Das Evangelium nach Lukas

Kapitel 8

Das Evangelium nach Lukas

Die ersten Verse zeigen, wie gründlich und systematisch der Herr Jesus vorging, um Städten und Dörfern das Evangelium zu predigen. Er verkündigte das Reich Gottes, das voraussetzen würde, daß die Autorität Gottes aufgerichtet und das Heil des Menschen durch Gericht sichergestellt sein würde. Die Zeit für eine Predigt des Evangeliums nach 1. Korinther 15,1-4 war noch nicht gekommen, obwohl wir, die dieses Evangelium heute haben, noch das Reich Gottes in seiner gegenwärtigen Gestalt verkünden können. Die Zwölfe waren bei Ihm und erfuhren ihre Ausbildung unter Seinen Augen. Davon berichten die anderen Evangelien, doch nur Lukas erzählt, wie gewisse Frauen, die Seine befreiende Kraft erfahren hatten, Ihm nachfolgten und Ihm mit ihrer Habe dienten. Das wird sehr passend an dieser Stelle erwähnt, nachdem wir soeben über die Rettung der stadtbekannten Sünderin gehört haben.

In den Versen 4–15 haben wir das Gleichnis vom Säemann und seine Auslegung. Es enthüllt uns die Wirksamkeit der göttlichen Gnade durch das Wort Gottes, um die schönen Resultate hervorzubringen. Die Frucht, von der das Gleichnis spricht, ist nicht natürlich für den Menschen. Sie wird durch das Wort gebildet, und erst dann, wenn dieses Wort in vorbereiteten Herzen aufgenommen wird. In unserem natürlichen Zustand zeigen unsere Herzen Unempfindlichkeit, dem festgetretenen Weg vergleichbar, oder sie sind ohne jede ernsthafte Überzeugung, oder die Herzen sind von Sorgen oder Vergnügungen erfüllt. Ein Herz, das gleich dem guten Ackerfeld zubereitet ist, ist von dem Heiligen Geist Gottes erweckt und gebildet worden. Wenn es auf diese Weise „redlich“ gemacht ist, bewahrt und schätzt es das Wort, und schließlich wird Frucht hervorgebracht.

Vers 16 fügt die Tatsache hinzu, daß bei echter Aufnahme des Wortes sowohl Licht als Frucht hervorgebracht wird. Jede wahre Bekehrung bedeutet das Anzünden einer neuen Lampe in dieser dunklen Welt. Doch gerade wie Sorgen und Reichtümer

das Wort ersticken, so mögen einige „Gefäße“ – sie sprechen von Arbeit und täglicher Mühe – oder ein „Bett“ – es versinnbildlicht behagliche Ruhe – die angezündete Lampe verbergen. Jede Lampe aber, die durch das Aufnehmen des Wortes leuchtet, soll deutlich sichtbar zum Nutzen anderer ihr Licht von sich geben. Laßt uns alle das zu Herzen nehmen, denn es ist eine Tatsache, daß, wenn das Licht wirklich da ist, es nicht vollständig verborgen sein kann, wie Vers 17 deutlich macht. Wenn sich Jahr um Jahr nichts zeigt, kann nur eine Schlußfolgerung gezogen werden: da ist nichts, was sich zeigen könnte.

Aus all diesen Erwägungen müssen wir schließen, daß eine dringende Notwendigkeit besteht, das Wort richtig zu hören. Deshalb ist es so wichtig, wie wir hören. Nicht weniger bedeutsam ist natürlich auch, was wir hören, wie Markus 4,24 hervorhebt. Wenn wir nicht richtig hören, verlieren wir außerdem, was schon unser Besitz zu sein schien. Vers 18 stellt dies fest, und Illustrationen dazu finden wir, wie schon angeführt, in den Hörern vom Wegrand, auf dem Steinigen und unter den Dornen.

Die Verse 19–21 fügen eine weitere eindrucksvolle Tatsache hinzu: Wenn das Wort richtig aufgenommen wird, bringt es den Empfänger in Beziehung zu Christus selbst. Der Herr zeigt in deutlicher Weise, daß die Beziehung, die Er künftig anerkennen wird, nicht auf Fleisch und Blut, sondern auf geistliche Wirklichkeiten gegründet sein mußte – auf das Hören und Tun Seines Wortes. Dieser Gedanke wird in den Briefen weiter ausgebreitet. Paulus spricht von der „Kunde des Glaubens“ (Gal 3,2; Röm 10,8-17); Jakobus von Werken des Glaubens, denn „der Glaube ohne Werke ist tot“ (Jak 2,20). Wenn wir Matthäus und Markus befragen, werden wir wahrscheinlich zu dem Schluß kommen, daß diese Begebenheit, die Seine Mutter und Seine Brüder betrifft, nicht genau zu diesem Zeitpunkt stattfand. Die Reihenfolge bei Lukas beachtet hier wieder den moralischen Gesichtspunkt mehr als den historischen. Das im Glauben empfangene Wort bewirkt Frucht für Gott, Licht für die Menschen und führt zu einer echten Beziehung zu Christus selbst. Darin liegt eine moralische Reihenfolge.

Mit den Versen 22–25 kommen wir zu der Geschichte von dem Sturm auf dem Meer, der auf so wunderbare Weise beruhigt wurde. Wieder glauben wir eine moralische Begründung dafür zu erkennen, daß sie an dieser Stelle ihren Platz findet. Der Herr hatte gerade dargelegt, daß Er eine Beziehung zu Ihm nur noch auf geistlicher Grundlage anerkennen würde. In eine solche Beziehung waren die Jünger eingetreten. Nun mußten sie erfahren, daß damit Widerstand und Unannehmlichkeit in der Welt verbunden waren. Das Wasser des Sees wurde durch die Macht des Windes zu heftigen Wogen aufgepeitscht, wie auch Satan als „Fürst der Gewalt der Luft“ Menschen und Völker zu leidenschaftlichem Widerstand gegen Christus und alles, was mit Ihm verbunden ist, antreibt. Die Jünger kamen in diesen besonderen Sturm, weil sie mit dem Herrn einsgemacht waren.

Im Augenblick war das für sie eine erschreckende Erfahrung, die ihnen jedoch später viel zur Ermutigung gedient haben muß. Für den Herrn war sie eine Gelegenheit, Seine uneingeschränkte Macht über Wind und Meer zu entfalten, und somit auch jener Macht, die dahinter stand. Der Glaube der Jünger war gering in den kritischen Augenblicken. Sie dachten an ihre eigene Sicherheit, und bis jetzt hatten sie nur einen schwachen Begriff davon, wer Er war. Als später der Geist gegeben war, und sie alles klar sahen, mögen sie sich über ihre eigene Stumpfheit gewundert haben, daß sie Sein majestätisches Handeln so wenig erfaßt hatten. Wenn sie das besser vermocht hätten, würden auch ihre Herzen, gleich den Wassern des Sees, sich beruhigt haben.

Auf dem See triumphierte der Herr über die Macht Satans, indem Er den Elementen der Natur gebot. Nachdem Er im Land der Gadarener angekommen war, sah Er sich der gleichen Macht gegenüber, die hier durch Dämonen noch unmittelbarer über den Menschen ausgeübt wurde. Mit Widerstand war zu rechnen, doch die Kraft Seines Wortes war darüber erhaben. Dieser Mann stellt einen äußerst extremen Fall dämonischer Besessenheit dar. Seit „langer Zeit“ schon stand es mit ihm so; sie verlieh ihm übermenschliche Stärke, so daß gewöhnliche Zwänge ihn nicht zurückhalten konnten, sie trieb ihn an wüste

Örter und zu den Stätten des Todes – den Gräbern. Und nicht nur ein einzelner Dämon, sondern viele hatten ihn in ihrer Gewalt. Er war gleichsam zu einer Festung geworden, die durch eine ganze Legion von Dämonen energisch für den Satan verteidigt wurde. Als der Herr ihm begegnete, kam es in der Tat zu einer Kraftprobe.

Der Schrei des dämonisch gebundenen Mannes, durch den er Jesus als „Sohn Gottes, des Höchsten“ anerkannte, steht in auffallendem Gegensatz zu dem Ausruf der Jünger: „Wer ist denn dieser?“ Für die Dämonen gab es keinen Zweifel darüber, wer Er war, und sie wußten, daß sie den höchsten Gebieter vor sich hatten, der sie mit einem einzigen Wort in die „Tiefe“ oder den „Abgrund“ hätte verbannen können. Statt dessen erlaubte Er ihnen, in die Schweine zu fahren. Das bedeutete Befreiung für den Mann, aber Unheil für die Schweine. Zugleich war es auch eine Demütigung für die Dämonen, ihre Behausung von einem Menschen in eine Schweineherde zu wechseln, und auch das war nur für einige Minuten, da die Schweine sich in den See stürzten und ertranken. Satan beabsichtigte vor vielleicht einer Stunde, den großen Meister und Seine Jünger in den See zu versenken, doch dann kamen die Schweine um, deren seine dämonischen Geister sich bemächtigt hatten.

Gerade so wie der Wind und das Wasser Seinem Wort gehorcht hatten, so mußten auch die Dämonen gehorchen. Der Mann war vollständig befreit und sein ganzes Wesen verändert. In den Worten „zu den Füßen Jesu sitzend, bekleidet und vernünftig“ erkennen wir ein liebliches Bild von dem, was die Gnade zustandebringt für Menschen, die bis dahin von der Macht Satans gefangen gehalten waren. Wir können in diesem befreiten Mann auch noch eine andere Besonderheit betrachten, die unserer Situation heute entspricht. Es ist uns bis jetzt nicht erlaubt, bei unserem Befreier zu sein. Wir müssen zu unseren Freunden zurückkehren und ihnen zeigen, was mit uns geschehen ist. Je gründlicher der Wechsel ist, wie im Fall dieses Mannes, desto wirksamer wird ein solches Zeugnis sein.

Bei den Gadarenern, die ihre Schweine verloren hatten, war das Zeugnis allerdings vergeblich. Schweine schätzten sie, Gnade bedeutete ihnen nichts, deshalb lehnten sie den Befreier ab. Jesus nahm ihre Zurückweisung an und kehrte zur anderen Seite des Sees zurück, um dort Seine Gnade weiter zu entfalten.

Die Jünger hatten den Triumph ihres Herrn über die gegnerische Macht sowohl auf dem See als auch im Land der Gadarener miterlebt. Jetzt sollten sie noch weitere Triumphe am Seeufer von Kapernaum sehen. Die Unterwelt der Dämonen hatte Seine Macht ebenso anerkannt wie die Elemente der Natur. Jetzt waren es Krankheit und Tod, die in Seiner Gegenwart weichen mußten. Dabei ist beachtenswert, daß jemand, der als erster zu dem Herrn kam, den Segen aber nicht zuerst empfing.

Jairus war ein echter Sohn Israels. Der Tod bedrohte sein Haus. Er wandte sich an den Herrn, der seinem Hilfeersuchen sofort nachkam. Auf dem Weg dorthin wurde Jesus von dieser Frau aufgehalten, deren Name nicht genannt wird. Sie litt an einer unheilbaren Krankheit. Daß sie Ihn im Glauben berührte, brachte ihr augenblickliche Heilung. Obwohl sie später ankam und ungewöhnlich handelte, war sie die erste, die die befreiende Gnade des Herrn an sich erlebte. Wir dürfen hier eine Ähnlichkeit mit Gottes gegenwärtigen Wegen erkennen. Während Er noch dabei ist, die „Tochter Israels“ zu Leben und Segen aufzuerwecken, kommen andere, hauptsächlich Heiden, und begegnen Ihm im Glauben und erlangen den Segen.

Es war nur eine Berührung, und es war nur die Quaste Seines Kleides, doch der Segen fiel ihr in vollem Maß zu. Was hier geschah, veranschaulicht die Tatsache, daß das Maß unseres Glaubens nicht über das Maß des Segens entscheidet, den die Gnade verleiht, denn sie wurde vollkommen geheilt. Wir sehen auch, daß eine Berührung an sich noch nichts bringt, denn aus dem Einwand des Petrus geht hervor, daß viele Leute aus verschledenen Gründen in Kontakt mit Ihm gekommen waren. Allein die Berührung aus Glauben zählte. Mit anderen Worten, Glaube war das Entscheidende, und darin können wir uns auch heute noch üben, obwohl die Berührung des Glaubens jetzt nur geistlicherweise, nicht physischerweise erfolgen kann.

Die Frage des Herrn Jesus veranlaßte die Frau zu bekennen. Entsprechend dem Geist dieses Evangeliums mußte dem Glauben ihres Herzens ein Bekenntnis ihrer Lippen folgen, und das brachte ihr den Segen ein, denn sie hörte die Worte: „Dein Glaube hat dich geheilt; gehe hin in Frieden.“ Ohne dieses Wort hätte sie befürchten können, daß die Plage von neuem ausbrechen würde. Ihr Glaube, wie er sich in der Berührung zeigte, brachte ihr die Heilung; aber ihr Bekenntnis ließ sie das Wort der Zusicherung hören, das ihrem Herzen Ruhe gab. Wie viele mag es heutzutage geben, denen volle Heilsgewißheit fehlt, weil sie nie den Mut hatten, Seinen Namen freimütig zu bekennen.

In diesem Augenblick kam die Nachricht, daß die Tochter des Synagogenvorstehers gestorben sei, und damit ergab sich eine neue Gelegenheit, die Bedeutung des Glaubens hervorzuheben. Für die Menschen macht der Tod jede Hoffnung zunichte. Aber das Wort des Herrn war: „Fürchte dich nicht, glaube nur.“ Für ihre Eltern und ihre Freunde war sie gestorben, für Ihn schlief sie nur. Doch gerade der Unglaube derer, die sie beweinten, zeigt uns, daß sie wirklich tot war, wie wir sagen. Die spottenden Ungläubigen wurden alle hinausgetrieben, und nur einige von denen, die glaubten, sahen Sein machtvolles Werk. Auf Sein Wort hin kehrte ihr Geist zurück, und das Leben wurde ihr wiedergegeben.

Sein Gebot, „niemand zu sagen, was geschehen war“, widersprach allen menschlichen Vorstellungen. Die Menschen lieben es, alles bekanntzumachen, nicht so der Herr. Er wirkte, um Gott bekanntzumachen, und nur der Glaube verstand Seine Werke und wurde dadurch befestigt.

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