Die Bergpredigt
Eine Verständnishilfe zu Matthäus 5 - 7

23. Fasten (Matthäus 6,16-18)

Die Bergpredigt

Kein Gebot zum Fasten

Fasten bedeutet, dass man sich eine gewisse Zeit von Essen und Trinken enthält. Es wird in der Bibel mehrfach erwähnt und ist bis heute in weiten Teilen der Christenheit bekannt. Wenn wir unsere Bibel aufschlagen, finden wir dazu jedoch weder im Alten noch im Neuen Testament ein Gebot. Auch in Matthäus 6,16–18 gebietet der Herr Jesus seinen Jüngern das Fasten nicht, ebenso wenig wie in den vorhergehenden Versen das Almosengeben (V. 2–4). Er setzt aber einfach voraus, dass Seine Jünger es praktizieren.

Wissen wir heute eigentlich noch, was biblisches Fasten wirklich bedeutet? Wir müssen wohl größtenteils bekennen, dass wir uns darüber wenig Gedanken machen. Wir dürfen aber nicht einfach darüber hinweggehen, sondern wir wollen uns fragen, was der vorliegende kurze Abschnitt der Bergpredigt uns heute zu sagen hat.

Fasten im Alten Testament

In 2. Mose 34,28 lesen wir, dass Mose nicht aß und nicht trank, als er vierzig Tage auf dem Berg Gottes war, um für Israel das Gesetz zu empfangen. Es ist das erste Mal, wo in Gottes Wort beschrieben wird, dass jemand fastete. Der Herr Jesus begann seinen Dienst auf der Erde auch mit vierzigtägigem Fasten (Mt 4,2). Als ganzes Volk fastete Israel zum ersten Mal, als es in den Bruderkrieg gegen den Stamm Benjamin ziehen musste (Ri 20,26).

Darüber hinaus lesen wir an verschiedenen Stellen, dass ein einzelner Israelit oder das ganze Volk in Verbindung mit ernstem Gebet fastete (Neh 1,4; Dan 9,3), aber auch, um sich in Trauer und Buße zu demütigen (1. Sam 7,6; 1. Kön 21,27; 2. Chr 20,3; Esra 8,21). Nach der babylonischen Gefangenschaft wurden verschiedene jährliche Fastenzeiten zur Erinnerung an die Wegführung Judas eingesetzt (s. Sach 7,5; 8,19).

Die Bedeutung des Fastens kommt am deutlichsten in den Worten von Psalm 35,13 zum Ausdruck: „Ich aber, als sie krank waren, kleidete mich in Sacktuch; ich kasteite mit Fasten meine Seele.“ Das Gott wohlgefällige Fasten im Alten Testament war also der äußerlich sichtbare Ausdruck einer tiefen inneren Beugung. Obwohl es nicht ausdrücklich gesagt wird, fassen die Juden deshalb von alters her die Worte „eure Seelen kasteien“ in 3. Mose 16,29 als ein Gebot Gottes auf, am großen Versöhnungstag zu fasten.

Doch schon der Prophet Jesaja musste im Namen Gottes die Entartung des Fastens anprangern und zu echtem Fasten und wahrer Buße aufrufen (Jes 58,1–7). Die Israeliten fasteten und praktizierten gleichzeitig die schlimmsten Sünden. Solch ein heuchlerisches, böses Tun konnte Gott nicht gefallen. Auch der Herr Jesus verurteilt es.

Fasten im Neuen Testament

Auch im Neuen Testament finden wir die Gewohnheit des Fastens bei den Juden. Die Prophetin Anna diente Gott Tag und Nacht mit Fasten und Flehen (Lk 2,37). Die Jünger Johannes' des Täufers fasteten wie die Pharisäer im Gegensatz zu den Jüngern des Herrn häufig (Mt 9,14).

Der Herr Jesus lässt in seinem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner im Tempel den ersteren die selbstgefälligen Worte sprechen: „O Gott! ich danke dir, dass ich nicht bin wie die Übrigen der Menschen: Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche, ich verzehnte alles, was ich erwerbe“ (Lk 18,11.12). Daraus geht hervor, dass auch zur Zeit des Neuen Testaments das Fasten als religiöse „Übung“ im Schwange war, so wie es auch heute noch in bestimmten christlichen Kirchen und verschiedenen Religionen (z. B. im Islam) der Fall ist.

Wenn ihr aber fastet

Wie gesagt, gibt der Herr Jesus hier weder ein Gebot zu fasten, noch verbietet Er es. Er lässt das Fasten als eine persönliche Herzensübung bestehen, warnt aber – wie beim Almosengeben und Beten – vor heuchlerischem Tun. Um möglichst fromm zu erscheinen, schaut der Heuchler „düster“ oder „niedergeschlagen“ drein (s. Lk 24,17, wo dasselbe Wort steht), damit die Mitmenschen auch sehen, wie ernst er es meint. Aber wie wir schon in den Versen 2 und 5 sahen, kann und wird unser Gott und Vater uns keinen Lohn geben, wenn wir unseren Lohn in der erschlichenen Anerkennung scheinbarer Frömmigkeit von Seiten unserer Mitmenschen suchen.

Nein, die wirkliche Kraftquelle des Glaubenslebens liegt in dem verborgenen Umgang mit unserem Gott und Vater. Jemand hat einmal gesagt: Wir können nicht öffentlich für den Herrn einstehen, wenn wir nicht in der Stille vor Ihm auf den Knien gelegen haben. Deshalb verurteilt der Herr hier so scharf unsere Neigung, durch frömmelndes Tun und Auftreten einen Eindruck bei unseren Geschwistern und bei unseren Mitmenschen im Allgemeinen zu erwecken, der überhaupt nicht mit unserem wahren Seelen- und Herzenszustand im Einklang ist.

Gott musste einmal zu Samuel sagen: „Der Herr sieht nicht auf das, worauf der Mensch sieht; denn der Mensch sieht auf das Äußere, aber der Herr sieht auf das Herz“ (1. Sam 16,7). Deshalb sagt auch der Herr Jesus hier: „Du aber, wenn du fastest, so salbe dein Haupt und wasche dir das Gesicht, damit du nicht den Menschen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.“ Wann und wie die Vergeltung des Vaters geschieht, sagt der Herr nicht. Aber wir dürfen wissen, dass Gott denen, die ihn suchen, ein Belohner ist (Heb 11,7).

Heute noch fasten?

Zum Schluss noch etwas über das Fasten heute. Die Tatsache, dass es in bestimmten Kreisen der Christenheit zu einer bloßen religiösen Übung geworden ist, darf uns nicht davon ablenken, dass die ersten Christen mit großem Ernst gefastet haben (vgl. 2. Kor 6,5). Bevor Paulus und Barnabas ihre erste Missionsreise antraten, fasteten und beteten die Brüder (Apg 13,3), und als die beiden auf ihrer Rückreise in den einzelnen Versammlungen Kleinasiens Älteste gewählt hatten, beteten sie mit Fasten und befahlen sie dem Herrn an, an den sie geglaubt hatten (Apg 14,23).

Auch die Worte des Herrn in Matthäus 17,21 über das Fasten in Verbindung mit dem Gebet sind sehr lehrreich. Ein Bruder in Frankreich schrieb hierzu im „Messager Evangélique 1864“ folgendes:

„Fasten beinhaltet ein bewusstes Abstandnehmen von den irdischen und natürlichen Dingen, damit das Herz sich im Gebet mit geistlichen und himmlischen Dingen beschäftigen kann. Das Fasten ist ein Mittel, die Verbindung zwischen unserem natürlichen Sein und der Welt, die uns umgibt, zu unterbrechen; das Gebet ist das Mittel, die Verbindung zwischen unserem Geist und dem Himmel zu erhalten. Das eine ist eine heilige Verneinung des natürlichen Menschen, das andere der Ausdruck der vollkommenen Abhängigkeit des erneuerten Menschen. Doch sollten wir uns dabei vor einem mönchischen, asketischen und gesetzlichen Geist hüten, der nur dazu neigt, das Fleisch zu erhöhen.“

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