Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Kapitel 24

Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Am Sonntagmorgen, ganz in der Frühe, kamen diese galiläischen Frauen und einige andere mit ihnen wieder zum Grab. Der Stein war weggerollt; den Leib Jesu fanden sie jedoch nicht. Sie blieben nicht allein; Engel erschienen ihnen. Zwei Männer in strahlenden Kleidern standen bei diesen verwirrten Heiligen. „Als sie aber von Furcht erfüllt wurden und das Angesicht zur Erde neigten, sprachen sie zu ihnen [welch ein Tadel wegen ihres Unglaubens!]: Was suchet ihr den Lebendigen unter den Toten? Er ist nicht hier, sondern ist auferstanden. Gedenket daran, wie er zu euch geredet hat, als er noch in Galiläa war, indem er sagte: Der Sohn des Menschen muss in die Hände sündiger Menschen überliefert und gekreuzigt werden und am dritten Tage auferstehen. Und sie gedachten an seine Worte“ (V. 5–8). Letzteres ist immer ein Hauptgegenstand im Lukasevangelium: Jeder Teil des Wortes Gottes, und insbesondere die Worte Jesu, sind zu allen Zeiten von ausdrücklicher Bedeutung.

Diese Nachricht wurde den Aposteln und den übrigen Gläubigen pünktlich mitgeteilt. Sie glaubten jedoch alle nicht. Wir sehen den Besuch des Petrus am Grab, (wobei Johannes ihn begleitete, wie er uns selbst berichtet; Joh 20). Er fand genug Bestätigung für die Botschaft und ging wieder weg, indem er sich über das verwunderte, was geschehen war.

Lukas schildert alsdann eine andere Begebenheit, die noch kostbarer und, jedenfalls in den Einzelheiten, nur bei ihm zu finden ist: Die Wanderung nach Emmaus, auf der sich Jesus den beiden niedergeschlagenen Jüngern anschloss, die sich auf dem Weg über den unersetzlichen Verlust, den sie erlitten hatten, unterhielten. Jesus hörte sich den kummervollen Bericht aus ihrem Mund an, stellte den Zustand ihrer Herzen heraus und öffnete dann die Schriften, anstatt einfach die Tatsachen als Beweismittel anzuführen. Die Anwendung der Schriften seitens des Herrn ist sehr bezeichnend. Das Wort Gottes war das wahrhaftigste, tiefgründigste und gewichtigste Zeugnis, obwohl der auferstandene Jesus selbst und in Ihm die lebendige Demonstration seiner Auferstehung anwesend war. Denn das geschriebene Wort Gottes ist, wie der Apostel zeigt (2. Tim 3), die einzige angemessene Sicherheit für die gefährlichen Zeiten der letzten Tage. Auch der geliebte Begleiter des Paulus beweist in dem Bericht von der Auferstehung den Wert der Schriften. Das Wort Gottes – in diesem Fall das Alte Testament in der Auslegung durch Jesus – ist das wertvollste Mittel, um die Gedanken Gottes sicher zu erkennen. „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nütze“, um uns „weise zu machen zur Seligkeit durch den Glauben, der in Christo Jesu ist“ (2. Tim 3, 15–16). Folglich legte unser Herr ihnen in allen Schriften die Stellen aus, die Ihn betrafen. Was für ein Muster von dem Wandel des Glaubens war jener Tag! Hinfort gab es keinen Messias mehr, der auf der Erde lebte, denn Er war gestorben und auferstanden und konnte nur noch durch den Glauben im Wort Gottes erkannt werden. Dies ist die große, lebendige Lektion, die unser Herr uns durch die Emmaus-Jünger lehrt.

Wir erfahren hier aber noch mehr. Woran kann man den Herrn erkennen? Es gibt nur einen Weg, der vertrauenswürdig ist. In der Christenheit leben Menschen, die sich genauso unwissend über Jesus auslassen wie ein Jude oder Mohammedaner. Unsere eigenen Tage zeigen, wie Männer und Frauen beredt über Jesus als Mensch auf der Erde sprechen und schreiben können, und dabei trotzdem Satan dienen. Sie verleugnen seinen Namen, seine Person und sein Werk und betrügen sich selbst, indem sie meinen, Ihn zu ehren. Ohne eine Spur von Glauben an seine Herrlichkeit und Gnade zu besitzen, gleichen sie den weinenden Frauen (Lk 23, 27). Deshalb ist es von großer Bedeutung, dass wir lernen, woran Er erkannt wird. So stellt Jesus uns den einzigen Weg vor, auf dem dies geschieht und auf den wir vertrauen dürfen. Nur darauf kann Gott sein Siegel legen. Das Siegel des Heiligen Geistes ist unbekannt ohne die Unterwerfung des Glaubens unter den Tod Jesu. Folglich brach unser Herr das Brot mit den beiden Jüngern. Das war nicht das Mahl des Herrn. Doch Jesus machte Gebrauch von diesem Akt des Brotbrechens in derselben bedeutungsvollen Weise, wie sie das Mahl des Herrn beständig vor uns bringt. Dabei wird, wie wir wissen, Brot gebrochen – das Zeichen seines Todes. Es gefiel Jesus, die Wahrheit seines Todes über den beiden Seelen in Emmaus aufleuchten zu lassen, als Er unter ihnen war. Sie erkannten Ihn am Brechen des Brotes – an dieser einfachen, aber vielsagenden Handlung, die seinen Tod versinnbildlicht. Nachdem Er das Brot gesegnet, gebrochen und an sie ausgeteilt hatte, wurden ihre Augen aufgetan; und sie erkannten ihren auferstandenen Herrn.

Es gibt hier noch einen dritten Punkt, den ich nur kurz berühren möchte: Nachdem Er sich ihnen durch das Zeichen seines Todes zu erkennen gegeben hatte, verschwand Er sofort vor ihren Augen. Auch das ist charakteristisch für uns Christen. Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen.

So stellt der große Evangelist diese Einzelheiten zu unserer Belehrung vor. Seine Aufgabe ist durchgehend, das zu entfalten, was in Sonderheit für das menschliche Herz zur jetzigen Zeit von großer Bedeutung ist und vor allem anderen die Herrlichkeit Gottes in Christus aufrechterhält. Die Schriften waren durch Jesus in vollkommener Weise ausgelegt worden. Die Herzen brannten, als sie von diesen wunderbaren Dingen hörten. Dennoch war es notwendig, in konzentrierter Form darzustellen, wie Gott die einzigartige Erkenntnis für den Menschen hervorhebt (und der ein Mensch trauen kann!), nämlich dass Jesus in dem Zeichen, das seinen Tod vor die Seele stellt, wahrgenommen wird. Der Tod Jesu ist die alleinige Grundlage für die Sicherheit eines sündigen Menschen. Das ist der wahre Weg für einen Christen, um Jesus kennen zu lernen. Alles, was nicht so weit geht, und überhaupt alles, was den Tod Christi als grundsätzliche Wahrheit verdrängt, ist falsch. Jesus ist tot und auferstanden. So muss Er auch bekannt sein, wenn wir Ihn richtig erkennen wollen. „Daher kennen wir von nun an niemand nach dem Fleische; wenn wir aber auch Christum nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt nicht mehr also“ (2. Kor 5, 16).

Wir sehen, wie daraufhin die Jünger noch zur selben Stunde nach Jerusalem zurückkehrten und dort die Elfe vorfanden, welche sagten: „Der Herr ist wirklich auferweckt worden und dem Simon erschienen“ (V. 34). Wir hören nichts von Galiläa. Im Matthäusevangelium ist Galiläa die Gegend, die besonders erwähnt wird. Ein verworfener Messias fand in Galiläa entsprechend der Prophetie den richtigen Platz. So war es während seines ganzen Lebens und öffentlichen Dienstes, wie Markus so auffallend zeigt. Auch nach seinem Tod und seiner Auferstehung nahm Er denselben Platz wieder ein und erneuerte dort die Beziehungen zu seinen Jüngern. Der gottesfürchtige Überrest der Juden sollte an jenem Ort seinen verworfenen Messias erkennen. Seine Auferstehung beendete nicht den Pfad der Verwerfung für den Überrest. Die Kirche kennt den Herrn in gesegneterer Weise als aufgefahren in die Höhe und als eins mit Ihm. Daher ist ihre Verwerfung noch offensichtlicher. Im Matthäusevangelium ist dagegen Galiläa das Zeichen für einen bekehrten jüdischen Überrest, bis Er kommt, um in Macht und Herrlichkeit zu regieren. Der Überrest der letzten Tage wird erkennen müssen, was es heißt, aus Jerusalem hinausgeworfen zu werden. Jene Erlösten erfahren als Ausgestoßene eine wahre Vertiefung des Glaubens und die rechte Vorbereitung des Herzens für den Empfang des Herrn, wenn Er auf den Wolken des Himmels erscheint. Lukas zeigt uns diese galiläische Zuflucht nicht. Wie Matthäus stellt Markus uns im Wesentlichen Galiläa als Schauplatz für das tätige Leben des Heilandes vor; denn dort hatte Er, wie gesagt, seinen Dienst hauptsächlich ausgeübt und nur gelegentlich in Jerusalem oder anderswo. Darum richtet der Evangelist des Dienstes Jesu die Aufmerksamkeit auf den Ort, wo Er am meisten gedient hatte, nämlich Galiläa. Aber selbst Markus spricht nicht ausschließlich von dieser Gegend. Lukas dagegen erwähnt bei dieser Gelegenheit Galiläa überhaupt nicht. Mir scheint der Grund dafür klar zu sein. Sein Thema ist der sittliche Zustand der Jünger, der Weg der Gnade Christi, der christliche Pfad des Glaubens, die Bedeutung des Wortes Gottes und die Person Christi. Und Christus kann nach den Gedanken Gottes nur in dem sicher erkannt werden, was von seinem Tod spricht. Dieser Tod muss auf jeden Fall die Grundlage von allem bilden.

Eine weitere Wahrheit musste festgestellt und bewiesen werden, nämlich die wirkliche Auferstehung dessen, der in der Mitte der Jünger stand mit einem „Friede euch!“  Die Auferstehung konnte nicht geschehen ohne seinen Tod. Er ist ihre Voraussetzung. Die Wahrheit von der Auferstehung musste verkündigt werden. So fand sie ihre volle Entfaltung in der nächsten Szene in Jerusalem. Der Herr Jesus kam in die Mitte der Seinen und nahm vor ihren Augen Nahrung zu sich. Sein Leib war da; Er war auferstanden. Wer konnte noch länger bezweifeln, dass wirklich derselbe Jesus vor ihnen stand, der gestorben war und bald in Herrlichkeit wiederkommen wird? „Sehet meine Hände und meine Füße, dass ich es selbst bin!“ (V. 39). Wir wissen, dass sich der Herr im Johannesevangelium noch weiter herabließ (Joh 20, 27). Dort ging es jedoch darum, sowohl dem Unglauben des Thomas zu begegnen, als auch eine geheimnisvolle sinnbildliche Bedeutung hinter dieser Handlung anzudeuten. Er wollte dem Jünger, der bei der vorherigen Gelegenheit abwesend war und noch zweifelte, zurechthelfen. Es ging um das  Sehen. In unserem Evangelium dreht sich indessen alles um die Wirklichkeit der Auferstehung und die Identität des auferstandenen Jesus mit der Person, die sie als ihren Lehrer gekannt hatten. Er war immer noch ein Mensch und kein Geist. Er hatte Fleisch und Gebein und konnte mit ihnen essen.

Danach sprach unser Herr erneut von dem, was Moses, die Propheten und die Psalmen über Ihn geschrieben hatten. Noch einmal wird das Wort Gottes in den Vordergrund gerückt. Doch stellte Er jetzt nicht nur zwei von ihnen, sondern allen den unaussprechlichen Wert des Wortes vor.

Er öffnete dann ihr Verständnis für die Schriften und gab ihnen ihren großen Auftrag. Sie sollten jedoch zunächst in Jerusalem bleiben, bis sie mit Kraft aus der Höhe ausgerüstet worden waren, nachdem Er ihnen die Verheißung des Vaters gesandt hatte. Der Herr sagt hier nicht: „Machet alle Nationen zu Jüngern, und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehret sie, alles zu bewahren, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 19–20). Diese Worte finden ihren passenden Platz bei Matthäus, obwohl – ja, in Wirklichkeit, weil – Er verworfen wurde. Der leidende, aber jetzt auferstandene Sohn des Menschen übernimmt das allumfassende Feld der Welt und sendet seine Jünger unter alle Nationen, um dort Jünger zu machen und im Namen der Dreieinigkeit zu taufen. Es geht nicht mehr um die alten Grenzen Israels und seine verlorenen Schafe, denn Er verbreitet die Erkenntnis seines Namens und seine Botschaft auch in den Gebieten außerhalb. Anstatt die Nichtjuden herbeizuführen, um ihnen die Herrlichkeit Jahwes über Zion zu zeigen, sollten sie diese im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, so wie Gott sich jetzt vollständig geoffenbart hat, taufen. Auch sollten sie die Völker nicht die Gebote Moses lehren, sondern „alles ... bewahren, was ich euch geboten habe.“

 In Lukas 24 lesen wir nicht wie in Markus 16, dass den Arbeitern ihr Werk anbefohlen wird, und ebenso wenig von den begleitenden Zeichen der gnädigen Macht Gottes. Denn hier hören wir die Botschaft eines gestorbenen und auferstandenen Heilands, des zweiten Menschen, den Schriften entsprechend. Daneben werden das sittliche Bedürfnis des Menschen vorgestellt und die Gnade Gottes, die im Namen des Herrn Buße und Vergebung allen Nationen oder Heiden verkündet. Wir haben gesehen, wie eng die Auferstehung unseres Herrn mit Jerusalem, wo Er gekreuzigt wurde, verbunden ist. Darum sollte auch die Predigt nach dem Willen des Herrn dort beginnen. Sie sollten also nicht von dieser schuldbeladenen Stadt weichen – der „heiligen Stadt“, die, ach, umso schuldiger ist, weil sie diesen Titel und dieses Vorrecht besaß. Jetzt verschwinden hingegen all diese Vorbehalte in Gegenwart der unendlichen Gnade Gottes kraft der Wirksamkeit des Todes Christi, der durch das Opfer seiner selbst die Sünde weggenommen hat. Wenn Christus und sein Werk angenommen werden, dann sind alle Segnungen sichergestellt. Deshalb sagt Er: „Also steht geschrieben, und also musste der Christus leiden“ (V. 46). Zweifellos war der Mensch über alle Maßen schuldig und ohne Entschuldigung. Doch es sollten außerdem die erhabenen Absichten Gottes erfüllt werden. So musste Christus am dritten Tag auferstehen und in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden gepredigt werden. Die Buße zeigt notwendigerweise das große sittliche Werk im Menschen an, während durch die Vergebung der Sünden Gott seine einzigartige Vorsorge der Gnade vorstellt, indem Er durch die Erlösung das Gewissen reinigt. Beides sollte in seinem Namen gepredigt werden. Welcher Mensch, der an das Kreuz glaubt und seine Bedeutung versteht, könnte noch länger von der Würdigkeit des Menschen träumen? Weit davon entfernt, eine solche anzuerkennen, begreift und bekundet die Buße, dass im Menschen – in mir – nichts Gutes wohnt. Die Buße wird durch die Gnade bewirkt und kann nicht vom Glauben getrennt werden. Dabei gibt ein Mensch sich selbst auf, weil Er durch und durch schlecht ist. Er stützt sich auf Gott, Der sich als durch und durch gut gegen den Schlechten erweist. Beide Gesichtspunkte werden in der Vergebung der Sünden durch Jesus, den die Menschen, Juden und Nichtjuden, kreuzigten und töteten, erwiesen. Daher sollte die Vergebung der Sünden verbunden mit Buße in Seinem Namen gepredigt werden. Sein Tod ist hierfür die einzige Vollmacht und Grundlage; und diese Lehre sollte allen Nationen verkündigt werden, anfangend bei Jerusalem.

Im Matthäusevangelium soll wohl der Gesichtspunkt einer Verwerfung der Stadt Jerusalem, der Verwerferin ihres Messias, herausgestellt werden. Darum beginnt der Überrest der Jünger mit der Predigt von dem Berg in Galiläa aus. Bei der Erfüllung dieser Aufgabe wurde ihnen die Gegenwart des Herrn bis zur Vollendung des Zeitalters verheißen. Erst dann wird ein Wechsel folgen. Bei Lukas verschwindet angesichts von Sünde und Elend alles bis auf die Gnade. Die bedingungslose Gnade beginnt demnach mit dem Ort, der sie am meisten benötigte; und Jerusalem wird ausdrücklich erwähnt.

Wir haben also gesehen, wie dieses Kapitel, wenn ich es so ausdrücken darf, das christliche System auf seine richtige Grundlage setzt, indem es seine Hauptkennzeichen mit treffender Kraft und Schönheit herausstellt. Es enthält noch mehr Einzelheiten von ähnlichem Charakter. Insbesondere erkennen wir unsere speziellen Vorrechte in den Jüngern, denen die Kraft des Heiligen Geistes und das Verständnis über die Schriften mitgeteilt wurden – letzteres schon damals, ersteres zu Pfingsten. „Dann öffnete er ihnen das Verständnis, um die Schriften zu verstehen, und sprach zu ihnen: Also steht geschrieben, und also musste der Christus leiden und am dritten Tage auferstehen ... und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber, bleibet in der Stadt, bis ihr angetan werdet mit Kraft aus der Höhe“ (V. 45–49). Der Heilige Geist wurde demnach noch nicht als eine Person, die in den Gläubigen wohnt, ausgesandt, sondern als eine Verheißung des Vaters angekündigt. Sie sollten in Jerusalem bleiben, um mit Kraft bekleidet zu werden. Das ist ein notwendiges Merkmal der christlichen Zeit. Es unterscheidet sich völlig vom geistlichen Verständnis, auf das schon hingewiesen wurde und welches auch in den Worten und Handlungen des Petrus in Apg 1 hervortritt. Im Johannesevangelium, wo die Person Jesu so glänzend aufstrahlt, wird mit wenigstens gleicher Deutlichkeit in den Kapiteln 14 und 16 hervorgehoben, dass auch der Heilige Geist eine Person ist. Lukas spricht nur von seiner Kraft. Er stellt uns die Verheißung von der Kraft des Geistes, der im Menschen wirken sollte, vor. Die Jünger mussten wie Christus „mit Heiligem Geiste und mit Kraft“  gesalbt sein (Apg 10, 38). Sie sollten auf die „Kraft aus der Höhe“  warten, die von dem auferstandenen und aufgefahrenen Menschen ausgeht.

Unser Herr wollte jedoch nicht, dass das Evangelium mit dieser, wenn auch herrlichen, Mitteilung endete. „Er führte sie aber hinaus bis nach Bethanien und hob seine Hände auf und segnete sie“ (V. 50). Dieser Ort war Ihm sehr kostbar; und Er schätzte ihn – beachte es gut! – nicht weniger nach seiner Auferstehung aus den Toten. Kein Fehler ist größer als die Annahme, dass ein Gegenstand der Zuneigung vor Seinem Tod, nach Seiner Auferstehung keinen Wert mehr für Ihn habe. Dieser Hinweis widerspricht demnach offen jenen Menschen, welche die Wirklichkeit eines Auferstehungsleibes und die ihm angemessenen Zuneigungen leugnen. Er war in der Tat ein echter Mensch, obschon der Herr der Herrlichkeit. Er führte sie hinaus bis nach Bethanien, dem Zufluchtsort des Heilandes, zu dem sein Herz sich in den Tagen seines Fleisches gerne zurückzog. „Und (er) hob seine Hände auf und segnete sie. Und es geschah, indem er sie segnete, schied er von ihnen und wurde hinaufgetragen in den Himmel.“  Er, der während seines Lebens die Herzen, die Ihm geweiht waren, mit Segen füllte, segnete sie auch noch, als Er bei seiner Aufnahme in den Himmel von ihnen getrennt wurde. „Und sie warfen sich vor ihm nieder.“  Das war die Frucht seines Segens und seiner großen Gnade. „Und (sie) kehrten nach Jerusalem zurück mit großer Freude; und sie waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend“ (V. 52–53). Es konnte nicht anders sein. Wenn Er uns segnet, dann teilt Er uns nicht nur einen Segen mit, sondern gibt uns auch die Kraft, um diesen als Lob zu Gott zurückkehren zu lassen. Das ist die Kraft der wahren Anbetung, die dem menschlichen Herzen auf der Erde von dem aus den Toten auferstandenen Herrn Jesus mitgeteilt wird. „Sie waren allezeit im Tempel, Gott lobend und preisend“  Sie waren in Leben und Liebe mit einer Person verbunden, deren Herrlichkeit weit über ihnen und jedem denkbaren Bereich auf der Erde stand. Bald sollten sie sogar mit Ihm eins gemacht und die Gefäße seiner Macht durch die Kraft des Heiligen Geistes werden, der diese Wahrheit zur rechten Zeit verkündigen sollte.

Möge der Herr sein Wort segnen und dafür sorgen, dass jene, die Ihn und sein Wort lieben, sich der Bibel mit mehr Vertrauen nähern! Wenn irgend etwas von dem, was hier gesagt wurde, den Nebel vor manchen Augen wegnimmt, zum Lesen des Wortes Gottes ermutigt, zum Verständnis desselben beiträgt oder beim Lesen in irgendeiner Weise hilft, dann wird mein kleines Werk – sowohl jetzt als auch für die Ewigkeit – nicht umsonst gewesen sein. Allein der Herr kann durch sein Wort heiligen. Es ist indessen schon ein großer Segen, wenn wir im Glauben erkennen, was das Wort Gottes wirklich ist. Es ist nicht, wie der Unglaube meint, ein Bereich der Finsternis und der Unsicherheit, für den man ein erhellendes Licht benötigt; denn es ist selbst ein Licht, welches das Dunkel durch die Kraft des Heiligen Geistes, der Christus offenbart, erleuchtet. Mögen wir erfahren, dass das Wort Gottes tatsächlich mit Christus, von dem es redet, übereinstimmt und ein notwendiges, wirkliches und irrtumsloses Licht für unsere Seelen darstellt! Außerdem ist es das alleinige, ausreichende und unumstößliche Zeugnis der göttlichen Weisheit und Gnade, wie sie sich in und durch Christus geoffenbart haben. In früheren Zeiten war die Wahrheit über die Person Christi der heftigste Kampfplatz und das alles beherrschende Thema des letzten Ringens der Apostel auf der Erde. Ich nehme es als ein Zeichen von großer Bedeutung, dass gerade diese Kämpfe zum Mittel wurden, durch welches der Geist Gottes wirkte, um eine tiefere und sich vertiefende Freude an der Wahrheit und Gnade Gottes zu geben. Ohne Zweifel wurde dadurch die Seele umso mehr erprobt, gleichzeitig aber auch der Gläubige nicht wenig gekräftigt; und wenn ich mich nicht gewaltig täusche, ist es auch heute noch so. Obwohl ich mich nicht rühmen kann, auf einen langen Weg als Christ zurückzublicken, erinnere ich mich doch noch an die Zeit, als fast alle – denn ich möchte nicht sagen „alle“ – sehr damit beschäftigt waren, kirchliche Irrtümer anzugreifen und die Kirche (Versammlung) betreffende und auch andere Wahrheiten, und zwar an ihrem Platz und zu ihrer Zeit wichtige Wahrheiten, zu verbreiten. Doch es waren Wahrheiten, die nicht unmittelbar die Seele auferbauten, noch direkt den Herrn selbst betrafen. Nicht wenige von denen, welche damals stark und mutig genug erschienen, sind heute wie vom Wind verweht. Auch wenn heute noch ein ähnliches Sichten stattfindet und bis zum Ende stattfinden wird, bin ich doch sicher, dass inmitten all dieser Schwierigkeiten und demütigenden Umstände Gott das Banner seines Sohnes erhebt für solche, die fest und treu sind. Gott hat gezeigt, dass Jesu Name, wie immer, ein Stolperstein für den Unglauben darstellt. Für den Einfältigen jedoch und geistlich Gesinnten ist er eine sichere und kostbare Grundlage. Der Herr gebe, dass sogar diese Untersuchungen der Evangelien, die notwendigerweise knapp und oberflächlich bleiben müssen, nichtsdestoweniger einen Anreiz nicht nur für jüngere, sondern auch für ältere Gläubige bieten! Denn sicherlich gibt es niemand, wie groß seine geistliche Reife auch sein mag, der nicht danach strebt, den besser kennen zu lernen, „der von Anfang ist“ (1. Joh 2, 13).

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