Einführende Vorträge zum Hebräerbrief

Kapitel 9

Einführende Vorträge zum Hebräerbrief

Kapitel 9 führt uns in die Sinnbilder des levitischen Kultes, seines Priestertums und seiner Opfer. Bevor er diese Gedanken entwickelt, weist der Apostel auf die Stiftshütte hin, in welcher die Opfer dargebracht wurden. „Eine Hütte wurde zugerichtet, die vordere, in welcher sowohl der Leuchter war als auch der Tisch und die Darstellung der Brote, welche das Heilige genannt wird; hinter dem zweiten Vorhang aber eine Hütte, welche das Allerheiligste genannt wird, die ein goldenes Räucherfaß hatte und die Lade des Bundes, überall mit Gold überdeckt.“ (V. 2-4). Beachten wir sorgfältig, daß es sich hier um die Stiftshütte handelt und nicht um den Tempel. Letzterer wird nicht erwähnt, weil er die Herrlichkeit des Tausendjährigen Reiches veranschaulicht. Anders die Stiftshütte, weil sie in ihrer richtigen Anwendung von dem spricht, was im christlichen System heute verwirklicht ist. Letzteres setzt nämlich voraus, daß das Volk Gottes sich noch nicht im Land befindet, sondern als Pilger und Fremdlinge auf der Erde wandelt; und der Hebräerbrief betrachtet das Volk Gottes ausdrücklich und ausschließlich unter dem Gesichtspunkt, daß es die Wüste noch nicht verlassen hat, wie wir schon gesehen haben. Auch wenn es sich am Rand des Landes befinden mag, im Begriff einzuziehen, so ist es keineswegs schon in demselben. Es  bleibt noch eine Sabbatruhe für das Volk Gottes. Bis zu diesem Punkt ist es gebracht worden; und die Mittel sind vorhanden, um uns auf dem Pfad voranschreiten zu lassen. Dennoch sind wir noch nicht in die Ruhe Gottes eingetreten. Sie erwartet uns. Das ist nicht allein ein Hauptgesichtspunkt in Kapitel 4, sondern im ganzen Brief. Darauf mußte um so dringlicher bestanden werden, weil die Juden, wie alle anderen Menschen, gerne schon hier und jetzt in Ruhe gewohnt hätten. Das entspricht zweifellos dem Fleisch und ist ihm angenehm. Es sind indessen genau die Umstände, welche dem ganzen Ratschluß Gottes im Christentum entgegen stehen, seitdem Christus in den Himmel gegangen ist, bis Er zurückkehrt. Daraus folgt der Pfad des Glaubens, zu dem die Kinder Gottes berufen sind.

Dementsprechend, weil sie zum Pilgerweg des Christen paßt, bezieht sich der Schreiber auf die Stiftshütte und nicht auf den Tempel. Das ist um so bemerkenswerter, weil die Ausdrucksweise notwendigerweise und tatsächlich auf den Zustand des Gottesdienstes im Tempel hinweist. Doch der Apostel nennt immer nur die Stiftshütte. In Wirklichkeit standen beide auf derselben Grundlage. Daher war es rechtmäßig so zu sprechen. Hätte er anders gehandelt, wäre seine Absicht beeinträchtigt worden. Das zeigt uns also das Hauptthema des Geistes Gottes, in dem Er uns auf jenes Sinnbild verweist, welches von dem Gläubigen heutzutage in seinem noch unvollendeten Pilgerzustand spricht und nicht von Israel, das im Land der Verheißung angesiedelt ist.

In welchem Zusammenhang wird auf das Heiligtum angespielt? Um aufzuzeigen, daß der Vorhang noch nicht zerrissen war! „In die zweite aber [ging] einmal des Jahres allein der Hohepriester, nicht ohne Blut, welches er für sich selbst und für die Verirrungen des Volkes darbringt; wodurch der Heilige Geist dieses anzeigt, daß der Weg zum Heiligtum noch nicht geoffenbart ist, solange die vordere Hütte noch Bestand hat, welches ein Gleichnis auf die gegenwärtige Zeit ist, nach welchem sowohl Gaben als auch Schlachtopfer dargebracht werden, die dem Gewissen nach den nicht vollkommen machen können, der den Gottesdienst übt, welcher allein in Speisen und Getränken und verschiedenen Waschungen besteht, in Satzungen des Fleisches, auferlegt bis auf die Zeit der Zurechtbringung.“ (V. 7-10). Alles dieses wird dem Christentum gegenübergestellt. „Christus aber, gekommen als Hoherpriester der zukünftigen Güter, in Verbindung mit der größeren und vollkommneren Hütte, die nicht mit Händen gemacht (das heißt nicht von dieser Schöpfung ist), auch nicht mit Blut von Böcken und Kälbern, sondern mit seinem eigenen Blute, ist ein für allemal in das Heiligtum eingegangen, als er eine ewige Erlösung erfunden hatte.“ (V. 11-12). Die Wörter „für uns“ [wie in der englischen „King-James-Bible“; Übs.] sind hier zu Recht weggelassen. Sie beeinträchtigen in Wirklichkeit die Aussage dieser Verse, indem sie die Aufmerksamkeit nicht auf die Wahrheit an sich, sondern auf ihre Anwendung in Bezug auf uns lenken. Das ist aber nicht das Thema von Kapitel 9, vielmehr von Kapitel 10.

In unserem Kapitel geht es um die große Wahrheit an sich in dem ihr eigenen Charakter. Worin besteht der Wert und die Bedeutung des Opfers Christi in den Augen Gottes und im Zusammenhang mit Seinen Wegen? Das sind die Tatsachen. Christus ist in die Gegenwart Gottes getreten, „als er eine ewige Erlösung erfunden hatte.“ Für wen diese Erlösung ist, steht nicht im Vordergrund; darauf wird der Apostel bald zu sprechen kommen. Jetzt wird gesagt, daß Er eine ewige (und nicht eine zeitweilige) Erlösung bewirkt hat. Sie übertrifft unendlich weit die Befreiung aus Ägypten oder jegliche, durch einen Hohenpriester für Israel bewirkte rituelle Sühne. Christus hat die Erlösung gebracht. Das wurde bezeugt durch ein Zeichen, indem der Vorhang von oben bis unten zerrissen wurde. Der unzerrissene Vorhang zeigte am Eingang des Allerheiligsten, daß der Mensch nicht in dasselbe eintreten konnte. Er hatte keinen Zugang in die Gegenwart Gottes. Das ist von höchster Bedeutung. Es spielte keine Rolle, ob es sich um einen einfachen Israeliten oder einen Priester handelte. Ein Priester als solcher konnte genauso wenig in die Gegenwart Gottes im Allerheiligsten eintreten wie jeder andere Israelit aus dem einfachen Volk. Das Christentum zeichnet sich dadurch aus, daß kraft des Blutes Christi jedem Gläubigen ein für allemal der Weg in das Allerheiligste geöffnet ist. Der Vorhang ist zerrissen. Der Gläubige darf herzunahen, wie im nächsten Kapitel gezeigt wird. Hier wird allerdings nur herausgestellt, daß es keinen Vorhang mehr gibt, da eine ewige Erlösung erworben wurde.

Darauf gründet der Apostel seine weitere Beweisführung: „Denn wenn das Blut von Böcken und Stieren und die Asche einer jungen Kuh, auf die Unreinen gesprengt, zur Reinigkeit des Fleisches heiligt“ (was kein Jude bestritt), „wieviel mehr wird das Blut des Christus, der durch den ewigen Geist sich selbst ohne Flecken Gott geopfert hat, euer Gewissen reinigen von toten Werken, um dem lebendigen Gott zu dienen! Und darum ist er Mittler eines neuen Bundes, damit, da der Tod stattgefunden hat zur Erlösung von den Übertretungen unter dem ersten Bunde, die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfingen.“ (V. 13-15). So wird jetzt die Kraft dessen, was Christus bewirkt hat, in einen Zusammenhang mit den Ratschlüssen für die Zukunft gestellt. Die Betrachtungsweise ist folglich nicht allein rückblickend, sondern zeigt vor allem auch die gegenwärtigen Wirkungen, während die Juden Christus ablehnen.

Die Anspielung auf das ewige Erbe im letzten Satz (denn im Hebräerbrief ist alles ewig und steht damit ausdrücklich im Gegensatz zu den jüdischen Dingen, welche nur für eine gewisse Zeit galten) veranlaßt den Heiligen Geist dazu, die andere Bedeutung des Wortes, welches richtig mit „Bund“ übersetzt worden ist, aufzugreifen. Auf dem ersten Blick mag jeder Leser, insbesondere der das Neue Testament in der Sprache liest, in welcher Gott es gegeben hat, sich über die doppelte Bedeutung des Wortes, welches hier mit „Bund“ übersetzt wird, gewundert haben. Es („διαθήκῃ“) bedeutet sowohl „Testament“ als auch „Bund“. Tatsächlich wissen die englischen [und auch manche deutschen; Üb.] Übersetzer nicht, was sie damit machen sollen; denn sie geben einmal die eine und einmal die andere Wiedergabe, ohne einen besonderen Grund dafür zu haben, es sei denn den der Abwechslung. Meinem Urteil nach ist es richtig, das Wort auf beide Weisen zu übersetzen, jedoch nicht willkürlich, sondern dem Zusammenhang entsprechend. Die Wörter sollten nicht nach Laune benutzt werden. Es gibt gewisse Zusammenhänge, welche dem verständigen Auge die Übersetzung „Bund“ nahelegen, und andere, in denen es besser ist, das Wort „Testament“ zu verwenden.

Wenn ich mich nicht sehr irre, können wir vielleicht in wenigen Worten zusammenfassend sagen, daß das Wort in jedem Teil des Neuen Testaments mit „Bund“ übersetzt werden sollte außer in diesen beiden Versen, nämlich Hebräer 9,16.17. Falls du also irgendwo sonst in deiner Bibelübersetzung 1 das Wort „Testament“ findest, vertausche es mit „Bund“ und du wirst, nach meiner Meinung, kaum irre gehen! Wenn wir uns bei diesen beiden Versen vor Augen halten, daß in Wirklichkeit von einem Testament gesprochen wird, wie es das zuvor erwähnte Wort „Erbe“ nahelegt, wirst du, wie ich überzeugt bin, die vorliegende Erörterung besser verstehen. Kurz gesagt, kann das [griechische] Wort beides bedeuten; das ist aber kein Beweis dafür, daß es willkürlich und ohne ausreichenden Grund in die eine oder andere Form übersetzt werden darf. Tatsächlich verführt sowohl die Liebe zur Einheitlichkeit als auch die zur Abwechslung so manchen Übersetzer, wie wir letzteres zu oft in unserer englischen Bibel finden. Es ist nicht einfach, diese Fehler immer zu erkennen. Jeder kann verstehen, daß die Versuchung groß ist, daß Wort mit „Bund“ zu übersetzen, nachdem wir festgestellt haben, daß das Wort fast immer „Bund“ bedeutet. Die beiden Ausnahmen sind um so schwerer zu erkennen, weil vorher und nachher in unserem Abschnitt wirklich vom „Bund“ gesprochen wird. Aber warum sollte ausschließlich hier „Testament“ stehen und an allen anderen Stellen „Bund“? Die Antwort besteht darin, daß die Sprache in diesen Versen eine besondere ist und ausdrücklich das Wort „Testament“ und nicht „Bund“ fordert. Daher muß die Übersetzung „Testament“ vorgezogen werden und nicht „Bund“. Der Grund dafür wird sich gleich zeigen.

Zunächst einmal fordert das Ende von Vers 15, worauf schon hingewiesen wurde, das Wort „Testament“. Dort lesen wir: „Damit ... die Berufenen die Verheißung des ewigen Erbes empfingen.“ Auf welche Weise empfängt man gewöhnlich ein Erbe? Sicherlich durch ein Testament, wie jeder weiß! Das ist die übliche Weise in allen Ländern und Zeiten, sofern es sich nicht um ein unzivilisiertes Land handelt. Kein Bild könnte demnach natürlicher sein, als das von Gott benutzte; denn Er wollte gewisse Personen zu einem Erbteil berufen. Also mußte es auch ein Testament über die Angelegenheit geben. Gleichermaßen wird aus der unbezweifelbaren doppelten Bedeutung des Wortes Vorteil genommen im Zusammenhang mit der angefügten Veranschaulichung, welche sich auf den Tod Christi bezieht. „Wo ein Testament ist, da muß notwendig der Tod dessen eintreten, der das Testament gemacht hat.“ (V. 16). Daß das Wort „διαθέμενος“ in diesem Zusammenhang „Testator“ [„Erblasser“] bedeutet, steht für mich außer Frage. Ich wüßte nicht und glaube es auch nicht, daß es irgendwo in dem Sinn „Bundesopfer“ verwendet wird oder verwendet werden könnte, wofür sich manche Ausleger stark machen. Das griechische Wort spricht oft von einer Person, die über ihr Besitztum oder etwas ähnliches Anordnungen trifft oder verfügt wie bei einem Vertrag oder Bund.

Verwenden wir hier das Wort „Bund“, so erkennen wir sofort die unüberwindlichen Schwierigkeiten, in welche wir gestürzt werden. Der Vers lautet dann so: „Wo ein Bund ist, da muß notwendig der Tod dessen eintreten, der den Bund gemacht hat“ - also derselben Person. Gilt nun als Grundsatz, daß der Schließer eines Bundes sterben muß, um den Bund in Kraft zu setzen? Im Gegenteil! Es ist offensichtlich, daß niemand diese Aussage als wahr anerkennen wird, wenn jemand sie aufstellt. Sie stimmt auch keinesfalls mit der Bibel überein sowie mit irgendeinem anderen Buch oder jeder Erfahrung. Bei allen Bünden der Heiligen Schrift muß der Bundschließer nirgendwo aus diesem Grund sterben. Tatsächlich müßten sogar zwei Personen sterben; denn üblicherweise müssen zwei Parteien vorhanden sein, welche durch einen Bund gebunden werden. Stimmte diese Richtschnur wirklich, müßten folglich beide Bundschließer sterben. Das ist offenkundig absurd.

Als Folge dieser Gedanken haben viele versucht (und ich erinnere mich, daß auch ich mich ähnlicher Bemühungen hingegeben habe, bis ich vom Mißerfolg überzeugt war), den Worten „ὁ διαθέμενος“, welche in der englischen Bibel richtig mit „der Testator“ wiedergegeben sind, die Bedeutung von „Bundesopfer“ zu geben. Eine Erwiderung auf diese Bemühungen besteht darin, daß kein einziger griechischer Schreiber weder in heiligen noch in weltlichen Schriften das Wort in diesem Sinn gebraucht. Wer also unsere beiden Verse auf diese Weise übersetzt, hat damit einen neuen Sinngehalt für diesen Ausdruck erfunden, anstatt seine richtige Bedeutung, wie sie alle großen Schriftwerke griechischer Zunge bezeugen, anzunehmen. Wenn wir indessen diesen Wörtern den Sinn geben, den die besseren Übersetzer hier richtigerweise voraussetzen, nämlich den von „Testator“ und „Testament“, verläuft der Gedankengang sofort ungestört und zeigt, wie angemessen diese Ausdrücke sind.

Der Apostel zeigt uns die Wirksamkeit des Todes Christi. Er legt uns die stellvertretende Natur dieses Todes und seinen Wert dar, indem er von den Opfern ausgeht, die damals allen - und besonders den Juden - in Verbindung mit dem Bund, der sie forderte, so vertraut waren. Jetzt ergreift der schnelldenkende Verstand des Apostels unter der Leitung des Heiligen Geistes den anderen wohlbekannten Sinn des Wortes, nämlich den der testamentarischen Verfügung, und enthüllt die Notwendigkeit des Todes Christi, um sie in Kraft treten zu lassen. Es stimmt: Manchmal wurden Opfertiere geschlachtet, um einen Bund zu bestätigen (ratifizieren), und wurden so zum Siegel dieses Bundes. Aber zunächst einmal waren sie nicht notwendig. Zum zweiten und Bedeutsamsten hatten auf keinem Fall, ὁ δια-θέμενος, der Bundschließer oder die vertragschließenden Parteien zu sterben, um den Bund in Kraft zu setzen. Auf der anderen Seite ist die Wahrheit wohlbekannt, daß ein Testament keineswegs in Vollzug gelangen kann, ohne den Tod des Erblassers - ein Bild, das jeder sofort versteht. Derjenige, der durch ein Testament über seinen Besitz verfügt, muß gestorben sein, damit der Erbe den Nachlaß übernehmen kann. Welche von den beiden Bedeutungen des griechischen Wortes sich in diesen Abschnitt am zwanglosesten einfügt, möge der Leser selbst beurteilen! Und beachte auch: Es wird vorausgesetzt, daß so die allgemeinen Gepflogenheiten sind und daß es sich um einen Grundsatz handelt, der nicht bezweifelt werden kann. „Denn wo ein Testament ist, da muß notwendig der Tod dessen eintreten, der das Testament gemacht hat.“ ... „Denn ein Testament ist gültig, wenn der Tod [π νεκρος] eingetreten ist, weil es niemals Kraft hat, solange der lebt, der das Testament gemacht hat.“ (V. 17).

Indem wir dieses eindrucksvolle Beispiel von der Art, wie Paulus aus einem einzigen Wort („διαθήκῃ“) seine Schlußfolgerungen zieht, verlassen, wollen wir nun der allgemeinen Linie seiner Erörterung weiter folgen. „Daher ist auch der erste Bund nicht ohne Blut eingeweiht worden. Denn als jedes Gebot nach dem Gesetz von Moses zu dem ganzen Volke geredet war, nahm er das Blut der Kälber und Böcke mit Wasser und Purpurwolle und Ysop und besprengte sowohl das Buch selbst als auch das ganze Volk, und sprach: „Dies ist das Blut des Bundes, den Gott für euch geboten hat“. Und auch die Hütte und alle Gefäße des Dienstes besprengte er gleicherweise mit dem Blute; und fast alle Dinge werden mit Blut gereinigt nach dem Gesetz, und ohne Blutvergießung gibt es keine Vergebung. Es war nun nötig, daß die Abbilder der Dinge in den Himmeln hierdurch gereinigt wurden, die himmlischen Dinge selbst aber durch bessere Schlachtopfer als diese. Denn der Christus ist nicht eingegangen in das mit Händen gemachte Heiligtum, ein Gegenbild des wahrhaftigen, sondern in den Himmel selbst, um jetzt vor dem Angesicht Gottes für uns zu erscheinen.“ (V. 18-24).

Auf diese Weise wird nachdrücklich die allgemeine Lehre des Kapitels vor uns gestellt: Christus hat nur  einmal gelitten und wurde nur einmal geopfert. Außerdem kann das Opfer nicht von den Leiden getrennt werden. Wenn Er häufig geopfert würde, müßte Er auch häufig leiden. Dem steht die Wahrheit entgegen, daß es nur ein Opfer und  ein Leiden Christi gibt - und zwar ein- für allemal. Das wird bezeugt durch Seine Vollkommenheit, in welcher Er in die Gegenwart Gottes ging, um für uns zu erscheinen. So dürfen wir also beobachten, wie wir am Ende alles sittlichen und erprobenden Umgangs mit dem ersten Menschen (dargestellt in Israel) zu einem äußerst bemerkenswerten Punkt sowohl in Hinsicht auf die Wege Gottes als auch die Erörterung des Apostels gelangen. Bis zu jener Zeit war der Mensch Gegenstand dieser Wege. Es ging einfach - und natürlich rechtmäßiger Weise - um eine Erprobung. Der Mensch wurde immer wieder und auf jede mögliche Art geprüft. Gott kannte das Ergebnis schon von Anfang an, wie Er auch hin und wieder selbst erklärte. Er wollte indessen jedem Gewissen offenbar machen, daß das einzige, was Er aus diesen verschiedenen Umgangsweisen vom Menschen erntete, die Sünde war. Darauf folgte ein vollständiger Wechsel. Gott selbst nahm die Angelegenheit in Seine Hand, um in Hinsicht auf die Sünde des Menschen zu handeln. Das geschah in Jesus, in gerade jenem Messias, auf den die Juden warteten. Er hat die Sünde durch das Opfer Seiner Selbst weggetan und dieses gewaltige Werk vollbracht. Das entsprach bewunderungswürdig der Güte Gottes; und ausschließlich dieses Werk reicht tief genug hinab, um den verdorbensten Menschen zu erfassen und mit einem Heil zu befreien, welches denselben nur um so mehr demütigt und Gott verherrlicht. Denn jetzt trat Gott sozusagen in Seiner eigenen Macht und Gnade hervor und nahm in der Person Christi am Kreuz die Sünde hinweg. Er beseitigte sie vor Seinem Angesicht und befreite den Gläubigen uneingeschränkt von ihr in Hinsicht auf das Gericht.

„Jetzt aber ist er  einmal in der Vollendung der Zeitalter ...“ (V. 26). Das ist die wahre Bedeutung des Ausdrucks (und nicht: „am Ende der Welt“) 2. Es handelt sich um die Beendigung jener Haushaltungen, welche herausstellen sollten, was der Mensch wirklich ist. Die übelste Sünde des Menschen erreichte ihren Höhepunkt im Tod Christi, der keine Sünde kannte. Aber gerade in jenem Tod nahm Er die Sünde hinweg. Darum konnte Christus in den Himmel gehen und ohne Sünde zurückkehren. Er hat nichts mehr mit Sünde zu tun. Er wird die Menschen, die Ihn verwerfen und die Sünde gering achten, richten sowie zur Erlösung Seines Volkes erscheinen. „Und ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht, also wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen, zum zweiten Male denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit.“ (V. 27-28).

Wenn wir an Christus denken, entspricht es natürlich uneingeschränkt der Wahrheit, daß Er auf der Erde völlig ohne Sünde war. Aber Er, der in Seiner Person und in Seinem ganzen Leben ohne Sünde war, hatte am Kreuz ganz und gar mit Sünde zu tun gehabt, als Gott Ihn für uns zur Sünde machte. Die Sühne war schließlich genauso wirklich wie unsere Sünde; und Gott Selbst beschäftigte sich mit Ihm, indem Er die Sünde auf Ihn legte, und behandelte Ihn, den großen Stellvertreter, wie Sünde vor Seinen Augen. Dadurch sollte mit einem Schlag alle Sünde vor Seinem Angesicht hinweg getan werden. So hat Er gehandelt und zwar ein- für allemal. Folglich stehen kraft Seines Todes, der den Vorhang zerrissen hat, Gott und der Mensch sich Auge in Auge gegenüber. Was ist also der wahre Zustand des Menschen? „Ebenso wie es den Menschen gesetzt ist, einmal zu sterben,“ - der Lohn der Sünde, doch nicht der ganze Lohn - „danach aber das Gericht,“ - bzw. der volle Lohn der Sünde - „also wird auch der Christus, nachdem er einmal geopfert worden ist, um vieler Sünden zu tragen,“ - dieses Werk hat Er vollbracht - „zum zweiten Male denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Seligkeit.“ Er wird niemals mehr etwas mit Sünde zu tun haben. Er hat sie so vollständig für diejenigen, die an Ihn glauben, hinweggefegt, daß bei Seiner Rückkehr sich keine Frage des Gerichts mehr erhebt, soweit es die Erlösten betrifft. Für sie bleibt nur Errettung in dem Sinn übrig, daß sie von den letzten Resten oder Folgen der Sünde, sogar für den Leib, befreit werden. Tatsächlich wird hier nur vom Leib gesprochen. Soweit es die Seele angeht, ging Christus nicht in den Himmel zurück, bevor die Sünde vor Gott beseitigt war. Im Himmel ist Christus keinesfalls damit beschäftigt, die Sünde wegzuschaffen. Auch wenn Er zurückkommt, wird Er die Frage der Sünde nicht mehr berühren, weil dieses Werk abgeschlossen ist. Sogar Christus könnte nichts mehr zur Vollkommenheit jenes Opfers hinzufügen, durch welches Er die Sünde hinweg getan hat. Infolge dessen geht es bei Seinem Wiederkommen für die, welche auf Ihn warten, ausschließlich darum, sie in alle ewigen Ergebnisse jener großen Erlösung einzuführen.

Fußnoten

  • 1 Im Text von Kelly steht: „authorized version“. (Üb.).
  • 2 Wie in der englischen „King-James-Bible“ und der „Luther­bibel“ (Übs.).
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