ist und nichtwieder sein wird. Und wenn nicht der Herr die Tage verkürzt hätte, so würde kein Fleisch errettet werden; aber um der Auserwählten willen, die er auserwählt hat, hat er die Tage verkürzt“ (V. 15–20).

Es folgt eine Warnung, die nicht mehr so allgemein ist wie bisher, sondern bestimmter. „Und dann, wenn jemand zu euch sagt:,Siehe, hier ist der Christus! Siehe dort!, so glaubt es nicht. Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und werden Zeichen und Wunder tun, um wenn möglich die Auserwählten zu verführen“ (V. 21–22). Offensichtlich gibt es noch ein letztes Auftreten, eine neue Wolke dieser Verführer in den letzten Tagen, ähnlich wie es früher schon einmal gewesen war und wovon die erste Prophezeiung sprach. Auf diese Weise sollen, wenn möglich, auch die Auserwählten verführt werden. Sie werden jedoch gewarnt: „Ihr aber gebt Acht! [Siehe,] ich habe euch alles vorhergesagt“ (V. 23).

Danach greift die Macht Gottes ein, um die Bosheit des Menschen zu beenden sowie auch die Drangsal abzubrechen. „Aber in jenen Tagen, nach jener Drangsal, wird die Sonne verfinstert werden und der Mond seinen Schein nicht geben“ (V. 24). Es mögen Bilder benutzt werden; doch es ist offensichtlich, dass hier Gott in Macht wirkt. Denn der Mensch kann diese Zeichen nicht hervorrufen, noch Satan. Gott allein kann die Quellen der Macht ändern oder mit ihnen umgehen. „Und die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte in den Himmeln werden erschüttert werden“ (V. 25). Der Sinn dieser Aussagen ist klar, auch wenn sie in bildlicher Sprache abgefasst sind. Es handelt sich um eine vollständige Umwälzung und Umkehrung der Regierungsgewalten.

„Und dann werden sie den Sohn des Menschen kommen sehen in Wolken mit großer Macht und Herrlichkeit. Und dann wird er die Engel aussenden und seine Auserwählten versammeln von den vier Winden her, vom Ende der Erde bis zum Ende des Himmels“ (V. 26–27). Es handelt sich immer noch um das jüdische Volk, bzw. den Überrest der Nation, die Auserwählten Israels. Darum wird hier das Gleichnis vom Feigenbaum angeführt. „Von dem Feigenbaum aber lernt das Gleichnis: Wenn sein Zweig schon weich wird und die Blätter hervortreibt, so erkennt ihr, dass der Sommer nahe ist“ (V. 28). Der Feigenbaum ist das anerkannte Symbol des Volkes Gottes. „Ebenso auch ihr, wenn ihr dies geschehen seht, so erkennt, dass es nahe an der Tür ist. Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis dies alles geschehen ist. Der Himmel und die Erde werden vergehen, meine Worte aber werden nicht vergehen“ (V. 29–31).

Doch der Herr berichtet uns in einer Ausdrucksweise, die diesem Evangelium angemessen ist, dass „von jenem Tag aber oder der Stunde weiß niemand, weder die Engel im Himmel noch der Sohn, sondern nur der Vater“ (V. 32). Er hatte völlig den Platz des Sohnes auf der Erde eingenommen. Ich denke nicht, dass sich diese Worte auf seinen höchsten Charakter als eins mit dem Vater beziehen, sondern auf den als Sohn und Prophet auf der Erde. Der Titel „Sohn“ wird in mehr als einer Hinsicht auf Christus angewandt. Er gilt für Ihn in der Gottheit; er gilt für Ihn als in die Welt geboren; und Er gilt für Ihn in der Auferstehung. Den zweiten Aspekt sehen wir hier. Im ersten Vers dieses Evangeliums lesen wir: „Jesu Christi, des Sohnes Gottes“. Ich zweifle nicht, dass dieser Ausdruck sich darauf bezieht, dass Er hienieden der Sohn Gottes war, der in der Zeit gezeugt wurde. Unter diesem Gesichtspunkt ist Er nicht der Eingeborene vom Vater, wie wir Ihn so oft im Johannesevangelium finden.

Wenn wir die Stelle von dieser Warte aus ansehen, dann haben wir wenig Schwierigkeiten zu verstehen, warum Er davon spricht, dass Er jene Stunde nicht kennt. Er redete in seiner Eigenschaft als Knecht an dem Platz, den Er hienieden einnahm – als Prophet, der Gott auf der Erde diente. Als solcher kannte Er jene Stunde nicht. Im Lukasevangelium lesen wir, dass Er sowohl an Weisheit als auch an Größe zunahm. „Und Jesus nahm zu an Weisheit und an Größe und an Gunst bei Gott und Menschen“ (Lk 2,52). Er war immer vollkommen. Er war vollkommen als Kind, vollkommen als junger Mann und vollkommen als Knecht. Aber nichtsdestoweniger war das alles etwas ganz anderes als das, was Ihm als Sohn, eins mit dem Vater in der Gottheit, zustand. So konnte Er hier, ohne seine innere Herrlichkeit zu beeinträchtigen, sagen, dass der Sohn jene Stunde nicht kennt, sondern nur der Vater.

Die Anwendung des vorigen Verses liegt dann darin: „Gebt Acht, wacht [und betet]“ (V. 33). Und dann gibt Er in den nächsten beiden Versen eine gleichnishafte Belehrung, die in bewundernswerter Weise diesem Evangelium angepasst ist „Wie ein Mensch, der außer Landes reiste, sein Haus verließ und seinen Knechten die Gewalt gab, einem jeden sein Werk“ (V. 34). Es wird nicht gesagt, dass Er einem jeden Gewalt gab. Er gab ihm sein Werk. Das harmoniert ausgezeichnet mit dem Markusevangelium. Christus war selbst der große Knecht. Doch jetzt war sein Dienst vorbei. Er stand im Begriff, wegzugehen und den Platz des Herrn im Himmel einzunehmen. So gab Er seinen Knechten Gewalt und allen Menschen ihr Werk. Alles und jedes wurde an seinen rechten Platz gestellt. Beachten wir, dass es hier nicht so sehr um Gaben geht, sondern um Werke!

„Wacht also, denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, abends oder um Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder frühmorgens; damit er nicht, wenn er plötzlich kommt, euch schlafend finde. Was ich aber euch sage, sage ich allen: Wacht!“ (V. 35–37). Das ist ein ausgesprochen passendes Wort für einen Knecht, der in Abwesenheit seiner Herrschaft, die weggegangen ist und das Haus verlassen hat, jedoch wiederkommen wird, wacht. So ist Markus vom Anfang bis zum Ende der Stimmung, dem Charakter und dem Thema seines Evangeliums treu. Es soll sogar in dem prophetischen Zeugnis des Herrn den vollkommenen Knecht zeigen und jene in einem Geist des Dienstes erhalten, die hienieden auf Ihn warten und für Ihn wachen. Die Jünger in ihrem damaligen Zustand standen allerdings nicht stellvertretend für die Christen, sondern für den Überrest in den letzten Tagen, der sich im wesentlichen in der gleichen Lage befinden wird wie sie zur Zeit der Rede unseres Herrn.

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