Die Rede und der Märtyrertod des Stephanus
Eine Bibelarbeit zu Apostelgeschichte 7

Teil 5: Das Zelt und der Tempel – Josua – David – Salomo (V. 44–50)

Unsere Väter hatten die Hütte des Zeugnisses in der Wüste, so wie der, der zu Mose redete, befahl, sie nach dem Muster zu machen, das er gesehen hatte; die unsere Väter auch übernahmen und mit Josua einführten bei der Besitzergreifung des Landes der Nationen, die Gott vertrieb von dem Angesicht unserer Väter weg, bis zu den Tagen Davids, der vor Gott Gnade fand und eine Wohnstätte zu finden begehrte für den Gott Jakobs. Salomo aber baute ihm ein Haus. Aber der Höchste wohnt nicht in Wohnungen, die mit Händen gemacht sind, wie der Prophet spricht: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße. Was für ein Haus wollt ihr mir bauen, spricht der Herr, oder welches ist der Ort meiner Ruhe? Hat nicht meine Hand dies alles gemacht?

Die Hütte des Zeugnisses

Stephanus hatte von der „Hütte des Moloch“ gesprochen, von dem Götzendienst und dem Gericht Gottes. Dennoch hatte Gott sein Volk nicht verlassen. Stephanus spricht nun mit wenigen Worten über die Zeit im Land und zeigt noch einmal, was Gott für das Volk getan hatte und wie Er bei seinem Volk wohnen wollte. Zugleich macht er deutlich, dass der Vorwurf der Juden, er habe gegen den Tempel gesprochen, ebenso haltlos war wie alle anderen Vorwürfe. Das Gegenteil traf zu. Er zeigt ihnen, dass sie in der Wüste zwar „die Hütte des Zeugnisses“ (das „Zelt der Zusammenkunft“) gehabt hatten und doch zugleich der „Hütte des Moloch“ gedient hatten. Das zeigt die Heuchelei der Kinder Israel. Im Land stand später der Tempel, und doch war das Volk mit Götzendienst erfüllt. Statt dem wahren Gott zu dienen, hatten die Väter die Gestirne verehrt. Die Juden hatten nicht den geringsten Grund, auf ihre „Heiligen Stätten“ stolz zu sein. Die Worte Jeremias hätten ihnen bekannt sein müssen: Und verlasst euch nicht auf Worte der Lüge, indem man spricht: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist dies“ (Jer 7,4)!

Die Kinder Israel hatten tatsächlich die „Hütte (oder das Zelt) des Zeugnisses“ (Vers 44). Gemeint ist das Zelt der Zusammenkunft, in dem Gott bei seinem Volk wohnen wollte. Seine Herrlichkeit hatte dieses Zelt erfüllt. Dieses Zelt wird hier mit dem Zeugnis verbunden, weil die Bundeslade in dem Zelt war. Das Zeugnis selbst sind die beiden Tafeln des Gesetzes, die sich in der Bundeslade befanden. Deshalb wird die Lade wiederholt die „Lade des Zeugnisses“ genannt (zuerst in 2. Mo 25,22; zuletzt in Jos 4,16). Das Zelt war der Wohnort Gottes, wobei der Ausdruck „Zelt“ schon darauf hindeutet, dass es nicht dauerhaft sein würde. Das Heiligtum in der Wüste weist auf eine höhere Wirklichkeit hin, nämlich den Himmel. Deshalb konnte die Stiftshütte unmöglich für immer die Wohnung Gottes bleiben.

Der Bau des Zeltes war von Gott angeordnet und keine Idee von Mose. Wo Gott wohnt, muss alles seinen Vorstellungen entsprechen (das ist heute im Haus Gottes – der Versammlung – nicht anders, vgl. 1. Tim 3,15). Darüber hinaus zeigt sich in dem Bau dieses Zeltes, dass Gott dem Volk gegenüber gnädig handelte. Trotz ihres Götzendienstes ließ Er sie nicht laufen.

Von Josua bis Salomo

In Vers 45 wird Josua kurz erwähnt, dessen griechischer Name „Jesus“ ist. Er brachte die Kinder Israel in ihr Erbteil, das sie mit der Hilfe Gottes in Besitz nahmen. Doch darüber spricht Stephanus nicht. Sein Thema ist die Wohnung Gottes. Die Stiftshütte wurde mit in das Land gebracht und bestand „... bis zu den Tagen Davids“.

Darin mag ein versteckter Vorwurf liegen. Warum dauerte es so lange, bis jemand im Volk Israel nach dem Ort fragte, an dem Gott seinen Namen wohnen lassen wollte und von dem Er in 5. Mose sehr oft gesprochen hatte? Am anderen Ufer des Roten Meeres hatten die Kinder Israel schon gesungen: „Du wirst sie bringen und pflanzen auf den Berg deines Erbteils, die Stätte, die du, Herr, zu deiner Wohnung gemacht hast, das Heiligtum, Herr, das deine Hände bereitet haben“ (2. Mo 15,17). Doch scheinbar fragte niemand nach diesem Heiligtum, bis zur Zeit Davids. Solange bestand das Zelt, das eigentlich für die Wüste bestimmt war.

David fand Gnade (Vers 46) und hatte den Wunsch, eine Wohnstätte für den Gott Jakobs zu bauen. Es fällt auf, dass Stephanus diesen Wunsch Davids erstens mit Gnade verbindet und zweitens mit dem Gott Jakobs. Obwohl es Davids eigener Wunsch war, war es zugleich eine Gnade Gottes. David – und später Salomo – hatten keinen Grund, sich darauf etwas einzubilden. Und der „Gott Jakobs“ lässt uns besonders daran denken, dass Gott ein Gott ist, der sich mit Menschen verbindet, die bereit sind, verkehrte Wege einzusehen und sich korrigieren zu lassen. Jakob war derjenige der Patriarchen, der besonders die Gnade der Erziehung Gottes erfahren hatte.

David war es schließlich, der es auf dem Herzen hatte, Gott ein Haus zu bauen (vgl. Ps 132,1–5). Doch Gott ist völlig frei, den Erbauer festzulegen. Obwohl David Gnade in den Augen Gottes fand und den tiefen Wunsch hatte, Gott eine Wohnung zu bauen (Ps 132,5), wurde das Vorhaben erst unter Salomo realisiert. Über die Gründe schweigt Stephanus. Er schweigt ebenso über die Einweihung des Tempels und erwähnt einfach nur die Tatsache, um dann auf den eigentlichen Punkt hinzuweisen, der ihm wichtig ist.

Die Wohnung Gottes

In Vers 48 zeigt Stephanus, dass es keinen Grund gab, auf den Tempel in Jerusalem stolz zu sein. Der Grund ist, dass der Höchste (Gott) nicht in Wohnungen wohnt, die mit Händen gemacht sind. Das war keine Einsicht des Stephanus, sondern eine Tatsache, die bereits im Alten Testament niedergelegt war. Deshalb zitiert er aus Jesaja 66.

Die Juden beanspruchten Gott für sich. Für sie war der Tempel der Wohnort Gottes. Wer dorthin kam, kam zu Gott. In einem gewissen Sinn war das tatsächlich so, und doch macht Stephanus ihnen klar, dass der Blick weitergehen muss. Die Gegenwart Gottes kann unmöglich auf einen Tempel begrenzt sein, der von Menschenhänden gebaut worden ist.

Die Juden hätten bedenken sollen, dass es nicht so sehr um die Gebäude selbst ging (so prachtvoll sie sein mochten), sondern um den, der dort wohnte. Natürlich hatte die Herrlichkeit Gottes die Stiftshütte und den Tempel Salomos erfüllt, doch im absoluten Sinn ist es unmöglich, dass Gott in einem mit Händen gemachten Haus wohnt. Gott ist unendlich. Salomo selbst hatte schon gesagt: „Aber sollte Gott wirklich bei dem Menschen auf der Erde wohnen? Siehe, die Himmel und der Himmel Himmel können dich nicht fassen; wie viel weniger dieses Haus, das ich gebaut habe“ (2. Chr 6,18). Es ist unmöglich, den unendlichen Gott auf ein irdisches Gebäude zu beschränken. Wenn man das meint, zieht man Gott auf die Ebene der Götzen herab – und das ist unmöglich.

Das Zitat aus Jesaja 66,1.2 erklärt warum: Gott wohnt im Himmel. Der Himmel ist sein Thron und die Erde der Schemel seiner Füße. In dieser bildlichen Sprache wird uns die Größe Gottes gezeigt. Der Himmel ist für uns unendlich und doch „nur“ Gottes Thron. Die Erde – für uns der Mittelpunkt des menschlichen Daseins – ist „nur“ der Schemel seiner Füße. Im Alten und Neuen Testament lesen wir wiederholt von diesem „Schemel der Füße Gottes“ (z. B. 1. Chr 28,2). Deshalb ist die Frage berechtigt, welches materielle Haus Menschen überhaupt für diesen Gott bauen können.

Stephanus zitiert den Vers nicht bis zum Ende. Doch die Juden mussten wissen, wie dieser Vers fortgesetzt wurde: „Aber auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2). Ohne dass Stephanus es ausdrücklich sagt, wird deutlich, dass von dieser inneren Haltung des zerschlagenen Geistes ebenso wenig zu sehen war wie von der Ehrfurcht dem Wort Gottes gegenüber. Beides ließen die Juden völlig vermissen.

Die Juden hätten zudem bedenken sollen, dass die Herrlichkeit Gottes den Tempel Salomos längst verlassen hatte und bisher nicht zurückgekehrt war. Das war ein Zeichen des Gerichtes Gottes, unter dem sie standen. Und als die Herrlichkeit Gottes dann in der Person von Jesus Christus auf dieser Erde erschienen war, da hatten sie diesen Tempel abgebrochen und den Herrn der Herrlichkeit gekreuzigt (Joh 2,19; 1. Kor 2,8). Das war die Wahrheit. Der Vorwurf, Stephanus habe behauptet, dass „dieser Jesus“ die Stätte zerstören würde, war alles andere als zutreffend.

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