Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Kapitel 18

Betrachtung über Lukas (Synopsis)

In Gegenwart der ganzen Macht der Feinde und der Unterdrücker (denn solche würden, wie wir gesehen haben, vorhanden sein, so dass man sogar sein Leben verlieren konnte) gab es indes für den leidenden Überrest eine Hilfsquelle, nämlich die Beharrlichkeit im Gebet; das ist zugleich zu allen Zeiten die Hilfsquelle für den Gläubigen, für den Menschen, wenn er sie erkennt. Gott wird Seine Auserwählten rächen, wiewohl Er sie hinsichtlich der Ausübung ihres Glaubens auf die Probe stellen mag. Aber wird der Sohn des Menschen, wenn Er kommt, jenen Glauben finden, der auf Seine Dazwischenkunft harrt? Das war die ernste Frage, deren Beantwortung der Verantwortlichkeit des Menschen überlassen bleibt, und aus der man ersieht, dass das Vorhandensein dieses Glaubens kaum erwartet werden darf, obwohl er da sein sollte. Wo sich aber dieser Glaube findet, ist er dem Herrn, der ihn sucht, wohlgefällig, und er wird weder in seiner Erwartung getäuscht noch beschämt werden.

Man wird bemerken, dass das Reich - denn nur von diesem ist die Rede - auf zweierlei Art inmitten der Juden jener Zeit dargestellt ist: 1. in der Person Jesu, und 2. in der Vollziehung des Gerichts, in dem die Auserwählten allein verschont bleiben werden, und wobei die Rache Gottes zu ihren Gunsten vollzogen werden wird. Deswegen sollten sie auch nur Gott zu gefallen trachten, wie friedfertig oder wie feindselig die Welt sich auch darstellen möchte. Es handelt sich um den Tag des Gerichts der Bösen, und nicht um den Augenblick, da die Gerechten in den Himmel aufgenommen werden. Diese finden mehr in Henoch und Abraham ihr Vorbild, während die anderen, die verschont bleiben, um auf der Erde zu leben, durch Noah und Lot dargestellt werden. Jedoch gibt es Unterdrücker, an denen der Überrest gerächt werden soll. In Lk 17, 31 wird uns gesagt, dass dieser Überrest nur an das Gericht denken und sich mit nichts verbinden sollte. Abgesondert von allem, würde in einem solchen Augenblick ihre alleinige Hoffnung auf Gott sein.

Der achte Vers unseres Kapitels schließt die prophetische Warnung betreffs der letzten Tage. Der Herr fährt dann fort, den Charakter derer zu schildern, die für das Reich passend waren, um jetzt mittels der Nachfolge Jesu in dasselbe einzutreten, und die mit der durch die Gnade eingeführten Sachlage im Einklange standen. Die Selbstgerechtigkeit ist weit davon entfernt, eine Empfehlung für den Eingang in das Reich zu sein (V. 9-14). Der elendste Sünder, der seine Sünden bekennt, ist mehr gerechtfertigt vor Gott als der Selbstgerechte: „Jeder, der sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ Welch ein Beispiel und welch ein Zeuge von dieser Wahrheit war der Herr Jesus Christus Selbst!

Die Gesinnung eines kleinen, einfältigen Kindes, das alles glaubt, was man ihm sagt, das in seinen eigenen Augen von geringer Bedeutung ist und sich gezwungen sieht, allen nachzugeben - diese Gesinnung ist auch für das Reich Gottes angemessen (V. 15-17). Konnte der Herr einer anderen Gesinnung den Eintritt in dasselbe gestatten? Zudem bildeten die Grundsätze des Reiches, wie es durch die Verwerfung Christi errichtet war, einen grellen Gegensatz zu den zeitlichen Segnungen, die an den Gehorsam dem Gesetz gegenüber geknüpft waren, wie ausgezeichnet dieses letztere auch an seinem Platze sein mochte (V. 18 u. f.).

Der Jüngling, der äußerlich in seinem Wandel das Gesetz beobachtet hatte, wird aufgefordert, alles zu verlassen, um dem Herrn nachzufolgen. Jesus kannte die Umstände und das Herz dieses Jünglings und legte Seinen Finger auf die Begierde, die ihn beherrschte und die durch die Reichtümer, die er besaß, genährt wurde. Er sollte alles verkaufen, was er hatte, und Jesu nachfolgen; dann würde er einen Schatz im Himmel haben. Der Jüngling aber ging traurig hinweg. Die Reichtümer, die in den Augen der Menschen ein Zeichen der Gunst Gottes zu sein schienen, waren nur ein Hindernis, sobald es sich um das Herz und den Himmel handelte. Zugleich kündigt der Herr an, dass ein jeder, der irgendetwas, das er wertschätze, um des Reiches der Himmel willen aufgebe, schon in dieser Welt viel mehr und nachher das ewige Leben empfangen werde. Dem Geiste unseres Evangeliums entsprechend redet der Herr hier nicht von der Stellung der Zwölfe in Israel, wie in Matthäus, sondern stellt nur einen allgemeinen Grundsatz hinsichtlich des Reiches auf (V. 21-34).

Endlich erklärt der Herr Seinen Jüngern im Besonderen auf Seinem Wege nach Jerusalem, dass Er überliefert, misshandelt und getötet werden würde, um danach aufzuerstehen. Es war die Erfüllung alles dessen, was die Propheten geschrieben hatten; aber die Jünger verstanden nichts von diesen Dingen. Wenn der Herr denen, die Ihm nachfolgten, teil an Seinem Kreuze geben wollte, so konnte Er nicht anders, als es Selbst tragen. Er ging in diesem Pfade der Selbstverleugnung und Aufopferung vor Seinen Schafen her, um den Weg zu bereiten. Er ging allein. Es war ein Pfad, den Sein Volk noch nicht betreten hatte, und den sie auch nicht betreten konnten, bis Er ihn gegangen war.

In Vers 35 beginnt die Erzählung der letzten Reise des Herrn nach Jerusalem und Seines Verkehrs mit dieser Stadt. Zugleich nahen wir jetzt geschichtlich dem großen Übergang, von dem wir gesprochen haben 1. Der Herr geht hin, um Sich von neuem, und zwar zum letzten Male, als Sohn Davids vorzustellen, indem Er Seine Ansprüche auf diesen Titel der Nation aufs Gewissen legt und zugleich die Folgen Seiner Verwerfung beschreibt. In der Nähe von Jericho 2, der Stadt des Fluches, gibt Er einem Blinden, der an Seinen Titel als Sohn Davids glaubt, das Gesicht wieder. So haben auch alle aus Israel, die jenen Glauben besaßen, ihr Gesicht empfangen, um Ihm nachzufolgen; und sie haben noch größere Dinge als diese gesehen.

Fußnoten

  • 1 Die Geschichte des Blinden zu Jericho ist, wie schon früher bemerkt, hier wie in Matthäus und Markus der Anfang der letzten Begebenheiten des Lebens Christi.
  • 2 In Lukas wird das Kommen des Herrn nach Jericho als eine allgemeine Tatsache dargestellt, im Gegensatz zu Seiner allgemeinen Reise, die schon von Lk 9,51 an vor den Blicken des Schreibers steht. Tatsächlich sah der Herr diesen Blinden erst, als Er aus Jericho hinausging. Wir haben daher hier nur die allgemeine Tatsache, um der ganzen Geschichte, dem Zachäus und allem, ihren moralischen Platz zu geben.
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