Einführender Vortrag zum Epheserbrief

Kapitel 1

Einführender Vortrag zum Epheserbrief

In diesem Brief finden wir die Entfaltung der Gnade Gottes in ihrer ganzen Fülle. Hier geht es nicht einfach um die Anwendung seiner Gerechtigkeit auf die Not des Menschen von seiner Seite, sondern Gott handelt aus sich selbst heraus und für sich selbst. Das ist der angemessene Beweggrund für Ihn und das Ziel vor Ihm, nämlich seine Herrlichkeit. Folglich wird die Gerechtigkeit in unserem Brief nicht behandelt. Wir sahen das Evangelium unter diesem Gesichtspunkt in allen vorherigen Briefen. Im Römer-, im 1. und 2. Korinther- und im Galaterbrief fand die Gerechtigkeit breite Berücksichtigung. Der Römerbrief beschäftigte sich damit in einer positiven und umfassenden Weise. Danach wurde sie zum einen vorgestellt, um die Korinther von ihrem vollständigen Irregehen durch den Geist der Welt, indem das Fleisch sich letzterer angepasst hatte, zu überführen, zum anderen um bei ihrer Wiederherstellung zu triumphieren. Ferner verteidigte der Apostel durch die Gerechtigkeit in seinem Schreiben an die Galater die Wege Gottes mit dem Menschen, und stellte den Christen außerhalb des Gesetzes.

Im Epheserbrief hingegen ist das Endziel von einem uneingeschränkteren und unmittelbareren Charakter. Es geht nicht um die Bedürfnisse des Menschen in irgendeinem Sinn, seien sie positiver oder negativer Art. Hier handelt Gott aus sich selbst heraus und für sich selbst nach den Reichtümern seiner eigenen Gnade. Folglich stellt schon die Einleitung diese erstaunlich erhabene Weise vor uns, in welcher die großen Wahrheiten gezeigt werden, die das Herz des Apostels füllten. „Paulus, Apostel Jesu Christi durch Gottes Willen“ (V. 1). Vor allem zu diesem Zweck war er als Apostel auserwählt worden; und er schildert seine Apostelschaft hier nicht als Gegenstand einer Berufung, sondern „durch Gottes Willen.“  Alles in diesem Brief fließt aus dem Willen Gottes hervor. „Den Heiligen und Treuen in Christo Jesu, die in Ephesus sind.“

Obwohl Paulus im Begriff steht, uns zu zeigen, was die Kirche (Versammlung) in ihrer himmlischen Segnung, d. h. in ihren höchsten Beziehungen, ist, beginnt er, wie immer, mit dem Einzelnen. Das war ganz besonders erforderlich. Es besteht ständig die Neigung, die persönliche Seite zugunsten der gemeinschaftlichen beiseitezusetzen. Wenn der Brief an die Epheser richtig verstanden wird, hilft er uns, nicht so zu handeln. Er mag in dieser oder einer anderen Hinsicht missdeutet werden; aber er ist so weit davon entfernt, unsere gemeinschaftliche Stellung in den Vordergrund zu rücken, dass wir nicht  ein Wort über die Versammlung als solche vor dem Ende des ersten Kapitels hören. Erst in Vers 22 wird die Kirche zum ersten Mal genannt, wo gesagt wird, dass Gott Christus „als Haupt über alles der Versammlung gegeben“  hat. Bis dahin jedoch geht es um die Erlösten an sich. Die sittliche Reihenfolge darin ist außerordentlich schön. In der bewundernswerten Weisheit und Gnade Gottes erkennen wir hierin eine unmittelbare Beiseitesetzung dessen, was wir in allen irdischen Systemen finden. Dort ist die Einzelperson nur Teil einer sehr großen Körperschaft, welche sich die höchsten Vorrechte anmaßt. Im Wort Gottes ist es nicht so. In ihm hat die persönliche Segnung einer Seele den ersten Platz. Gott möchte, dass wir unsere Stellung völlig klar erkennen und mit Verständnis unseren persönlichen Platz und unsere Beziehungen zu Ihm wertschätzen. Wo dieses Ziel erreicht und in rechter Weise bewahrt wird, können wir in Sicherheit dem folgen, was Gott uns zu gelegener Zeit zeigen wird – und nicht anders.

Wie üblich grüßt der Apostel die Erlösten mit den besten Wünschen für ihre Segnung. „Gnade euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ (V. 2). Ohne Aufenthalt führen die nächsten Verse uns zu einem allgemeinen Blick auf den herrlichen Gegenstand, der Paulus beschäftigte. „Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus!“ (V. 3). Das ist Gott in seiner göttlichen Natur und in seiner Beziehung zu Jesus. Er ist der Gott Jesu; Er ist der Vater Jesu. Aber der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus hat uns gesegnet „mit jeder geistlichen Segnung in den himmlischen Örtern in Christo.“  Das sind keine fleischlichen Segnungen, wie sie in einem gewissen Maß unter dem Gesetz Israel gegeben waren und unter dem neuen Bund bald wieder dargereicht werden. Es sind geistliche Segnungen. Die Erde ist der Wirkungskreis ersterer. Auf ihr erwarten Israel und in etwas späterer Zeit auch die Nichtjuden gesegnet zu werden – aber alles nach den von Gott dem Allerhöchsten festgesetzten Segnungen. Wie ganz anders lesen wir hier! „Der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“  hat uns dort gesegnet, wo Christus jetzt im Himmel ist. Kein Ort ist für Christus, den Sohn, gut genug als nur der Himmel. Dort entfaltet Gott seine Herrlichkeit am meisten. Dort zeigt Er Christus in Herrlichkeit den himmlischen Heerscharen, indem Er Wohlgefallen daran findet, Ehre auf jenen Mann zu legen, welchen Er von den Toten auferweckt und zu seiner Rechten gesetzt hat. Gott hat nicht allein die Absicht, uns dort zu segnen, sondern Er  hat uns schon gesegnet. Das ist der Charakter unserer Segnung, und solcherart ist ihre Heimat. Ihr Charakter ist geistlich, ihr Platz himmlisch. Und so wie das Ganze uns durch den Gott und Vater unseres Herrn Jesus gegeben ist, so ist es gesichert in Christus.

Im nächsten Vers eröffnet Paulus das, was im einzelnen mehr mit dem „Gott unseres Herrn Jesus Christus“ verbunden ist. „Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, daß wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe“ (V. 4). Wenn „der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus“  uns mit jeder geistlichen Segnung dort droben in Christus gesegnet hat, so war Folgendes zuallererst nötig: Wir müssen eine Natur besitzen, die zur Gemeinschaft mit Gott fähig ist, und in einem Zustand sein, der Gott nicht verunehrt. Er versetzt uns nicht nur in den allerhöchsten Bereich, sondern auch in die allerheiligste Ordnung und Sphäre, in  welchen Gott sich jemals offenbart hat. Das ist die dem Gläubigen schon heute verliehene Natur. Es geht indessen nicht nur darum, dass diese uns  verliehen wird. Der besondere Gegenstand in den Gedanken des Apostels liegt vielmehr darin, dass es so nach Gottes  Wahl geschah, bevor die Welt bestand, in welcher wir zur Erkenntnis dieser unendlichen Segnung gelangen. Sie steht überhaupt nicht in irgendeiner Verbindung mit der Welt. Israels Fall war ganz anders, obwohl es als Nation bevorrechtigt ist. Es wurde innerhalb des Ablaufs der Zeit auserwählt. Es wurde nicht nur in der Zeit berufen, wie auch wir, sondern auch in der Zeit auserwählt – und das sind wir nicht. Die Auserwählung der Heiligen für die himmlische Segnung geschah vor der Schöpfung des Universums, vor Grundlegung der Welt.

Das gibt unserer Segnung einen ganz besonderen Charakter. Sie ist völlig unabhängig von der alten Schöpfung – jener Schöpfung, welche versagen konnte und vergehen wird. Es war eine Wahl Gottes, bevor es irgendein verantwortliches oder abhängiges Geschöpf gab. Gott machte seine Auserwählung nicht bekannt, während das Geschöpf erprobt wurde, sondern nachdem es bis zum Äußersten versagt hatte. Die Auserwählung selbst war schon von Gott beschlossen, bevor das Geschöpf ins Leben trat. Dieses ist eine sittliche Antwort auf das, was in Christus gezeigt wurde – „daß wir heilig und tadellos seien vor ihm in Liebe.“  Tatsächlich sind dies die Wesenheiten Gottes selbst. Er ist heilig von Natur und tadellos in seinen Wegen. Der Mensch mag jetzt im Unglauben sich beklagen und murren; aber Gott wird seine Wege vor einem jeden rechtfertigen, wenn der Mensch für immer zum Schweigen gebracht wird. Daneben finden wir Liebe – die Wirksamkeit sowie die sittlichen Eigenheiten seines Wesens. Es ist die Liebe, welche sozusagen alles, was zu Gott gehört, in Bewegung setzt. Sie ist nicht etwas Äußeres, welches auf Gott als Beweggrund einwirkt, sondern seine Liebe strömt entsprechend seiner heiligen Natur und in vollkommener Übereinstimmung mit seinem Charakter und seinen Wegen aus Ihm selbst hervor.

Das ist die sittliche Natur, welche Gott auf uns, die aus Ihm geboren sind, überträgt. Dazu – und zu nichts weniger oder sonst – hat Er uns auserwählt, damit wir vor Ihm seien. Er hat uns auserwählt, um uns in Christus zu sehen. Damit ist die vollkommene Sicherheit garantiert, dass alles mit seinen Gedanken übereinstimmt. Das geschieht nicht in der Gegenwart eines Engels und noch weniger vor der Welt. Engel sind nicht die richtigen Richter für das, was uns zusteht. Sie dürfen Zeugen sein, aber nicht Richter. Gott selbst handelt nach seiner Herrlichkeit und entsprechend seiner Liebe.

Doch der Besitz einer Natur, die fähig ist zur Gemeinschaft mit Gott, konnte und kann nicht genügen. Gott wollte mehr. Was könnte dieses möglicherweise sein? Genügt es Ihm nicht, uns eine Natur wie seine eigene zu geben? Nein, keinesfalls, und zwar aus folgendem Grund: Gott hat Beziehungen; und diese werden in Jesus genauso gezeigt wie seine Natur. Falls wir wissen wollen, was die Heiligkeit, Untadeligkeit und Liebe Gottes ist, müssen wir auf Christus blicken. Und falls wir in gleicher Weise zu wissen verlangen, in welche Beziehungen Gott jene stellt, die Er liebt, wo finden wir dann die höchsten derselben? Sicherlich nicht im Ersten Adam! Israel besaß bestenfalls die Beziehung eines Geschöpfes, obwohl es zweifellos in der Schöpfung einen besonderen Platz innehatte. Von allen Kreaturen, welche leben und atmen, ist der Mensch der einzige auf der Erde, der durch den Odem Jahwe-Gottes zu einer lebendigen Seele wurde. Ihm blies Gott, wie geschrieben steht, den Odem des Lebens in seine Nase. Das heißt: Es besteht eine schöpfungsmäßige Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, welche die Quelle der moralischen Verbindung mit Gott darstellt. Daraus folgt auch, warum der Mensch – und ausschließlich er von allen Geschöpfen auf der Erde – auferstehen wird und für sich selbst Gott Rechenschaft ablegen muss.

Aber bei dem Thema, das in unserem Brief vor uns tritt, geht es nicht um das höchste Geschöpf auf der Erde – ein Geschöpf, das zur Herrschaft über die Erde berufen war und das Bild und die Herrlichkeit Gottes hienieden sein sollte. Vor den Augen Gottes stand eine Person, die den Menschen unendlich übertraf; und doch war sie ein Mensch. Es war Jesus; und Er stand in einer ganz besonderen Beziehung zu Gott – einer Beziehung, welche den Ratschlüssen Gottes vollkommen entsprach. Doch darüber hinaus war es eine Beziehung, die seiner Person eigentümlich war. Es gab Ratschlüsse; es gab indessen auch jene innere Herrlichkeit, die völlig unabhängig von irgendwelchen Plänen und verliehener Ehre bestand. Mit anderen Worten: Der Sohn Gottes wurde niemals zum Sohn gemacht; Er wird nicht einmal „Kind Gottes“ (teknon) genannt 1. In Bezug auf uns ist die Bezeichnung „Kind Gottes“ viel inniger als der Ausdruck „Sohn Gottes“. Für den Herrn jedoch wäre erstere eine Schmälerung seiner Herrlichkeit. Jesus wird niemals in dem Sinn „Kind“ genannt, von dem ich hier spreche. Er besitzt eine besondere Beziehung zum Vater seit Ewigkeiten. Bei uns geht es nicht so sehr darum,  Söhne zu sein, die in die Familie Gottes adoptiert werden. Vielmehr sind wir entsprechend der Natur Gottes  geboren. Ein Sohn kann adoptiert sein, ohne eine besondere Natur zu empfangen, und für den Adoptierenden ganz und gar ein Fremder bleiben. In Jesus, dem Sohn Gottes, hingegen bestand dieser Charakter des Sohnes in seinem persönlichen Anrecht und seiner Existenz von Ewigkeit her. Muss ich sagen, dass diese Wahrheit völlig jenseits menschlicher Vorstellungskraft liegt? Trotzdem ist nichts sicherer, als dass Gott so zu unserem Glauben spricht. Gäbe es den Abstand eines einzigen Augenblicks zwischen Vater und Sohn – hätte der Vater in irgendeiner Hinsicht vor dem Sohn existiert, zerstöbe die ganze Wahrheit Gottes in der Bibel. Er, zu dem ich aufblicke, durch und in dem allein ich Gott und den Vater erkennen kann, ist Gott selbst. Lass den Gedanken an Zeit in die Darstellung, die uns über die Gottheit – Vater, Sohn und Heiliger Geist – gegeben worden ist, eindringen, so wird alles Trug und Verwirrung! Der Sohn würde zum Geschöpf – nicht in sich selbst existent und folglich nicht wahrer Gott. Doch wenn Er Gott ist, dann ist Er als solcher nicht weniger wahrhaftig Gott wie der Vater; denn es kann hinsichtlich des göttlichen Wesens keine Unterschiede geben. Wie der Vater ewig ist, so auch der Sohn. Die Beziehungen in der Gottheit haben nichts mit Zeit zu tun; und der große Irrtum, den alle menschlichen Philosophien hervorgebracht haben, besteht in der Einführung zeitlicher Vorstellungen in Zusammenhänge, in denen die Zeit überhaupt keinen Platz haben kann.

So gibt es also in der Gottheit die Beziehungen von Vater, Sohn und Heiliger Geist. Ich beschränke mich allerdings jetzt auf die ewigen Beziehungen des Sohnes zum Vater. Gott hatte die uns beschäftigenden Ratschlüsse von Ewigkeit vor seinen Blicken und ließ sich auf der einen Seite dazu herab, ein Volk zu besitzen, welches fähig ist, Ihn zu genießen, indem es dieselbe Natur hat wie Er selbst. Ohne letztere könnte es sich nicht an der Herrlichkeit erfreuen. Auf der anderen Seite, wenn wir in seiner Gegenwart sind, wünscht Er uns in der erhabensten Beziehung zu finden, in welche die Gnade uns einführen kann. Diese erhabenste Beziehung ist die seines Sohnes. Folglich werden wir in dieselbe versetzt, obwohl natürlich nicht in dem Sinn, in welchem der Sohn sich ewig darin befindet. In Bezug auf uns konnte es nur ein ewiger Vorsatz sein, hinsichtlich Ihm ein ewiges Sein. Bei uns ist es reine Gnade, bei Ihm sein eigenes unantastbares Recht. Der Sohn befindet sich als der erhabenste Gegenstand der Liebe und des Wohlgefallens seit aller Ewigkeit vor dem Vater. Seine Absicht, uns als Söhne vor sich zu stellen, war genauso ein Teil seiner Ratschlüsse, wie sein Wille, uns zu Teilhabern der göttlichen Natur zu machen. So handelt Vers 4 von der Natur und Vers 5 von der Beziehung. Daher finden wir in dem letzteren nicht so sehr die Auserwählung, sondern mehr unsere Zuvorbestimmung (Prädestination). „Uns zuvorbestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesum Christum für sich selbst nach dem Wohlgefallen seines Willens“ (V. 5).

Diesen Unterschied sollten wir gut beachten! Es ist unmöglich, vor Gott zu stehen, ohne seine Natur zu besitzen. Daher wird in diesem Zusammenhang nicht von Vorherbestimmung gesprochen, sondern von Auserwählung. Es hätte Gott durchaus gefallen können, niemand zu erwählen. Doch wenn wir überhaupt in seine Gegenwart gebracht werden sollten, war es für uns unmöglich, dort zu weilen ohne den Besitz der göttlichen Natur in einem sittlichen Sinn (und nur in letzterem können wir natürlich in Bezug auf uns von der göttlichen Natur sprechen). Uns wurde nicht die Gottheit 2 mitgeteilt. Niemand kann so töricht sein, an so etwas zu denken. Aber die göttliche Natur ist uns in Hinsicht auf ihre Wesenszüge der Heiligkeit und Liebe geschenkt worden. Auf der anderen Seite finden wir, dass die Zuvorbestimmung „nach dem Wohlgefallen seines Willens“ erfolgt; denn dafür bestand keine Notwendigkeit. In sittlicher Hinsicht war es notwendig, dass wir eine zu Gott passende Natur bekamen, wenn wir überhaupt in seine Gegenwart zugelassen werden sollten. Es bestand indessen keine Notwendigkeit für jenes besondere Verhältnis. Gott hätte uns in jede beliebige Beziehung versetzen können, so wie es Ihm gefiel. Zum Beispiel gibt es im Himmel Engel. Sie stehen indessen nicht in jenem Verhältnis zu Ihm. Seine Gnade hat uns zur höchsten Beziehung zuvorbestimmt, nämlich zu Söhnen für sich selbst durch Jesus Christus „nach dem Wohlgefallen seines Willens.“  Und der Apostel schließt diesen Teil des Themas mit den Worten ab: „Zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade, worin er uns begnadigt hat in dem Geliebten“ (V. 6). Dieser ganze wunderbare Plan soll seine Gnade verherrlichen. Daher benutzt der Apostel die erhabensten Worte, um dieses auszudrücken. Gnade allein genügte nicht; auch die Herrlichkeit allein reichte nicht aus – aber beide zusammen. Alles geschieht „zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade.“  Es wird uns folglich in dieser neuen Wahrheit noch einmal vorgestellt, dass wir als die Gegenstände seines vollkommenen Wohlgefallens eingeführt worden sind in dem  Geliebten. Das ist das Maß – falls wir in diesem Zusammenhang überhaupt von „Maß“ sprechen können – der Gnade, in der wir stehen.

Aber jene, bezüglich derer Gott der Vater solche Gedanken hegte, waren in Wirklichkeit Sünder. Der nächste Vers zeigt, dass das keineswegs vergessen ist; denn diese Tatsache wird berücksichtigt und für sie Vorsorge getroffen. Derselbe „Geliebte“, in dem die Ratschlüsse Gottes für uns erfüllt werden, hat auch die Erlösung gebracht. In Ihm treten wir in die Gunst Gottes ein – „in welchem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen“ (V. 7). Wir lesen genau genommen nicht, dass es zum Preis seiner Herrlichkeit geschieht, sondern „nach dem Reichtum seiner Gnade.“  In jedem Sinn handelt es sich um eine schon jetzt empfangene Segnung, obwohl sie natürlich für den Himmel und die Ewigkeit benötigt wird. Folglich geht der Ausdruck nicht über die Reichtümer der Gnade Gottes hinaus. Damit wird beiläufig das Bedürfnis unserer Seelen als Übertreter vor Gott berührt, aber nur insoweit, als gezeigt wird, dass dieser Gesichtspunkt keinesfalls übersehen wird.

Wie der Apostel in den besprochenen Versen das betrachtet hat, was hinter uns ist, so wendet er sich danach jenem grenzenlosen Schauplatz zu, der vor uns liegt. Und warum geschieht dieses alles? Gott hat eindeutig eine Absicht, einen festgelegten glorreichen Plan, um das ganze Universum unter Christus als seinem Haupt zusammenzubringen. Sind solche, die Er an seiner sittlichen Natur teilhaben lässt und in eine Beziehung als Söhne geführt hat, davon ausgeschlossen? Keineswegs! Schon jetzt handelt Er gegen sie „überströmend“ „in aller Weisheit und Einsicht“ (V. 8). Diese Worte schreiben nicht einfach Gott alle Weisheit und Einsicht zu. Das wäre nichts Neues. Sie deuten vielmehr darauf hin, dass Er jetzt alle Weisheit und Einsicht auf seine Heiligen übertragen hat. Das ist wirklich eine erstaunliche Aussage. Der Gegensatz zu Adam soll herausgestellt werden, der eine Einsicht besaß, die seinem Platz und seinen Umständen entsprach. Folglich lesen wir in 1. Mose 2, wie er allem ihm Unterstellten Namen gibt. In Bezug auf seine Frau verstand er sofort die ganze Wahrheit, obwohl er in einen tiefen Schlaf gesunken war, während sie gebildet wurde. Als sie zu ihm gebracht wurde, erkannte er alles, was damals für ihn wissensnotwendig war. Er erfasste instinktiv, dass sie ein Teil seiner selbst war, und gab ihr einen dazu passenden Namen. Das scheint das Maß der Weisheit und Einsicht Adams gewesen zu sein. Da er das Bild und die Herrlichkeit Gottes auf der Erde darstellte, durfte er seiner Gefährtin bzw. den ihm untergeordneten Geschöpfen Namen geben. Er übernahm nicht einfach Namen, welche Gott ihm gab, sondern Gott gefiel es, ihn auf diesen Platz der Herrschaft zu setzen und in einem gewissen Maß auch der Gemeinschaft – Herrschaft in Hinsicht auf das ihm Unterstellte und Gemeinschaft in Bezug auf seine Frau. Diesem entsprechend handelte und redete also Adam.

Doch die Erlösten, welche jetzt zu Gegenständen dieser himmlischen Ratschlüsse Gottes gemacht worden sind, besitzen eine Weisheit und Einsicht eigener Art, welche der neuen Schöpfung in Christus und ihren besonderen Beziehungen eigentümlich ist. Gott hat diesen keine Grenzen gesetzt. Tatsächlich erwartet Er, seien wir dessen versichert, ihren Ausdruck und ihre Auswirkung in einem jeden von uns – zweifellos natürlich unserem persönlichen Maß entsprechend. Es bringt keinen Nutzen, diese Segnung einfach dem Namen nach oder als bloßen Titel anzunehmen. Unser Gott und Vater erwartet die Entfaltung der Gesinnung Christi in uns, sodass wir in der Lage sind, uns Ihm entsprechend ein Urteil zu bilden und dieses auszudrücken über alles, was vor uns gebracht wird; denn wenn wir in Christus sind, haben wir eine bevorzugte Ausgangslage, die uns alles deutlich macht. Christus ist nicht Finsternis, sondern Licht; und Er stellt alles in das Licht. Er macht uns zu Kindern des Lichts, sodass wir uns selbst beurteilen können, ohne von den Menschen als solchen beurteilt zu werden. Wir sollen alles deutlich erkennen können, was immer unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Das ist die Stellung eines Christen, und zwar eine wunderbare Stellung. Sie strömt aus der Natur und der Beziehung hervor, die wir durch die Gnade unseres Gottes besitzen.

Aber auch der Zusammenhang ist wichtig. „Welche er gegen uns hat überströmen lassen in aller Weisheit und Einsicht, indem er uns [das ist der besondere Beweis dafür] kundgetan hat das Geheimnis seines Willens.“ Das war noch nicht offenbart; denn nichts bisher deutete an, welche Absichten Gott mit der Menschheit hatte. Es ist etwas absolut Neues. Dieser Vorsatz ist „nach seinem Wohlgefallen, das er sich vorgesetzt hat in sich selbst für die Verwaltung der Fülle der Zeiten: alles unter ein Haupt zusammenzubringen in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist, in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir zuvorbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Rate seines Willens, damit wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien“ (V. 9–12).

Hier wiederholt der Apostel erneut jenen erhabenen, weitreichenden und gesegneten Ausdruck, der uns so vertraut ist: „Damit  wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien, die wir zuvor auf den Christus gehofft haben; auf welchen auch  ihr gehofft.“ Die Segnung war nicht auf jene beschränkt, die ihre Hoffnung auf Christus setzten, als die Nation [Israel] Ihn verwarf. Paulus war einer von diesen. Es gab, wie wir wissen, auch in Ephesus solche, nämlich die Keimzelle der Versammlung dort. Die ersten Erlösten und Gläubigen in der Stadt Ephesus waren, wie uns Apostelgeschichte 19 zeigt, Personen, welche mit der Taufe Johannes' getauft waren und später durch den Apostel Paulus vom jüdischen auf christlichen Boden geführt wurden. Daher sagt er: „Damit  wir zum Preise seiner Herrlichkeit seien, die wir zuvor auf den Christus gehofft haben.“  Damit weist er auf sich selbst und die anderen Erlösten hin, die aus dem Volk der Juden auserwählt waren. Doch nichtjüdische Gläubige sind keinesfalls ausgeschlossen – im Gegenteil. „Auf welchen auch  ihr gehofft, nachdem ihr gehört habt das Wort der Wahrheit, das Evangelium eures Heils“ (V. 13). Denn die in der Folge hinzugeführte Menschenmenge bestand aus Nichtjuden; und das Evangelium des Heils empfingen sie unmittelbar, ohne die dazwischen liegenden Schritte durchlaufen zu müssen, welche die anderen kannten. Die Juden, bzw. solche, die unter jüdischer Belehrung standen, befanden sich eine Zeitlang im Zustand eines Kindes, d. h. einer alttestamentlichen Stellung. Die Nichtjuden hingegen traten durch den Glauben ohne Umwege und direkt in die volle christliche Segnung ein. „In welchem auch ihr, nachdem ihr geglaubt habt, versiegelt worden seid mit dem Heiligen Geiste der Verheißung, welcher das Unterpfand unseres Erbes ist, zur Erlösung des erworbenen Besitzes, zum Preise seiner Herrlichkeit.“

Es sollte eigentlich unserer Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, dass wir zwei große Themen in dem Abschnitt finden, den wir bisher betrachtet haben. Das erste spricht von der Natur, das zweite von der Beziehung. Der Heilige Geist wird hier entsprechend beider Gesichtspunkte gesehen. In Verbindung mit der Natur hat Er uns, wie hier und anderswo gesagt wird, versiegelt. In Hinsicht auf die Beziehung ist Er das Unterpfand; denn: „Wenn aber Kinder, so auch Erben – Erben Gottes und Miterben Christi“ (Röm 8,17). Der Heilige Geist ist in dieser kennzeichnenden Weise an dem Werk beteiligt. So wie Christus das Muster und Modell in Bezug auf Natur und Beziehung darstellt, so nimmt auch der Heilige Geist seinen angemessenen Platz ein bei der Hineinführung des Erlösten in die Wirklichkeit, bewusste Kenntnis und den Genuss beider Segnungen. Er gibt uns die Gewissheit und freudevolle Sicherheit bezüglich unseres Platzes als Heilige. Gleichzeitig schenkt Er uns einen Vorgeschmack von dem strahlenden Erbteil Gottes, das droben ist.

Danach folgt ein Gebet des Apostels – das erste, von denen, welche er vor den Erlösten in Ephesus ausbreitet. Natürlicherweise entsprang dieses Gebet aus den beiden großen Wahrheiten, die er vor Augen geführt hatte. Er betet für die Heiligen, „daß der Gott unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Herrlichkeit [damit verbindet er das Thema], euch gebe den Geist der Weisheit und Offenbarung in der Erkenntnis seiner selbst, damit ihr, erleuchtet an den Augen eures Herzens, wisset, welches die Hoffnung seiner Berufung ist, und welches der Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes in den Heiligen“ (V. 17–18). Das sind die beiden schon genannten Gesichtspunkte. Die „Hoffnung seiner Berufung“  stellt die strahlende Aussicht für die Gläubigen dar, so wie sie sich jetzt schon in Christus vor Gott befinden. Der „Reichtum der Herrlichkeit seines Erbes“  umfasst natürlich jene gewaltige Schöpfungsszene, welche unter die verherrlichten Heiligen gestellt werden soll. Paulus bittet folglich, dass die Epheser in beide Wahrheiten eindringen. Sie sollen die heilige, friedevolle Atmosphäre der einen verwirklichen und die herrliche Erwartung, die mit der anderen verbunden ist, festhalten; denn offensichtlich steht die Zukunft vor seinen Blicken. Aber dann fügt er noch einen dritten Punkt hinzu, der in dem früheren Teil des Kapitels nicht erwähnt wurde, nämlich, dass sie wissen, „welches die überschwengliche Größe seiner Kraft an uns, den Glaubenden, nach der Wirksamkeit der Macht seiner Stärke, in welcher er gewirkt hat in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte“ (V. 19–20).

Das Letztere war von allumfassender Bedeutung für die Erlösten, und zwar umso mehr, als diese Macht sich schon entfaltet hatte. Sie strahlt hervor in einem vollen Gegensatz zu Israel. Falls letzteres danach fragte, wann Gott am offensichtlichsten zu seinen Gunsten eingegriffen hatte, wurde es zweifellos an die Macht erinnert, welche es aus dem Land Ägypten herausführte. Das war ständig sein Trost inmitten von Unglücksfällen und Schwierigkeiten. Der Gott, welcher das Rote Meer geteilt und die Israeliten durch den Jordan gebracht hatte, war genug für jede Schwierigkeit, welche über sie kommen konnte. Auch in den Propheten bleiben diese Ereignisse immer der Maßstab bis zu der Zeit, in der Gott seine Macht in einer anderen Weise ausüben wird. Dann wird von Ihm nicht länger mehr als Jahwe gesprochen, welcher sie aus dem Land Ägypten herausgeführt, sondern der sie aus dem Land des Nordens in ihr eigenes Land gebracht hat, um sie dort für immer wohnen zu lassen. So befand sich Israel in der andauernden Erinnerung an die Macht, welche es aus dem Land Ägypten erlöst hatte, und der Erwartung einer noch größeren Entfaltung derselben, welche alles übertreffen sollte, was jemals in alter Zeit gesehen worden war.

Der Christ ist indessen zusammen mit seinen Mitgläubigen schon heute der Gegenstand derselben Macht, die niemals überstrahlt werden kann, nämlich der Macht, welche Christus aus den Toten auferweckte. Wir warten auf nichts Größeres, aber auch nichts Vergleichbares. Wir erwarten das Ergebnis dieser ruhmreichen Macht für den Leib und die Schöpfung, aber keineswegs die Entfaltung einer neuen Macht, welche damit in Wettstreit treten könnte, was Gott in Christus schon gezeigt hat. In dem Augenblick, in dem Jesus sich selbst als Antwort darauf, was schon offenbart ist, vorstellt, werden die Erlösten auferweckt bzw. in einem Nu verwandelt. Aber zudem gilt nicht nur, dass der Leib unmittelbar auf den Ruf des Herrn Jesus antworten wird, sondern sogar jetzt schon  hat dieselbe Macht in uns gewirkt, indem sie uns zu Christen machte, „in welcher er gewirkt hat in dem Christus, indem er ihn aus den Toten auferweckte; (und er setzte ihn zu seiner Rechten in den himmlischen Örtern, über jedes Fürstentum und jede Gewalt und Kraft und Herrschaft und jeden Namen, der genannt wird, nicht allein in diesem Zeitalter, sondern auch in dem zukünftigen, und hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben, welche sein Leib ist, die Fülle dessen, der alles in allem erfüllt)“ (V. 20–23). Solcherart ist die Macht, welche schon gewirkt hat – betreffend uns gewirkt hat – während wir uns noch in dieser Welt befinden.

Fußnoten

  • 1 Der Herr Jesus wird wiederholt mit dem Wort „pav“ bezeichnet, das in einigen Übersetzungen der „Apostelgeschichte“ (u. a. der alten englischen) mit den Worten „Sohn“ oder „Kind“ wiedergegeben wird. Es bezeichnet jedoch angemessener den „Knecht“ Gottes als Messias (W. K.).
  • 2 im Sinn von Gottsein. (Übs.)
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