Das Evangelium nach Lukas

Kapitel 12

Das Evangelium nach Lukas

Statt sich von der heftigen Gegnerschaft der Schriftgelehrten und Pharisäer herausfordern zu lassen, nutzte der Herr die Gelegenheit, Seine Jünger ruhig zu unterweisen, und das angesichts einer sehr großen Volksmenge, die von den Auseinandersetzungen angezogen worden war. Soeben hatte Er den Scheinwerfer der Wahrheit auf die religiösen Führer gerichtet. Nun richtete Er dasselbe Licht auf die Jünger und ihren Pfad.

An erster Stelle warnte Er sie vor Heuchelei, die Er vorher bei den Pharisäern entlarvt hatte. Sie ist tatsächlich ein „Sauerteig“, eine Art des Bösen, das, wenn es ungerichtet bleibt, gärt und um sich greift. Der Heuchler ist darauf aus, Dinge zuerst vor Gott „verdeckt“ und dann auch den Augen seiner Mitmenschen entzogen zu halten. Jede Sache wird jedoch ans Licht kommen, so daß Heuchelei auf die Dauer nutzlos ist. Doch wo sie vorkommt, wirkt sie sich letztlich fatal für einen Menschen aus, da er es mit Gott zu tun hat. Darum muß in moralischer Hinsicht vor ihr an erster Stelle gewarnt werden. Für den Jünger Christi darf es kein Zudecken irgendeiner Sache vor den Augen des Herrn geben.

An zweiter Stelle warnt Er sie vor Menschenfurcht (Verse 4-11). Er verschwieg ihnen nicht die Tatsache, daß sie abgelehnt und verfolgt werden würden. Wenn sie von Heuchelei frei wären in einer Welt, die weithin davon beherrscht wird, brauchten sie nicht auf volkstümliche Beliebtheit hoffen. Aber wenn sie andererseits vor den Augen Gottes nichts zudeckten, würden sie ohne Feigheit vor Menschen, die sie verfolgten, bestehen können. Wer Gott sehr fürchtet, fürchtet Menschen wenig.

Der Herr ermahnte Seine Jünger nicht nur, keine Menschenfurcht zu haben, Er machte sie auch mit Dingen bekannt, die sie für die vor ihnen liegende Aufgabe sehr zu ermutigen vermochten. In Vers 4 nannte Er sie „meine Freunde“. Sie wußten, daß sie Seine Jünger waren, Seine Diener, aber diese Anrede muß ihr Verhältnis zu Ihm in ein neues und tröstliches Licht gerückt haben. In der Kraft Seiner Freundschaft können sie und können auch wir der Feindschaft der Welt gegenübertreten. In den Versen 6 und 7 stellt Er ihnen dann in rührender Weise die Fürsorge Gottes ihrethalben vor. Sie ist so innig, daß selbst die Haare unseres Hauptes nicht nur gezählt, sondern sogar numeriert sind, was die eigentliche Bedeutung dieser Stelle ist.

In Vers 12 versichert Er ihnen, daß sie in Augenblicken dringender Not auf die besondere Belehrung des Heiligen Geistes rechnen könnten. Es würde nicht nötig sein, bei Anklagen vor den Behörden die Verteidigung sorgfältig vorzubereiten. Wenn sie auch dem Haß und Widerstand der Menschen ausgesetzt waren, so hatten sie doch wunderbare Vorzüge in der Freundschaft Christi, in der Fürsorge Gottes und in der Belehrung des Heiligen Geistes. Und dazu kam noch eine Belohnung: Wenn sie Christus vor feindseligen Menschen bekannten, würde der Herr sie vor den heiligen Engeln bekennen.

An diesem Punkt wurde Er in Seiner Rede von jemand unterbrochen, der von Ihm wünschte, daß Er sich seiner in einer Geldangelegenheit annähme. Wäre Er ein Sozialreformer oder Sozialist gewesen, für den manche Ihn gehalten haben, so hätte sich Ihm hier eine günstige Gelegenheit geboten, genaue Regeln für die Verteilung von Eigentum festzulegen. Er tat aber nichts dergleichen. Statt dessen entlarvte Er die Habsucht, die den Mann zu seinem Ersuchen verleitet hatte, und sprach das bekannte Gleichnis von dem reichen Toren. Größere Scheunen zu bauen, um alle Früchte aufzubewahren, die Gottes Güte ihm beschert hatte, entsprach genau der üblichen Klugheit. Alles für sich selbst aufzuhäufen und die göttlichen Reichtümer für die Seele zu vernachlässigen, das machte seine Torheit aus.

Der reiche Tor war von Habsucht erfüllt, da er von all seinen Gütern meinte, sie verbürgten ihm die Durchführung seines Programms - „ruhe aus, iß, trink, sei fröhlich“. Das ist genau das Programm des Durchschnittsmenschen in der Welt heutzutage - reichlich Muße, reichlich zu essen und zu trinken, viel Spaß und Vergnügen.

Nun ist aber der Gläubige „reich in bezug auf Gott“, wie Vers 32 sehr klar macht. Als der Herr daher in Vers 22 Seine Rede zusammenfaßte, begann Er damit, die Herzen Seiner Jünger all der Sorgen zu entheben, die für uns so natürlich sind. Da wir reich gemacht sind durch das Reich, sollte sich keine Habsucht bei uns finden. Und keine Sorge sollte uns belasten, weil wir in Gottes allgenugsamer Fürsorge stehen. „Euer Vater weiß“, waren die Worte des Herrn. So lehrte Er Seine Jünger, Gott zu erkennen als einen Vater, der Sein Interesse ihnen und all ihren Bedürfnissen hinsichtlich dieses natürlichen Lebens zuwandte.

Er tat dies, damit sie im Geist frei werden könnten, Dingen nachzugehen, die im gegenwärtigen Augenblick außerhalb dieses Lebens liegen. Es besteht kein Widerspruch zwischen den Versen 31 und 32. Das Reich ist uns gegeben, und doch sollen wir danach trachten. Wir müssen es suchen, weil es noch nicht offenbart ist. Folglich wird es nicht in den Dingen dieses Lebens gefunden, sondern liegt in den geistlichen und moralischen Realitäten, die sich denen erschließen, die unter die göttlliche Autorität gebracht sind. Dennoch soll das Reich eine in dieser Welt offenbare Wirklichkeit sein, und die Eigentumsurkunden sind dem Volk Gottes schon sicher. Da unsere Gedanken und unser Leben schon heute erfüllt sind mit den göttlichen Dingen und dem Dienst für Gott, trachten wir nach dem Reich Gottes.

Deshalb sollte das Leben der Jünger so verlaufen, daß es denen der Verfechter dieses Weltlebens genau entgegengesetzt war. Statt Vorräte aufzubewahren für eine sorglose Zeit des Genießens, soll der Jünger ein Spender sein, jemand, der Schätze im Himmel sammelt, dessen Lenden umgürtet sind zu Tätigkeit und Dienst und dessen Licht zum Zeugnis leuchtet. Er soll in der Tat einem Menschen gleichen, der auf die Rückkehr seines Herrn wartet. Wir haben bereits die Merkmale betrachtet, die uns nicht kennzeichnen dürfen; hier sind solche, die auf uns zutreffen sollen.

Als Knechte haben wir auf unseren Herrn zu warten, und nicht nur zu warten, wir haben auch zu wachen (V. 37), bereit zu sein (V. 40) und zu handeln (V. 43) - das zu tun, was der uns übertragenen Aufgabe entspricht. Die Zeit der Belohnung wird sein, wenn unser Herr zurückkehrt. Dann wird der Herr selbst es übernehmen, denen, die für Ihn gewacht haben, den vollen Segen auszuteilen. Vers 37 weist auf eine Belohnung im allgemeinen Sinn hin, während es in Vers 44 um eine mehr spezielle Belohnung für solche geht, die sich durch treuen und eifrigen Dienst nach den Erwartungen ihres Meisters ausgezeichnet haben.

Die Worte des Herrn an die Jünger reichen bis zum Schluß von Vers 53. Einige markante Punkte sind:

(1) Der Himmel wird den Jüngern erneut vorgestellt. Wie wir bemerkt haben, werden sie in Kapitel 10 belehrt, daß ihr Bürgertum in den Himmeln ist. Jetzt werden sie darin unterwiesen, so zu handeln, daß ihr Schatz im Himmel sein kann, und folglich auch ihr Herz. Sie sollen nach Grundsätzen leben, die denen des reichen Toren völlig entgegengesetzt sind.

(2) Der Herr hat während der ganzen Rede Seine Verwerfung vor Augen und kommt zum Ende hin deutlicher darauf zu sprechen (Verse 49-53). „Feuer“ ist symbolisch für das, was prüft und richtet, und durch Seine Verwerfung ist es bereits angezündet. Durch Seine „Taufe“ zeigte Er Seinen Tod an, und bis er vollbracht war, fühlte Er sich „beengt“. Erst nach vollendeter Sühnung konnten Liebe und Gerechtigkeit in voller Kraft hervorströmen. Aber dann, wenn das Feuer angezündet und die Taufe erfüllt war, würde alles zu einem Abschluß kommen und eine klare Grenzlinie gezogen sein. Er würde der Prüfstein werden, und selbst in den vertrautesten Kreisen würde es Entzweiung geben. Indem der Herr das alles vorwegnimmt, setzt Er Seine Abwesenheit voraus und spricht daher freimütig von Seinem zweiten Kommen.

(3) Auf die Frage des Petrus (V. 41) gab der Herr keine direkte Antwort. Er beschränkte Seine Ausführungen nicht ausdrücklich auf den kleinen Kreis Seiner Jünger, noch erweiterte Er ihre Gültigkeit auf die Juden, die rings umherstanden. Statt dessen verlegte Er das volle Gewicht Seiner Worte auf die Verantwortlichkeit Seiner Zuhörer. Wenn Menschen in der Stellung Seiner Knechte gefunden werden - ganz gleich, wie sie dorthin kommen - so werden sie nach ihren Werken belohnt werden, je nachdem, ob sie sich treu oder untreu erweisen. Der untreue Knecht wünscht nicht die Gegenwart des Herrn. Daraus folgt, daß er in seinem Denken Sein Kommen hinausschiebt. Nachdem er so ein verkehrtes Verhältnis zu seinem Meister eingenommen hat, stimmt auch seine Beziehung zu den Mitknechten nicht mehr, und auch in seinem persönlichen Leben tut er unrecht. Wenn der Herr kommt, wird Er ihm sein Teil setzen mit den Ungläubigen, da er sich ja selbst als ein Ungläubiger erwiesen hat. Die Verse 47 und 48 zeigen deutlich, daß Strafe ebenso wie Belohnung gerechterweise nach dem Grad der Verantwortlichkeit abgestuft sein wird.

(4) Die Kennzeichen des treuen Knechtes zeigen sich darin, daß er sich den Interessen seines Meisters widmet, während Er abwesend ist, und wartet auf dessen Belohnung, bis Er zurückkehrt. Dreimal erwähnt der Herr in Seiner Rede Essen und Trinken, und zwar als Bild für eine üppige Zeit. Der Weltmensch hat seine gute und fröhliche Zeit (Vers 19), die mit dem Tod endet. Der falsche Knecht hat seine gute Zeit, wenn er „zu essen und zu trinken und sich zu berauschen“ beginnt (V. 45), und beim Kommen seines Meisters ist sein Unglück besiegelt. Der Weltmensch war nicht nur fröhlich, er war auch betrunken, was noch schlimmer ist. Es ist eine Tatsache, daß, wenn unbekehrte Menschen die Stellung von Dienern Gottes einnehmen, sie viel leichter unter den berauschenden Einfluß verführerischer religiöser und philosophischer Ansichten geraten als irgend jemand sonst. Der treue Knecht wartet auf seinen Herrn; Er wird ihn sich zu Tisch legen lassen und dann selbst der Diener seiner Freude sein (V. 37). Dann wird seine gute Zeit da sein.

Von Vers 54 ab gelten die Worte des Herrn nicht mehr Seinen Jüngern, sondern der Volksmenge. Er richtet eine Warnung an sie. Sie waren in einer kritischen Lage und wußten es nicht. Die Wetterzeichen konnten sie deuten, aber die Zeichen der Zeit erkannten sie nicht. Indem sie den Herrn verwarfen, zwangen sie Ihn in die Stellung ihres „Widersachers“, gleichsam der Gegenpartei in einem Gerichtsprozeß. Wenn sie in ihrer Haltung verharrten, und der Fall kam vor den obersten Richter, würden sie alle ganz und gar im Unrecht sein und mit der schwersten Strafe belegt werden. Sie würden zu bezahlen haben bis zum „letzten Heller“.

Nächstes Kapitel »« Vorheriges Kapitel