Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Kapitel 13

Einführende Vorträge zum Lukasevangelium

Kapitel 13 verfolgt diesen Gedanken weiter und zeigt, wie wenig angebracht es für dieses Volk war, von den Opfern auffallender Gerichte zu sprechen. Falls sie nicht Buße taten, sollten sie in gleicher Weise umkommen. Wenn göttliche Gerichte nur dazu missbraucht werden, die Vergehungen anderer aufzuzeigen, dann vergessen die Menschen ihre eigene Schuld und ihren verderbten Zustand vor Gott. Der Herr Jesus betonte deshalb aufs ernsteste die Buße. Er räumte zweifelsfrei ein, dass es noch eine Frist gab. Ja, Er selbst war es, der sich für einen letzten Versuch mit dem unfruchtbaren Feigenbaum eingesetzt hatte. Sollte dieser auch nach solchen Bemühungen keine Frucht tragen, musste er abgehauen werden; und so geschah es dann auch. Das Gericht kam nicht als Folge des Gesetzes, sondern der Gnade. Wie wenig fühlten seine Hörer, dass dies ein wahres Bild von ihnen und dem Handeln Christi und Gottes mit ihnen um Christi willen darstellte!

Danach zeigt uns der Herr, dass die Gnade sogar inmitten eines solchen Zustands handeln konnte. Folglich offenbarte Er in seiner Heilung jener Frau, die von einem Geist der Schwachheit zusammengekrümmt wurde, wie die Güte Gottes sogar in Tagen wirkt, wenn das Gericht vor der Tür steht. Er tadelte die heuchlerische Verderbtheit des Herzens, welchem sein Erbarmen missfiel, weil Sabbat war. „Diese aber, die eine Tochter Abrahams ist, welche der Satan gebunden hat, siehe, achtzehn Jahre, sollte sie nicht von dieser Fessel gelöst werden am Tage des Sabbats? Und als er dies sagte, wurden alle seine Widersacher beschämt; und die ganze Volksmenge freute sich über all die herrlichen Dinge, welche durch ihn geschahen“ (V. 16–17). Wie immer wird im Lukasevangelium das Herz offenbar. Auf der einen Seite stehen die Widersacher der Wahrheit, auf der anderen jene, welche die Gnade zu Freunden Christi oder Gegenständen seines Reichtums gemacht hatte.

Aber der Herr zeigte auch, welche Gestalt das Reich Gottes annehmen würde. Es besaß zunächst keine Macht. Von einem kleinen Anfang würde es sich lautlos ausbreiten und auf der Erde groß werden, genauso wie ein Sauerteig, der sich alles angleicht, bis drei Maß Mehl vergoren sind. In diesem Charakter zeigt sich tatsächlich das Reich Gottes hienieden. Hier geht es nicht um Samen, sei er gut oder böse, sondern um die Ausbreitung einer Lehre, die, jedenfalls dem Namen nach, christlich ist. Sofern wir wissen und richtig beurteilen wollen, inwieweit eine solche Entwicklung den Gedanken Gottes entspricht, müssen wir den Vorgang mit der Bibel vergleichen. Wenn Israel sich damals unter der Drohung eines Gerichts befand, welches bald über das Volk hereinbrechen sollte, was würde dann mit dem Reich Gottes in seiner äußeren Gestalt in der Welt geschehen? Wahrlich, anstatt sich mit der Frage zu beschäftigen, ob nur wenige zum Heil bestimmt seien bzw. ob es nur wenige gottesfürchtige Juden gebe, war es besser, an den einzigen Weg zu denken, auf dem man sittlich richtig vor Gott stehen kann. Ein Mensch muss ringen, durch die enge Pforte einzugehen. Ohne die neue Geburt kann niemand eintreten (Joh 3, 3–5). Viele würden einzugehen suchen, aber nicht können. Was ist hier gemeint? Besteht ein Unterschied zwischen „ringen“ und „suchen“? Ich bezweifle, dass ein solcher die wahre Bedeutung der Worte unseres Herrn erfasst, denn wer den Nachdruck auf das Ringen oder das Suchen legt, macht die Angelegenheit zur Frage einer größeren oder kleineren Kraft. Meiner Meinung nach will der Herr nur andeuten, dass viele versuchen, auf einem anderen Weg als durch die enge Pforte in das Reich einzugehen. Die Menschen möchten durch die Taufe, durch das Halten des Gesetzes, durch Gebete oder aufgrund eines sinnlosen Vertrauens auf die Barmherzigkeit Gottes hineinkommen. Doch alle diese ungläubigen Hilfsmittel verunehren Christus und sein Werk. Das Ringen um den Eintritt durch die enge Pforte bedeutet nach meiner Meinung, dass ein Mensch zu einem wahren Bewusstsein der Sünde gebracht worden ist und sich auf die Gnade Gottes in Christus wirft – d. h. Buße zu Gott und Glauben an unseren Herrn Jesus Christus (Apg 20, 21). Christus ist die enge Pforte – jedenfalls, wenn Er auf diese Weise durch Glauben und Buße angenommen wird. So verkündet unser Herr also, indem Er diese Gedanken darlegt, das Gericht über Israel (und in Wirklichkeit über jeden, der sehr gerne die Segnungen hätte, aber den Weg Gottes, nämlich Christus, verwirft). Er zeigt folglich das jüdische Volk, wie es beiseitegesetzt wird, während die Nationen vom Osten, Westen, Norden und Süden kommen und in das Reich der Himmel eingeführt werden. „Siehe, es sind Letzte, welche Erste sein werden, und es sind Erste, welche Letzte sein werden“ (V. 30).

Das Kapitel endet mit den Pharisäern, die Eifer für Ihn heuchelten und sagten: „Geh hinaus und ziehe von hinnen, denn Herodes will dich töten“ (V. 31). Der Herr verkündete jedoch ihren Ohren, dass niemand Ihn in seinem Dienst behindern konnte, bevor seine Stunde gekommen war. Sein Tod sollte auch nicht durch Herodes und in Galiläa erfolgen, sondern durch Jerusalem, der stolzen Stadt der religiösen Zeremonien. Dort musste der Prophet Gottes fallen. Kein Prophet sollte außerhalb Jerusalems ermordet werden. Das ist die peinliche, verhängnisvolle Besonderheit dieser Stadt. Sie hatte die Ehre, ein Grab für den abgelehnten und erschlagenen Zeugen Gottes zu liefern. Die Menschen mochten fälschlich sagen – wie sie es auch taten (Joh 7, 52) –, dass kein Prophet aus Galiläa gekommen sei (vgl. indessen 2. Kön 14,25; Übs.). Es war jedoch ganz gewiss wahr, dass ein Prophet nur in Jerusalem umkommen konnte. Trotzdem trauerte der Herr über solch ein Jerusalem und ließ die Juden nicht völlig ohne Hoffnung. Stattdessen hielt Er aufrecht, dass der Tag kommen würde, an dem sie ihre Herzen Ihm zuwenden (2. Kor 3) und sagen würden: „Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!“ (V. 35). Das beendete die Handlungsweise des Herrn mit Jerusalem und steht im Gegensatz zu dem himmlischen Licht, welches das Teil der Jünger ausmachte. Er stellte vom Anfang bis zum Ende die Gnade heraus außer in denen, die nicht an Ihn glaubten. Auf der anderen Seite zeigt Er uns, dass in der Hand des Menschen alles verderblich enden wird, wie sehr sich die Gnade auch immer nach dem Segen Jerusalems sehnen mochte.

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