Gedanken über den Brief an die Epheser

Kapitel 4

Verse 1-6

Wir treten nun in den praktischen Teil dieses Briefes ein. Vers 1 weist noch einmal auf den Schluss von Kap 2 hin. In Kap 3,1 hatte der Apostel mit den Worten begonnen: „Dieserhalb ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch, die Nationen…“. Danach hatte er seine Gedanken mit einem ausführlichen Einschub, der bis zum Ende des dritten Kapitels reicht, unterbrochen - wir hatten schon bemerkt, dass dies durchaus nicht etwas Unübliches in seinen Briefen ist. Hier nun nimmt er den Faden wieder auf: „Ich ermahne euch nun, ich, der Gefangene im Herrn…“. Wie rührend ist die Art seiner Ermahnung. Alle seine Briefe sind dadurch gekennzeichnet, dass er selten Gebote ausspricht, obwohl er als Apostel selbstverständlich die Autorität dazu gehabt hätte. Er sagte lieber: „Nicht dass wir über euren Glauben herrschen, sondern wir sind Mitarbeiter an eurer Freude“ (2. Kor 1,24).

Dreimal werden wir in den Briefen des Apostels Paulus ermahnt, würdig zu wandeln 1. In 1. Thessalonicher 2,12 werden wir aufgefordert, würdig des Gottes zu wandeln. Es ist der lebendige und wahre Gott im Gegensatz zu den Götzenbildern; zum Dienst dieses Gottes waren die Thessalonicher berufen worden. Nach Kolosser 1,10 sollen wir würdig des Herrn wandeln zu allem Wohlgefallen. In diesem Brief wird viel Nachdruck auf die Autorität Christi gelegt, und darauf, dass Er das Haupt ist. Hier im Epheser-Brief sollen wir würdig wandeln der Berufung, mit welcher wir berufen worden sind. Diese Berufung ist in den Kapiteln 1 und 2 entfaltet worden; sie schließt eine neue Natur, eine neue Verbindung und einen Zugang zu dem Vater mit ein, sowie die Behausung Gottes im Geiste in einem Leibe mit dem erhöhten Christus.

Demut und Sanftmut sollen uns kennzeichnen - wie könnten wir auch sonst miteinander vorangehen? In Philipper 2,3 finden wir auch diesen Gedanken: „…in der Demut einer den anderen höher achtend als sich selbst“. Es ist unmöglich, wahre Gemeinschaft miteinander zu haben, wenn sich das eigene Ich noch entfalten darf; Eifersucht und Unfrieden werden die sichere Folge davon sein. Aber angenommen, wir üben Demut und Sanftmut aus, und unsere Geschwister handeln ganz anders? Das gibt dann Gelegenheit, Langmut zu erweisen und einander in Liebe zu ertragen; und es sollte unser ernstestes Bemühen sein, die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens.

Angesichts der vielen Benennungen und Gemeinschaften auf christlichem Gebiet ist es eine äußerst wichtige Frage geworden, was diese Einheit des Geistes eigentlich ist. Der Geist führt zu Christus als dem Mittelpunkt zusammen, und Seine Einheit umfasst alle Heiligen und schließt alles Böse aus. Nichts Geringeres oder Weiteres ist Seine Tätigkeit; und in dieser Hinsicht werden wir aufgefordert, unseren Weg zu gehen. Unermüdlich sollen wir über unsere Herzen wachen aus Furcht davor, dem Satan eine Gelegenheit zur Verunehrung Christi und zu unserer Betrübnis zu geben. Wir haben nötig, dies praktischerweise mit allem Eifer zu beobachten.

Der Apostel fährt damit fort, einige dieser Bande der Einheit zu erwähnen. Es sind hier sieben: ein Leib, ein Geist, eine Hoffnung; ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller. Wir dürfen die Einheit des Geistes nicht verwechseln mit der Einheit des Leibes, obwohl beide Dinge sehr eng miteinander verbunden sind. Vor kurzem hat ein Schreiber, der es wert ist, seiner wegen seines Werkes in Liebe zu gedenken, gesagt: „Ist es nicht klar, dass die Versammlung während dieser Zeit nicht dazu bestimmt ist, ein sichtbarer, verbundener Leib zu sein, sondern vielmehr eine große geistliche Realität, bestehend aus allen Gläubigen und Treuen in allen Vereinigungen, die, das Haupt festhaltend, unbedingt zusammengehören“? Es ist ohne Zweifel richtig, dass die Versammlung eine große geistliche Realität sein soll - und sie ist es auch. Doch die heilige Schrift macht auch klar, dass sie eigentlich ein sichtbarer, vereinigter Leib sein sollte; d.h. dass alle Heiligen auf Erden miteinander in einer Gemeinschaft vorangehen und die Einheit des Geistes bewahren sollten. Es wäre weit besser, unser tiefes Versagen und unsere Sünde zuzugeben und neue Gnade von dem immer treuen Herrn zu erbitten, als unser Versagen durch das Leugnen dieser Wahrheit oder gar unserer Verantwortlichkeit entschuldigen zu wollen.

Obwohl diese Feststellungen hier in Bezug auf alle Heiligen wahr sind, ist es doch offensichtlich, dass in den Versen 4 bis 6 unterschiedliche Kreise beschrieben werden, die immer ausgedehnter werden. Niemand kann teilhaben an dem einen Leib, dem einen Geist und der einen Hoffnung außer solchen, die wirklich des Christus sind; der eine Herr, der eine Glaube und die eine Taufe dagegen stehen in Verbindung mit dem Bereich des Bekenntnisses; während der eine Gott und Vater aller, Der da ist über allen und durch alle und in uns allen, von einem noch weiteren Kreis spricht (mit Ausnahme des letzten Falles: 'in uns allen'); denn alle Familien in den Himmeln und auf Erden sind Ihm untergeordnet (vgl. Kap 3,15).

Verse 7-16

Für die Absicht Gottes, die Heiligen vollkommen zu machen, für den Dienst für den Herrn, und für die Auferbauung der Glieder Seines Leibes hienieden hat das Haupt Gaben gegeben. In den Versen 7 bis 16 werden zwei Wahrheiten vorgestellt; als erstes: „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus“. Dies ist die generelle Feststellung. Jeder Heilige hat etwas von Christus empfangen, was zur Auferbauung des Leibes, welcher durch jedes Gelenk der Darreichung verbunden ist, dient. Kein Glied am Leib ist ohne diese Verantwortung; jeder Einzelne hat seinen Platz und seine Aufgabe. Die zweite Wahrheit ist die, dass es spezielle Gaben gibt, man könnte sie geistliche Gaben nennen. Alles fließt von dem siegreichen und aufgefahrenen Christus aus. Er kam einst in Gnaden zu uns herab; dahin, wo wir uns befanden: tot und unter der Macht Satans. Er stieg hinab in den Tod, begegnete dem 'Starken' und erwies Sich als der Stärkere. Nachdem Er dem Teufel alles geraubt hatte, worauf dieser vertraut hatte, teilt Er nun die Beute. Einst hatte Er den niedrigsten Platz eingenommen, war „hinab gestiegen in die unteren Teile der Erde“; nun wird Er gesehen, wie Er weit über alle Himmel erhöht ist, „auf das er alles erfüllte“. Die Gefangenschaft wurde gefangen geführt, und der Sieger hat für den Menschen Gaben empfangen 2. Der hier durch den Apostel zitierte Psalm sieht über alles gegenwärtige Handeln Gottes hinaus und sagt weiter: „…und selbst für Widerspenstige, damit der HERR, Gott, eine Wohnung habe“ (Ps 68,18). Obwohl das Volk Israel jetzt noch immer widerspenstig ist, ist noch Segen für sie aufbewahrt für die Zeit des Endes.

Wie kostbar ist es, den Dienst auf diese Weise zu sehen! Er wird in der Heiligen Schrift nicht nur als ein bloßes Amt gesehen, welches seinem Besitzer äußerliche Bedeutung verleiht, sondern als eine Frucht des Sieges des Herrn Jesus - und alle Glieder des Leibes teilen den Genuss des Segens des Dienstes. Es werden verschiedene Gaben hier genannt: Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer. Beachten wir, dass hier nicht gesagt wird, dass Er gewissen Männern apostolische oder evangelistische Gaben verliehen hat 3, sondern Er gab Apostel usw. Das bedeutet, dass diese Männer selbst eine Gabe sind für den Leib und zu dessen Auferbauung und Segen. Die Apostel und Propheten übten einen grundlegenden Dienst aus; dieser Dienst hat, nachdem die Grundlagen gelegt worden waren, aufgehört. Ihre Schriften bleiben zum beständigen Gewinn für die Heiligen bestehen - und in diesem Sinn bleiben auch sie selbst und ihr Dienst bestehen -, tatsächlich jedoch gibt es diese Gaben heute nicht mehr. Nachfolger haben sie nicht, und es gab auch keine Verheißung einer neuen Apostelschaft (Neuapostolen) in der Zeit des Endes, was auch immer manche in ihrer Einbildung glauben mögen.

Die übrigen Gaben mit ihrem segensreichen Zweck bleiben bestehen und sind durch das treue Haupt im Himmel bis zum Ende gewährleistet. Von diesen Gaben wird der Evangelist als erster erwähnt, weil sein Dienst so auch den Erfahrungen der Seele entspricht. Er ist die besondere Gabe, die die Seele - durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes - zu Gott führt. Der Dienst des Hirten und Lehrers beginnt danach. Der Hirte tut einen väterlichen Dienst; er wacht über das verliehene göttliche Leben und ist bemüht, in den Wegen Gottes zu unterweisen, zu leiten und vor Schlechtem zu bewahren. Der Lehrer dagegen (hier eine mit dem Hirten verbundene Gabe) eröffnet die Schätze der Wahrheit und erläutert das, was er von kostbaren Dingen Gottes erkannt hat und worüber die Seelen auch belehrt werden müssen.

Woran erkennt man diese Männer? Weder an ihrer Kleidung noch durch Titel, sondern durch geistliche Autorität und Macht. Der Mann, der ein Verlangen nach den Verlorenen hat und in der Lage ist, solchen das Evangelium von Christus zu bringen, ist über alle Zweifel erhaben ein Evangelist. Wo dies zutrifft - und es kann leicht erkannt werden -, wird ein solcher als Evangelist anerkannt und als eine Gabe von Christus angenommen. Genauso verhält es sich mit solchen, die aus väterlichen Beweggründen handeln oder Blicke in das ausgedehnte Feld der offenbarten Wahrheit eröffnen; die durch ihr Verhalten zeigen, dass ihnen die Heiligen am Herzen liegen. Auch sie sollen von ihren Brüdern in diesem noch feinfühligeren und schwierigeren Dienst angenommen werden.

Alles, was Christus gibt, sollte mit der gebührenden Dankbarkeit angenommen werden; allen Gaben soll der ihnen vom Herrn zugewiesene Platz eingeräumt werden. „Wir bitten euch aber, Brüder, dass ihr die erkennet, die unter euch arbeiten und euch vorstehen im Herrn und euch zurechtweisen, und dass ihr sie über die Maßen in Liebe achtet, um ihres Werkes willen. Seid in Frieden untereinander“ (1. Thes 5,12+13).

Es ist zu beachten, dass hier einerseits keine Wundergaben erwähnt werden, und andererseits auch keine Ältesten und Diener. Sie alle haben ihren bestimmten Platz in der Heiligen Schrift; die ersteren sind Zeichen für die Ungläubigen, die anderen örtliche Verantwortlichkeiten. Hier dagegen haben wir die unmittelbare und gnädige unaufhörliche Haltung des Herrn für die Auferbauung Seines Leibes hienieden.

Der erste und hauptsächliche Gegenstand allen Dienstes ist die 'Vollendung der Heiligen'. Es ist nicht der Wille Gottes, dass Seine Heiligen in einem kindlichen Zustand stehen bleiben und ihre Vorrechte und Segnungen sowie die Gedanken Gottes über sie nicht kennen, sondern sie sollen Fortschritte machen und in der Erkenntnis Seiner selbst und Seiner Gnade wachsen. Damit nicht genug, dass uns in Christus Jesus alles geschenkt ist und dass wir nie verlieren können, was die Gnade uns gegeben hat, weil es die Frucht des göttlichen Ratschlusses ist und sich auf das vollbrachte Werk Christi gründet, ist es Gottes Wunsch, dass Seine Heiligen alles, was Er gegeben und gewirkt hat kennen und sich daran erfreuen. Dieser Gedanke ist unendlich höher als die allgemeinen Vorstellungen selbst edler Menschen in der heutigen Christenheit. Für viele ist das wichtigste Ziel die Errettung von Seelen, zumindest jedoch eher die Segnung der Geschöpfe als die Verherrlichung Christi. Dies bedeutet jedoch, auf einem niedrigen Boden zu dienen, wie wenig man dies vielleicht auch beabsichtigen mag das Ziel bleibt deutlich hinter dem erklärten Ziel unseres Gottes zurück. Das traurige Ergebnis davon ist, dass viele Seelen bei der Erkenntnis der Vergebung ihrer Sünden oder ihrer Sicherheit vor dem Gericht stehen bleiben und nur eine schwache Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit haben. Von der Einheit des Geistes mit einem auferstandenen und verherrlichten Christus in der Höhe besitzen sie nur wenig oder überhaupt keine Erkenntnis. Natürlich gestehen wir unumwunden zu, dass Seelen durch das Evangelium für Christus gewonnen werden müssen, bevor sie vollendet werden können aber die Vergebung  der Sünden ist doch erst der Anfang der Segnungen! Bei Christus wird die Seele in einen weiten Raum eingeführt, wo sie unermessliche Gnade kennen lernen und genießen kann. Und lasst uns bloß nicht denken, das Werk des Evangelisten habe damit nichts zu tun. Sein Dienst ist in dem Ausdruck 'zur Vollendung der Heiligen' mit eingeschlossen. Er verkündigt das Evangelium und übt damit den ersten großen Dienst aus; der Hirte und Lehrer greift dieses Werk auf, und die Bemühungen aller gehen in die eine gleiche Richtung. Das Verständnis hierüber wird den Evangelisten davor bewahren, seinen Dienst in einer unabhängigen Weise auszuführen. Zwar findet sein Dienst nicht inmitten der Versammlung statt, sondern in der Welt der Ungöttlichen; aber er geht doch aus dem Schoß der Versammlung aus und bringt Seelen in diesen Kreis hinein, damit Christus, der Mittelpunkt, in ihnen verherrlicht werde. Auf diese Weise sind die weiteren Absichten des Verleihens von Gaben sichergestellt: in allen seinen Zweigen wird das Werk des Dienstes vollführt; und der Leib Christi, zu dessen Bildung der Geist Gottes auf die Erde kam, wird auferbaut.

Bevor wir diesen bedeutsamen Gegenstand verlassen, ist es wichtig zu betonen, dass jeder Diener direkt Christus gegenüber verantwortlich ist. Wir müssen die Grundsätze dieses Kapitels gut festhalten. Evangelisten, Hirten und Lehrer sowie Apostel und Propheten sind Gaben von dem aufgefahrenen Christus; die Versammlung hat hier nur die Stellung einer Empfängerin. Weder hier noch an einer anderen Stelle in der Heiligen Schrift findet sich der Gedanke von beamteten Dienern oder von solchen, die durch die Versammlung ernannt werden. Ich bin mir bewusst, dass Älteste oder Diener durch einen Apostel oder durch einen mit apostolischer Autorität ausgestatteten Mann wie z.B. Titus ernannt wurden, aber diese wurden in der Regel nicht für den Dienst am Wort angestellt. Die Ältesten (sie stehen immer in der Mehrzahl) wurden eingesetzt, um über die geistlichen Angelegenheiten der Heiligen an dem Ort, an welchem sie wohnten, zu wachen; ihre Autorität ging nicht über diese Grenzen hinaus. Die Diener wurden ernannt, um die Tische zu bedienen oder vergleichbare Aufgaben auszuführen. In einigen Fällen besaßen Personen beider Gruppen auch geistliche Gaben. Stephanus und Philippus mögen hierfür als Beispiel dienen aber in einem solchen Fall war das ganz und gar getrennt von ihrer örtlichen Verantwortlichkeit. Erwählt oder ernannt wurden sie für einen örtlichen Dienst, als Evangelisten usw. jedoch waren sie Gaben von Christus (für den ganzen Leib; Anm. des Übersetzers).

Weil also Evangelisten, Hirten und Lehrer Gaben von Christus sind, sind sie in der Ausübung ihres Dienstes auch nur Ihm und niemandem sonst gegenüber verantwortlich. Als die Korinther im Begriff standen, über Paulus urteilen zu wollen, riefen sie dadurch nur einen sanften Tadel bei ihm hervor. Er sagte ihnen, dass es für ihn das Geringste sei, ob er von ihnen oder von einem menschlichen Gerichtstage beurteilt würde sein Richter war der Herr (1. Kor 4,4+5). Hätte der Apostel von der Zucht in der Versammlung gesprochen, würde er anders geredet haben; denn ein Diener, der eines unmoralischen Lebenswandels oder ungesunder Lehre überführt wird, ist der Zucht genauso unterworfen, wie irgendein anderer Bekenner des Namens Christi. Doch in der normalen Ausübung ihrer Gaben sind sie alle dem Herrn allein verantwortlich. Vor Seinem Richterstuhl werden sie und wir alle bald stehen.

Wir kommen nun zu der Bemerkung darüber, wie lange diese Gaben bestehen bleiben werden: „…bis wir alle hingelangen werden zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Manne, zu dem Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Es scheint sich bei der hier angesprochenen Vollkommenheit nicht um die Herrlichkeit zu handeln, wo ohne Zweifel alles in Übereinstimmung mit Christus sein wird, sondern um einen Zustand vollendeten Wachstums auf Erden im Gegensatz zu dem Anfangsstadium und der Schwachheit von Vers 14.

Sogar in den Tagen des Apostels Paulus waren verderbte Menschen, die den Namen des Herrn trugen, aktiv. Diese versuchten, unachtsame und einfache Seelen zu umgarnen und vom Glauben abzubringen. Gott möchte, dass Seine Heiligen fest gegründet sind in Seiner Gnade und Wahrheit und in der Erkenntnis Seines Sohnes, damit sie den ständig wechselnden Fallstricken des Feindes gegenüber unempfindlich sind. Es ist bedauernswert, Heilige zu beobachten, die hin- und hergeworfen und umher getrieben werden von jedem Winde der Lehre, und die offensichtlich dem Feind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Ist das der Wille Gottes? Nein! sondern ihre Befestigung und Segnung. Und da es in der Versammlung Gottes nie an Seelen fehlen wird, die es nötig haben, dass man ihnen zu dem vollen Wachstum verhilft, wird das treue Haupt die Gaben Seiner Gnade bis zum Ende fortdauern lassen „bis wir alle hingelangen“. Beachten wir, dass die Gaben nicht gegeben werden, damit die Heiligen hilflos abhängig von ihnen würden, sondern damit sie im Gegenteil fest gewurzelt werden und zu Ihm heranwachsen, der das Haupt ist der Christus.

In Vers 15 werden wir aufgefordert, die Wahrheit in Liebe festzuhalten; die Wahrheit soll nicht nur unser Reden beeinflussen, sondern alle unsere Wege, indem sie ihren angemessenen Platz in unserem Innern hat.

Vers 16 vervollständigt den Kreis der Vorsorge des Hauptes zur Auferbauung Seines Leibes. Wir haben hier nicht nur das Allgemeingültige, dass der Leib wohl zusammengefügt und verbunden ist durch jedes Gelenk der Darreichung, sondern daneben noch den sehr bedeutenden Grundsatz, dass kein Glied des Leibes ohne persönliche Verantwortlichkeit ist „Jedem einzelnen aber von uns ist die Gnade gegeben worden nach dem Maße der Gabe des Christus“ (Vers 7).

Verse 17-24

Ab Vers 17 nehmen die praktischen Ermahnungen eine andere Form an. In den Versen 1 bis 16 betreffen die Unterweisungen besonders unseren gemeinschaftlichen Wandel als der eine Leib; hier haben wir nun etwas Persönliches. Es wird der Nachdruck auf einen geziemenden und abgesonderten Wandel gelegt. Der Apostel tut dies auf sehr ernste Weise: „Dieses nun sage und bezeuge ich im Herrn…“. Er wusste um die Gefahren, denen die Heiligen überall ausgesetzt waren und sind, und dass das Aufrechterhalten der Ehre des Herrn von einem solchen Wandel abhängig war; daher dieser besonders beeindruckende Tonfall.

Er ermahnt die Epheser und damit auch uns, nicht so zu wandeln, wie auch die übrigen Nationen wandeln. Wie Kap 2,1-3 zeigt, war das früher ihre Gewohnheit gewesen. In jener Zeit waren sie Kinder des Zorns gewesen, wie auch die übrigen. Die Gnade hat jedoch einen Unterschied bewirkt und möchte nun auch, dass dieser Unterschied von den Menschen, unter denen wir uns befinden, gesehen werden kann; und das natürlich nicht zu unserem eigenen Ruhm, sondern damit Gott in allem durch Jesus Christus verherrlicht werde. Diese Ermahnung ist der Stelle in 1. Pet 4,3 sehr ähnlich: „Denn die vergangene Zeit ist uns genug, den Willen der Nationen vollbracht zu haben“. Es besteht nur der Unterschied, dass der Apostel der Beschneidung dort an gläubige Juden schreibt, die in ihren früheren Tagen auf den Boden der sie umgebenden Nationen herabgesunken waren.

Paulus stellt den Zustand der Nationen, die Gott nicht kennen, in düsteren Farben dar: eitle Sinne, verfinsterter Verstand, verblendete und verhärtete Herzen, wegen der in ihnen wohnenden Unwissenheit dem Leben Gottes entfremdet. Dies ist von allen wahr, seien es gelehrte oder ungebildete Menschen. Der Sinn des Menschen kann keinen wahren Gegenstand oder Mittelpunkt finden, wenn er Gott nicht kennt, und auch sein Verstand kann so nicht erleuchtet werden. Erinnern wir uns auch an die ernste Bestätigung hiervon in Römer 1,20+21 und an den Apostel, wie er unter den 'Weisen' in Athen war (Apg 17). In Athen konnte er nur von den einfachsten und grundlegendsten Dingen, wie z.B. der Schöpfereigenschaft Gottes (Vers 24), der Einheit aller Menschen (Vers 26) oder der Torheit des Götzendienstes (Vers 29) sprechen wo gelangt der Mensch hin, wenn er Gott aus seinem Sinn ausschließt?

Nun ist es auch wahr, dass nicht jeder auf den Boden von Vers 19 gesunken sind, dass nicht jeder alle Empfindungen verloren hat, und was dort weiter noch gesagt wird. Aber ein Herz, das nicht wiedergeboren und erneuert ist, egal wo es sich auch befinden mag, ist grundsätzlich zu diesen Dingen fähig. Wir aber haben es nicht also gelernt. Wie lieblich drückt sich der Apostel in Bezug auf unseren gegenwärtigen Pfad über diese Erde aus. Wir sind nicht dazu gesetzt wie im Judentum , Paragraphen eines Gesetzes zu befolgen, sondern wir sollen von einer Person lernen und auf sie hören Christus! Könnte das Gesetz, wenn es beachtet würde, einen Menschen passend für den Himmel machen? Nein, es entspricht dem Menschen im Fleisch und wirkt wie eine Beschränkung und führt zur Verzweiflung. Niemals konnte es jemanden zu dem machen, was ein Christ sein sollte. Der christliche Maßstab ist weitaus höher. „Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht, indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist“ (1. Tim 1,8+9); und aufgrund des Todes und der Auferstehung Christi sind nun die Gläubigen solche geworden, denn in Ihm sind wir Gottes Gerechtigkeit geworden (2. Kor 5,21).

Die Wahrheit ist, dass eine neue Natur, ein neues Leben, verliehen worden ist (von welchem die Nationen als solche entfremdet sind); und dieses neue Leben hat einen Gegenstand, der ihm immer wieder vorgestellt wird - Christus. Es ist die Freude jedes Gläubigen, Ihn zu betrachten. Sie haben Ihn gehört und sind in Ihm gelehrt. In dem Maße, wie unsere Herzen mit Ihm beschäftigt sind, „werden wir verwandelt nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist“ (2. Kor 3,18). Und wenn wir auf Seine segensreichen Wege hier auf der Erde , wie sie uns gezeigt werden , sehen , erkennen wir auch, wie wir unser Leben und unseren Wandel gestalten sollen, denn in Ihm war das Leben aus Gott in Vollkommenheit unter den Menschen dargestellt worden. Nach meinen Gedanken ist dies die Bedeutung von: „...wie die Wahrheit in dem Jesus ist“ und dies alles konnte in vollkommener Deutlichkeit bei Ihm gesehen werden. Darüber hinaus haben wir (Vergangenheit!), was den früheren Lebenswandel betrifft, den alten Menschen abgelegt und den neuen Menschen angezogen. Beide werden hier beschrieben: der alte Mensch wird nach den betrügerischen Lüsten verdorben (die Bedeutung des Wortes 'verdorben' hier ist 'ruiniert', 'zerstört' in Vers 29 haben wir einen anderen Ausdruck: 'faul', 'faulig', 'verdorben'), er konnte nicht mehr verbessert werden; Gott hat ihn verworfen und wir haben ihn ausgezogen - „unser alter Mensch ist mitgekreuzigt worden“ (Rö 6,6). Aber der neue Mensch ist nach Gott geschaffen worden in Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit. Beachte das Wort 'geschaffen'. Gott hat in mir etwas ins Dasein gerufen was vorher noch nicht da war. In Kolosser 3,10 heißt es, dass der neue Mensch „erneuert wird zur Erkenntnis nach dem Bilde dessen, der ihn erschaffen hat“. Dieser Ausdruck passt ausgesprochen gut in den Epheser-Brief, weil hier der Mensch als tot für Gott gesehen wird. Aber wir sind lebendig gemacht worden - „mit dem Christus lebendig gemacht“; es ist also eine neue Schöpfung: „wir sind...geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken…“ Ich habe vorhin gesagt, dass auch der neue Mensch beschrieben wird: er ist geschaffen 'nach Gott' (Gott entsprechend). Der neue Mensch liebt Gerechtigkeit und Heiligkeit der Wahrheit und hat kein Gefallen daran, sich im Morast zu wälzen; und die praktische Darstellung dieser Merkmale sind der Beweis des Lebens.

Verse 25-32

Der Apostel fährt nun mit Einzelheiten fort: Falschheit (gemeint sind nicht nur verlogene Handlungen, sondern ebenso auch Worte) soll abgelegt worden sein, und Wahrheit soll miteinander geredet werden, „denn wir sind Glieder voneinander“. Das hier vorgestellte Motiv ist außerordentlich erhaben: ich soll nicht nur aus meinem Ehrgefühl heraus Falschheit von mir weisen, wie es wohl auch ein rechtschaffener weltlicher Mensch tun würde, sondern ich bin ein Glied an demselben Leib mit meinem Bruder; wenn ich ihm gegenüber in Falschheit handle oder rede, dann tue ich das auch mir selbst an, und was noch weitaus ernster ist : es richtet sich auch gegen Christus. Über den Zorn muss gewacht werden, damit das Ergebnis davon nicht Sünde ist, und damit der Teufel keinen Raum gewinnt. Zorn in dem Sinn von Entrüstung über Ungerechtigkeit und Missetaten ist angebracht und auch von Gott - im Alten Testament finden wir oft, dass Gott zornig ist, und auch im Neuen Testament finden wir Christus von Zorn bewegt-, aber unsere Herzen sind trügerisch und wir müssen darüber wachen.

Der Dieb soll ein Arbeiter und dadurch sogar auch ein Gebender werden - die Gnade vermag umzuwandeln. Das Gesetz forderte von dem Dieb Rückerstattung, aber die Gnade macht ihn wirklich gütig und wohltätig.

Und wenn in Vers 28 die Hände unterwiesen werden, findet die Zunge in Vers 29 ihren Platz. Was lassen wir über unsere Lippen kommen? Der Heilige Geist verwendet im Jakobus-Brief ein ganzes Kapitel für dieses unruhige und widerspenstige Glied; Unterweisungen, die immer wieder nötig und heilsam sind. Sind unsere Unterhaltungen 'faul', oder sind sie 'gut zur notwendigen Erbauung, auf dass es den Hörenden Gnade darreiche'? Von Christus lesen wir: „Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen“ (Ps 45,2).

Der Heilige Geist wohnt in uns; der Tempel unseres Leibes sollte daher rein erhalten werden, damit Er nicht betrübt wird. In diesen Versen gibt es zwei große Grundsatze: eine neue Natur, ein echtes Leben, ist eingepflanzt worden, und der Heilige Geist wohnt in uns. Durch Ihn sind wir versiegelt worden auf den Tag der Erlösung. Hier wird zu dem Einzelnen gesagt: „Betrübet nicht“; in 1. Thessalonicher 5,19 wird die Versammlung ermahnt, den Geist nicht auszulöschen.

Die Wege Gottes sollen an uns gesehen werden, und alle Bitterkeit, Wut, Zorn usw. soll von uns weggetan sein. Die Gütigkeit Gottes uns gegenüber soll unseren Wandel bestimmen. Er hat uns in Christus vergeben, und nun soll auch unter den Heiligen der Geist der Vergebung regieren. „Bis siebenmal'? „Nicht sage ich dir, bis siebenmal, sondern bis siebenzigmal sieben“ (Mt 18,21+22).

Fußnoten

  • 1 In Phil 1,27 wird im Griechischen ein anderes Wort gebraucht.
  • 2 Genauer heißt es: 'im Menschen'; d.h. in Seinem menschlichen Charakter.
  • 3 Obwohl dies auch wahr ist, vgl. 1. Pet 4,10.
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