Das Evangelium nach Lukas

Kapitel 15

Das Evangelium nach Lukas

Wenn wir die ersten beiden Verse dieses Kapitels lesen, könnte es so scheinen, als hätten diese Worte über Gnade und Jüngerschaft die Zöllner und Sünder zu Ihm hingezogen, während die Pharisäer und Schriftgelehrten sich abgestoßen fühlten. Er nahm allerdings Sünder auf und aß mit ihnen; eine solche Handlungsweise entspricht genau dem Wesen der Gnade. Die Pharisäer machten ihre Bemerkung, um Ihn zu verhöhnen. Der Herr nahm sie an als ein Kompliment und fuhr fort, in Gleichnissen zu zeigen, daß Er nicht nur Sünder aufnahm, sondern sie auch ausdrücklich suchte. Ferner stellte Er anschaulich dar, welche Art von Empfang Sündern bevorsteht, die aufgenommen werden.

Zuerst das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Hier sehen wir in dem Hirten ein Bild des Herrn selbst. Die Neunundneunzig, die die Klasse der Pharisäer und Schriftgelehrten abbilden, wurden nicht in der Hürde, sondern in der Wüste zurückgelassen - einem Ort der Dürre und des Todes. Das eine Schaf, das verloren war, stellt die Klasse der Zöllner und Sünder dar, solche, die verloren sind und das auch wissen - den „Sünder, der Buße tut“. Der Hirte findet das Schaf. Er ist es, der dafür arbeitet und sich müht. Nachdem Er es gefunden hat, schützt Er es und bringt es nach Hause. Seine Schultern sind seine Sicherheit. Er bringt es heim, und dann beginnt Seine Freude. Niemals braucht Er zu sagen: „Trauert mit Mir, denn ich habe Mein Schaf verloren, das gefunden war.“

Es ist unmöglich, auf der Erde „neunundneunzig Gerechte“ zu finden, „die der Buße nicht bedürfen“, obwohl es traurigerweise leicht ist, neunundneunzig Leute zu finden, die sich einbilden, daß sie solche seien. Doch wenn sie auch gefunden werden könnten, so ist im Himmel mehr Freude über einen reuigen Sünder, als dort über sie sein könnte. All die Myriaden heiliger Engel haben niemals Anlaß zu solcher Freude gegeben wie ein bußfertiger Sünder. Wie setzt uns solche Gnade in Erstaunen!

Das Gleichnis von der verlorenen Silbermünze ist dem gleichen allgemeinen Thema gewidmet, enthält aber einige besondere Einzelheiten. Die Frau mit ihrer Tätigkeit im Haus versinnbildlicht mehr das persönliche Werk des Geistes in den Seelen von Menschen als das allgemeine Werk Christi. Der Geist zündet eine Kerze in dem dunklen Herzen an und bewirkt die Unruhe, die mit dem Finden des Silberstücks endet. Von der Freude wird hier gesagt, daß sie vor den Engeln ist. Das soll nicht heißen, daß es die Freude der Engel ist, es ist die Freude der Gottheit, vor der sie stehen.

Dann folgt das Gleichnis von dem „verlorenen Sohn“. Die ersten Worte sind bereits sehr bedeutend. Der Herr hatte vorher gesagt: „Welcher Mensch unter euch ... läßt nicht ... und geht?“ und „Welche Frau ... zündet nicht ... und sucht sorgfältig'?“ Nun konnte Er nicht sagen: „Welcher Mensch unter euch“, wenn er einen verlorenen Sohn hätte, der zurückkehrte, würde nicht laufen und ihm um den Hals fallen und ihn küssen“? Wir bezweifeln, daß irgendein Mensch so weit gehen würde wie der Vater in diesem Gleichnis. Die große Masse der Menschen würde es sicher nicht tun. Dieses Gleichnis enthüllt die Gnade unseres Gottes und Vaters. Es malt erneut ein Bild von dem Sünder, der Buße tut. Diesmal ist es uns gestattet, in gleichnishafter Form die Tiefen zu sehen, aus denen der Sünder gezogen wird, und zugleich die Höhen, zu denen er erhoben wird entsprechend dem Herzen des Vaters durch das Evangelium.

In dem besten Kleid sehen wir das Symbol unserer Annahme in dem Geliebten; in dem Ring das Symbol einer festgegründeten ewigen Beziehung, in den Schuhen das Zeichen der Sohnschaft, denn Diener betraten das Haus ihres Herrn mit bloßen Füßen. Das gemästete Kalb und die Fröhlichkeit geben dem Frohlocken des Himmels und im besonderen der Freude des Vaters Ausdruck. Der Sohn war moralisch und geistlich tot gewesen, doch jetzt wie jemand, der zu einem neuen Leben auferweckt war.

Wenn der jüngere Sohn ein Bild des bußfertigen Sünders ist, so veranschaulicht der ältere genauestens den Geist des Pharisäers. Der eine war hungrig und ging hinein, der andere war ärgerlich und blieb draußen. Die Entfaltung der Gnade teilt die Menschen immer in diese beiden Klassen ein - solche, die wissen, daß sie nicht würdig sind, und solche, die sich selbst für würdig halten und meinen, mehr verdient zu haben, als sie empfangen haben. Der älteste Sohn sagte: „Niemals hast du mir ein Böcklein gegeben, daß ich mit meinen Freunden fröhlich wäre.“ Er fand seine Gesellschaft und sein Vergnügen in einem Freundeskreis außerhalb der Gemeinschaft mit seinem Vater. Der einzige Unterschied lag im Charakter der Freunde - die des jüngeren Sohnes standen in üblem Ruf, während die Freunde des älteren vermeintlich als ehrbar galten. Der selbstgerechte Verfechter einer Religion hat durchaus nicht mehr wirkliche Gemeinschaft mit dem Herzen des Vaters als der verlorene. Schließlich ist er derjenige, der immer noch draußen ist, während der Bruder drinnen ist.

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