Setze einen König über uns
Eine Auslegung zum ersten Buch Samuel

Kapitel 29

Setze einen König über uns

Die Philister haben Israel den Krieg erklärt und noch immer befindet sich David bei den Philistern. Für wen wird er kämpfen? Der Bericht von Kapitel 29 knüpft zeitlich an Kapitel 28,2 an. Der Besuch Sauls bei der Totenbeschwörerin in En-Dor scheint erst nach den Geschehnissen von Kapitel 29 und 30 stattgefunden zu haben. Denn Samuel hatte Saul angekündigt, dass er direkt am folgenden Tag in der Schlacht mit den Philistern sterben würde. Kapitel 31 berichtet davon.

Die Philister rüsten sich zum Kampf

Und die Philister versammelten alle ihre Heere nach Aphek; und Israel war an der Quelle gelagert, die bei Jisreel ist. Und die Fürsten der Philister zogen vorüber nach Hunderten und nach Tausenden, und David und seine Männer zogen zuletzt mit Achis vorüber“ (V. 1.2).

Der bevorstehende Krieg der Philister soll sowohl für David als auch für Saul von entscheidender Bedeutung werden. Während er für David zu einem Wendepunkt wird, an dem er in die Gemeinschaft mit seinem Gott zurückfindet, ist er für Saul ein Endpunkt und führt zu seinem Untergang. David und Saul lassen sich mit Petrus und Judas Iskariot vergleichen, für die es anlässlich der „Schlacht“ auf Golgatha ebenso einen Wendepunkt bzw. einen Endpunkt gab. Sowohl Petrus also auch Judas hatten sich an dem Herrn schuldig gemacht. Doch während Petrus seine Sünde bitterlich bereute und umkehrte, ging Judas hinaus in die Nacht und nahm sich das Leben. Im entscheidenden Moment des Lebens zeigt sich, ob göttliches Leben vorhanden ist oder nicht. David und Petrus haben dieses Leben, Saul und Judas dagegen nicht.

Das Volk Israel lagert an der Quelle, die bei Jisreel ist. Äußerlich betrachtet, sind es beste Voraussetzungen für den bevorstehenden Kampf, denn in Jisreel kann sich das Heer am Wasser erfrischen. Doch wie steht es um das Volk? Interessiert man sich noch für den Herrn und für das, was Ihm gefällt? Man folgt dem König Saul, von dem der Herr gewichen ist, aber nach David, dem Retter und Gesalbten fragt keiner ...

Die Fürsten der Philister (vgl. Jos 13,3) ziehen in Abteilungen zu Hunderten und Tausenden vorüber. Zuletzt kommt David mit seinen Männern. Haben sie vielleicht gezögert? Doch es gibt kein Zurück. David ist der Hüter Achis und deshalb zieht er sogar zusammen mit Achis vorüber. Ist er wirklich bereit, gegen sein eigenes Volk zu kämpfen? Unbegreiflich! Wie gnädig ist Gott, dass er sich seiner erbarmt und ihn mit „Zaum und Zügel“ aus dieser Situation herausführt (vgl. Ps 32,9). Dazu benutzt Er das Misstrauen der Fürsten der Philister.

Die Fürsten der Philister haben Vorbehalte gegen David

Da sprachen die Fürsten der Philister: Was sollen diese Hebräer? Und Achis sprach zu den Fürsten der Philister: Ist das nicht David, der Knecht Sauls, des Königs von Israel, der schon seit Jahr und Tag bei mir gewesen ist? Und ich habe gar nichts an ihm gefunden von dem Tag an, als er abgefallen ist, bis auf diesen Tag. Aber die Fürsten der Philister wurden zornig über ihn, und die Fürsten der Philister sprachen zu ihm: Schicke den Mann zurück, damit er an seinen Ort zurückkehre, wohin du ihn bestellt hast, und damit er nicht mit uns in den Kampf hinabziehe und uns nicht zum Widersacher werde im Kampf; denn womit könnte der sich angenehm machen bei seinem Herrn? Nicht mit den Köpfen dieser Männer? Ist das nicht David, von dem sie in den Reigen sangen und sprachen: „Saul hat seine Tausende erschlagen und David seine Zehntausende?“ (V. 3–5).

Die Fürsten der Philister sind irritiert als sie unter den Soldaten David und seine Männer sehen. „Was sollen diese Hebräer?“, fragen sie. Vielleicht denken sie an die Situation, die in Kapitel 14,21 beschrieben wird: Einmal waren Hebräer bei ihnen und wechselten mitten im Kampf die Fronten. Achis kann den Einspruch der Fürsten nicht begreifen. Er sieht in David seinen treuen Knecht, der schon lange bei ihm ist (er kann sogar von „Jahr und Tag“ sprechen) und dem er gar nichts vorwerfen kann. Hätte er allerdings genauer hingeschaut, wäre er gewiss zurückhaltender gewesen.

Bei allem Lob, das Achis hier über David äußert, macht ein Wort nachdenklich. Achis sagt, dass David „abgefallen“ sei. „Abgefallen“ von Saul, aber auch „abgefallen“ von Israel. David befindet sich schon Monate auf der falschen Seite – und merkt es offensichtlich nicht.

Die Fürsten sind nicht zu beruhigen, im Gegenteil – sie sind zornig auf ihren König. Sie halten es für undenkbar, dass David und seine Männer mit ihnen in den Kampf gegen Israel ziehen. Hier wird deutlich, dass der Philisterkönig nicht als Autokrat regiert. Die Fürsten in seinem Reich sind sehr einflussreich, und der König kann sich nicht ohne Weiteres über ihre Meinung hinwegsetzen. In der Sache Davids bestehen sie darauf, dass Achis seinen „Freund“ nach Ziklag zurückschickt.

Wenn David seine eigenen Siege vergessen haben sollte – seinen Feinden sind sie in guter Erinnerung geblieben. Sie wissen noch, was man über Davids Erfolge gesungen hat. Bereits einige Zeit vorher haben sie dieses Argument gegen David vorgebracht (1. Sam 21,12). Sie können sich nicht vorstellen, dass David in den zurückliegenden sechzehn Monaten seine Position grundlegend geändert haben soll.

Achis schickt David zurück

„Und Achis rief David und sprach zu ihm: So wahr der HERR lebt, du bist redlich; und wohlgefällig in meinen Augen ist dein Ausgang und dein Eingang bei mir im Heerlager; denn ich habe nichts Böses an dir gefunden von dem Tag an, als du zu mir gekommen bist, bis auf diesen Tag; aber in den Augen der Fürsten bist du nicht wohlgefällig. Und nun kehre zurück und geh hin in Frieden, damit du nichts Böses tust in den Augen der Fürsten der Philister. Und David sprach zu Achis: Was habe ich denn getan, und was hast du an deinem Knecht gefunden von dem Tag an, an dem ich vor dir gewesen bin, bis auf diesen Tag, dass ich nicht kommen und gegen die Feinde meines Herrn, des Königs, kämpfen soll? Und Achis antwortete und sprach zu David: Ich weiß es, denn du bist wohlgefällig in meinen Augen wie ein Engel Gottes; doch die Fürsten der Philister haben gesagt: Er soll nicht mit uns in den Kampf hinaufziehen! So mach dich nun frühmorgens auf, du und die Knechte deines Herrn, die mit dir gekommen sind. Und macht euch frühmorgens auf: Sobald es euch hell wird, zieht fort! Und David machte sich früh auf, er und seine Männer, um am Morgen fortzuziehen und in das Land der Philister zurückzukehren. Die Philister aber zogen nach Jisreel hinauf (V. 6–11).

Achis ist gezwungen, den Einwand seiner Fürsten ernst zu nehmen. Er lässt David rufen und erklärt ihm die Lage. Er selbst hat David schätzen gelernt und stellt ihm ein sehr gutes Zeugnis aus. Was wird David empfunden haben, als Achis den HERRN, den Gott Davids, zum Zeugen anruft und sagt: „So wahr der HERR lebt, du bist redlich; und wohlgefällig in meinen Augen ...; denn ich habe nichts Böses an dir gefunden“ (V. 6). Muss er nicht zugeben, dass er Achis getäuscht hat? Und was denkt der Herr überhaupt von ihm? – Wie beschämend für einen Gläubigen, wenn er sich so in Widersprüche verstrickt!

Achis schickt David und seine Männer zurück. Doch hinter allem steht Gott, der hier das Misstrauen der Fürsten und die lobenden Worte Achis benutzt, um David zurück in die Gemeinschaft mit sich zu bringen und ihn vor weiterem Schaden zu bewahren. Hat Gott nicht auch uns schon öfter vor weiterem „Abrutschen“ bewahrt, indem Er selbst eingegriffen hat? Dazu benutzt Er manchmal sogar die Ablehnung der Welt, die – so unangenehm sie auch sein mag – für unser Glaubensleben viel förderlicher ist als ihre Freundschaft. Es ist zwar schön, wenn die Welt uns ein gutes Zeugnis ausstellt, weil wir uns ehrbar verhalten haben (vgl. 1. Thes 4,12), aber wenn die Welt uns schmeichelt und unsere Freundschaft sucht, heißt es wachsam zu sein. Meist haben wir uns dann schon der Welt angepasst.

Ist es möglich, dass David enttäuscht ist, weil er nicht mit in den Krieg gegen Israel ziehen darf? Sind seine Worte ernst gemeint oder benutzt er diese Höflichkeit, um Achis erneut zu täuschen – damit dieser bei seiner Überzeugung bleibt? Er fragt: „Was habe ich denn getan?“ Diese Frage hat er schon in anderen Situationen gestellt – und da zu Recht (1. Sam 17,29; 20,1; 26,18). Aber hier fragt er nicht mit aufrichtigem Herzen.

Wieder hat man den Eindruck, dass David eine zweideutige Sprache gebraucht, wenn er von seinem „Herrn, dem König“ spricht. Es bleibt offen, ob er damit Saul oder Achis meint. Achis bezieht es in seiner Gutgläubigkeit auf sich (V. 9). Kann David sein eigenes Volk, gegen das er kämpfen möchte, „die Feinde meines Herrn, des Königs“ (Achis) nennen? Das wäre tatsächlich der Tiefpunkt seines Lebens. So weit kann es kommen, wenn wir uns von Gott entfernen und die Welt lieb gewinnen. „Wer nun irgend ein Freund der Welt sein will, erweist sich als Feind Gottes“ (Jak 4,4). Wie schnell verhärten sich unsere Herzen durch den „Betrug der Sünde“ (Heb 3,13).

Noch einmal beteuert Achis gegenüber David, wie sehr er ihn schätzt: „Du bist wohlgefällig in meinen Augen wie ein Engel Gottes“ (V. 9). Ein ähnliches Zeugnis hatten die Hethiter Abraham ausgestellt, als er von ihnen ein Erbbegräbnis für seine Frau Sara kaufen wollte. „Du bist ein Fürst Gottes unter uns“ (1. Mo 23,6) hatten sie zu ihm gesagt. Das traf auf Abraham zu, während es bei David hier auf einer Täuschung beruht. Obwohl Achis David gerne mit in den Krieg nehmen würde, schickt er ihn jetzt fort, und zwar mit Nachdruck: „Sobald es hell wird, zieht fort!“ (V. 10). Merkwürdigerweise bezeichnet er Davids Männer als „Knechte seines [Davids] Herrn“. Davids Herr ist und bleibt also doch der König Saul. Ob Achis bei aller Sympathie für David erkennt, dass dieser letztendlich doch nicht zu ihnen gehört?

Am nächsten Morgen macht David sich in aller Frühe auf und kehrt nach Ziklag zurück. Gott, der gnädig über David gewacht hat, rettet ihn aus einer großen Gefahr. Doch die bitteren Folgen seines verkehrten Weges muss er ernten.

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