Botschafter des Heils in Christo 1862

Was ist Friede?

„Hast du Frieden gefunden?“ ist eine Frage, welche heutzutage oft an die Menschen gerichtet wird; und es mag manche Gläubige geben, welche diese Frage nicht recht verstehen, oder sie zu beantworten wissen. Man betrachtet den Frieden als ein gewisses Gefühl ruhiger Stille im eigenen Herzen, und insoweit, als man dieses nicht in sich wahrnimmt, kommt man zu dem Schluss, dass man noch keinen Frieden gefunden habe.

Dann gibt es viele, welche meinen, ohne die Erfahrung dieses Gefühls der Ruhe durchaus keine Christen sein zu können; und indem sie wahrnehmen, dass jene Erfahrung nicht vorhanden ist, schließen sie, dass sie weder Anteil noch Anrecht an der Sache haben.

Endlich findet man solche, welche meinen, dass, wenn sie diesen Frieden besäßen, sie nicht mehr die inneren Wirkungen des Bösen fühlen würden. Sie bilden sich ein, dass der wahre Friede des Evangeliums und die innewohnende Sünde ganz unverträglich zusammen seien; – und indem sie sehen, dass sie sich einer Menge inneren Übels bewusst sind, schließen sie, dass sie auf den Genuss des Friedens noch zu warten haben.

Auf diese Weist vermehren solche Seelen nur ihre schmerzhafte Unruhe, weil sie unrechte Gedanken über den Gegenstand des Friedens nähren.

1. Lasst mich nun zuerst auf das bestimmteste und nachdrücklichste erklären, dass der wahre, evangelische Friede nicht ein bloßes Gefühl stiller Ruhe im Herzen, sondern etwas weit Festeres und Sichereres ist. Er ist ein unumstößlicher Vertrag, in welchen der Gläubige durch das Versöhnungswerk Christi am Kreuz aufgenommen und eingeschlossen ist. Lies die folgenden Schriftsteller „Da wir nun sind gerechtfertigt worden aus Glauben, haben wir Frieden mit Gott, durch unseren Herrn Jesus Christus“ (Röm 5,1). Ist dies ein bloßes Gefühl im Herzen? Gewiss nicht; es ist eine gesegnete Stellung, in welche der Gläubige durch den Tod und die Auferweckung Christi eingesetzt ist. Ohne Zweifel wird das Herz in demselben Maße sich glücklich fühlen und Frieden genießen, als der Glaube einfältig diese große Wahrheit ergreift, dass alle Sünden vergeben sind, und dass die Seele so gerechtfertigt ist, wie Christus sie zu rechtfertigen vermag, – so gerecht wie Christus selbst. Aber der Apostel sagt nicht: „Da wir nun sind gerechtfertigt worden aus Glauben, haben wir ein glückliches Gefühl des Friedens im Herzen.“ Das könnte nichts helfen. Unsere Gefühle sind so ungewiss und wetterwendisch wie die Winde. Der Friede aber, von welchem diese herrliche Stelle redet, ist so fest, wie der Thron Gottes selbst.

Ferner: „ ... Frieden verkündigend durch Jesus Christus“ (Apg 10,36). Sollte dies so viel heißen, als „verkündigend ein gewisses Gefühl im Herzen?“ O nein, sondern es ist die herrliche Verkündigung des Friedens zwischen Gott und den Menschen, gegründet auf das vollbrachte Werk Christi, welcher, nachdem Er durch das Blut seines Kreuzes Frieden gemacht hat, selbst unser Friede in der Gegenwart Gottes ist. Es würde ein sehr schlimmer Irrtum sein, vorauszusetzen, dass „der Friede“, wovon in obigen Stellen die Rede ist, nur ein ruhiger und glücklicher Zustand des Gemüts sei. Er ist weit mehr; er besteht nicht in unserem Gefühl, sondern in Gott; und das ist ein großer Unterschied. Wir sollten nie unsere Gefühle über eine Sache mit der Sache selbst verwechseln, – eine offenbare Tatsache mit dem Eindruck, den dieselbe auf uns hervorbringt, wenn wir sie erfahren.

Nehmt ein Beispiel: Als zwischen Deutschland und Frankreich Friede geschlossen und proklamiert wurde, war dies ein bloßes Gefühl in dem Herzen eines Deutschen oder eines Franzosen? Es war weit mehr; es war eine bestimmte Bedingung, auf welche beide Nationen durch die Unterzeichnung eines Friedensvertrages sich verpflichteten. Ohne Zweifel mochte jeder, welcher die Nachricht des Friedensschlusses hörte und glaubte, das Gefühl der Freude in sich haben, welches solche Nachricht zu erzeugen vermochte; aber wer erkennt nicht den Unterschied zwischen jenem Gefühl und dem Ereignis, durch welches dasselbe hervorgebracht wurde?

Noch ein anderes Beispiel: Wenn durch den Sieg der nordamerikanischen Union über die südlichen Sklavenstaaten die Regierung der ersteren die Macht erlangen sollte, einen Freibrief für alle Sklaven zu erlassen, welcher jedem Sklaven die Freiheit verkündigte, – würde dieses Ereignis nichts mehr sein, als ein bloßes Gefühl in dem Herzen eines Sklaven? O gewiss; es würde weit mehr sein; es würde ein bestimmter Zustand sein, in welchen der Sklave durch den Freibrief gebracht wäre. Wenn ein Sklave die Nachricht hörte und glaubte, dann würde er freilich ein sehr freudiges Gefühl der Freiheit haben; er würde nicht länger seine Ketten fühlen oder die raue Stimme des Aufsehers hören; aber wer erkennt nicht den Unterschied zwischen einem Gefühl der Freiheit und der Grundlage, auf welcher das Gefühl ruht?

Nun gebe ich gern zu, dass dies bloß menschliche und deshalb unvollkommene Beispiele von dem göttlichen Gegenstand sind, von welchem wir reden; aber sie stellen wenigstens den Unterschied zwischen einem Zustand und einem Gefühl – zwischen unserer Empfindung von einer Sache und der Sache selbst – zwischen einem Ereignis und dessen Folgen dar. In dem Evangelium empfange ich eine göttliche Wahrheit, welche auf dem Weg Gottes zu mir gelangt und göttliche Früchte erzeugt. Es ist nicht eine verstandesmäßige Einwilligung in einen gewissen Vorschlag, den ich als wahr betrachte, weil ich keine Ursache habe, ihn zu bezweifeln; sondern ein armer, schuldiger Rebell – ein Sklave – ein Feind empfängt aus Gnaden Vergebung, Freiheit und Versöhnung von Gott, durch das kostbare Opfer am Kreuz. Wird ein solcher keine glücklichen Gefühle haben? Ganz gewiss; aber die Gefühle dürfen nie verwechselt werden mit der gesegneten Wahrheit, welche ihnen ihr Dasein gibt. Friede ist eine göttliche, unabhängige, unveränderliche Wirklichkeit, gegründet auf das Blut Christi, verkündigt durch die Autorität des Wortes Gottes, und empfangen durch Glauben durch die Kraft des Heiligen Geistes.

Wenn ich deshalb gefragt würde: „Hast du Frieden?“ sollte ich dann in mich hineinsehen und meine Antwort demgemäß geben, was ich da finde? – Gewiss nicht; ich sollte vielmehr sagen: „Ja, Gott sei Dank, ich habe Frieden, – vollkommenen Frieden, – einen Frieden, so vollkommen, wie Christus ihn machen, oder Gott ihn geben konnte.“ Auch kann Nichts meinen Frieden stören, weil Gott selbst ihn mir zugesichert hat durch Jesus Christus, den Herrn über alles. Wenn irgendetwas meinen Frieden stören könnte, dann würde Jesus Christus nicht „der Herr über alles“ sein; denn das, was die Störung verursachen könnte, würde Herr sein über Ihn; und dieses auch nur einen Augenblick zu denken, würde Gotteslästerung sein. Meine Gefühle können leicht gestört werden, aber was Gott gegründet hat, kann nimmer angetastet werden.

2. Jetzt ein Wort an diejenigen, welche meinen, dass, wenn sie nicht dieses innere Gefühl der Ruhe haben, sie gar keine Christen seien. Ich glaube nicht, dass ihre Ansicht durch die heilige Schrift oder auch durch die christliche Erfahrung entstanden ist. Nicht dass ich Zweifel und Verzagtheit in Schutz nehmen will, oder jemanden überreden möchte, mit sich selbst oder seinem gegenwärtigen, praktischen Zustand zufrieden zu sein – gewiss nicht. Ich bin völlig überzeugt, dass Zweifel und Kleinglaube eben sowohl den Namen Christi entehren, als sie den eigenen wahren Frieden des Herzens stören. Sie sind gar nicht zu entschuldigen. Sie entspringen in manchen Fällen aus einem falschen Begriff von der wahren Natur des Friedens des Evangeliums, – oder entstehen dadurch, dass wir uns selbst anstatt Christus betrachten, – dass wir unseren Genuss des Friedens mit dem Frieden selbst verwechseln, – dass wir darauf blicken, was wir für Gott sind, anstatt darauf zu schauen, was Er für uns ist. Aber einerlei, aus welcher Ursache jener Zweifel und Kleinglaube entspringen, wir haben sie stets zu richten und sie nicht zu dulden, ebenso wenig, wie jeden anderen bösen Gedanken und jedes andere böse Gefühl, das in unserem Herzen entsteht.

Während es aber ohne Frage unrecht ist, Zweifel zu hegen, wenn Gott gesagt hat: „Friede“, – oder Furcht zu haben, wenn Christus Frieden gemacht hat, – so ist es noch weit mehr unrecht, unser Verhältnis zu Christus deswegen in Frage zu stellen, weil wir uns nicht ganz so glücklich fühlen, als wir es möchten oder sollten. Dadurch gestatten wir dem Satan, uns zu übervorteilen. Würde ich mein natürliches Dasein, mein natürliches Leben deswegen in Zweifel ziehen, weil ich mich unwohl fühle? Sicher nicht! Und warum sollte ich denn mein geistliches Dasein, – mein Leben in Christus, – deswegen bezweifeln, weil mein Herz nicht so glücklich ist, als ich wünsche, dass es sein möchte? Sehr viele wahre Christen – aufrichtige, ernste, fromme Seelen – werden zuweilen von Zweifeln und Furcht geängstigt. In der Tat, ihre Angst wird sogar im gleichen Verhältnisse mit ihrem Ernst stehen, bis sie es lernen, von sich selbst abzusehen und einfach in Christus zu ruhen. Keine Angst zu fühlen, solange ich nicht durch die Autorität Gottes weiß, dass Christus alle meine Sünden weggenommen – dass Er vollkommen die Anklagen gegen mich vor dem Thron Gottes zurückgewiesen hat – das würde nur Härte des Herzens und Gleichgültigkeit gegen die Sünde und gegen die Heiligkeit Gottes beweisen. Möge Gott meinen Leser vor solcher Gleichgültigkeit bewahren! Gott möge dich behüten, dass du ja nicht diese Angst verlierst, bis sie durch das Blut des Kreuzes ausgetrieben wird! Es ist zu befürchten, dass manche in einer leichtfertigen Weise über den Frieden sprechen und Frieden finden, was einen sehr oberflächlichen Begriff von dem Übel der Sünde, den Anforderungen göttlicher Heiligkeit und der ernsten Wahrheit des Kreuzes offenbart. Wir haben stets daran zu gedenken, dass, obschon ohne irgendeine Anforderung an uns Friede gemacht ist, es Christus alles gekostet hat. Wir verlieren nichts von der Einfachheit und Gewissheit des göttlichen Friedens dadurch, dass wir seinen Ernst tief fühlen und erkennen; ganz das Gegenteil. Je völliger ich verstehe, was vollbracht werden musste, desto dankbarer bin ich gegen Christus, dass Er es vollbracht hat; aber ich muss nie vergessen, was es Ihn gekostet hat, um es zu vollbringen.

3. Schließlich lasst mich noch ein Wort für diejenigen hinzufügen, welche durch den Gedanken beunruhigt werden, dass die Freude über den geschlossenen Frieden unvereinbar sei mit dem Gefühl der innewohnenden Sünde. Dies ist ein trauriger Irrtum, der große Dunkelheit und Beschwerde für die Seele hervorrufen muss. Der am meisten vorgeschrittene Gläubige auf Erden hatte Sünde in sich wohnend: „In mir, das ist in meinem Fleisch, wohnt nichts Gutes;“ und dies wird bis zum Ende unseres Laufes unser Bekenntnis bleiben müssen. „Wenn wir sagen, dass wir (Gläubige) keine Sünde haben, so belügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh 1,8).

Es ist lehrreich und tröstlich für uns, dass im Gesetz über die Sühnopfer (3. Mo 7,13) gesäuertes Brot als Opfer vorgeschrieben war, und zwar um des Bösen willen, das in dem war, der den Gottesdienst tat; denn Sauerteig ist, ohne eine einzige Ausnahme, in der heiligen Schrift nur das Symbol des Bösen.

Ebenso wurde es erlaubt, in den beiden Webebroten (3. Mo 23,17) – ein Vorbild des Volkes Gottes – Sauerteig zu haben, weil jeder, der zu diesem Volk gehört, Böses in sich hat, und es solange haben wird, als er im Leib ist. Gott kennt uns ganz genau. Er weiß das allerschlimmste von uns; aber dennoch liebt Er uns, und hat das Nötige vorgesehen wegen des Nebels, welches Er in uns sieht, so dass es nicht im allergeringsten unseren Frieden zu stören braucht. Wenn wir aber der Sünde zu wirken und sich zu offenbaren erlauben, so wird sie unseren Genuss des Friedens sicher stören und uns dazu bringen, unsere Knie vor dem Herrn im Bekenntnis und im Selbstgericht zu beugen. Gott der Heilige Geist, welcher in uns wohnt, kann nicht einen einzigen bösen Gedanken in uns dulden, den wir nicht richten. Alles muss gerichtet werden. Der Kampf darf nicht aufhören. „Das Fleisch gelüftet wider den Geist, und der Geist wider das Fleisch.“ Dieser Streit wird nie aufhören in dem Gläubigen, bis zu jenem seligen Augenblicke, wo er den Leib der Niedrigkeit ablegen wird. Wenn nun die innewohnende Sünde unseren Frieden hindern könnte, dann würde kein einziges Glied der Familie Gottes auch nur einen Augenblick denselben genießen können. Dank aber sei Gott, dass dies nicht der Fall ist! Unser Friede beruht nicht auf sündlosem Fleisch, sondern auf einem vollkommenen Opfer.

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