1 Timotheus 2 - eine Vers-für-Vers-Auslegung

Vers 15

„Sie wird aber gerettet werden beim Kindergebären, wenn sie bleiben in Glauben und Liebe und Heiligkeit mit Sittsamkeit“. (Vers 15)

Ein schwieriger Vers

Der nun folgende Schlussvers dieses Kapitels ist einer der schwierigsten in dem ganzen Brief. Es gibt kaum einen anderen Vers in diesem Brief, zu dem so viele unterschiedliche Erklärungsversuche - zum Teil auch sehr weit her geholte - vorliegen. Einige Ausleger denken an eine Zusage Gottes an Eva. Andere meinen, dass von Maria, der Mutter des Herrn Jesus die Rede sei. Diese beiden Erklärungen scheiden ganz sicher aus, weil sie keinen Sinn ergeben. Wieder andere nehmen diesen Vers als „Beleg“ dafür, dass gläubige Frauen möglichst viele Kinder bekommen sollen. Auch dieser Punkt scheidet bei einer vernünftigen Schriftauslegung aus. Aber darüber hinaus ist nicht zweifelsfrei klar, was Paulus sagen will.

Dennoch gibt es einige Fakten, die unstrittig sind und die wir zunächst bedenken wollen:

  • Tatsache ist erstens, dass dieser Vers offensichtlich eine Ermunterung für junge Frauen darstellt. Er enthält eine Zusage Gottes für diese Erde. Von diesen Zusagen gibt es im Neuen Testament nicht sehr viele. Während der Segen Gottes im Alten Testament primär ein irdischer und materieller war, ist der typisch christliche Segen himmlischer und geistlicher Natur. Hier aber haben wir eine Ausnahme. Gott gibt den jungen Frauen eine Zusage für diese Erde.
  • Tatsache ist zweitens, dass Paulus offensichtlich einen gewissen Gegensatz zu dem vorstellt, was er vorher gesagt hat. Das wird durch den Gebrauch des Wortes „aber“ deutlich. Paulus möchte nicht demotivieren, sondern motivieren. Wir müssen den Vers deshalb unbedingt im Zusammenhang des Abschnitts interpretieren und können ihn nicht isoliert betrachten.
  • Tatsache ist drittens, dass das Gebären von Kindern natürlich nicht das eigentliche „Mittel“ (der Weg) zur Errettung ist, sondern der Begleitumstand, in dem die Errettung sichtbar wird. Es gibt Übersetzungen, die hier von Errettung „durch Kindergebären“ sprechen. Gemeint ist aber, dass gottesfürchtige Frauen „im Zustand von Kindergebären“ gerettet werden. Es ist ein Retten „hindurch“. Einen parallelen Gedanken finden wir in 1. Korinther 3,15. Dort ist die Rede davon, dass einige gerettet werden, doch so „wie durchs Feuer“. Das Feuer ist auch dort nicht das eigentliche Mittel der Rettung, sondern der Umstand, der die Rettung erkennbar macht und durch den hindurch sie gerettet wird.
  • Tatsache ist viertens, dass es sich hier ganz sicher um eine zeitliche und irdische Errettung handelt. Eine Geburt hat nichts mit der ewigen Errettung zu tun. Was sollten sonst Frauen sagen, die nicht verheiratet sind oder keine Kinder haben? Was sollten Männer sagen, die überhaupt keine Kinder bekommen können. Das Wort „retten“ kann auch „bewahren“ oder „heilen“ oder „sicher und unbeschadet erhalten“ bedeuten. Es hat an mehreren Stellen im Neuen Testament den Gedanken an eine zeitliche und irdische Errettung aus Umständen heraus. Natürlich wird es für die ewige Errettung gebraucht, aber nicht nur (vgl. z.B. Mk 5,34; Apg 27,44).
  • Tatsache ist fünftens, dass der Hinweis auf das Kindergebären (und die damit verbundenen Nöte) ohne Frage Bezug auf 1. Mose 3,16 nimmt. Dort lesen wir: „Zu der Frau sprach er: Ich werde die Mühsal deiner Schwangerschaft sehr mehren, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären“. Das war ein Teil der Strafe, die Gott der Frau auferlegt hat. Auch wenn die Medizin heute den Frauen bei der Geburt viel Erleichterung gebracht hat, ist die Geburt eines Kindes immer noch ein mehr oder weniger schmerzlicher Vorgang.

Bedeutet die Aussage dieses Verses nun, dass gottesfürchtige Frauen von diesem Fluch befreit sind? Die Erfahrung zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Ob eine Frau gläubig ist oder nicht, ob sie gottesfürchtig lebt oder nicht, hat in vielen Fällen keinen Einfluss darauf, ob die Geburt eines Kindes mehr oder weniger schmerzhaft ist. Selbst gottesfürchtige Frauen sind bei der Geburt eines Kindes gestorben. Was sehr wohl der Fall ist, dass eine gläubige Frau in den schweren Stunden der Geburt mit Gott und seiner Hilfe rechnen kann. Das wird ihr ganz sicher helfen. Die Geburt eines Kindes kann eine besondere Gelegenheit für Gottes Barmherzigkeit und Hilfe sein. Aber die Frage bleibt, ob das - wie einige geschätzte Ausleger annehmen - die volle Bedeutung dieses Verses ist.

Wenn wir diese Aussage im Licht der vorangegangenen Verse betrachten, könnte der Gedanke aufkommen, dass die Frau im Haus Gottes keine sehr wesentliche Funktion hat. Sie soll nicht öffentlich beten. Sie soll nicht lehren. Sie soll nicht führen, sondern sich still verhalten. Ist eine Frau deshalb weniger wert? Ganz sicher nicht. Vielleicht will Paulus deshalb zeigen, welch einen hohen Wert und welch eine große Aufgabe die Frauen im Haus Gottes haben. Eine der großen Aufgaben christlicher Frauen liegt darin, dass sie Kinder gebären und diese zu Ehre des Herrn großziehen. Wir denken an Beispiele wie Hanna, die Mutter Samuels, an die Mütter gottesfürchtiger Könige im Alten Testament oder an Eunike, die Mutter von Timotheus. Auf diese Weise kann eine Frau einen sehr großen Einfluss auf das Leben im Volk Gottes nehmen. Der Ausdruck „gerettet werden“ scheint dann anzudeuten, dass Gott auf diese Weise einen Teil des Fluches wegnimmt, den er in 1. Mose 3,16 ausgesprochen hat. Die Schmerzen der Geburt bleiben, aber der Gedanke, dass ein geborenes Kind einmal zu Ehre und Freude des Herrn lebt, bedeutet für die Frau „Rettung“.

Eine wichtige Voraussetzung

Paulus nennt dann eine wichtige Voraussetzung, die erfüllt sein muss, damit diese Zusage Gottes tatsächlich in Anspruch genommen werden kann. Er sagt: „Wenn sie bleiben in Glaube, Liebe, Heiligkeit und Sittsamkeit“. Hier stellt sich eine weitere Frage, die nicht endgültig beantwortet werden kann. Wer ist mit „sie“ gemeint? Dass es nicht die Kinder sind, die geboren werden, dürfte klar sein. Sind es aber nur die christlichen Frauen oder sind es Mann und Frau? Sprachlich und im Textzusammenhang ist beides möglich. Für beide Ansichten gibt es gute Argumente. Da der gesamte Abschnitt von den Frauen spricht, ist es denkbar, dass Paulus diese Zielgruppe vor Augen hat. Andererseits fällt auf, dass er am Anfang des Verses von der Frau in der Einzahl spricht und am Ende dann die Mehrzahl gebraucht. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass eben doch Mann und Frau gemeint sein könnten. Dagegen könnte man wiederum einwenden, dass der gesamte Abschnitt nicht von Ehemann und Ehefrau spricht, sondern von Männern und Frauen allgemein. In der Anwendung auf uns trifft sicher beides zu. Gott möchte bei uns allen dieses Bleiben in den genannten vier Stücken sehen.

„Bleiben“ bedeutet „wohnen“. Wir sollen uns in einer Atmosphäre bewegen, wo Glauben, Liebe, Heiligkeit und Sittsamkeit zu Hause sind.

  • Glaube ist hier weder der rettende Glaube noch das Glaubensgut. Es geht hier um das tägliche Glaubensvertrauen auf unseren Gott, die Zuversicht, dass wir uns auf das, was Gott sagt, voll und ganz verlassen können.
  • Liebe ist der Ausfluss der göttlichen Liebe, die in unsere Herzen ausgegossen ist. Es ist Liebe, die für andere da ist und sich anderen gibt.
  • Heiligkeit ist „Heiligung“ oder „Geheiligtsein“. Auch hier geht es um unser praktisches Leben. 1. Thessalonicher 4,3 sagt ausdrücklich, dass unsere Heiligkeit (Heiligung) Gottes Wille für unser Leben ist.
  • Sittsamkeit hatten wir bereits in Vers 9 gefunden. Es ist das gesunde Urteilsvermögen nichts zu tun, was die Grenzen des Anstandes und des Schamgefühls überschreitet.

Der Herr wird uns helfen, diese herrlichen Charakterzüge in unserem Leben sichtbar werden zu lassen - zu seiner Ehre als „Herr seines Hauses“ und zu einem Zeugnis in dieser Welt, dass Gott ein „Heiland-Gott“ ist, der alle Menschen retten will.

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