Betrachtung über Lukas (Synopsis)

Kapitel 9

Betrachtung über Lukas (Synopsis)

In diesem Kapitel beauftragt der Herr die Jünger mit derselben Sendung in Israel, die Er Selbst erfüllte. Sie predigen das Reich, heilen die Kranken und treiben Teufel aus. Jedoch soll ihr Werk den Charakter einer Schluss-Mission annehmen; nicht als ob der Herr aufgehört hätte zu wirken (denn Er sandte auch die Siebzig aus), sondern in dem Sinne, dass diese Sendung ein entscheidendes Zeugnis gegen das Volk wurde, wenn sie es verwarfen. Die Zwölfe sollten beim Verlassen der Städte, in denen man sie nicht aufnehmen würde, den Staub von ihren Füßen schütteln. Dies ist an dem Punkte, den wir in unserem Evangelium erreicht haben, leicht verständlich; es wird mit einer noch größeren Kraft bei der Sendung der Siebenzig wiederholt. Wir werden in dem Kapitel, das diese Sendung berichtet, davon reden. Ihre Mission folgt auf die Offenbarung der Herrlichkeit Jesu, die den drei Jüngern zuteil wurde.

Kehren wir jetzt zu unserem Kapitel zurück. Wir sehen (V. 7 a. f.), dass das Gerücht von den wunderbaren Taten Jesu bis zu den Ohren des Königs gedrungen war. Israel war also ohne Entschuldigung. So wenig Gewissen auch vorhanden war, so wurde doch die Wirkung der Macht Jesu gefühlt; auch folgte Ihm das Volk. Obwohl Er mit Seinen Jüngern, nachdem diese von ihrer Mission zurückgekehrt waren, an einen wüsten Ort entwich, sah Er Sich doch bald wieder von der Menge umringt. Er erwies Sich aufs Neue als ihr Diener in Gnade. Er predigte ihnen, wie groß auch ihr Unglaube sein mochte, und heilte alle, die es bedurften. Doch wollte Er einen neuen und ganz besonderen Beweis von der Macht und Gegenwart Gottes unter ihnen geben. Es stand geschrieben, dass Jehova, wenn Er in der Zeit der Segnung Israels das Horn Davids wachsen lassen würde, Seine Armen mit Brot sättigen würde (Ps 132); und Jesus tat dieses jetzt. Indes finden wir hier noch mehr. Wir haben in diesem ganzen Evangelium gesehen, dass Jesus diese Macht in Seiner Menschheit ausübte vermittels der unbegrenzten Macht des Heiligen Geistes. Hieraus fließt eine wunderbare Segnung für uns hervor, die nach den unumschränkten Ratschlüssen Gottes uns gewährt wird, und zwar durch die vollkommene Weisheit Jesu, die sich in der Auswahl Seiner Werkzeuge kundgibt. Er will, dass die Jünger das Brot austeilen; nichtsdestoweniger ist es Seine Macht allein, die das Wunder verrichtet. Die Jünger sehen nicht über das hinaus, was ihren Augen sich darbietet.

Wenn aber auch Der, der sättigt, Jehova ist, so nimmt Er doch stets in der von Ihm angenommenen Natur den Platz der Abhängigkeit ein. Er zieht Sich mit Seinen Jüngern zurück, und hier, fern von der Welt, betet Er (V. 18). Und wie bei den beiden bemerkenswerten Ereignissen 1 des Herniederkommens des Heiligen Geistes und der Erwählung der Zwölfe, so wird auch hier Sein Gebet zu einem Anlass, Seine Herrlichkeit zu offenbaren - eine Herrlichkeit, die Ihm zwar gebührte, die aber der Vater Ihm als Mensch gab, und zwar in Verbindung mit den Leiden und der Erniedrigung, die Er in Seiner großen Liebe freiwillig erduldete. Die Aufmerksamkeit des Volkes war erregt, allein sie ging betreffs des Heilandes nicht über die Spekulationen des menschlichen Geistes hinaus. Der Glaube der Jünger erkannte in Jesu ohne Bedenken den Christus (V. 20); aber als solcher sollte Er nicht mehr verkündigt worden, denn der Sohn des Menschen musste leiden. Wichtigere Ratschlüsse, eine vortrefflichere Herrlichkeit als diejenige des Messias, sollten verwirklicht werden; aber es sollte durch Leiden sein - durch Leiden, die Seine Jünger in der Nachfolge Jesu teilen sollten. Aber indem sie ihr Leben für Ihn verloren, sollten sie es gewinnen; denn indem man Jesu nachfolgte, handelte es sich um das ewige Leben der Seele und nicht nur um das Reich. Überdies wollte Er, der jetzt verworfen wurde, wiederkommen in Seiner eigenen Herrlichkeit, nämlich als Sohn des Menschen (dem Charakter gemäß, den Er in diesem Evangelium annimmt) in der Herrlichkeit des Vaters - denn Er war der Sohn Gottes - und in derjenigen der Engel, über denen Er stand; denn obwohl Er Mensch war, war Er doch dieses Platzes würdig, weil Er die Engel geschaffen hatte. Das Heil der Seele, die nach Seinen Rechten anerkannte Herrlichkeit Jesu - alles das war für die Jünger eine ernste Mahnung, Ihn zu bekennen, während Er verachtet und verworfen war.

Um nun den Glauben derer, die Er zu Pfeilern machen wollte (vgl. Gal 2), und durch sie den Glauben aller zu befestigen, erklärt Jesus, dass etliche, bevor sie den Tod schmecken würden, das Reich Gottes sehen sollten. Sie sollten also weder auf den Tod, in dem der Wert des ewigen Lebens gefühlt werden würde, noch auf die Rückkehr des Herrn warten. Infolge dieser Erklärung nimmt Er acht Tage später die drei Jünger: Petrus, Jakobus und Johannes mit Sich und geht auf einen Berg, um zu beten. Dort wird Er verklärt. Er erscheint in Herrlichkeit, und die Jünger sehen es; aber Moses und Elias teilen diese Herrlichkeit mit Ihm. Die Heiligen des Alten Bundes haben auf Grund des Todes Christi mit Ihm teil an der Herrlichkeit des Reiches. Moses und Elias reden mit Ihm über diesen Tod (V. 31). Zu ihrer Zeit hatten sie von anderen Dingen geredet. Sie hatten entweder das Gesetz aufrichten sehen, oder das Volk zur Einführung der Segnung zu demselben zurückzuführen gesucht; aber jetzt, da es sich um diese neue Herrlichkeit handelt, ist alles abhängig von dem Tode Christi, und von diesem allein; alles andere verschwindet (V. 30-36). Die himmlische Herrlichkeit des Reiches und der Tod stehen hier in unmittelbarer Beziehung zueinander. Petrus sieht nur die Einführung Christi in eine Herrlichkeit, die mit derjenigen des Moses und des Elias gleichbedeutend ist, indem er diese letztere in seinem Geiste mit dem verbindet, was diese beiden Männer für einen Juden waren, und indem er Jesum dazugesellt. Daraufhin aber verschwinden Moses und Elias gänzlich, und Jesus bleibt allein. Ihn sollten die Jünger hören, Ihn allein. Die Verbindung jener beiden Männer mit Jesu in der Herrlichkeit hing ab von der Verwertung ihres Zeugnisses durch das Volk, an das sie dasselbe gerichtet hatten.

Doch das ist nicht alles. Die Kirche, im eigentlichen Sinne des Wortes, tritt hier nicht hervor; aber es zeigt sich das Zeichen der „prachtvollen Herrlichkeit“ oder der Gegenwart Gottes, nämlich die Wolke, in der Jehova in Israel wohnte. In diese führt Jesus die Jünger als Zeugen ein. Moses und Elias verschwinden, und nachdem Jesus die Jünger in die nächste Nähe der Herrlichkeit gebracht hat, offenbart Sich der Gott Israels als Vater und erkennt Jesum als den Sohn an, in dem Er Sein Wohlgefallen findet. In den Beziehungen Gottes zu dem Menschen ist alles verändert. Der Sohn des Menschen, getötet auf der Erde, wird in der prachtvollen Herrlichkeit als der Sohn des Vaters anerkannt. Die Jünger kennen Ihn so durch das Zeugnis des Vaters; sie sind mit Ihm verbunden und werden gleichsam eingeführt in die Herrlichkeit, in der der Vater Selbst Jesum als Seinen Sohn anerkannte - in der der Vater und der Sohn Sich befinden. Auch gibt Sich Jehova als Vater zu erkennen, indem Er den Sohn offenbart; und die Jünger sehen sich hienieden verbunden mit dem Wohnplatz der Herrlichkeit, von wo aus Jehova Selbst zu aller Zeit Israel beschirmt hatte. Jesus war mit ihnen dort, und Er war der Sohn Gottes. Welch eine Stellung! Welch eine Änderung für siel Es ist in der Tat die Umgestaltung alles dessen, was das Vortrefflichste im Judentum war, in die Verbindung mit der himmlischen Herrlichkeit, die in diesem Augenblick bewerkstelligt wurde, um alles neu zu machen 2.

Der persönliche Nutzen, den wir aus dieser Stelle ziehen können, ist insofern groß, als sie uns auf eine äußerst treffende Weise den himmlischen und herrlichen Zustand offenbart. Die Heiligen sind mit Jesu in der selben Herrlichkeit; sie sind bei Ihm und unterhalten sich vertraulich mit Ihm; sie reden mit Ihm über das, was Seinem Herzen am nächsten liegt, über Seine Leiden und Seinen Tod. Sie sprechen mit Gefühlen, die aus Umständen hervorgehen, die das Herz in Bewegung setzen. Anstatt dass sie das Reich empfingen, musste Jesus in dem geliebten Jerusalem sterben. Die Heiligen reden mit einsichtsvollem Verständnis über die Ratschlüsse Gottes; denn die Dinge selbst hatten noch nicht stattgefunden. Dergestalt sind die Beziehungen der Heiligen zu Jesu im Reiche; denn bis hierhin handelt es sich nur um die Offenbarung der Herrlichkeit, wie die Welt sie sehen wird, mit Hinzufügung der Unterhaltungen zwischen den Verherrlichten und Jesu. Moses und Elias standen mit dem Herrn auf dem Berge. Die drei Jünger aber werden weitergeführt, sie werden von dem Vater unterwiesen; Er macht sie mit Seiner Liebe zu Seinem Sohne bekannt. Moses und Elias haben von Christo Zeugnis abgelegt, und sie werden mit Ihm verherrlicht sein; aber dann bleibt Er für die Kirche allein. Das ist mehr als das Reich: es ist die Gemeinschaft mit dem Vater und mit Seinem Sohne Jesu Christo, die sicher nicht zu jener Zeit, wohl aber jetzt durch die Kraft des Heiligen Geistes verstanden wird. Wie wunderbar ist dieses Eingehen der Heiligen in die prachtvolle Herrlichkeit, in die Schechinah die Wohnung Gottes! Wie wunderbar sind diese Offenbarungen von Seiten Gottes bezüglich Seiner Liebe zu Seinem Sohne! Das ist mehr als die Herrlichkeit. Indes bleibt Jesus allezeit der Gegenstand, der den Schauplatz für uns ausfüllt.

Was unsere Stellung hienieden betrifft, so ist es bemerkenswert, dass der Herr mit Seinen Jüngern auf der Erde ebenso vertraut über Seinen Tod redet wie mit Moses und Elias (V. 44). Diese stehen in keinem innigeren Verhältnisse zu Ihm als Petrus, Jakobus und Johannes. Welch ein lieblicher und köstlicher Gedanke! Der Himmel ist nicht so fern von uns, wie wir meinen; es ist gleichsam nur ein dünner Schleier, der uns von dem, was himmlisch ist, scheidet.

Das Folgende (V. 37 a. f.) ist die Anwendung von dem soeben Besprochenen auf den Zustand der Dinge hienieden. Die Jünger sind unfähig, die bereits geoffenbarte Macht Jesu zur Austreibung der Macht des Feindes zu benutzen; und dies rechtfertigt Gott in dem, was Er betreffs Seiner Ratschlüsse auf dem Berge geoffenbart hatte, und führt zu der Beiseitesetzung des jüdischen Systems, um die Erfüllung jener Ratschlüsse einzuführen. Jedoch verhinderte dies die Wirksamkeit der Gnade Jesu nicht, die Menschen zu befreien, solange Er noch bei ihnen war, bis sie Ihn endgültig verworfen hatten. Ohne auf das fruchtlose Staunen der Menge zu achten, bezeugt dann der Herr Seinen Jüngern, dass man Ihn verwerfen und kreuzigen würde, indem Er diesen Grundsatz bis zu der Selbstverleugnung und der Demut ausdehnt, die das aufnimmt, was am allergeringsten ist.

Der Schluss des Kapitels (V. 46 u. f.) zeigt uns die verschiedenen Züge der Selbstsucht und des Fleisches, die im Gegensatz zu der in Christo geoffenbarten Gnade und Aufopferung stehen, und die den Glaubenden zu verhindern suchen, in den Fußstapfen Jesu zu wandeln. Die Verse 46-48, 49-50 und 51-56 stellen verschiedene Beispiele hiervon dar. Die drei Stellen bezeichnen, eine jede für sich, eine bestimmte Art von Selbstsucht: zunächst die grobe persönliche Selbstsucht; dann die Selbstsucht in Bezug auf eine bestimmte Körperschaft, der man angehört; und endlich die Selbstsucht, die sich in einen Schein von Eifer für Christum hüllt, ohne Ähnlichkeit mit Ihm zu haben. Diese Art von Selbstsucht ist feiner als jede andere und wird deshalb nicht so leicht von dem Menschen wahrgenommen. Dann (V. 57-62) stellt uns der, Geist Gottes den Gegensatz zwischen dem betrüglichen Willen des Menschen und dem wirksamen Rufe der Gnade vor Augen sowie das Widerstreben des Fleisches, wenn der Ruf wirklich erfolgt, und endlich die Notwendigkeit einer unbedingten Entsagung von allem, um dem Rufe der Gnade zu gehorchen 3.

Als Antwort auf die Gesinnung, die (nicht eingedenk des Kreuzes) hienieden die Vergrößerung der Körperschaft sucht, zu der man gehört, drückt der Herr gegen Seine Jünger das aus, was Er Sich Selbst nicht verhehlte, und was die Wahrheit Gottes war, nämlich: dass alle dergestalt gegen sie seien, dass der, welcher es nicht wäre, sich dadurch schon für sie erkläre (V. 49. 50). So völlig stellte die Gegenwart Christi das Herz auf die Probe. Ein anderer, in Mark. 9 angedeuteter Grund wird hier nicht wiederholt, indem der Heilige Geist Sich auf den soeben betrachteten Gesichtspunkt beschränkt.

Dann (V. 51 u. f.) stellt Jesus Sein Angesicht fest, nach Jerusalem zu gehen, aber in einem Dorfe der Samariter weigert man sich, Ihn aufzunehmen. In den Augen der Jünger verdienten die Samariter, weil sie den Messias verstießen, vernichtet zu werden. Allein Christus war gekommen, das Leben der Menschen zu erretten. Wurde Er auch verworfen, so richtete Er doch niemanden. Er rächt Sich nicht; Er erduldet den Schimpf und geht anderswohin.

Endlich, in V. 57 u. f., sehen wir etliche, die Ihm dienen wollen; allein Jesus hat hienieden keine Heimat, wohin Er sie führen kann. Aus demselben Grunde ist einstweilen die Predigt vom Reiche das Einzige, was für Seine unermüdliche Liebe zu tun bleibt. Der (für Gott) tote Mensch mochte die Toten begraben; derjenige, der berufen war und lebte, sollte sich nur mit einer Sache beschäftigen, nämlich mit dem Reiche, um Zeugnis von demselben abzulegen; und er sollte das tun, ohne rückwärts zu blicken, indem die Dringlichkeit der Sache ihn über jeden anderen Gedanken erhob. Wer seine Hand an den Pflug gelegt hatte, durfte nicht zurückblicken. Angesichts der Feindschaft und des traurigen Zustandes des Menschen gegenüber alledem, was sich dem Reiche widersetzte, verlangte dieses, dass die Seele vermittelst der Macht Gottes ganz und gar für seine Interessen eingenommen sei. Das Werk Gottes forderte angesichts der Verwerfung Christi eine gänzliche Hingebung.

Fußnoten

  • 1 Bemerken wir hier auch, dass Seine Gebete nicht nur geschehen bei Gelegenheit mächtiger Taten oder infolge eines besonderen Zeugnisses, das von der Herrlichkeit Seiner Person als Antwort auf Sein Gebet abgelegt wird. Seine Unterredung mit den Jüngern über die Veränderung in der Haushaltung Gottes (in der Unterredung, in der Er von Seinem Leiden spricht und den Jüngern zu sagen verbietet, dass Er der Christus sei) wird ebenfalls durch Sein Gebet eingeführt, als Er mit ihnen an einem wüsten Orte war. Die Tatsache, dass Sein Volk für eine Zeit beiseite gesetzt werden sollte, beschäftigte Sein Herz ebenso sehr wie die Herrlichkeit. Überdies schüttet Er Sein Herz stets vor Gott aus, welcher Gegenstand Ihn auch hinsichtlich der Wege Gottes beschäftigen mag.
  • 2 Was sich hier also vor unseren Blicken entfaltet, ist das Reich und nicht die Kirche in den himmlischen Örtern. Ich halte dafür, dass die Worte: „und als sie in die Wolke eintraten“ (V. 34), sich auf Mose und Elias beziehen; aber die Wolke überschattete die Jünger. Indes werden wir über jene Entfaltung hinausgeführt. Der Ausdruck „überschattete“ ist derselbe, den die Septuaginta für die Wolke gebraucht, die kam und das Haus erfüllte. Wir lesen in Matthäus, dass es eine lichte Wolke war. Es war die Schechinah der Herrlichkeit, die mit Israel in der Wüste gewesen war - ich möchte sagen, die Heimat des Vaters. Aus ihr kam Seine Stimme, und in diese traten Moses und Elias ein. Das ist es, was in Lukas die Jünger mit Furcht erfüllte. Gott hatte früher mit Mose aus der Wolke geredet; aber jetzt trat dieser mit Elias in dieselbe ein. So gibt es also außerhalb des Reiches einen besonderen Wohnplatz der Heiligen.
  • 3 Wir mögen wohl beachten, dass der Mensch, wenn sein Wille in Tätigkeit ist, die Schwierigkeiten des Werkes nicht fühlt, aber er ist auch nicht geschickt für dasselbe. Wenn, ein wirklicher Ruf erfolgt ist, so werden die Hindernisse gefühlt.
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